JudikaturVwGH

Ra 2022/08/0041 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin sowie den Hofrat Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision der M GmbH in W, bei Einbringung der Revision vertreten durch Dr. Thomas Krapf, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Andreas Hofer Straße 13 (mittlerweiliger Stellvertreter MMag. Dr. Thomas Mildner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schöpfstraße 4), gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2022, I413 2250077 1/14, betreffend eine Angelegenheit nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Österreichische Gesundheitskasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

1 Mit Bescheid vom 15. Oktober 2021, Geschäftszahl „[...] 040 [...]“, sprach die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) aus, der revisionswerbenden Partei werde „als Dienstgeberin aufgrund der stattgefundenen Erhebungsprüfung“ ein bestimmter Geldbetrag für einen bestimmten Zeitraum gutgeschrieben.

2 Die gegen diesen Bescheid von der revisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung wegen Verspätung zurück. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

3 Zum entscheidungserheblichen Sachverhalt stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der genannte Bescheid sei der revisionswerbenden Partei am 27. Oktober 2021 zugestellt worden. Die mit 28. November 2021 datierte Beschwerde sei am selben Tag (einem Sonntag) per E Mail versendet worden und am 29. November 2021 (dem nächsten Werktag) bei der ÖGK eingegangen. Sie sei somit nach Ablauf der mit 24. November 2021 endenden vierwöchigen Beschwerdefrist, also verspätet, eingebracht worden.

4 Dass die Zustellung dieses Bescheides mit 27. Oktober 2021 erfolgt sei, ergebe sich aus dem im Akt befindlichen Rückschein, auf dem dieses Datum, die Übernahme durch den Empfänger/die Empfängerin sowie die Geschäftszahl „[...] 040 [...]“ vermerkt sei.

5 Durch den eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellnachweis (Rückschein) werde der Beweis erbracht, dass eine Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt sei; der Gegenbeweis sei jedoch gemäß § 47 AVG iVm § 292 Abs. 2 ZPO zulässig. Behaupte jemand, es liege ein Zustellmangel vor, so habe er diese Behauptung entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet seien (Hinweis auf VwGH 24.6.2020, Ra 2020/17/0017, mwN).

6 Die bloße Behauptung des handelsrechtlichen Geschäftsführers der revisionswerbenden Partei (O. S.) in seiner während des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht auf den Vorhalt der Verspätung der Beschwerde hin erstatteten schriftlichen Stellungnahme, die ÖGK habe „die Inhalte der Umschläge der Zlen. [...] 040 [...] und [...] 041 [...] (betreffend die I GmbH, für welche [O. S.] ebenfalls als handelsrechtlicher Geschäftsführer fungiert) vertauscht“, sei nicht geeignet, zu „widerlegen [sic], dass in dem Kuvert mit dem explizit mit der Zl. [...] 040 [...] versehenen Rückschein ein anderer Bescheid als der angeführte enthalten gewesen sei soll.“ Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens von O. S., er sei in der Zeit vom 18. Jänner 2021 bis 28. Oktober 2021 im Krankenstand gewesen, habe O. S. nicht substantiiert dargelegt, weshalb er erst am 2. November 2021 die Posteingänge mit seiner Sekretärin bearbeiten habe können, da der 29. Oktober 2021 ein Freitag und damit ein Werktag gewesen sei. Die revisionswerbende Partei habe keine Beweise vorgelegt, die geeignet wären, auf einen Zustellmangel schließen zu lassen.

7 Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache insbesondere vor, der Geschäftsführer der revisionswerbenden Partei habe in seiner schriftlichen Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt die Einvernahme von zwei namentlich genannten Personen, darunter seine Sekretärin, als Zeuginnen zum Beweis dafür angeboten, dass entgegen den auf den Rückscheinen ausgewiesenen Geschäftszahlen „[...]-040 [...]“ und „[...] 041 [...]“ in den dazugehörigen Kuverts jeweils der andere Bescheid enthalten gewesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich über diese Beweisanträge hinweggesetzt und sei damit von im Einzelnen angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Tatsächlich sei der Bescheid der ÖGK vom 15. Oktober 2021 mit der Geschäftszahl „[...] 040 [...]“ nicht, wie vom Bundesverwaltungsgericht aus dem in den Akten befindlichen Rückschein abgeleitet, am 27. Oktober 2021, sondern erst am 2. November 2021 zugestellt worden.

9 Die Revision ist aus den in der Zulässigkeitsbegründung der Revision angeführten Gründen zulässig; sie ist auch begründet.

10 Die revisionswerbende Partei hat - entgegen der Darstellung durch das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss - in ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Vorhalt, die Beschwerde sei verspätet eingebracht worden, nicht die „bloße“ Behauptung aufgestellt, die ÖGK habe die „Inhalte“ der Kuverts mit den die Geschäftszahlen „[...] 040 [...]“ und „[...] 041 [...]“ ausweisenden Rückscheinen vertauscht. Vielmehr hat die revisionswerbende Partei in dieser Stellungnahme zwei Personen, darunter die Sekretärin der revisionswerbenden Partei, namhaft gemacht, die die Richtigkeit der Angaben bestätigen könnten, denen zufolge jenes Kuvert, das zwar die Geschäftszahl „[...] 041 [...]“ getragen, jedoch den Bescheid der ÖGK vom 15. Oktober 2021 mit der Geschäftszahl „[...] 040 [...]“ enthalten habe, der revisionswerbenden Partei erst am 2. November 2021 zugekommen sei.

11 Die revisionswerbende Partei hat somit zum Nachweis für die Behauptung, die Zustellung des Bescheides der ÖGK vom 15. Oktober 2021 mit der Geschäftszahl „[...] 040 [...]“ sei erst am 2. November 2021 erfolgt, die Einvernahme zweier Zeuginnen angeboten. Beweisanträge bzw. eine Aufnahme von Beweisen von Amts wegen dürfen prinzipiell nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich bzw. an sich nicht geeignet ist, über den beweiserheblichen Gegenstand einen Beweis zu liefern (vgl. etwa VwGH 24.11.2022, Ra 2021/08/0053, Rn. 12, mwN).

12 Die angebotene Einvernahme von Zeuginnen kann unter den vorliegenden Umständen nicht von vornherein als ungeeignet erachtet werden, einen Beweis hinsichtlich des Zeitpunkts der Zustellung des genannten Bescheides an die revisionswerbende Partei zu erbringen. Sollte die Zustellung dieses Bescheides wie behauptet tatsächlich erst am 2. November 2021 erfolgt sein, hätte die vierwöchige Beschwerdefrist erst am 30. November 2021 geendet, sodass die Beschwerde ausgehend von der nicht bestrittenen Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, die Beschwerde sei am 29. November 2021 eingebracht worden nicht als verspätet anzusehen wäre; es kommt also auf die unter Beweis zu stellen begehrte Tatsache auch an.

13 Die Revision zeigt daher zutreffend auf, dass diese Beweisaufnahme - in einer mündlichen Verhandlung - erforderlich gewesen wäre.

14 Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

15 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der begehrte Zuspruch der Umsatzsteuer war zu versagen, weil diese in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthalten ist.

Wien, am 5. Juni 2025

Rückverweise