Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des K M in W, vertreten durch Mag. Wolfgang Vinatzer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 25/11, gegen das am 9. September 2022 mündlich verkündete und am 3. Oktober 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW 152/071/15795/2021 34, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache gemäß § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) von Amts wegen festgestellt, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG durch den Erwerb der ägyptischen Staatsangehörigkeit am 15. Juli 2012 verloren habe und er nicht österreichischer Staatsbürger sei (I.). Eine Revision wurde für nicht zulässig erklärt (II.).
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe die ägyptische Staatsangehörigkeit nach dem Erwerb der österreichischen Staatsangehörigkeit wieder erworben und sei jedenfalls am 15. Juli 2012 ägyptischer Staatsangehöriger gewesen. Für die Wiederverleihung der ägyptischen Staatsangehörigkeit sei ein Antrag erforderlich (Verweis auf die Art. 10, 18, 19, 20 und 24 des Gesetzes Nr. 26/1975 über die ägyptische Staatsangehörigkeit). Der Wiedererwerb der ägyptischen Staatsangehörigkeit sei auf Antrag des Revisionswerbers erfolgt. Einen Antrag auf Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft habe der Revisionswerber vor dem Wiedererwerb der ägyptischen Staatsangehörigkeit nicht gestellt.
3 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, die Feststellungen zur ägyptischen Rechtslage ergäben sich aus den in Bergmann/Ferid/Henrich [Hrsg], Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Ägypten, S 5 ff abgedruckten Gesetzestexten bzw. Ausführungen sowie dem Schriftverkehr des Verwaltungsgerichtes mit der Österreichischen Botschaft in Kairo (ÖB) bezüglich eines ebenfalls am Verwaltungsgericht anhängigen Verfahrens zu GZ: VGW 152/044/9562/2021 bzw. mit dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten samt der Vorlage von Gesetzestexten des Gesetzes Nr. 26/1975 über die ägyptische Staatsangehörigkeit durch die ÖB. Dass der Revisionswerber die ägyptische Staatsangehörigkeit nach dem Erwerb der österreichischen Staatsangehörigkeit wieder erworben habe, ergebe sich daraus, dass in der aktenkundigen, am 15. Juli 2012 seitens des Innenministeriums der Arabischen Republik Ägypten, Standesamt betreffend die Kinder des Revisionswerbers ausgestellten Abschrift der Geburtsurkunden (bzw. Auszug aus dem Geburtsregister) auch die Daten des Revisionswerbers angeführt seien und hinsichtlich der Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers „Ägypten“ vermerkt sei. Im Schreiben der ÖB vom 11. August 2021 bezüglich eines ebenfalls am Verwaltungsgericht anhängigen Verfahrens zu GZ: VGW 152/044/9562/2021 sei festgehalten, dass in diesen Auszügen die Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Ausstellung des Dokumentes angeführt werde. Damit stehe in Einklang, dass der Revisionswerber in verschiedenen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgestellten aktenkundigen Geburtsurkunden bzw. Abschriften von ausgestellten Geburtsurkunden bzw. Auszügen aus dem Geburtsregister nicht „statisch“ mit ägyptischer Nationalität (welche er im Zeitpunkt seiner Geburt besessen habe) eingetragen sei, sondern auch mit österreichischer. Da nach Art. 24 des ägyptischen Staatsangehörigkeitsgesetzes eine Geburtsurkunde bzw. ein offizieller Auszug aus dem Geburtsregister als Beweis für den Besitz der ägyptischen Staatsangehörigkeit anzusehen sei und somit als Nachweis des Besitzes der ägyptischen Staatsangehörigkeit gelte, ergebe sich aus der vorzitierten, am 15. Juli 2012 ausgestellten Abschrift einer Geburtsurkunde, dass der Revisionswerber zumindest an diesem Tag die ägyptische Staatsbürgerschaft (wieder) besessen habe.
4 Dass der Revisionswerber durch eigene Willenserklärung die ägyptische Staatsangehörigkeit wiedererlangt habe, ergebe sich aus der (festgestellten) ägyptischen Rechtslage, nach der für die Wiederverleihung der ägyptischen Staatsangehörigkeit ein Antrag erforderlich sei. Die Aussage des Revisionswerbers, er habe zu keinem Zeitpunkt nach Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft einen Antrag auf Wiedererwerb der ägyptischen Staatsangehörigkeit gestellt, sei vor dem Hintergrund der Beweisergebnisse im Zusammenhalt mit der (unbestrittenen) ägyptischen Rechtslage als Schutzbehauptung zu werten.
5 Mit diesem Erwerb der ägyptischen Staatsangehörigkeit habe der Revisionswerber gemäß § 27 Abs. 1 StbG ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verloren, wobei auch ein neuerlicher Austritt aus dem ägyptischen Staatsverband daran nichts zu ändern vermöge.
6 Mit näherer Begründung führte das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf EuGH 12.3.2019, C 221/17, Tjebbes ua , und die diesbezügliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, im Beschwerdefall lägen keine Umstände vor, die den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft als unverhältnismäßig erscheinen ließen. Unter anderem berücksichtigte das Verwaltungsgericht, dass aus der mittlerweile geschiedenen Ehe des Revisionswerbers mit seiner Ex Ehegattin drei Kinder entstammten, die im Jahr 2001, 2002 und 2006 geborenen worden seien. Die Kinder des Revisionswerbers lebten in Österreich, der Revisionswerber habe jedoch nur Kontakt mit dem in Jahre 2001 geborenen Sohn. Für die Kinder und die Ex Ehegattin zahle er derzeit keinen Unterhalt.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes und bringt vor, das Verwaltungsgericht habe „gleich mehrfach verallgemeinernd auf über den Einzelfall hinausgehende Entscheidungsgrundlagen zurückgegriffen, ohne dass diese zuvor erörtert worden seien“. Es gebe keine „gesicherte“ Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „ob das Verwaltungsgericht eine zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt zum Akt genommene Auskunft einer Botschaft an das Verwaltungsgericht über den Beweiswert von ausländischen Personenstandsurkunden in einem ebenfalls anhängigen Beschwerdeverfahren ohne Vorhalt, Hinweis oder Erörterung in der Verhandlung als gerichtsbekannt der Entscheidung in einer anderen Beschwerdesache zugrunde legen darf“. Auch sei vom Verwaltungsgerichtshof noch nicht abschließend beantwortet worden, „ob das Verwaltungsgericht in Staatsbürgerschaftssachen Vorschriften ausländischen Rechtes über die Beweiskraft von Auszügen aus dem Geburtsregister zur Grundlage seiner Entscheidung machen darf, welche vorher nicht erörtert wurden“.
11 Ausländisches Recht ist, da in Bezug darauf der Grundsatz „iura novit curia“ nicht gilt, festzustellen (vgl. etwa VwGH 24.3.2022, Ra 2022/01/0071 0075, mwN).
12 Vorliegend macht die Revision wenn auch gekleidet in Rechtsfragen letztlich eine Verletzung des Parteiengehörs im Zusammenhang mit der Feststellung ausländischen Rechts durch das Verwaltungsgericht geltend.
13 Die Wahrung des Parteiengehörs, das zu den fundamentalen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit der Hoheitsverwaltung gehört, ist von Amts wegen, ausdrücklich, in förmlicher Weise und unter Einräumung einer angemessenen Frist zu gewähren. Das Parteiengehör besteht nicht nur darin, den Parteien im Sinn des § 45 Abs. 3 AVG Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis einer Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen, sondern ihnen ganz allgemein zu ermöglichen, ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen, mithin Vorbringen zu gegnerischen Behauptungen zu erstatten, Beweisanträge zu stellen und überhaupt die Streitsache zu erörtern (vgl. zu allem in Zusammenhang mit der Feststellung ausländischen Rechts in einer Rechtssache nach § 27 Abs. 1 StbG VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0042, mwN). Insoweit besteht zu dieser Frage bereits ausreichend Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
14 Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird. Der Revisionswerber hat daher die Entscheidungswesentlichkeit des Mangels konkret zu behaupten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen, darzulegen. Der Rechtsmittelwerber muss die entscheidenden Tatsachen behaupten, die dem Verwaltungsgericht wegen des Verfahrensmangels unbekannt geblieben sind. Er darf sich etwa nicht darauf beschränken, den Mangel bloß aufzuzeigen, sondern muss konkret darlegen, welches Vorbringen er im Fall der Einräumung des vermissten Parteiengehörs erstattet hätte und inwiefern das Gericht dadurch zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre (vgl. zu allem VwGH 29.9.2021, Ra 2021/01/0181, mwN). Solches Vorbringen enthält die Zulässigkeitsbegründung nicht.
15 Soweit sich die Zulässigkeitsbegründung mit weiteren Argumenten gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes wendet, ist darauf hinzuweisen, dass sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren soll (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 11.1.2023, Ra 2022/01/0359 0362, mwN). Eine derartige, vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit zeigt das Zulässigkeitsvorbringen der Revision nicht auf.
16 Im Übrigen wird dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen (vgl. für viele VwGH 3.11.2022, Ra 2022/01/0315, mwN).
17 Hinsichtlich der durchgeführten Verhältnismäßigkeitsprüfung führt die Revision zu ihrer Zulässigkeit aus, „soweit überblickbar“ bestehe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, „ob die Berücksichtigung von im Inland lebenden Kindern einer vom Verlust der Staatsbürgerschaft betroffenen Person im Rahmen der unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung regelmäßige Unterhaltszahlungen und/oder familiäre Kontakte voraussetzt, oder ob in Ermangelung eines/beider dieser Merkmale rücksichtlich einer normalen Entwicklung eines Familienlebens ohnehin nicht mehr von einer Familienangehörigkeit dieser Kinder auszugehen ist“.
18 Zu der nach der Rechtsprechung des EuGH vom 12. März 2019 in der Rechtssache C 221/17, Tjebbes u.a ., unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung und deren Kriterien als eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung kann auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen werden. Diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nach dem Urteil des EuGH vom 18. Jänner 2022 in der Rechtssache C 118/20, JY , weiterhin maßgeblich (vgl. VwGH 12.12.2022, Ra 2020/01/0074, mwN).
19 Eine (derartige) unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG und daher vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten hat oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat bzw. die Entscheidung auf einer verfahrensrechtlich nicht einwandfreien Grundlage erfolgte (vgl. zur Verhältnismäßigkeitsprüfung nach EuGH Tjebbes u.a. etwa VwGH 1.9.2021, Ra 2021/01/0250, mwN). Eine derartige krasse Fehlbeurteilung wird in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision nicht dargetan.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 15. März 2023