Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision des H in M, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 29. September 2023, LVwG 000620/6/BL, betreffend Übertretung des Oö. Hundehaltegesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Ein Aufwandersatz findet nicht statt.
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 5. Juli 2023 wurde dem Revisionswerber angelastet, er habe am 27. Juni 2022 um 18:15 Uhr in dem angeführten Gasthaus einen dem Namen, der Rasse und der Hundemarkennummer nach umschriebenen Hund entgegen § 3 Abs. 2 Z 1 Oö. Hundehaltegesetz 2002 (Oö. Hundehaltegesetz) gehalten, indem er den Hund derart ungenügend beaufsichtigt habe, dass dieser während eines Gasthausbesuches die Kellnerin habe angreifen können, als diese sich arglos mit der Speisekarte zum Tisch über den Hund gebeugt habe, obwohl ein Hund in einer Weise zu beaufsichtigen, zu verwahren oder zu führen sei, dass Menschen und Tiere durch den Hund nicht gefährdet würden. Der Revisionswerber habe dadurch § 3 Abs. 2 Z 1 Oö. Hundehaltegesetz verletzt, weshalb über ihn gemäß § 15 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 2 Oö. Hundehaltegesetz eine Geldstrafe in Höhe von € 250, (Ersatzfreiheitsstrafe 11 Stunden) verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens festgesetzt wurde.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers mit der Maßgabe der Ergänzung der verletzten Verwaltungsvorschrift sowie der Strafsanktionsnorm um ihre Fundstellen als unbegründet ab, setzte einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens fest und erklärte eine Revision für unzulässig.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei Hundehalter eines näher umschriebenen Hundes (Labradormischlings). Er sei mit seiner Gattin und diesem Hund zur Tatzeit im Wintergarten eines näher genannten Gasthauses gewesen. Der Hund, der vor dem Tisch gesessen sei und keinen Maulkorb getragen habe, habe die Kellnerin in den Bauch gebissen, als sich diese mit der Speisekarte zum Tisch und über den Hund gebeugt habe. Die Wunde der Kellnerin sei ambulant im Krankenhaus behandelt worden. Sie habe eine Woche einen Verband tragen müssen und vier bis fünf Tage Schmerzen im Bauchbereich gehabt. Der Hund habe bis zu diesem Zeitpunkt noch nie jemanden verletzt oder gebissen. Die Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis (Staatsanwaltschaft) habe das Verfahren gegen den Revisionswerber wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB am 8. August 2022 gemäß § 190 Z 1 StPO aus dem Grunde des § 88 Abs. 2 Z 2 StGB eingestellt. Als Beisatz sei angefügt: „Erster bekannter Vorfall mit diesem Hund. Das Verhalten des Hundes war nicht vorhersehbar. Das Opfer wurde leicht verletzt, Gesundheitsschädigung unter 14 Tage.“
4 Nach Offenlegung seiner Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht „Zur Frage der Doppelbestrafung“ nach Wiedergabe von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtlich aus, es sei zu prüfen, ob der herangezogene Deliktstypus den Unrechts und Schuldgehalt des Täterverhaltens vollständig erschöpfe. Ein weitergehendes Strafbedürfnis entfalle diesfalls, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Deliktes in jeder Beziehung mitumfasse. Das gegen den Revisionswerber eingeleitete gerichtliche Strafverfahren sei eingestellt worden, weil aus der Tat keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als vierzehntägiger Dauer erfolgt sei (§ 88 Abs. 2 Z 2 StGB); die Einstellung sei somit erfolgt, weil die erforderliche Schwere der Gesundheitsschädigung nicht erreicht worden sei. Diese Einstellung durch die Staatsanwaltschaft stehe einer verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung des Revisionswerbers somit nicht entgegen. Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren eingestellt, weil die Tat gerade nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht sei (§ 190 Z 1 StPO iVm § 88 Abs. 2 Z 2 StGB); § 22 Abs. 1 VStG komme daher zur Anwendung. Dadurch werde aber nicht das Doppelbestrafungsverbot gemäß Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK verletzt, weil bei der gerichtlichen Verfolgung der Tat nur die Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als vierzehntägiger Dauer untersucht worden sei.
