JudikaturVwGhRa 2022/12/0126

Ra 2022/12/0126 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie Hofrat Mag. Cede und Hofrätin Mag. I. Zehetner als Richter und Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des I P, vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 21. März 2022, VGW 002/011/2700/2022/E 2, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) mit Unterspruchpunkten A) I. bis A) IV. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Straferkenntnis vom 11. April 2019 erkannte die belangte Behörde den Revisionswerber als handelsrechtlichen Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen Berufenen der X GmbH (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof) der vierfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 dritter Fall Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig und verhängte über ihn vier Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 20.000, (samt Ersatzfreiheitsstrafen). Weiters wurde der Revisionswerber gemäß § 64 VStG zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens verpflichtet. Die X GmbH wurde gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur Haftung herangezogen.

2 Mit Spruchpunkt A) des Erkenntnisses vom 5. November 2019 gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der vom Revisionswerber und der X GmbH gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde hinsichtlich der Schuldfrage keine Folge. Es gab der Beschwerde aber hinsichtlich der Straffrage „unter Einbeziehung des Urteils zum Kumulationsverbot des EuGH vom 12.09.2019, verb Rs C 64/18, C 140/18, C 146/18 und C 148/18“ insoweit statt, als es eine „Gesamtstrafe von EUR 25.000,00 und eine Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Tagen“ verhängte. Ferner wurden (u.a.) die Kosten des Strafverfahrens neu bemessen (§ 64 Abs. 1 und 2 VStG) und ausgesprochen, dass die „beschwerdeführende Partei“ keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe (Unterspruchpunkt I.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision gegen diese Entscheidung gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Unterspruchpunkt II.).

3 Mit Erkenntnis vom 3. Februar 2022, Ra 2020/17/0012, hob der Verwaltungsgerichtshof aufgrund einer Revision des Bundesministers für Finanzen Spruchpunkt A) des genannten Erkenntnisses im Umfang des Ausspruches über die Strafe sowie die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

4 Mit Erkenntnis vom 21. Februar 2022, Ra 2020/17/0105 bis 0106, hob der Verwaltungsgerichtshof aufgrund einer Revision des Revisionswerbers und der X GmbH zudem Spruchpunkt A) des genannten Erkenntnisses, soweit dieser über die Schuldfrage absprach, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 21. März 2022 erkannte das Verwaltungsgericht in seinem Spruchpunkt A) über die Beschwerde des Revisionswerbers und der X GmbH „nach Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich Spruchpunkt A) betreffend den Ausspruch über die Strafe sowie die Kosten des Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens mit Erkenntnis vom 03.02.2022, Zahl: Ra 2020/17/0012 11“, dass gemäß § 50 VwGVG die verhängten Geldstrafen auf „je € 12.000 in allen 4 Fällen und die Ersatzfreiheitsstrafe auf je 3 Tage in allen 4 Fällen“ herabgesetzt würden (Unterspruchpunkt I.). Es sprach weiters aus, dass gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keine Kosten vor dem Verwaltungsgericht anfielen (Unterspruchpunkt II.) und sich „die Verfahrenskosten der Erstinstanz“ somit gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG auf insgesamt € 4.800, reduzierten (Unterspruchpunkt III.). Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig (Unterspruchpunkt IV.).

6 Nach Darstellung des Sachverhalts führte das Verwaltungsgericht ohne Feststellungen zu treffen unter anderem aus:

„Aufgrund der Revision des BfV wurde zu Ra 2020/ 17/ 0105 am 21 Februar 2022 vom VwGH erkannt, dass der Schuldspruch bereits rechtskräftig sei; aufgrund der Revision des BMF wurde die zum Entscheidungszeitpunkt vorherrschende Rechtsansicht nach der Rechtsprechung des EuGH zur Kumulationsfrage aufgrund der nachträglich ergangenen Vorabentscheidungsfrage des EuGH zu C 231/20 vom 14. Okt 2021 aufgehoben, Ra 2020/ 17/ 0012 am 21. Februar 2022.“

7 In der Folge traf das Verwaltungsgericht Erwägungen „zur Strafbemessung im 2. Rechtsgang“.

8 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 14. Juni 2022, E 1169/2022 5, die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 21. März 2022 erhobenen Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

9 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht, mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis kostenpflichtig wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

10 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht übersehe, dass mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Februar 2022, Ra 2020/17/0105 bis 0106, das damals angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts auch in der Schuldfrage aufgehoben worden sei. Das Verwaltungsgericht habe sich im nunmehr gegenständlichen Erkenntnis nicht mehr mit der Schuldfrage auseinandergesetzt und auch keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen. Es habe daher gegen näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen.

