JudikaturVwGhRa 2022/22/0007

Ra 2022/22/0007 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. März 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie der Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Zettl, über die Revision des S S, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3/5, gegen das am 15. September 2021 mündlich verkündete und mit 22. September 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW 151/044/10673/2021-11, betreffend Rückstufung nach § 28 Abs. 1 NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, verfügte zuletzt über ein unbefristetes Niederlassungsrecht („Daueraufenthalt EU“). Aufgrund von mehreren strafrechtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers stellte der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 10. Mai 2021 fest, dass sein unbefristetes Niederlassungsrecht gemäß § 28 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) beendet sei.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“ für die Dauer von drei Jahren erteilt werde (Spruchpunkt II.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.

3 Das Verwaltungsgericht stellte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Bezug auf die strafrechtlichen Verurteilungen fest, der Revisionswerber sei mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Juli 2017 wegen der Vergehen der Nötigung und fortgesetzten Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt worden. Er sei für schuldig erkannt worden, dass er im April 2017 in Wien eine andere Person durch gefährliche Drohung zu einer Handlung zu nötigen versucht habe, indem er diese zunächst in einer WhatsApp Konversation mit den Worten „Kein problem ich beende diese ganze chaos in deinem leben mit 2kugeln“ eingeschüchtert habe. Diese Person habe er an einem anderen Tag im April 2017, als sie für ihn tanzen („twerken“) habe müssen, unter Vorhalt einer CO2 Pistole aufgefordert, ihre Unterhose hinunterzuziehen. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 31. Jänner 2018 sei der Revisionswerber zudem für schuldig erkannt worden, er habe am 26. April 2016 und am 19. September 2017 eine andere Person durch Versetzen mehrerer Faustschläge am Körper verletzt, weswegen über den Revisionswerber wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB eine bedingte Freiheitsstrafe verhängt worden sei. Mit weiterem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. August 2018 sei der Revisionswerber wegen eines Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz, wobei die Straftat gewerbsmäßig begangen worden sei, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden. Überdies sei der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. Oktober 2018 wegen des Verbrechens des schweren Raubes und eines Vergehens nach dem Waffengesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden. Aus dem Schuldspruch dieses Urteiles ergebe sich, dass der Revisionswerber im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter am 2. September 2018 eine andere Person durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben und der Verwendung einer Waffe, nämlich eines Butterfly Messers, eines Totschlägers - den er trotz eines Waffenverbotes besessen habe - und eines Schlagringes, fremde beweglichen Sachen mit dem Vorsatz sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, abgenötigt habe. Vom Strafgericht sei das Geständnis und dass es teilweise Versuch geblieben sei, als mildernd gewertet worden; erschwerend seien das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen, zwei einschlägige Vorstrafen und der „unmittelbare Rückfall“ gewesen. Weiters sei die bedingte Strafnachsicht zum Urteil des Landesgerichtes Strafsachen Wien vom 30. August 2018 widerrufen worden.

4 In seiner rechtlichen Beurteilung nahm das Verwaltungsgericht eine Gefährdungsprognose vor und führte zusammengefasst aus, dass der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle und die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG vorlägen. Da diese Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA VG nicht verhängt werden könne, seien die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 NAG erfüllt.

5 Gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorbringt, dem angefochtenen Erkenntnis könne nicht entnommen werden, welche konkret umschriebenen Umstände die Annahme, der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers würde eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, rechtfertigten.

Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B VG liegen nicht vor:

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Gemäß § 28 Abs. 1 NAG ist das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechtes mit Bescheid festzustellen, wenn gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, die Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden kann.

10 Nach § 52 Abs. 5 FPG hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ verfügt, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

11 Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in bestimmten Fällen auch unbefristet, zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 1).

12 Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, ist der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorzunehmen (vgl. VwGH 8.11.2018, Ra 2017/22/0207, Rn. 10, mwN).

13 Die einzelfallbezogene Beurteilung der Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (VwGH 20.10.2020, Ra 2020/22/0210, Rn. 6, mwN).

14 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen nahm das Verwaltungsgericht eine umfassende Prognosebeurteilung unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Revisionswerbers vor, wobei es den angeführten strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers eine entscheidende Bedeutung beimaß. Das Verwaltungsgericht berücksichtigte dabei, dass der Revisionswerber beginnend im Jahr 2016 bis zum September 2018 wiederholt Straftaten gesetzt habe und dabei auch einschlägig sowie innerhalb der Probezeit rückfällig geworden sei. Zudem brachte es die gewerbsmäßige Suchtgiftdelinquenz in Anschlag. Weiters setzte sich das Verwaltungsgericht damit auseinander, dass der Revisionswerber in den Tatzeitpunkten noch jugendlich gewesen sei, und stellte dem entgegen, dass der Revisionswerber über einen längeren Zeitraum unterschiedliche, massive Verletzungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit begangen habe. Das Verwaltungsgericht wies zutreffend darauf hin, dass der Revisionswerber - dessen Lebensumstände sich auch nach Entlassung aus der Strafhaft nicht entscheidend geändert hätten - erst Anfang Mai 2021 aus der Strafhaft entlassen worden sei, sodass noch kein ausreichendes Wohlverhalten in Freiheit vorliege, um von einem Wegfall der Gefährlichkeit gemäß § 52 Abs. 5 FPG auszugehen (vgl. dazu etwa VwGH 8.11.2018, Ra 2017/22/0207, Rn. 14).

15 Die Revision zeigt nicht auf, weshalb die vom Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und unter Berücksichtigung der den angeführten Bestrafungen zugrundeliegenden Taten erstellte Gefährdungsprognose aufgrund der wiederholten und zum Teil erheblichen Delinquenz des Revisionswerbers unvertretbar wäre.

16 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

17 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 4. März 2024

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