JudikaturVwGH

Ra 2022/19/0051 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
12. September 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, in der Revisionssache des S H (alias S L H H), vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Jänner 2022, W287 2236491 1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass es im Irak keine Sicherheit gebe und er vor dem Militär geflohen sei.

2 Mit Bescheid vom 17. August 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Aufenthaltsberechtigung des Revisionswerbers wurde zweimal, zuletzt mit Bescheid vom 8. August 2018, um jeweils zwei Jahre verlängert.

3 Mit Bescheid vom 17. September 2020 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ab, wies seinen Antrag vom 9. Juli 2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das BVwG zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zusammengefasst aus, die Sicherheitslage im Irak habe sich seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (und insbesondere auch seit dem Zeitpunkt der letzten Verlängerung) wesentlich und nachhaltig verbessert. Zudem hätten auch keine risikoerhöhenden Umstände im Hinblick auf die Person des Revisionswerbers erkannt werden können. In Bezug auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung hielt das BVwG fest, dass in einer Gesamtbetrachtung die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung die Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden.

6 Mit Beschluss vom 13. Juni 2023, E 573/2022 17, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision wendet sich der Sache nach zunächst gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, die Sicherheitslage habe sich im Irak nicht verbessert und eine Rückkehr des Revisionswerbers in den Irak sei nach wie vor nicht möglich bzw. unzumutbar.

11 Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus (§ 8 Abs. 1 leg. cit.) nicht oder nicht mehr vorliegen. Die Anwendung des vom BVwG im Revisionsfall herangezogenen zweiten Tatbestandes des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. VwGH 6.9.2022, Ra 2022/19/0121, mwN).

12 Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 iVm Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (vgl. erneut VwGH 6.9.2022, Ra 2022/19/0121, mwN).

13 In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. abermals VwGH 6.9.2022, Ra 2022/19/0121, mwN).

14 Das BVwG führte im vorliegenden Fall unter Heranziehung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak vom 15.10.2021 mit näherer Begründung aus, die Sicherheitslage im Irak habe sich seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (und insbesondere auch seit dem Zeitpunkt der letzten Verlängerung) wesentlich und nachhaltig verbessert. Zudem sei die Sicherheitssituation in Sulaimaniya, der Herkunftsregion des Revisionswerbers, vergleichsweise besser als in anderen Regionen des Irak. Darüber hinaus handle es sich beim Revisionswerber um einen arbeitsfähigen und gesunden Mann mit Schulbildung und Arbeitserfahrung, der auf familiäre Unterstützung zurückgreifen könne und somit im Falle einer Rückführung in den Irak in Ansehung seiner Grundbedürfnisse keiner lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Die Revision zeigt mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen zur Lage im Irak nicht auf, dass das BVwG fallbezogen von den Leitlinien der dargestellten Rechtsprechung abgewichen wäre.

15 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang Feststellungs-, Ermittlungs- und Begründungsmängel geltend macht und insbesondere vorbringt, das BVwG habe seiner Entscheidung veraltete Länderberichte zugrunde gelegt und hätte ein länderkundiges Sachverständigengutachten einholen müssen, macht sie Verfahrensfehler geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 29.6.2023, Ra 2023/19/0096, mwN).

16 Eine solche Relevanzdarstellung enthält die vorliegende Revision nicht. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 29.6.2021, Ra 2021/14/0164, mwN).

17 Schließlich wendet sich die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit auch gegen die Rückkehrentscheidung und bringt vor, der Revisionswerber habe „außerordentliche Schritte in Richtung gelungener Integration“ getätigt. Er spreche Deutsch, habe sich ehrenamtlich engagiert, sei berufstätig und verdiene seinen Lebensunterhalt selbst. Darüber hinaus verfüge er über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich.

18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein relevanter Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 17.7.2023, Ra 2023/19/0166, mwN).

19 Das BVwG berücksichtigte vorliegend alle entscheidungswesentlichen Umstände, darunter auch die Art und Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers und seine Bemühungen, sich am Arbeitsmarkt zu integrieren. Es würdigte jedoch auch seine Deutschkenntnisse auf niedrigem Niveau, die fehlenden anderweiten Integrationsaspekte sowie seine Bindungen zum Herkunftsstaat und kam zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden.

20 Der Revision, die sich lediglich pauschal auf Aspekte bezieht, die das BVwG in seiner Interessenabwägung ohnehin berücksichtigt hat, gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung des BVwG unvertretbar erfolgt wäre.

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 12. September 2023

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