Da § 3 Oö. Hundehaltegesetz zum Ziel habe, denjenigen zu bestrafen, der nicht für eine ordnungsgemäße Verwahrung und Beaufsichtigung eines Hundes gesorgt habe und folglich dadurch Menschen oder Tiere gefährdet worden seien und die nötige Sorgfalt außer Acht gelassen worden sei, könne angesichts des unterschiedlichen Unrechts und Schuldgehaltes dieser beiden Übertretungen eine unzulässige Doppelbestrafung nicht erkannt werden. Entsprechend den Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofes seien die genauen Gründe für die Einstellung gemäß § 190 StPO zu prüfen. Gegenständlich sei die Einstellung erfolgt, weil das Opfer nur leicht verletzt worden sei und die Gesundheitsschädigung unter 14 Tagen gelegen sei. Angeführt werde weiters, dass es sich um den ersten bekannten Vorfall mit dem Hund gehandelt habe und das Verhalten des Hundes nicht vorhersehbar gewesen sei. Da die Gesundheitsschädigung, die Anzahl der Vorfälle mit dem Hund und die Vorhersehbarkeit für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung nicht relevant seien, komme es zu keiner Sperrwirkung. Zum Tatbild des § 3 Abs. 2 Z 1 Oö. Hundehaltegesetz gehöre weder eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung noch ein vorheriger (mehrmaliger) Vorfall oder eine Vorhersehbarkeit für den Halter.
5 Anschließend begründete das Verwaltungsgericht, weshalb die objektive und subjektive Tatseite des § 3 Abs. 2 Z 1 Oö. Hundehaltegesetz erfüllt seien, wobei das Verwaltungsgericht davon ausging, dass dem Revisionswerber zumindest fahrlässiges Verhalten zur Last zu legen sei. Zuletzt erläuterte es seine Strafbemessung.
6 Weiters führte das Verwaltungsgericht aus, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei gemäß § 44 Abs. 3 Z 3 VwGVG abgesehen worden, zumal keine Verfahrenspartei die Durchführung einer Verhandlung beantragt habe und mit dem angefochtenen Straferkenntnis keine € 500, übersteigende Geldstrafe verhängt worden sei. Zudem sei der Sachverhalt nicht bestritten und Parteiengehör ermöglicht worden.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis unter Kostenzuspruch aufzuheben.
8 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte Aufwandersatz.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 und 3 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, in jeder Lage des Verfahrens mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 In seiner Zulässigkeitsbegründung bemängelt der Revisionswerber, das Verwaltungsgericht habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt und dies mit § 44 Abs. 3 Z 3 VwGVG begründet; das Verwaltungsgericht gebe jedoch nur den Gesetzestext wieder und begründe seine Ermessensentscheidung nicht. Seine Beschwerde habe sachverhaltsbezogenes Vorbringen enthalten, mit dem er den Tatvorwurf bestritten und das Nichtvorliegen von Verschulden dargestellt habe, weswegen deren Inhalt in einer Verhandlung aufzuklären gewesen wäre; der Sachverhalt sei bestritten gewesen. Überdies gebe es unterschiedliche Rechtsauffassungen zur Sperrwirkung, dem Doppelverfolgungsverbot und zum Verschulden, sodass die strittigen Rechtsfragen hätten erörtert werden müssen. Diese Rechtsfragen seien auch komplex. Das Schreiben des Verwaltungsgerichtes, es müsse binnen einer Frist eine Verhandlung beantragt werden, könne das Verwaltungsgericht nicht davon befreien, eine Verhandlung durchzuführen. Er habe auf die Durchführung einer Verhandlung nicht verzichtet, das Parteiengehör könne die Verhandlung nicht ersetzen. Das Verwaltungsgericht habe bei der Staatsanwaltschaft die Strafakten angefordert und ergänzende Feststellungen zu den Ermittlungsgründen getroffen, wozu es einer Verhandlung bedurft hätte. Überdies hätte dem Revisionswerber zum neuen Vorwurf, er habe gegen die Leinen und Maulkorbpflicht verstoßen, rechtliches Gehör gewährt werden müssen. Aus diesem Grund liege auch ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot vor, weil das Verwaltungsgericht von einem anderen Sachverhalt ausgegangen sei. Das gerichtliche Strafverfahren sei auch wegen des geringen Verschuldens eingestellt worden, die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichtes sei ebenfalls überraschend. Überdies habe das Verwaltungsgericht den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt, weil es den beigeschafften Strafakt nicht verlesen habe.