12 Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig und auch berechtigt.

13 In Verwaltungsstrafsachen haben die Verwaltungsgerichte jedenfalls, also ohne dass die ausnahmsweise nach § 28 VwGVG bestehende Möglichkeit zur Aufhebung des Bescheids zum Tragen kommen könnte, in der Sache selbst zu entscheiden (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist). Diese grundsätzliche Verpflichtung zu einer reformatorischen Entscheidung ist schon verfassungsgesetzlich vorgegeben (Art. 130 Abs. 4 erster Satz B VG) und wird einfachgesetzlich in § 50 VwGVG wiederholt bzw. konkretisiert (vgl. VwGH 24.1.2022, Ra 2021/09/0221, mwN). Die Aussprüche über Schuld und Strafe sind trennbar (vgl. etwa VwGH 19.9.2023, Ra 2022/16/0034, mwN).

14 Der Verwaltungsgerichtshof hielt in seinem Erkenntnis vom 21. Februar 2022, Ra 2020/17/0105 bis 0106, fest, dass durch die Aufhebung des Spruchpunktes A) im näher bestimmten Umfang des (Vor )Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts vom 5. November 2019 durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 2022, Ra 2020/17/0012, dieser Spruchpunkt A) nur mehr insoweit dem Rechtsbestand angehörte, als er der Beschwerde des Revisionswerbers in der Schuldfrage keine Folge gab. In der Folge hob der Verwaltungsgerichtshof mit diesem Erkenntnis vom 21. Februar 2022 den angesprochenen Spruchpunkt A) auch insoweit auf, als dieser über die Schuldfrage absprach. Das Verwaltungsgericht hatte demnach erneut (auch) über die Schuldfrage abzusprechen.

15 Indem das Verwaltungsgericht fälschlicherweise von bereits eingetretener Rechtskraft des Schuldspruchs ausgegangen ist und auf Basis dieser unzutreffenden Ansicht einen Abspruch ausschließlich über den Strafausspruch getätigt hat, obwohl die Beschwerde auch gegen den Schuldspruch gerichtet und (nach Aufhebung des im ersten Rechtsgang ergangenen Schuldspruches durch den Verwaltungsgerichtshof) in diesem Umfang noch unerledigt war, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet (vgl. zum Schicksal von bloßen Absprüchen über die Strafe bei fälschlicher Qualifikation eines Rechtsmittels als nur gegen die Strafhöhe gerichtet VwGH 26.1.2007, 2006/02/0252; 23.3.2016, Ra 2015/02/0247; 17.9.2021, Ra 2021/02/0175).

16 Aufgrund der unrichtigen Annahme eines rechtskräftigen Schuldspruches fehlen im Übrigen Tatsachenfeststellungen zu der zugrundeliegenden Tat im angefochtenen Erkenntnis zur Gänze, sodass es schon deshalb der Rechtsverfolgung oder verteidigung durch die Parteien nicht zugänglich und mit einem wesentlichen Begründungsmangel behaftet ist (vgl. VwGH 14.12.2020, Ra 2019/02/0232, mwN).

17 Zudem erfordern schon die objektiven Strafbemessungskriterien nach § 19 Abs. 1 VStG, wonach Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat sind, eine Feststellung der als erwiesen angenommenen oder bereits einem rechtskräftigen Schuldspruch zu Grunde liegenden Tat (vgl. erneut VwGH 14.12.2020, Ra 2019/02/0232, mwN).

18 Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19 Von der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. April 2024

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen