Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des Arbeitsmarktservice Mistelbach in 2130 Mistelbach an der Zaya, Oserstraße 29, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 2023, W209 2280615 1/7E, betreffend Behebung und Zurückverweisung des Bescheides in einer Angelegenheit der Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: M K in L), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid vom 30. Juni 2023 sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) gemäß § 38 iVm § 10 AlVG aus, dass der Mitbeteiligte im Zeitraum 14. Juni bis 25. Juli 2023 seinen Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe, weil eine Beschäftigung als Transitarbeitskraft bei der S. GmbH (mit einer Tätigkeit im Bereich Landschaftspflege und Revitalisierungen) durch sein Verschulden nicht zustande gekommen sei.
2 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und brachte vor, dass er am 13. Juni 2023 zu einem Vorstellungsgespräch erschienen sei. Auf dem auszufüllenden Formular sei u.a. nach dem Gesundheitszustand gefragt worden. Dieses Thema sei dann auch beim Vorstellungsgespräch sofort aufgegriffen worden, und er sei nach Details gefragt worden, was er wahrheitsgemäß beantwortet habe. Das Gespräch sei freundlich gewesen, man habe sich verständnisvoll gezeigt, und am Ende sei ihm gesagt worden, dass man ihm absagen müsse bzw. dass er abgesagt habe und er sich wegen der weiteren Vorgangsweise mit seiner AMS Betreuerin in Verbindung setzen solle.
3 Bereits am Tag nach dem Vorstellungsgespräch hatte der Mitbeteiligte dem AMS per eAMS Konto mitgeteilt, dass er beim Vorstellungsgespräch abgelehnt worden sei. In dieser Nachricht schilderte er auch im Detail seine gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere Verdauungsprobleme mit „Blitzdurchfall“, Schwindel beim Bücken und „plötzlich einsetzende bleierne Müdigkeit“, möglicherweise als Folge seiner Coronaerkrankung, sowie tägliche Einnahme von Psychopharmaka mit Nebenwirkungen in Form von Konzentrationsstörungen.
4 In Reaktion auf diese Nachricht und dann nochmals anlässlich einer persönlichen Vorsprache sowie nach Einbringung der Beschwerde forderte das AMS den Mitbeteiligten zur Vorlage aktueller Facharztbefunde auf, um seine gesundheitliche Situation zu belegen. Der Mitbeteiligte verwies jeweils auf noch ausstehende Untersuchungstermine.
5 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 6. Oktober 2023 wies das AMS die Beschwerde als unbegründet ab. Das AMS führte dazu im Wesentlichen aus, dass die Einwendungen des Mitbeteiligten hinsichtlich seines Gesundheitszustandes „ins Leere“ liefen. Dem AMS seien zum Zeitpunkt der Zuweisung der gegenständlichen Stelle keine gesundheitlichen Einschränkungen des Mitbeteiligten bekannt gewesen. Erst im Zuge seiner Stellungnahme nach der Bezugseinstellung habe er angegeben, unter Verdauungsproblemen, einer verminderten Konzentrationsfähigkeit, Schwindel beim Bücken und (recht selten) einer plötzlich einsetzenden bleiernen Müdigkeit untertags zu leiden. Trotz mehrfacher Aufforderung durch das AMS habe er bis dato keine ärztlichen Befunde oder Gutachten vorgelegt. Diese wären jedoch notwendig, um allfällige gesundheitliche Einschränkungen, die den Mitbeteiligten an der Ausübung der angebotenen Beschäftigung hinderten, nachweisen zu können. Da dem AMS keine Befunde oder Gutachten über den Gesundheitszustand des Mitbeteiligten vorlägen, sei davon auszugehen, dass die vorgesehene Tätigkeit seine Gesundheit nicht beeinträchtige. Die Tätigkeit sei daher zumutbar im Sinn des § 9 Abs. 2 AlVG.
6 Der Mitbeteiligte habe das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses vereitelt, indem er seinen Gesundheitszustand zum Thema gemacht habe und dadurch gegenüber dem potentiellen Dienstgeber seine gesundheitliche Eignung in Zweifel gezogen habe. Er wäre verpflichtet gewesen, diese Umstände in erster Linie gegenüber dem AMS schon aus Anlass der Zuweisung bekannt zu geben, um diesem eine Überprüfung der Zumutbarkeit zu ermöglichen. Eine nachträgliche Überprüfung habe, wie bereits festgestellt, ergeben, dass keine rechtlich relevanten Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit gegeben seien.
7 Der Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag.
8 Mit der angefochtenen Entscheidung behob das Bundesverwaltungsgericht zum einen mit Spruchpunkt I. ersatzlos die Beschwerdevorentscheidung, zum anderen mit Spruchpunkt II. behob es den Ausgangsbescheid vom 30. Juni 2023 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurück.
9 Die ersatzlose Behebung der Beschwerdevorentscheidung begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass sie nach Ablauf der zehnwöchigen Frist gemäß § 56 Abs. 2 AlVG erlassen worden sei.