13 Gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht.
14 Das Verwaltungsgericht begründete das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 Z 3 VwGVG.
15 § 44 VwGVG ist verfassungskonform dahingehend zu verstehen, dass er ein Absehen von der mündlichen Verhandlung erlaubt, wenn auch nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK von einem konkludenten Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung auszugehen ist. Der Ausschluss der Annahme eines konkludenten Verzichts ist jedoch nicht schon bei jeder Gegenbehauptung anzunehmen, sondern nur dann, wenn die Gegendarstellung verfahrensrelevante Umstände, also den vorgeworfenen Tatbestand betrifft (vgl. dazu VwGH 24.9.2019, Ra 2017/06/0091, mit Verweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, unter anderem EGMR 23.11.2006, 73053/01, Jussila , mwN, in dem der EGMR in einem Verwaltungsstrafverfahren, in dem sich Fragen tatsächlicher Natur stellten, der Beschuldigte es aber verabsäumte, in seinem Rechtsmittel die Tat substantiiert zu bestreiten, keine Konventionsverletzung feststellte). In der zitierten Entscheidung Jussila erinnerte der EGMR auch daran, dass die Verpflichtung zur Abhaltung einer mündlichen Verhandlung nicht absolut sei; sie könne etwa in Fällen entfallen, in denen die Tatsachen oder die Glaubwürdigkeit von Zeugen unbestritten seien und die Gerichte bereits auf Grundlage des Aktenmaterials und des schriftlichen Vorbringens der Parteien zu einer fairen und ausgewogenen Entscheidung kommen könnten (vgl. VwGH 15.6.2023, Ra 2023/02/0070; EGMR Jussila, Rn. 41, mwN).
16 In vorliegenden Fall wurde über den Revisionswerber keine € 500, übersteigende Geldstrafe verhängt. Der ab Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens und insbesondere bei Einbringung der Beschwerde und im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretene Revisionswerber hat keinen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung und keinerlei Beweisanträge gestellt (vgl. dazu VwGH 7.8.2018, Ra 2018/02/0139; 14.9.2021, Ra 2018/06/0240).
17 Sachverhaltsbezogen wurde in der Beschwerde lediglich vorgebracht, das gegenständliche Tier sei äußerst brav und habe vor dem Vorfall noch nie jemanden angegriffen. Dies musste das Verwaltungsgericht schon deshalb zu keiner mündlichen Verhandlung veranlassen, weil selbst unter Zugrundelegung dieser Sachverhaltsannahmen der Revisionswerber nicht davon entbunden war, in der konkreten Situation entsprechende Sicherungsmaßnahmen zu treffen, um seiner Pflicht zur Beaufsichtigung des Hundes zu entsprechen.
Zum eingeholten Strafakt der Staatsanwaltschaft hat das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber unter Vorlage der Akten Parteiengehör eingeräumt und dem anwaltlich vertretenen Revisionswerber erneut ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, eine mündliche Verhandlung zu beantragen. Der anwaltlich vertretene Revisionswerber hatte Gelegenheit, sich zum Strafakt zu äußern; er hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung weiterhin nicht beantragt.
18 Angesichts dieser Umstände ist vorliegend davon auszugehen, dass kein substantielles Gegenvorbringen vorliegt, und es angesichts der dargestellten Sachlage nicht unvertretbar war, dass das Verwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation denselben Rechtsvertreter betreffend bereits VwGH 15.6.2023, Ra 2023/02/0070).
19 Zum Revisionsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen, ist Folgendes festzuhalten: § 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen (vgl. etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2019/09/0043, mwN). Findet, wie hier, eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht rechtens nicht statt, kommt eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes nicht in Betracht.
