Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des A K in W, vertreten durch Mag.a Mercedes Sophie Blaschke, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Renngasse 6 8, Top 506, als bestellte Verfahrenshelferin, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2023, Zl. W101 2249155 1/5E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 17. Juni 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25. Oktober 2021 wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt (Spruchpunkt III.).
3 Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der Revisionswerber Beschwerde, welche das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) ohne Durchführung einer vom Revisionswerber in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet abwies (Spruchpunkt A). Eine Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA VG abgewichen, indem es von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
5 Das BFA erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision ist in Bezug auf die vorgebrachte Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA VG zulässig und auch begründet.
7 In seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, legte der Verwaltungsgerichtshof mit ausführlicher Begründung auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird dar, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ folgende Kriterien beachtlich sind:
8 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
9 Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde unter anderem durch Ergänzung des Vorbringens hinsichtlich der Teilnahme an Demonstrationen gegen das syrische Regime und der damit einhergehenden (unterstellten) oppositionellen Gesinnung den durch die Verwaltungsbehörde erhobenen Sachverhalt nicht bloß unsubstantiiert bestritten.
10 Das Verwaltungsgericht durfte somit nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen, sondern es hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
11 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegeben des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 27.10.2022, Ra 2022/01/0184, mwN).
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG unterbleiben.
14 Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. Februar 2024