JudikaturVwGH

Ra 2022/17/0209 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. August 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des S N, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast und Mag. Mirsad Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 2022, W220 2255390 1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Republik Serbien, begehrte mit am 30. Dezember 2021 eingebrachtem Antrag die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13. April 2022 wurde dieser Antrag gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber erlassen. Unter einem wurde die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Serbien festgestellt, eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt und ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Revisionswerber erlassen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der dagegen gerichteten Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung insoweit statt, als es die Dauer des gegen den Revisionswerber verhängten Einreiseverbots auf drei Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

4 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 In den Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision wird ein Verstoß des Bundesverwaltungsgerichts gegen die Pflicht gerügt, wegen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

9 Es trifft zwar zu, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose bei der Verhängung eines Einreiseverbotes. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 24.1.2023, Ra 2022/14/0263; vgl. auch VwGH 3.1.2023, Ra 2022/17/0198, jeweils mwN).

10 Verweist die Revision in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit bloß allgemein darauf, das Bundesverwaltungsgericht hätte im Zusammenhang mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber bedurft, ohne fallbezogen auf die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer Verhandlung näher Bezug zu nehmen, so verabsäumt sie es, konkret darzulegen, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht von den in der Rechtsprechung zum ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA VG aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre (vgl. erneut VwGH 3.1.2023, Ra 2022/17/0198, sowie VwGH 24.1.2023, Ra 2022/14/0263, jeweils mwN). Der Revisionswerber unterlässt es nämlich, die in von ihm ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht auf die vorliegende Konstellation zu übertragen und so konkret aufzuzeigen, weswegen fallbezogen das Verwaltungsgericht davon abgewichen sein soll.

11 Weiters wendet sich die Revision im Rahmen der Darlegung ihrer Zulässigkeit gegen die im Zusammenhang mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots angestellte Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts.

12 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 21.6.2023, Ra 2023/17/0001, mwN).

13 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. erneut VwGH 21.6.2023, Ra 2023/17/0001, mwN).

14 Das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. erneut VwGH 21.6.2023, Ra 2023/17/0001, mwN).

15 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte fallbezogen eine Reihe von Aspekten, wie insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet, seine Deutschkenntnisse, seine zeitweise Erwerbstätigkeit, den zeitweisen Bezug von Sozialleistungen, dass seine (nunmehrige) Ehegattin und Tochter in Serbien ansässig sind, sowie den in der Revision unbestrittenen Umstand, dass er eine Aufenthaltsehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen einging, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Vor diesem Hintergrund legt der Revisionswerber nicht dar, dass diese Interessenabwägung mit einem im Revisionsverfahren aufzugreifenden Fehler belastet wäre, zumal er es in der Darlegung der Zulässigkeit der Revision unterlässt, den Vorwurf der Rechtswidrigkeit der durch das Bundesverwaltungsgericht angestellten Interessenabwägung fallbezogen näher zu begründen.

16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 8. August 2023

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