20 Das in Rede stehende Zulässigkeitsvorbringen des Revisionswerbers zeigt in diesem Zusammenhang somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
21 Weiters bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision vor, es liege ein Verstoß gegen das Doppelverfolgungsverbot und gegen die Sperrwirkung vor: Die Staatsanwaltschaft habe das gegen ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung geführte Strafverfahren nach § 190 StPO eingestellt. Das Verwaltungsgericht verneine zu Unrecht eine Sperrwirkung, obwohl die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung konkret ausgeführt habe, dass der Vorfall der erste mit diesem Hund und das Verhalten des Hundes nicht vorhersehbar gewesen sei. Damit habe sich die Staatsanwaltschaft mit der Frage des Vorliegens eines Verschuldens auseinandergesetzt, weswegen die Einstellung Sperrwirkung entfalte. Aus diesem Grund liege auch ein Begründungsmangel vor, weil sich das Verwaltungsgericht mit diesem Aspekt in seiner rechtlichen Beurteilung nicht befasse. Es sei auch überraschend, dass sich das Verwaltungsgericht mit dem Aspekt der Verschuldensprüfung durch die Staatsanwaltschaft nicht befasse. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip des § 22 VStG vor: Das Verwaltungsgericht gehe davon aus, dass der Revisionswerber gegen die Leinen- und Maulkorbpflicht des § 6 Abs. 2 Oö. Hundehaltegesetz verstoßen habe. Dieses Gesetz stelle ein Schutzgesetz zur Verhinderung einer Körperverletzung durch ein Tier dar, weswegen der Tatbestand des § 88 Abs. 1 StGB erfüllt sei. Damit liege jedoch Subsidiarität des Verwaltungsstraftatbestandes gemäß § 22 Abs. 1 VStG vor; das Unterlassen der Prüfung dieser Rechtsfrage verstoße gegen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
22 Hiezu ist Folgendes auszuführen:
23 Gemäß Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.
24 Den Akten ist zunächst nicht zu entnehmen, dass eine förmliche Beschuldigtenvernehmung des Revisionswerbers im Sinne der §§ 164, 165 StPO stattgefunden hat, sodass unklar ist, ob überhaupt eine abschließende Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft vorliegt (dem Polizeibericht ist lediglich zu entnehmen, dass der Revisionswerber in Deutschland telefonisch zum Sachverhalt befragt worden sei und dass eine förmliche Beschuldigtenvernehmung aufgrund des Wohnortes nicht möglich sei). Es ist daher zweifelhaft, ob im vorliegenden Fall die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft (formell und materiell) rechtskräftig im Sinne von unwiderruflich geworden ist, somit keine formlose Fortführungsmöglichkeit mehr besteht und daher ein Anklageverbrauch stattgefunden hat (vgl. näher VwGH 29.5.2015, 2012/02/0238).
25 Darüber hinaus ist zur Beurteilung der Frage, ob im Hinblick auf die über die Gefährdung von Menschen nach § 3 Abs. 2 Z 1 Oö. Hundehaltegesetz hinausgehende, eingetretene Körperverletzung dieselbe strafbare Handlung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK vorliegt, nach der in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übernommenen Judikatur des EGMR darauf abzustellen, ob dieselben Fakten das zentrale Element der Anschuldigungen und der beiden angewendeten Strafbestimmungen gebildet haben und ob die strafrechtliche Anklage die Fakten der Verwaltungsstraftat in ihrer Gesamtheit umfasste sowie umgekehrt die Verwaltungsstraftat keine Elemente enthielt, die nicht bereits in der gerichtlich strafbaren Handlung gegeben waren, wegen welcher der Beschwerdeführer verurteilt worden war (vgl. EGMR 14.1.2010, Tsonyo Tsonev gg. Bulgarien [Nr. 2], 2376/03).
26 In der Rechtssache Maresti erblickte der EGMR eine Doppelbestrafung auch dann, wenn der Tatbestand eines der beiden in Rede stehenden Delikte im Unterschied zum anderen keine körperliche Verletzung des Beschuldigten erforderte, in concreto aber in beiden Fällen eine solche ein Element der Prüfung gewesen sei, die zu einem Schuldspruch geführt habe (vgl. EGMR 25.6.2009, Maresti gg. Kroatien , Nr. 55759/07, Rn. 63; zum Ganzen VwGH 21.8.2023, Ra 2023/03/0017; 12.10.2023, Ra 2023/09/0073, jeweils mwN).