10 Zur Behebung und Zurückverweisung führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass sich das AMS mit der Frage der körperlichen Eignung des Mitbeteiligten für die zugewiesene Stelle trotz vorliegender Anhaltspunkte nicht näher auseinandergesetzt habe. Der Tatbestand der Vereitelung im Sinn des § 10 AlVG wäre nur dann verwirklicht, wenn die nachträgliche Überprüfung der Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung durch ein amtsärztliches Gutachten keine rechtlich relevanten Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit zu erweisen vermöchte (Hinweis auf VwGH 4.4.2002, 2002/08/0051). Ein derartiges ärztliches Gutachten zur Prüfung der vom Mitbeteiligten bestrittenen Zumutbarkeit sei vom AMS nicht eingeholt worden, sodass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht feststehe. Damit habe das AMS keine für eine Entscheidung in der Sache nach § 28 Abs. 2 VwGVG ausreichenden brauchbaren Ermittlungsergebnisse im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geliefert. Dies berechtige das Bundesverwaltungsgericht dazu, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen (Hinweis auf VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0088).
11 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
12 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich ihrem Inhalt nach ausschließlich gegen den Spruchpunkt betreffend die Behebung und Zurückverweisung. Vorweg ist aber der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die ersatzlose Behebung der Beschwerdevorentscheidung nicht erforderlich gewesen wäre und dass durch diese Behebung auch nicht der Ausgangsbescheid wieder auflebt. Vielmehr tritt eine Sachentscheidung des mit Vorlageantrag angerufenen Verwaltungsgerichts jedenfalls an die Stelle der Beschwerdevorentscheidung, sodass sie auf Grund dieser Derogationswirkung aus dem Rechtsbestand ausscheidet, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf (vgl. grundlegend VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026). Erfolgt wie hier eine Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, so hat sich diese auf die Beschwerdevorentscheidung (und nicht auf den durch die Beschwerdevorentscheidung endgültig beseitigten Ausgangsbescheid) zu beziehen (vgl. etwa VwGH 14.9.2016, Ra 2015/08/0145), auch wenn die Behörde wegen Fristüberschreitung dafür nicht mehr zuständig gewesen wäre: Denn auch durch diese Behebung scheidet die mit dem Mangel der Unzuständigkeit behaftete Beschwerdevorentscheidung aus dem Rechtsbestand aus.
16 Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG bringt das AMS vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Das AMS habe sich mit der Frage der Zumutbarkeit einer zugewiesenen Beschäftigung nur dann näher zu befassen, wenn die Tätigkeit besondere körperliche oder fachliche Fähigkeiten erfordere, die nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden könnten (Hinweis auf VwGH 17.5.2006, 2004/08/0177) oder wenn die Partei die Unzumutbarkeit der zugewiesenen Arbeitsstelle ganz konkret behaupte; insofern bestehe eine besondere Mitwirkungspflicht der Arbeitslosen.
17 Eine solche konkrete Behauptung der Unzumutbarkeit der Beschäftigung ist im vorliegenden Fall aber erfolgt, indem der Mitbeteiligte dem AMS detailliert seine gesundheitlichen Einschränkungen schilderte. Davon, dass diese für die zugewiesene Beschäftigung von vornherein nicht relevant waren bzw. dass dem Mitbeteiligten bei einem anderen Verlauf des Vorstellungsgesprächs vom potentiellen Dienstgeber passende Einsatzbereiche hätten zugewiesen werden können, ist auch das AMS nicht ausgegangen. Nachdem der Mitbeteiligte der Aufforderung zur Vorlage von Befunden nicht nachgekommen war, wäre es im amtswegigen Ermittlungsverfahren daher Aufgabe des AMS gewesen, ihn gemäß § 8 Abs. 2 AlVG zu einer ärztlichen Untersuchung zuzuweisen.
18 Es trifft zwar zu, dass wie das AMS in der Zulässigkeitsbegründung der Revision weiter ausführt allein die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens im Allgemeinen nicht die Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigt. Die Überprüfung der Arbeitsfähigkeit ist aber eine in § 8 AlVG eigens geregelte Aufgabe des AMS. Dabei geht es in der Regel auch wenn Anlass der Überprüfung so wie hier die Frage der gesundheitlichen Eignung für eine konkrete Beschäftigung sein mag auch um die Feststellung, ob bzw. in welchem Umfang die Arbeitsfähigkeit generell (noch) gegeben ist. Im Hinblick darauf und auch vor dem Hintergrund der aus einer Weigerung, einer Anordnung nach § 8 AlVG zur ärztlichen Untersuchung Folge zu leisten, sich ergebenden Sanktion (Anspruchsverlust gemäß § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG) erscheint es grundsätzlich zweckmäßig, dass der Auftrag zur Untersuchung bzw. die Einholung eines ärztlichen Gutachtens zunächst unbeschadet der allfälligen Notwendigkeit ergänzender Ermittlungen in einem (weiteren) Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das AMS selbst im Zuge einer Überprüfung nach § 8 AlVG erfolgt.
19 Es war daher im vorliegenden Fall, in dem sich das Erfordernis, die Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung zu erheben, bereits aus den Angaben des Mitbeteiligten im Verfahren des AMS ergab (vgl. zur insoweit maßgeblichen hg. Judikatur zuletzt VwGH 11.3.2022, Ra 2019/08/0119), nicht unvertretbar, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht im Sinn des § 28 Abs. 2 VwGVG angenommen hat, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden war, sondern mit einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgegangen ist.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 22. Jänner 2024