Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der Disziplinaranwältin der Stadt Wien in 1082 Wien, Rathaus, Stiege 4, Hochparterre, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. April 2023, W136 2226263 1/59E, betreffend Disziplinarstrafe nach der Wiener Dienstordnung 1994 (mitbeteiligte Partei: Mag. A B in C, vertreten durch Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 42/6), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der im Jahre 1965 geborene Mitbeteiligte war im inkriminierten Zeitraum Richter des Verwaltungsgerichtes Wien (in der Folge: VGW) und wurde mit Erkenntnis des VGW vom 9. Juni 2020 mit Ablauf des 30. Juni 2020 gemäß § 15 Abs. 4 Z 3 Wiener Verwaltungsgerichts Dienstrechtsgesetz (VGW DRG) des Amtes enthoben und somit gemäß § 68a Dienstordnung 1994 (DO 1994) in den Ruhestand versetzt. Zur weiteren Vorgeschichte wird auf die Vorerkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. November 2020, Ro 2020/09/0014, und vom 1. September 2022, Ro 2022/09/0004, verwiesen.
2 Zusammengefasst wurde der Mitbeteiligte aufgrund des Strafantrages der Revisionswerberin vom 6. Dezember 2019 betreffend Vorwürfe zu Säumnissen bei der Behandlung von mehreren Fristsetzungsanträgen bzw. dazu erfolgten unbedingten Erledigungsaufträgen des Verwaltungsgerichtshofes mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. Juli 2020 und 24. Jänner 2022 näher beschriebener Säumnisse im Zeitraum zwischen März 2016 und April 2019 in acht Fällen und deswegen einer Dienstpflichtverletzung gemäß § 18 Abs. 1 DO 1994, LGBl. Nr. 56/1994 in der Fassung LGBl. Nr. 29/2020, schuldig erkannt. Weiters wurde über ihn im Erkenntnis vom 24. Jänner 2022 deswegen die Disziplinarstrafe einer gemäß § 78 Abs. 3 in Verbindung mit § 108 Abs. 1 leg. cit. unter Setzung einer Bewährungsfrist von drei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe verhängt. Im Umfang des Strafausspruches wurde diese Entscheidung infolge der von der Revisionswerberin erhobenen Revision mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. September 2022, Ro 2022/09/0004, aufgehoben.
3 Im nunmehr dritten Rechtsgang verhängte das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung über den Mitbeteiligten wegen dieser Dienstpflichtverletzung in acht Fällen die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in Höhe eines zweieinhalbfachen Ruhebezuges, wovon die Hälfte dieser Geldstrafe wiederum unter Setzung einer Bewährungsfrist von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Als Ermessensentscheidung unterliegt die Strafbemessung nur insofern der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof im Rahmen von dessen Befugnissen nach Art. 133 Abs. 4 B VG, als dieser gegebenenfalls zu prüfen hat, ob von dem vom Gesetz eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, in der Begründung seines Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG die für die Überprüfung der Ermessensübung maßgebenden Überlegungen und Umstände sowie im Falle der eigenen Ermessensübung die dafür maßgeblichen Gründe insoweit offen zu legen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und für die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch den Verwaltungsgerichtshof erforderlich sein kann (vgl. u.a. VwGH 10.9.2015, Ra 2015/09/0041).
7 Hat der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben, sind gemäß § 63 Abs. 1 VwGG die Verwaltungsgerichte verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Erfolgte die Aufhebung einer angefochtenen Entscheidung, weil es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, die für die Beurteilung des Rechtsfalles wesentlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen, so besteht die Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustandes darin, dass das Verwaltungsgericht jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchführt und die Feststellungen trifft, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes ermöglichen (vgl. VwGH 23.3.2021, Ra 2019/19/0431, mwN).
8 Die Bindung des Verwaltungsgerichts gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis geäußerte tragende Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 2.7.2021, Ra 2019/13/0088, mwN) besteht nicht bei einer wesentlichen Änderung der Sach und Rechtslage (vgl. VwGH 14.5.2020, Ra 2019/13/0097). Die Bindung ist somit insbesondere dann nicht mehr gegeben, wenn der Sachverhalt in einer für die Entscheidung erheblichen Weise von jenem abweicht, den der Verwaltungsgerichtshof zunächst rechtlich beurteilt hat (vgl. VwGH 15.12.2022, Ra 2022/07/0212, und 22.8.2022, Ra 2022/16/0040, mwN).
9 Zur Zulässigkeit der Revision bringt die Revisionswerberin zusammengefasst vor, dass die angefochtene Entscheidung dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes widerspreche, weil weder die Strafbemessung, insbesondere die Beurteilung der Schuld und die Berücksichtigung von Milderungsgründen, noch die Gewährung der teilbedingten Strafnachsicht der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes entsprechen würden.
10 Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Erkenntnis vom 1. September 2022, Ro 2022/09/0004, bezüglich der bekämpften Strafbemessung das Vorliegen wesentlicher Verfahrensfehler und Begründungsmängel aufgegriffen und dazu explizit eine Widersprüchlichkeit in der Begründung zur Schuldform beim Mitbeteiligten, das Fehlen von Erhebungen zur Annahme eines freiwilligen Urlaubsverzichts, eine unzureichende Würdigung des eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bemängelt und die Verneinung einer generalpräventiven Wirkung seitens des Verwaltungsgerichts als verfehlt erachtet.
11 Dem wurde vom Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren dahingehend Rechnung getragen, als es verfahrensergänzend in einer mündlichen Verhandlung einerseits die Urlaubskonsumation näher geklärt sowie zur Frage der Tinnitus bedingt möglichen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Mitbeteiligten im inkriminierten Zeitraum diesen und den Sachverständigen zu dessen diesbezüglichen Gutachten ergänzend befragt hat. Auf Grundlage dieser ergänzenden Ermittlungen gestand das Verwaltungsgericht nicht (wie im früheren Rechtsgang) erst seit November 2018 sondern bereits seit dem Jahr 2015 (und damit während des gesamten inkriminierten Zeitraumes) eine zunehmende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit zu; weiters hielt es die Annahme eines freiwilligen Urlaubsverzichts in den Jahren 2017 und 2018 nicht mehr aufrecht und traf nähere Feststellungen zur Urlaubskonsumation. Zur geänderten Strafbemessung führte es im Wesentlichen aus, dass aufgrund dieser geänderten Sachlage die krankheitsbedingte Beeinträchtigung in einem höheren Umfang als bisher zu berücksichtigen sei. Zur Begründung der Schuldform stellte es klar, dass es „- offenkundig missverständlich - zum Ausdruck bringen wollte, dass der Disziplinarbeschuldigte die durch seine unrichtige Prioritätensetzung jeweils eingetretene Verletzung der Rechtsschutzinteressen in Kauf genommen hat“.
12 Vor diesem Hintergrund und angesichts dessen, dass dem geänderten Ausmaß der krankheitsbedingten Beeinträchtigung in der Zulässigkeitsbegründung seitens der Revisionswerberin nicht entgegengetreten wird, kann mit den Einwänden im Zulässigkeitsvorbringen gegen die auf einer neuen Sachverhaltslage basierenden Strafbemessung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargetan werden:
13 Zum Einen hat der Verwaltungsgerichtshof anders als die Revisionswerberin vermeint im zitierten Vorerkenntnis nicht rechtlich überbindend die Annahme der Schuldform der Wissentlichkeit als notwendig gesehen, sondern auf Widersprüche in der seinerzeitigen Begründung des Verwaltungsgerichtes hingewiesen; die diesbezügliche (wenngleich knappe) Klarstellung in Richtung der Schuldform des „dolus eventualis“ kann auch vor dem Hintergrund der zwischenzeitigen Verfahrensergebnisse hinsichtlich der krankheitsbedingten Beeinträchtigung des Mitbeteiligten von der Revisionswerberin nicht erschüttert werden.
14 Ebenso geht der Einwand der Revisionswerberin, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Vorerkenntnis, wonach die „sonstige Dienstleistung in quantitativer Hinsicht“ und „die persönliche Überlastung“ des Mitbeteiligten nicht strafmildernd zu berücksichtigen seien zu Unrecht diese beiden Milderungsgründe bei der Strafbemessung erneut einfließen lassen, ins Leere, zumal das Verwaltungsgericht in seiner auf einer geänderten Sachlage beruhenden nunmehrigen Strafbemessung lediglich die krankheitsbedingte Beeinträchtigung in einem erhöhten Ausmaß berücksichtigt hat.
15 Letztlich kann auch der Revisionswerberin nicht gefolgt werden, wenn sie sich mit Berufung auf das zitierte Vorerkenntnis gegen die teilbedingte Strafnachsicht wendet. Der Verwaltungsgerichtshof ist darin mit Betonung auf die damalige Sachlage dem Verwaltungsgericht mit weiteren Ausführungen entgegengetreten, als dieses das Vorliegen von generalpräventiven Erwägungen, die gegen die bedingte Strafnachsicht sprechen würden, verneint hat. Daraus kann aber keine überbundene Rechtsansicht abgeleitet werden, die auch bei einem anders festgestellten Sachverhalt anzuwenden wäre und auch schon eine nur teilweise bedingt nachgesehene Geldstrafe ausschließen würde.
16 Insgesamt begegnet die auf diesen Ergänzungen vorgenommene Strafbemessung keinen Bedenken im Sinn der zuvor dargelegten Judikatur zur Überprüfbarkeit der Strafbemessung bzw. konnte die Revisionswerberin keine Widersprüche zu den überbundenen Rechtsansichten aufzeigen.
17 In der Revision werden damit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukämen. Die Revision war daher nach § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 28. Juni 2023
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