27 Selbst wenn also davon auszugehen wäre, dass die Einstellung der Staatsanwaltschaft gemäß § 190 StPO rechtskräftig geworden ist, ist nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall dieselben Fakten („idem“) angeklagt gewesen wären: Die Staatsanwaltschaft hat die Frage der fahrlässigen Körperverletzung geprüft, mithin insbesondere das Faktum der Verletzung ins Zentrum ihrer Überlegungen gestellt (so auch das Verwaltungsgericht, das die Körperverletzung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen bei der Prüfung der Doppelverfolgung gestellt hat). Demgegenüber war dieses Faktum nicht Gegenstand der verwaltungsstrafbehördlichen Verfolgung, ging es dort vielmehr darum, dass der Revisionswerber den Hund nicht in einer Art und Weise beaufsichtigt habe, dass Menschen und Tiere nicht gefährdet werden; der Hund des Revisionswerbers habe eine Kellnerin „angegriffen“. Das Faktum der Verletzung war somit nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
28 Wenn die Revision geltend macht, auch die Staatsanwaltschaft habe sich mit der Frage des Vorliegens eines Verschuldens des Revisionswerbers auseinandergesetzt, weswegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens Sperrwirkung entfalte, ist ihr zu erwidern, dass die Einstellung des gerichtlichen Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft ausdrücklich aus dem Grunde des § 88 Abs. 2 Z 2 StGB erfolgte, also einem Strafausschließungsgrund, der dann zum Tragen kommt, wenn der Täter nicht grob fahrlässig gehandelt hat und aus der Tat keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als vierzehntägiger Dauer erfolgt ist. Die Auseinandersetzung mit den Fakten des Falles durch die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Frage des Verschuldens beschränkte sich daher darauf, grobes Verschulden des Revisionswerbers ausschließen zu müssen, um den zitierten Strafausschließungsgrund annehmen zu können. Dabei erfolgte aber keine abschließende Erörterung der Frage, ob der Revisionswerber seine Pflicht zur Beaufsichtigung des Hundes in objektiver und subjektiver Hinsicht verletzt hat, wofür im verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren keine grobe Fahrlässigkeit erforderlich ist.
29 Zuletzt bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision vor, es liege ein Verstoß gegen § 44 Z 1 VStG vor: Das Verwaltungsgericht habe durch die Abweisung der Beschwerde den Spruch des Straferkenntnisses übernommen, die konkrete Art und Weise der mangelhaften Beaufsichtigung des Tieres lege das Verwaltungsgericht nur in der Begründung dar, nämlich dass er gegen § 6 Abs. 2 Oö Hundehaltegesetz verstoßen habe, weil der Hund keinen Maulkorb getragen habe. Die Tatkonkretisierung müsse jedoch im Spruch erfolgen und nicht in der Begründung. Überdies liege ein relevanter Widerspruch zwischen Spruch und Begründung vor, weil im Spruch die mangelhafte Beaufsichtigung angelastet werde, in der Begründung jedoch die Verletzung der Leinen- und Maulkorbpflicht.
30 Dem ist entgegenzuhalten, dass dem Revisionswerber im Spruch eine Übertretung des § 3 Abs. 2 Oö. Hundehaltegesetz angelastet wurde und sich das Verwaltungsgericht auch mit der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes durch den Revisionswerber auseinandersetzte, weil dieser einen „Berührungspunkt“ im Sinne einer Gefährdungssituation geschaffen habe. Der Hund sei vor dem Tisch gelegen und habe den unmittelbaren Zugang zum Tisch „behindert“. Der Revisionswerber habe als Hundehalter auf die Positionierung des Hundes Einfluss gehabt. Die zusätzlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zum Unterlassen der Beachtung der Beißkorbpflicht bei der Verschuldensprüfung führen nicht dazu, dass dem Revisionswerber eine Übertretung des § 6 Abs. 2 Oö. Hundehaltegesetz angelastet worden wäre, sodass mit dem Vorbringen des Revisionswerbers keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird.
31 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
32 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde hält den Revisionsausführungen bezüglich der Frage des Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lediglich entgegen, es werde hiermit der Entscheidung durch den „Landesverwaltungsgerichtshof Oberösterreich“ durch die belangte Behörde „vollinhaltlich entsprochen“ und der Revisionswerber werde durch das angefochtene Erkenntnis nicht in Rechten verletzt. Mangels Auseinandersetzung mit der Revision steht der beantragte Schriftsatzaufwand nicht zu (vgl. z.B. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0028, mwN).
Wien, am 15. Februar 2024