Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision der M E in W, vertreten durch Dr. Stefan Stastny, Rechtsanwalt in 8650 Kindberg, Hauptstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. November 2022, Zl. W126 2252251 1/12E, betreffend Entschädigung nach dem Impfschadengesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 1. Mit Bescheid vom 12. Jänner 2022 wies die belangte Behörde den am 25. Jänner 2021 eingebrachten Antrag der 1975 geborenen Revisionswerberin auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz gemäß §§ 1b und 3 des Impfschadengesetzes ab.
2 Gegen diesen abweisenden Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde.
3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab (Spruchpunkt A). Unter einem erklärte das BVwG die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
4 2.1. Das BVwG stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
5 Die Revisionswerberin habe mit Impfungen am 15. April, 2. Juni und 20. November 1997 eine Grundimmunisierung gegen Hepatitis B (Impfstoff Engerix B) erhalten. „Daraufhin hatte sie mehrere Tage Schmerzen im Arm.“ Im Frühling und Sommer 1998 sei die Revisionswerberin „oft müde“ gewesen und habe „öfter grippale Infekte“ gehabt. Im Herbst 1998 seien bei ihr „Empfindungsstörungen“ aufgetreten, im Juni 1999 sei bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert worden. „In der Folge“ seien bei der Revisionswerberin keine weiteren Beschwerden aufgetreten, sowohl Müdigkeit als auch Empfindungsstörungen vergangen und die Revisionswerberin „wieder belastbar“ gewesen. Am 15. Jänner 2004 habe die Revisionswerberin eine Auffrischungsimpfung für Hepatitis B (Impfstoff Engerix B) erhalten. Im Frühling 2005 seien bei der Revisionswerberin wieder „Empfindungsstörungen“ aufgetreten. Seit dem Jahr 2020 sei eine zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustands der Revisionswerberin eingetreten. Die Revisionswerberin leide, abgesehen von der Erkrankung an Multipler Sklerose, an keinen chronischen Erkrankungen. Eine weit entfernt mit der Revisionswerberin verwandte Person sei gegen Hepatitis B geimpft worden und leide ebenfalls an Multipler Sklerose.
6 Die Ursachen der Multiplen Sklerose seien nicht bekannt. Die Erkrankung trete üblicherweise in einem Lebensalter zwischen 15 und 45 Jahren auf und betreffe häufiger Frauen. Weitere Risikofaktoren seien eine positive Familienanamnese, Autoimmunerkrankungen, Schilddrüsenerkrankungen, Vitamin D Mangel, „durchgemachte Infektionen z.B. mit dem Epstein Barr Virus“ sowie „nördliche Länder (zu denen in diesem Zusammenhang auch Österreich gezählt wird)“. Erste Symptome, die einen dringenden Verdacht auf die Erkrankung nahelegen würden, seien Beeinträchtigungen des Sehnervs, Gefühlsstörungen im Gesicht oder an den Gliedmaßen, Lähmungen, Gleichgewichtsstörungen oder Schwindel. In der aktuellen Gebrauchsinformation des Impfstoffs Engerix B werde Multiple Sklerose als sehr seltene Nebenwirkung angeführt. In den Gebrauchsinformationen von Medikamenten würden sämtliche Symptome oder Erkrankungen, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung des Medikaments stünden, angeführt. Immunologische Nebenwirkungen auf eine Impfung würden üblicherweise unmittelbar auftreten. Unspezifische und spezifische Nebenwirkungen würden in einem Zeitraum von wenigen Tagen bis Wochen nach einer Impfung auftreten. Es liege keine Evidenz für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung mit dem Impfstoff Engerix B und der Erkrankung an Multipler Sklerose vor.
7 2.2. Diesen Sachverhalt würdigte das BVwG rechtlich wie folgt:
8 Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz stehe bereits im Fall der „Kausalitätswahrscheinlichkeit“ zu. Ein zweifelsfreier Nachweis der Kausalität sei nicht erforderlich. Es komme sohin darauf an, ob die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf die Impfung ursächlich zurückzuführen sei. Dabei sei auf drei Kriterien abzustellen: eine entsprechende Inkubationszeit, eine entsprechende Symptomatik sowie keine andere wahrscheinliche Ursache.
