Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 22. Juli 2022, Zl. LVwG AV 2161/001 2021, betreffend Leistungen nach dem Niederösterreichischen Sozialhilfe Ausführungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn; mitbeteiligte Parteien: 1. S K in H, vertreten durch Dr. Stella Spitzer Härting, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Krongasse 22/4, und 2. R K in H, vertreten durch VertretungsNetz Erwachsenenvertretung in 1150 Wien, Pfeiffergasse 4/Stg. D/1/1), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit über Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs abgesprochen wird, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 22. Juli 2022 wurden den mitbeteiligten Parteien (u.a.) für den Zeitraum vom 6. September 2021 bis zum 28. Februar 2022 näher genannte monatliche Leistungen zur Unterstützung des Lebensunterhalts sowie näher genannte monatliche Geldleistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs zugesprochen (Spruchpunkte I. und II.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei (Spruchpunkt III.).
2 Begründend ging das Verwaltungsgericht soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse davon aus, dass die (in einer Lebensgemeinschaft lebenden) mitbeteiligten Parteien in einer Mietwohnung in X wohnten, für die ein Mietzins in der Höhe von monatlich € 450,24 zu entrichten sei. Die mitbeteiligten Parteien erhielten im Zeitraum vom 1. September 2021 bis zum 31. August 2022 eine „monatliche Subjektförderung (‚Wohnzuschuss‘) in der Höhe von € 127,00“.
3 In der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht zur Bemessung des Wohnbedarfs im Wesentlichen aus, der Verwaltungsgerichtshof gehe in seiner Rechtsprechung zu § 14 Abs. 2 Niederösterreichisches Sozialhilfe Ausführungsgesetz (NÖ SAG) davon aus, dass sich sowohl aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 NÖ SAG als auch aus den Materialien unmissverständlich ergebe, dass bei Gewährung eines Wohnzuschusses die Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs gemäß § 14 Abs. 1 Z 1 und 2 NÖ SAG entsprechend zu reduzieren seien (Verweis auf VwGH 16.3.2022, Ra 2020/10/0111). Die von der belangten Behörde vorgenommene Reduzierung der Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs um die bedarfsdeckende Leistung des Wohnzuschusses gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz NÖ SAG sei daher „dem Grunde nach“ zu Recht erfolgt.
4 Der Verwaltungsgerichtshof gehe so das Verwaltungsgericht weiter im „Hinblick auf die konkrete Berechnung der Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs bei Bezug eines Wohnzuschusses“ davon aus, dass „der Wohnzuschuss jedenfalls nicht von den Miet und Stromkosten abzuziehen“ sei, um so den Richtsatz zur Befriedigung des Wohnbedarfs zu berechnen (wiederum Verweis auf VwGH 16.3.2022, Ra 2020/10/0111). Vor diesem Hintergrund habe die von der belangten Behörde vorgenommene Berechnung der Abzug des Wohnzuschusses vom „ermittelten RS Wert Wohnen“ [gemeint: den tatsächlichen Wohnkosten] keine Grundlage in § 14 Abs. 2 NÖ SAG, sondern sei der Wohnzuschuss vom Richtsatz gemäß § 1 Abs. 2 Z 2 lit. b [gemeint: lit. a] NÖ Richtsatzverordnung abzuziehen gewesen.
5 Bei der konkreten Berechnung des Wohnbedarfs ging das Verwaltungsgericht bezogen auf einen ganzen Monat davon aus, dass bei jedem der beiden mitbeteiligten Parteien von einem monatlichen „RS Wert Wohnen“ von € 265,85 im Jahr 2021 bzw. € 273,82 im Jahr 2022 ein monatlicher Wohnzuschuss von € 65,50 in Abzug zu bringen sei.
6 Die Zulassung der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „zur verhältnismäßigen Anrechnung des Einkommens auf die Leistungen nach den NÖ SAG“ fehle.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (auf Art. 133 Abs. 8 B VG iVm § 42 NÖ SAG gestützte) ordentliche Revision der Niederösterreichischen Landesregierung, die sich ihrem gesamten Inhalt nach lediglich gegen den Abspruch über die Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs richtet.
8 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.
9 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten keine Revisionsbeantwortung.
10 Die belangte Behörde schloss sich den Ausführungen der Amtsrevisionswerberin an.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Das Niederösterreichische Sozialhilfe Ausführungsgesetz, LGBl. Nr. 70/2019 in der Fassung LGBl. Nr. 22/2020, lautet auszugsweise:
„§ 14
Monatliche Leistungen der Sozialhilfe
(1) Die Landesregierung hat ausgehend vom Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a bb) ASVG abzüglich des Beitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung durch Verordnung die Höhe der monatlichen Leistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs festzulegen. Diese Verordnung kann auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Die Summe der monatlichen Geld und Sachleistungen (Richtsätze) wird für folgende hilfsbedürftige Personen entsprechend den folgenden Prozentsätzen festgelegt:
1. für eine alleinstehende oder alleinerziehende Person100 %
2. für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen
a) pro leistungsberechtigter Person70 %
b) ab der drittältesten leistungsberechtigten Person45 %
...
(2) Leistungen nach Abs. 1 Z 1 und Z 2 beinhalten eine Geldleistung zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts in Höhe von 60 % und eine Leistung zur Befriedigung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 40 %. Wohnt eine Hilfe suchende Person in einer Eigentumswohnung oder in einem Eigenheim wird die Leistung zur Befriedigung des Wohnbedarfs nur im halben Ausmaß (20 %) gewährt. Besteht kein oder ein geringerer Aufwand zur Befriedigung des Wohnbedarfs oder erhält die hilfebedürftige Person bedarfsdeckende Leistungen (z. B. eine Wohnbeihilfe oder einen Wohnzuschuss), sind die jeweiligen Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs um diese Anteile entsprechend zu reduzieren.
...“
12 Die NÖ Richtsatzverordnung, LGBl. Nr. 118/2019 in der Fassung LGBl. Nr. 111/2020, lautet auszugsweise:
„§ 1
Leistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs
...
(2) Der Richtsatz an monatlichen Sachleistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs beträgt für Personen, mit Ausnahme solcher, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim bewohnen:
...
2. für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen:
a) pro leistungsberechtigter Personbis zu € 265,85;
...“
13 Die NÖ Richtsatzverordnung, LGBl. Nr. 118/2019 in der Fassung LGBl. Nr. 99/2021, lautet auszugsweise:
„§ 1
Leistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs
...
(2) Der Richtsatz an monatlichen Sachleistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs beträgt für Personen, mit Ausnahme solcher, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim bewohnen:
...
2. für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen:
a) pro leistungsberechtigter Personbis zu € 273,82;
...“
14 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Amtsrevision wird geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein gewährter Wohnzuschuss dann, wenn die tatsächlichen Wohnkosten unterhalb des Richtsatzes zur Befriedigung des Wohnbedarfs nach der NÖ Richtsatzverordnung liegen, von „der konkret errechneten Leistung zur Befriedigung des Wohnbedarfs oder vom Richtsatz zur Befriedigung des Wohnbedarfs abzuziehen“ sei.
15 Die Revision ist mit Blick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.
16 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes betragen die Mietkosten für beide mitbeteiligten Parteien insgesamt € 450,24. Nach § 1 Abs. 2 Z 2 lit. a der NÖ Richtsatzverordnung beträgt der Richtsatz an monatlichen Sachleistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs für Personen, mit Ausnahme solcher, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim bewohnen, für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen pro leistungsberechtigter Person bis zu € 265,85 (im Jahr 2021) bzw. € 273,82 (im Jahr 2022), für die beiden mitbeteiligten Parteien sohin bis zu € 531,70 (im Jahr 2021) bzw. € 547,64 (im Jahr 2022). Die tatsächlichen Mietkosten für die mitbeteiligten Parteien liegen demnach unter den in der NÖ Richtsatzverordnung genannten Beträgen, sodass diese von vornherein keinen Wohnbedarf in der dort genannten Maximalhöhe („bis zu“) haben.
17 Nun beziehen die mitbeteiligten Parteien nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes einen monatlichen Wohnzuschuss von € 127, (in der konkreten monatlichen Berechnung des Verwaltungsgerichtes siehe oben Rz 5 wird allerdings ein Wohnzuschuss von insgesamt € 131, berücksichtigt). Aufgrund dieses Wohnzuschusses sind gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz NÖ SAG die Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs „entsprechend zu reduzieren“. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes ist in einem Fall wie dem vorliegenden von den (unter dem maximalen Wert nach der NÖ Richtsatzverordnung liegenden) tatsächlich erwachsenen Mietkosten der gewährte Wohnzuschuss in Abzug zu bringen und den mitbeteiligten Parteien lediglich die Differenz als Wohnbedarf zuzusprechen. Die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgangsweise, vom höheren Wert nach der NÖ Richtsatzverordnung den Wohnzuschuss abzuziehen und den Differenzbetrag als Wohnbedarf zuzusprechen, bewirkt nämlich, dass aus Mitteln der Sozialhilfe wie in der Amtsrevision zutreffend ausgeführt wird ein Wohnbedarf abgedeckt wird, der den mitbeteiligten Parteien nicht erwachsen ist. Derartiges kann dem NÖ SAG nicht entnommen werden.
18 Soweit das Verwaltungsgericht seine Vorgangsweise auf das hg. Erkenntnis vom 16. März 2022, Ra 2020/10/0111, zu stützen können glaubt, wird übersehen, dass diesem Erkenntnis wie sich unmissverständlich aus dessen Randzahlen 4, 5 und 14 ergibt ein Fall zugrunde lag, in dem die tatsächlichen Wohnkosten über dem in der NÖ Richtsatzverordnung genannten Betrag lagen und das Verwaltungsgericht den Wohnbedarf dergestalt ermittelt hat, dass es einen gewährten Wohnzuschuss von den wie erwähnt: über dem Betrag nach der NÖ Richtsatzverordnung liegenden „Miet und Stromkosten“ abgezogen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Vorgangsweise aus den im genannten Erkenntnis dargelegten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, verworfen. Dass in einem Fall, in dem die Mietkosten den in der NÖ Richtsatzverordnung genannten Betrag gar nicht erreichen, der Wohnzuschuss wie das Verwaltungsgericht formuliert „jedenfalls nicht von den Miet und Stromkosten abzuziehen“ sei, ist diesem Erkenntnis nicht zu entnehmen.
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit damit über Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs abgesprochen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 27. Oktober 2023