JudikaturVwGH

Ra 2022/20/0187 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des S S in S, vertreten durch Mag. Kurt Jelinek, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1a, gegen Spruchpunkt A) I. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2022, W103 2248524 1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein russischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 26. August 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 15. Oktober 2021 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.

3 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht, das von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen hatte, mit Erkenntnis vom 2. März 2022 insoweit statt, als es den im angefochtenen Bescheid enthaltenen Ausspruch über die Erlassung eines Einreiseverbotes ersatzlos aufhob [Spruchpunkt A) II.]. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab [Spruchpunkt A) I.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 29. April 2022, E 981/2022 5, die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Zunächst ist festzuhalten, dass sich die vorliegende Revision (nur) gegen Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet. In den Ausführungen in der für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG allein maßgeblichen gesonderten Begründung nach § 28 Abs. 3 VwGG bezieht sich der Revisionswerber zudem der Sache nach ausschließlich auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung.

9 Der Revisionswerber wendet sich insoweit gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG). Dazu macht er geltend, dass das Familienleben zu seiner in Österreich asylberechtigten Ehefrau, die von ihm ein Kind erwarte (die Tochter sei mittlerweile geboren worden), nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Es hätte im Hinblick auf seine familiäre Bindung zudem eine Verhandlung durchgeführt werden müssen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 30.5.2022, Ra 2022/20/0132, mwN).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, jedenfalls dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. etwa VwGH 10.2.2021, Ra 2020/18/0205; 28.4.2022, Ra 2020/14/0303, mwN).

12 Das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner Begründung davon ausgegangen, dass der Revisionswerber, der bereits früher mehrfach erfolglos versucht hatte, ein „Schengen Visum“ erteilt zu bekommen, den unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz in rechtsmissbräuchlicher Weise gestellt habe, um damit die Vorschriften des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) über den Nachzug von Familienangehörigen zu umgehen, und dass überdies betreffend die Ehefrau des Revisionswerbers ein Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten eingeleitet worden sei. Den diesbezüglichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts wird in der Revision, in der diese Umstände ausgeblendet werden, nichts entgegengesetzt.

13 Es trifft weiters am Boden des Inhalts der angefochtenen Entscheidung der in der Revision erhobene Vorwurf, das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung auf die bevorstehende Geburt des gemeinsamen Kindes nicht Bedacht genommen, nicht zu.

14 Im Besonderen ist in diesem Zusammenhang aber auch darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht das rechtsmissbräuchliche Vorgehen des Revisionswerbers zwar als taugliche Grundlage für die Erlassung eines Einreiseverbotes angesehen hat. Jedoch ist es im Rahmen der dabei erfolgten Interessenabwägung zum Ergebnis gekommen, es sei unter dem Aspekt der erwarteten Geburt eines leiblichen Kindes fallbezogen nicht verhältnismäßig, dem Revisionswerber durch Verhängung eines Einreiseverbotes die Möglichkeit für eine legale Zuwanderung nach dem NAG für geraume Zeit zu versperren.

15 Es wird in der Revision, die überdies nahezu ausschließlich rechtliche Ausführungen enthält, zudem und im Besonderen vor dem Hintergrund der nach der erwähnten Rechtsprechung in einem Fall, wie dem vorliegenden, grundsätzlich hinzunehmenden Trennung der Familienangehörigen nicht dargetan, welche für die Entscheidung konkret maßgeblichen Sachverhaltselemente in Bezug auf die Intensität des vom Bundesverwaltungsgericht ohnedies zugestandenen Familienlebens ergänzend hätten festgestellt werden müssen, sodass auch die Abstandnahme von der Verhandlung nicht in Einklang mit dem Gesetz gestanden wäre (vgl. zu den hier nach § 21 Abs. 7 BFA VG maßgeblichen Voraussetzungen ausführlich VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; sowie aus der weiteren ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 18.5.2022, Ra 2022/14/0122).

16 In Anbetracht dessen ist auch festzuhalten, dass vom Revisionswerber die Relevanz der behaupteten Ermittlungsmängel für den Ausgang des Verfahrens nicht dargetan wird.

17 Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist im Übrigen um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen in der Revision konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. dazu VwGH 13.5.2022, Ra 2022/20/0094 bis 0096, mwN). Dem kommt der Revisionswerber aber ebenfalls nicht nach.

18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 28. Juli 2022

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