Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision der S H in S, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14 Top 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juli 2023, L517 2264616 1/6E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Weiterbildungsgeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg Stadt), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Bescheid vom 21. September 2022 sprach die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) aus, dass gemäß § 24 Abs. 2 AlVG der Bezug des Arbeitslosengeldes der Revisionswerberin für den Zeitraum 16. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2019 widerrufen und die Revisionswerberin gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistungen in Höhe von € 6.413,35 verpflichtet werde. Die Revisionswerberin habe „die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung (Bildungsteilzeitgeld und Bildungskarenz)“ für den im Spruch genannten Zeitraum zu Unrecht bezogen, da mit ihrem Einkommen „aus selbständiger Tätigkeit“ die Geringfügigkeitsgrenze von € 438,05 im Jahr 2018 und € 446,81 im Jahr 2019 überschritten worden sei. Gemeint war demnach offenbar ungeachtet der unrichtigen Bezeichnung im Spruch der Widerruf und die Rückforderung von Bildungsteilzeitgeld und Weiterbildungsgeld.
2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte die Revisionswerberin insbesondere vor, dass die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur zu einem unter der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Teil auf ihre selbständige Tätigkeit als Fotografin zurückzuführen seien. Die übrigen Einkünfte stammten aus ihrer Tätigkeit im für die Inanspruchnahme von Bildungsteilzeitgeld und Weiterbildungsgeld zeitlich reduzierten bzw. karenzierten freien Dienstverhältnis. Im Zeitraum der Bildungskarenz von 1. September 2019 bis 31. Dezember 2019 habe sie keinerlei Einkünfte aus dem freien Dienstverhältnis bezogen. Aus ihrer gewerblichen Tätigkeit habe sie in diesem Zeitraum Einnahmen in der Höhe von € 1.700, gehabt. Zum Beweis legte sie die jeweiligen Jahresabschlüsse und Aufzeichnungen ihrer Einnahmen vor.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 13. Dezember 2022 gab das AMS der Beschwerde teilweise statt. Es korrigierte den Spruch des Ausgangsbescheides insoweit, als Weiterbildungsgeld (und nicht Arbeitslosengeld) widerrufen und rückgefordert werde, und schränkte den Widerrufs- und Rückforderungszeitraum unter Anwendung der in § 24 Abs. 2 und § 25 Abs. 6 AlVG enthaltenen Verjährungsbestimmungen auf den Zeitraum 1. September 2019 bis 31. Dezember 2019 ein. Der Rückforderungsbetrag wurde mit € 4.424,94 beziffert.
4 In der Begründung führte das AMS im Wesentlichen aus, dass die Einkünfte der Revisionswerberin aus Gewerbebetrieb laut Einkommensteuerbescheid 2019 € 14.327,43 betragen hätten. Abzüglich Sonderausgaben in Höhe von € 60, bleibe ein Betrag von € 14.267,43, der durch 12 (Anzahl der Monate des Kalenderjahres) zu teilen sei. Der sich daraus ergebende Betrag von € 1.188,95 übersteige die Geringfügigkeitsgrenze für das Jahr 2019 in Höhe von € 446,81. Das Weiterbildungsgeld habe der Revisionswerberin daher im gesamten Zeitraum von 1. September 2019 bis 31. Dezember 2019 nicht gebührt.
5 Die Revisionswerberin stellte einen Vorlageantrag. Sie präzisierte darin ihr Vorbringen aus der Beschwerde dahingehend, dass für die Frage, ob im Zeitraum 1. September 2019 bis 31. Dezember 2019 ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erzielt worden sei, nur die in dieser Zeit erzielten Einkünfte als selbständige Fotografin und nicht auch die in der Bildungsteilzeit von 1. Jänner 2019 bis 31. August 2019 erzielten Einkünfte heranzuziehen gewesen wären. Demgegenüber habe das AMS einfach ihre Einkünfte laut Einkommensteuerbescheid für das ganze Jahr 2019 herangezogen und durch 12 geteilt. Das sei im Lichte von § 36a Abs. 7 AlVG unrichtig.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde laut seinem Spruch als unbegründet ab. Aus der Begründung der Entscheidung geht jedoch hervor, dass in Wahrheit eine Wiederholung der Beschwerdevorentscheidung, also eine teilweise Stattgabe der Beschwerde mit dem Ergebnis eines Widerrufs und einer Rückforderung nur für den Zeitraum 1. September 2019 bis 31. Dezember 2019, intendiert war.
7 Das angefochtene Erkenntnis enthält unter der Überschrift „Verfahrensgang“ datumsmäßige Angaben verschiedener Verfahrensschritte. Unter der Überschrift „Feststellungen“ folgt die eigentliche Darstellung des Verfahrensgangs unter Wiedergabe von Erledigungen und Schriftsätzen. Sachverhaltsfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichts sind in diesem Abschnitt nicht vorhanden. Unter der Überschrift „Beweiswürdigung“ finden sich allgemeine Ausführungen zur Beweiswürdigung aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes. Der Abschnitt schließt mit dem Satz: „Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und sind unstrittig.“
8 Die rechtliche Beurteilung erschöpft sich abgesehen von der Wiedergabe von Rechtsvorschriften und abschließenden Ausführungen zur Verjährungsfrage in folgendem Absatz:
„Betreffend den Widerruf des Weiterbildungsgeldes und der Verpflichtung zur Rückzahlung durch das AMS gem. § 24 Abs 2 AlVG hat das AMS nachvollziehbar näher aufgezeigt, dass die Einkünfte der bP aus Gewerbebetrieb laut Einkommensteuerbescheid 2019 € 14.267,43 betrugen und damit monatliche Einkünfte erzielt wurden, die über der im Jahr 2018 [sic] gültigen Geringfügigkeitsgrenze von € 446,81 lagen.“
9 Der Widerruf und die Rückforderung des Weiterbildungsgeldes seien daher zu Recht erfolgt.
10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht mit formelhafter Begründung aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit unter anderem geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt habe, indem es keinerlei Sachverhaltsfeststellungen zur zeitlichen Zuordnung der Einkünfte getroffen und das Vorbringen der Revisionswerberin schlichtweg ignoriert habe.
13 Bereits aus diesem Grund erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
14 Rechtsfragen des Verfahrensrechts sind nur dann von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen bzw. wenn die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hat (vgl. etwa VwGH 18.12.2020, Ra 2019/08/0100, mwN). Das trifft hier zu.
15 Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden.
16 Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben.
17 Das Unterlassen jeglicher argumentativen Auseinandersetzung mit einem Beschwerdevorbringen führt jedenfalls zu einem Begründungsmangel einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (vgl. zum Ganzen VwGH 14.12.2022, Ra 2022/05/0137 ua, mwN).
18 Im vorliegenden Fall enthält das angefochtene Erkenntnis, wie dargestellt, weder Feststellungen noch Beweiswürdigung. Die rechtliche Beurteilung lässt zudem jegliche Auseinandersetzung mit der strittigen Frage, welche Einkünfte bei der Beurteilung des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze heranzuziehen sind, vermissen.
19 Diese Begründungsmängel, insbesondere die mangelnden Feststellungen hinsichtlich der konkreten Zuordnung der erzielten Einkünfte zu einer im Widerrufszeitraum ausgeübten Erwerbstätigkeit, machen es für den Verwaltungsgerichtshof unmöglich, die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen.
20 Für die Frage, ob die Revisionswerberin während des Bezugs von Weiterbildungsgeld ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erzielt hat, kann nämlich nur das auf eben diesen Zeitraum entfallende Einkommen maßgeblich sein. Das wäre gemäß § 36a Abs. 7 AlVG bei durchgehend ausgeübter selbständiger Erwerbstätigkeit für jeden Monat ein Zwölftel des Jahreseinkommens. Wird aber dargelegt, dass eine klar abgrenzbare Erwerbstätigkeit - hier die steuerlich ebenfalls unter den Einkünften aus Gewerbebetrieb erfasste Tätigkeit als freie Dienstnehmerin - nicht während des gesamten Kalenderjahrs ausgeübt wurde, dann sind die entsprechenden Einkommensbestandteile (allenfalls nach Herausrechnung aus dem auch Einkünfte aus anderen Tätigkeiten erfassenden Gesamtbetrag) ausschließlich auf jene Monate aufzuteilen, in denen die Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Die Zurechnung des Einkommens aus einer Erwerbstätigkeit, die im zu beurteilenden Zeitraum nicht oder nicht mehr ausgeübt worden ist, kommt jedenfalls nicht in Betracht (vgl. dazu schon in einem Fall betreffend Arbeitslosengeld VwGH 24.4.2014, 2013/08/0050, mwN). Im vorliegenden Fall wären demnach bei Zutreffen des Vorbringens der Revisionswerberin die Einkünfte aus der nur bis zum Beginn der Bildungskarenz ausgeübten Tätigkeit als freie Dienstnehmerin für die Frage des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze während des Bezugs von Weiterbildungsgeld irrelevant, da sie nicht auf eine in diesem Zeitraum ausgeübte Erwerbstätigkeit zurückgehen.
21 Da nach dem Gesagten wesentliche Feststellungen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs und (darauf aufbauend) der Rückforderung des Weiterbildungsgelds fehlen, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
23 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 29. August 2024