JudikaturVwGH

Ra 2023/04/0076 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Datenschutzrecht
30. August 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Mayr sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der Datenschutzbehörde gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2023, Zl. W256 2245531 1/11E, betreffend Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG in einer datenschutzrechtlichen Angelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Parteien: 1. K C und 2. E D, beide in W, beide vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Mag. Daniela Neuhuber und Mag. Leopold Boyer, Rechtsanwälte in 2225 Zistersdorf, Hauptstraße 25, und 3. H U), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

1 Die Erstmitbeteiligte und der Zweitmitbeteiligte erhoben am 10. Juni 2020, bei der Datenschutzbehörde (Amtsrevisionswerberin, im Folgenden: DSB) eine Datenschutzbeschwerde wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung durch den Drittmitbeteiligten. Dieser habe insgesamt drei auf das Grundstück der Erst- und des Zweitmitbeteiligten gerichtete Videokameras auf seiner Liegenschaft angebracht, womit er die Erstmitbeteiligte und den Zweitmitbeteiligten auf deren Grundstück überwache, beobachte und filme.

2 Mit Mandatsbescheid vom 9. Juli 2020 untersagte die DSB gemäß § 22 Abs. 4 Datenschutzgesetz (DSG) iVm § 57 Abs. 1 AVG dem Drittmitbeteiligten die Weiterführung der Datenverarbeitung „Videoüberwachung des [näher genannten] Grundstücks ...“ mit sofortiger Wirkung.

3 Aufgrund der dagegen vom Drittmitbeteiligten erhobenen Vorstellung, worin er ein Filmen des Grundstücks der Erst- und des Zweitmitbeteiligten bestritt, leitete die DSB das Ermittlungsverfahren ein.

4 Mit Vorstellungsbescheid vom 30. Juni 2021 behob die DSB den Mandatsbescheid vom 9. Juli 2020 ersatzlos.

5 Mit Bescheid vom selben Tag gab die DSB der Datenschutzbeschwerde der Erst- und des Zweitmitbeteiligten gegen den Drittmitbeteiligten teilweise statt, stellte fest, dass der Drittmitbeteiligte die Erstmitbeteiligte und den Zweitmitbeteiligten dadurch im Grundrecht auf Geheimhaltung verletzt habe, „indem der Aufnahmebereich zweier Kameras zeitweise auch jeweils Teile“ näher genannter Liegenschaft der Erst- und des Zweitmitbeteiligten erfasst habe (Spruchpunkt 1.), und wies im Übrigen die Datenschutzbeschwerde ab (Spruchpunkt 2.).

6 Begründend führte die DSB aus, der Drittmitbeteiligte habe auf seinem Grundstück „drei Kameras montiert“ gehabt, davon eine Attrappe. Zum Entscheidungszeitpunkt sei nur noch diese Kameraattrappe installiert. Die beiden anderen Kameras hätten sich in der Scheune des Drittmitbeteiligten befunden. Eine Kamera sei auf das Dachgeschoßfenster und die andere Kamera auf den Garten der Erst- und des Zweitmitbeteiligten gerichtet gewesen. Im Zuge des Verfahrens vor der DSB sei die Ausrichtung beider Kameras derart verändert worden, dass sie nicht mehr das Grundstück der Erst- und des Zweitmitbeteiligten erfassen würden.

In rechtlicher Hinsicht kam die DSB zum Ergebnis, dass der Drittmitbeteiligte nicht dem Grundsatz der Datenminimierung nach Art. 5 lit. c DSGVO entsprochen habe, soweit die beiden Kameras vor Änderung ihrer Ausrichtung auch das Grundstück der Erst- und des Zweitmitbeteiligten erfasst hätten. Dies sei zum Schutz und zur Sicherheit seiner Person und seines Eigentums nicht notwendig gewesen, weshalb der Datenschutzbeschwerde in diesem Umfang betreffend einer in der Vergangenheit gelegenen Rechtsverletzung gemäß § 24 Abs. 5 DSG stattzugeben gewesen sei. Hingegen sei die Datenschutzbeschwerde in Bezug auf die Kameraattrappe abzuweisen, zumal der bloße Eindruck des Beobachtetwerdens für eine Verletzung von § 1 Abs. 1 DSG nicht ausreiche.