9 Die „ersten konkreten Symptome [der Revisionswerberin], die auf eine Multiple Sklerose hinweisen, nämlich die Empfindungsstörungen“ seien erst ein Jahr nach Verabreichung der letzten Impfdosis der Grundimmunisierung aufgetreten. Auch die „nur sehr unspezifischen Symptome, wie Müdigkeit und Infektanfälligkeit“ seien erst mehrere Monate nach der abgeschlossenen Grundimmunisierung aufgetreten. Direkt nach der Impfung habe die Revisionswerberin lediglich „die üblichen akuten Impfreaktionen, wie Schmerzen an der Einstichstelle bzw. im Arm“ vernommen. Auch „der zweite Schub [der] Erkrankung“ sei erst über ein Jahr nach „der Auffrischungsimpfung“ aufgetreten. Angesichts der Ausführungen des Sachverständigen, wonach Nebenwirkungen von Impfungen innerhalb eines Zeitraums von wenigen Tagen bis Wochen auftreten würden, sei gegenständlich kein deutlicher zeitlicher Zusammenhang zwischen den Impfungen und dem Auftreten von Symptomen der Multiplen Sklerose „(im Sinne einer entsprechenden ‚Inkubationszeit‘)“ gegeben.
10 Auch sprächen gegen einen ursächlichen Zusammenhang die vom Sachverständigen dargelegten Ergebnisse „der medizinisch wissenschaftlichen Fachliteratur“. Es gebe demnach keine methodisch mängelfreie Evidenz für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung mit dem Impfstoff Engerix B und der Erkrankung an Multipler Sklerose. Folglich stelle auch der sich aus den Gebrauchsinformationen des verabreichten Impfstoffs ergebende Umstand, dass Multiple Sklerose eine sehr seltene Nebenwirkung darstelle, kein entsprechendes Indiz dar. Der Sachverständige habe diesbezüglich dargelegt, dass in der Gebrauchsanweisung angeführte Nebenwirkungen „nicht zwingend das Vorliegen eines Kausalzusammenhanges, sondern lediglich einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Impfung und aufgetretenen Symptomen“ darstellen würden.
11 Zuletzt weise die Revisionswerberin „gewisse Risikofaktoren bzw. Parameter, die die klinische Manifestation der Erkrankung [an Multipler Sklerose] begünstigen“ auf, nämlich das Lebensalter, das weibliche Geschlecht sowie das Herkunftsland. Der Risikofaktor der genetischen Disposition sei angesichts der weiten „Entfernung“ der an Multipler Sklerose leidenden Verwandten der Revisionswerberin als „sehr vage“ zu beurteilen.
12 In Zusammenschau dieser Kriterien fehle es gegenständlich an hinreichend konkreten Anhaltspunkten für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Hepatitis B Impfungen und der Erkrankung der Revisionswerberin an Multipler Sklerose, weswegen die „Kausalitätswahrscheinlichkeit“ verneint werde.
13 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision.
14 4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
17 4.2. Die Revisionswerberin wendet sich zunächst gegen die Beiziehung des Sachverständigen sowie den Umstand, dass trotz Verlangen der Revisionswerberin lediglich „Kurzfassungen“ der vom Sachverständigen „genannten Studien“, sohin nicht die „gesamten Studientexte“ vorgelegt worden seien. Letztere würden jedoch zur Erforschung, „unter welchen Prämissen diese Studien zustande kamen“, benötigt werden. Allenfalls könnten die Studienergebnisse wissenschaftlich begründet angezweifelt werden. Die Revisionswerberin rügt damit allfällige Verfahrensmängel.
Zunächst ist dem Vorbringen der Revision zu entgegnen, dass keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Heranziehung von Amtssachverständigen in einem verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren bestehen, und zwar auch dann nicht, wenn ein Bediensteter der belangten Behörde, der bereits im Verfahren vor der Behörde als Sachverständiger tätig geworden ist, auch vom Verwaltungsgericht in derselben Sache als Sachverständiger beigezogen wird (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa VwGH 28.5.2019, Ra 2019/10/0008, und 20.6.2016, Ra 2016/09/0046, je mwN).
Ferner ist Folgendes festzuhalten:
18 Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel nur dann ausgegangen werden, wenn die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer für die revisionswerbenden Parteien bei richtiger rechtlicher Beurteilungim Ergebnis günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 4.7.2016, Ra 2016/04/0047, mwN). Diese Relevanz ist in der Zulässigkeitsbegründung konkret dh. fallbezogen darzulegen (vgl. etwa VwGH 4.1.2024, Ra 2023/01/0355, mwN).
19 Eine solche Relevanzdarstellung ist dem Zulässigkeitsvorbringen nicht zu entnehmen. Die Revisionswerberin äußert darin bloße Mutmaßungen über die „Prämissen“ der vom Sachverständigen ins Treffen geführten Studien. Sie zeigt damit keine konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass bei Vermeidung allfälliger Verfahrensmängel ein für die Revisionswerberin günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können.
20 4.3. Die Revisionswerberin bringt zudem vor, das angefochtene Erkenntnis stütze sich auf unrichtige und widersprüchliche Aussagen („hinsichtlich des Grundes für die Aufzählung unerwünschter Nebenwirkungen bzw. deren Bedeutung im Beipackzettel [...] des Zeitpunktes der vom Sachverständigen genannten Studien bzw. des Erfordernisses des Impfherstellers zur Verbesserung seiner Produkte gemäß Pharmakovigilanz“) des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung. So sei es unvertretbar, die Bedeutungslosigkeit der „im Beipackzettel des Impfstoffes“ angeführten Nebenwirkungen anzunehmen. Das BVwG habe im Übrigen ohne „Sachverständigenuntermauerung“ die „Inkubationszeit für die Multiple Sklerose und der vorherigen Beschwerden (Vorboten) als zu lang erachtet“.
21 Damit wendet sich die Revisionswerberin der Sache nach gegen die beweiswürdigenden Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 31.1.2024, Ro 2022/04/0004 bis 0006, mwN).
22 Eine Mangelhaftigkeit im Sinne einer Unvertretbarkeit zeigt die Revision nicht auf. Das BVwG ging ausgehend von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wahrscheinlichkeit der Kausalität der Impfung für eine Gesundheitsschädigung (vgl. etwa VwGH 6.7.2022, Ra 2020/11/0003, mwN) davon aus, dass fallbezogen im Ergebnis keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer „Kausalitätswahrscheinlichkeit“ gegeben seien. Bei der Beurteilung der Inkubationszeit stützte sich das BVwG offenkundig mangels spezifischer Anhaltspunkte auf die allgemein zum Auftreten von Impfnebenwirkungen getroffenen Aussagen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung. Dass es sich bei Multipler Sklerose um eine in der Gebrauchsinformation des verabreichten Impfstoffs angeführte Nebenwirkung handle, wurde vom BVwG nicht ignoriert, sondern in die beweiswürdigenden Überlegungen miteinbezogen. Dabei stützte sich das BVwG zunächst auf die entsprechenden Angaben des Sachverständigen, wonach in den Gebrauchsinformationen von Medikamenten sämtliche Symptome oder Erkrankungen, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung des Medikaments stünden, angeführt würden. In einem weiteren Schritt legte das BVwG jedoch, sowohl unter Verweis auf die vom Sachverständigen (auch) in der mündlichen Verhandlung ins Treffen geführten Studienergebnisse, als auch darüber hinaus unter Verweis auf eine im Internet abrufbare Information des Robert Koch Instituts dar, dass es für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Hepatitis B Impfung und der Erkrankung an Multipler Sklerose keine wissenschaftlichen Hinweise gebe. Die von der Revisionswerberin hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs vorgebrachten Beweismittel würden im Wesentlichen nicht die Qualität wissenschaftlicher Studien aufweisen; dies ergebe sich sowohl aus den dazu getätigten Angaben des Sachverständigen, als auch entsprechenden Bewertungen des Robert Koch Instituts sowie der WHO.
23 Das BVwG ist demnach nach nachvollziehbarer Abwägung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zu den entscheidungswesentlichen Feststellungen gelangt, weshalb eine die Zulässigkeit der Revision begründende Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung im vorliegenden Fall zu verneinen ist.
24 4.4. In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 8. April 2024