7 Der gegen Spruchpunkt 1. dieses Bescheides erhobenen Beschwerde des Drittmitbeteiligten (die teilweise Abweisung der Datenschutzbeschwerde, Spruchpunkt 2., erwuchs von der Erst- und dem Zweitmitbeteiligten unbekämpft in Rechtskraft) gab das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Beschluss Folge, hob den Bescheid der DSB in Bezug auf Spruchpunkt 1. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf, verwies die Angelegenheit „zur Erlassung eines neuen Bescheids“ an die DSB zurück und sprach aus, dass die Revision unzulässig sei.

8 Nach Darstellung des Verfahrensgangs vor der DSB und dem Verwaltungsgericht führte das Verwaltungsgericht rechtlich aus, dem Vorbringen des Drittmitbeteiligten in seiner Beschwerde betreffend die Beweiswürdigung der DSB zum zeitweisen Erfassen des Grundstücks der Erst und des Zweitmitbeteiligten durch zwei von ihm auf seinem Grundstück angebrachte Kameras könne nicht entgegengetreten werden. „Objektive Beweise dafür, dass der [Drittmitbeteiligte] anhand der Kameras 2 und 3 in der Vergangenheit ‚zeitweise‘ das Grundstück der [Erst- und des Zweitmitbeteiligten] erfasst habe, [seien] im elektronischen Akt nicht enthalten“. Die DSB habe vielmehr ihre Ermittlungen auf mehrmaliges Einholen von Stellungnahmen beschränkt und „ihre eigenen Feststellungen allein damit [begründet], dass das Vorbringen der [Erst- und des Zweitmitbeteiligten] in diesem Fall glaubwürdig(er) sei“. Nach näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfe sich die DSB nur in Fällen, die nicht weiter strittig seien, mit schriftlichen Stellungnahmen als Beweismittel begnügen. In Fällen wie vorliegend , in denen der Glaubwürdigkeit von Personen für die Beweiswürdigung besondere Bedeutung zukomme, sei es im Interesse der Erforschung der materiellen Wahrheit, die handelnden Personen förmlich als Zeugen oder Parteien zu vernehmen. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. März 2023, Ra 2020/04/0085, hätten die einander widersprechenden Angaben der Verfahrensparteien die DSB „dazu veranlassen müssen, das Ermittlungsverfahren nicht lediglich auf die Einholung von Stellungnahmen zu beschränken, sondern Beweise aufzunehmen“. Zumindest wären die Verfahrensparteien zu befragen gewesen. Ob sich daraus Anhaltspunkte für weitere Beweisaufnahmen ergeben hätten, sei ohne Durchführung dieses Beweises nicht beurteilbar.

Dadurch, dass die DSB eine Verletzung der Erst- und des Zweitmitbeteiligten in ihrem Recht auf Geheimhaltung bejaht habe, „ohne dazu jedoch in irgendeiner Form (geeignet) zu ermitteln“, sei der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG erforderlich und auch gerechtfertigt sei. Eine Nachholung des Ermittlungsverfahrens und damit eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht könne nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Angesichts des mit dem verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwand und insbesondere im Hinblick auf die durch die erforderliche Gerichtsbesetzung des Verwaltungsgerichts nötige Terminkoordinierung zur Durchführung solcher Beweisaufnahmen liege die Nachholung der genannten Ermittlungsschritte nicht im Interesse der Raschheit iSd § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG.

9 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht zusammengefasst mit dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG.

10 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der DSB mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben. Die Erst- und der Zweitmitbeteiligte beantragten in der im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren erstatteten Revisionsbeantwortung, die Revision kostenpflichtig zurück- in eventu abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Amtsrevision ist im Hinblick auf das in ihrem Zulässigkeitsvorbringen dargelegte Abweichen der angefochtenen Entscheidung von näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen der Voraussetzungen für einer Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig und berechtigt.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. zu alldem etwa VwGH 2.8.2023, Ra 2023/04/0091, Rn. 19; 10.3.2023, Ra 2020/04/0085, Rn. 11, jeweils mwN).

13 Im vorliegenden Fall betrifft die Aufhebung und Zurückverweisung des Bescheides der DSB lediglich dessen Spruchpunkt 1., womit der Datenschutzbeschwerde der Erst- und des Zweitmitbeteiligten teilweise stattgegeben wurde und deren Verletzung im Grundrecht auf Geheimhaltung durch den Drittmitbeteiligten lediglich bezogen auf das in der Vergangenheit gelegene Erfassen deren Grundstücks durch zwei am Grundstück des Drittmitbeteiligten montierte Kameras festgestellt wurde. Nach den einander widersprechenden Stellungnahmen und Standpunkten der Erst- und des Zweitmitbeteiligten einerseits und des Drittmitbeteiligten andererseits war in diesem Zusammenhang sowohl im Verfahren vor der DSB, als auch im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren die strittige Tatsachenfrage zu klären, ob die beiden Kameras vor Änderung deren Ausrichtung während des Verfahrens vor der DSB auf das Nachbargrundstück der Erst- und des Zweitmitbeteiligten gerichtet gewesen seien. Die DSB hat dazu ihre Feststellungen zur Ausrichtung der beiden Kameras nicht nur auf die schriftlichen Stellungnahmen der Verfahrensparteien gegründet, sondern auch im Wesentlichen auf die von den Mitbeteiligten jeweils vorgelegten Lichtbilder.

14 Im Gegensatz dazu, war in den, den Beschlüssen des VwGH vom 10. März 2023, Ra 2020/04/0085, sowie vom 2. August 2023, Ra 2023/04/0091, zugrundeliegenden Verfahren, in denen das Verwaltungsgericht die Bescheide der DSB, womit die DSB jeweils die Datenschutzbeschwerde wegen Verletzung auf Geheimhaltung wegen behaupteter unzulässiger Videoüberwachung als unbegründet abgewiesen hatte, gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufhob und an die DSB zurückverwies, weil die DSB ihr Ermittlungsverfahren auf die Einholung von schriftlichen Stellungnahmen durch die Verfahrensparteien beschränkt habe, jeweils grundsätzlich der Betrieb einer funktionstüchtigen Kamera bzw. die Speicherung von Bilddaten einer Kamera samt technischer Details dazu strittig und nicht - wie vorliegend - bloß die in der Vergangenheit gelegene Ausrichtung funktionstüchtiger Videokameras.

15 Allein der Hinweis des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss, es hätte zur notwendigen Klärung der wesentlichen Tatfrage nicht bloß schriftlicher Stellungnahmen der Mitbeteiligten, sondern deren Einvernahme bedurft, verbunden mit der Bemängelung der Beweiswürdigung der DSB begründet vorliegend nicht eine die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigende Unterlassung notwendiger Sachverhaltsermittlungen durch die DSB (vgl. etwa VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, Rn. 22, wonach die Notwendigkeit ergänzender Einvernahmen eine Zurückverweisung nicht rechtfertige und diese Einvernahmen vom Verwaltungsgericht zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durchzuführen wären; sowie VwGH 27.1.2016, Ra 2015/08/0178, zur unzureichenden Begründung einer Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG durch bloße Bemängelung der behördlichen Beweiswürdigung und der Notwendigkeit lediglich gegebenenfalls ergänzender Einvernahmen).

16 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Aufwandersatz für die Revisionsbeantwortung war der Erst- und dem Zweitmitbeteiligten nicht zuzusprechen, weil sie gemäß § 47 Abs. 3 VwGG nur im Fall der Abweisung der Revision Anspruch auf Aufwandersatz hätten.

Wien, am 30. August 2023

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