Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des Bürgermeisters der Stadt St. Pölten gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 27. Juli 2022, Zlen. 1. LVwG AV 506/001 2022 und 2. LVwG AV 506/002 2022, betreffend eine Maßnahme gemäß § 360 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: T GmbH Co KG in W, vertreten durch WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Ein Zuspruch von Aufwandersatz findet nicht statt.
1 Mit Bescheid vom 29. April 2022 verfügte der Bürgermeister der Stadt St. Pölten gemäß § 360 Abs. 1 GewO 1994 die unverzügliche Schließung einer näher genannten Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei. Die mitbeteiligte Partei erhob dagegen das Rechtsmittel der Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich.
2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt St. Pölten vom 14. Juli 2022 wurde aufgrund der zwischenzeitig rechtskräftigen Betriebsanlagengenehmigung der Bescheid vom 29. April 2022 widerrufen.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 27. Juli 2022 wurde festgestellt, dass die mit dem Bescheid vom 29. April 2022 angeordnete Schließung rechtswidrig war. Die Revision wurde für zulässig erklärt.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision.
5 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der beantragt wird, die Revision unter Zuspruch der Kosten als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.
6 Die seitens des Landesverwaltungsgerichts befasste Landeshauptfrau von Niederösterreich erstattete eine als solche bezeichnete Revisionsbeantwortung, in der beantragt wird, das Erkenntnis aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden, in eventu das Erkenntnis aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.
7 Gemäß § 360 Abs. 5 GewO 1994 sind Bescheide gemäß § 360 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1994 sofort vollstreckbar und treten, wenn sie nicht kürzer befristet sind, mit Ablauf eines Jahres, vom Beginn der Vollstreckbarkeit an gerechnet, außer Wirksamkeit.
8 Gemäß § 360 Abs. 6 GewO 1994 hat die Behörde, liegen die Voraussetzungen für die Erlassung eines Bescheides gemäß § 360 Abs. 1 zweiter Satz, 2, 3 oder 4 GewO 1994 nicht mehr vor und ist zu erwarten, dass in Hinkunft jene gewerberechtlichen Vorschriften, deren Nichteinhaltung für die Maßnahmen nach § 360 Abs. 1 zweiter Satz, 2, 3 oder 4 GewO 1994 bestimmend war, von der Person eingehalten werden, die die gewerbliche Tätigkeit ausüben oder die Betriebsanlage betreiben will, auf Antrag dieser Person die mit Bescheid gemäß § 360 Abs. 1 zweiter Satz, 2, 3 oder 4 GewO 1994 getroffenen Maßnahmen ehestens zu widerrufen.
9 Im vorliegenden Fall wurde der Bescheid gemäß § 360 Abs. 1 GewO 1994 vom 29. April 2022 ausweislich der vorliegenden Verwaltungsunterlagen am 3. Mai 2022 der mitbeteiligten Partei zugestellt und damit ihr gegenüber erlassen. Die die Maßnahme verfügende Entscheidung wurde zwar mit Bescheid vom 14. Juli 2022 gemäß § 360 Abs. 6 GewO 1994 widerrufen, wäre aber andernfalls mit 3. Mai 2023 ex lege außer Wirksamkeit getreten.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lässt sich § 33 Abs. 1 VwGG entnehmen, dass das Rechtsschutzbedürfnis (Rechtsschutzinteresse) als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof anzusehen ist. Liegt diese Voraussetzung schon bei Einbringung einer Revision nicht vor, ist diese unzulässig; fällt diese Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, so führt dies zu einer Einstellung des Verfahrens (vgl. für viele VwGH 2.4.2024, Ra 2022/04/0058, Rn. 6, mwN).
11 Ein Einstellungsfall (wegen Gegenstandslosigkeit) liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat. Das Rechtsschutzinteresse ist immer dann zu verneinen, wenn es (auf Grund der geänderten Umstände) für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied mehr macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird bzw. wenn die Erreichung des Verfahrensziels für ihn keinen objektiven Nutzen hat, die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen somit insoweit nur (mehr) theoretische Bedeutung haben. Diese Rechtsprechung hat auch für eine Amtsrevision der belangten Behörde gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B VG Gültigkeit (vgl. VwGH 30.5.2023, Ra 2020/14/0484, Rn. 8, mwN).
12 Im Falle eines bereits gemäß § 360 Abs. 5 GewO 1994 außer Wirksamkeit getretenen Bescheides wurde vom Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass grundsätzlich ein rechtliches Interesse an einer Entscheidung über eine Revision bestehen könne, wenn ein Verwaltungsstrafverfahren anhängig ist (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2018/04/0008, Rn. 13, betreffend einen Bescheid gemäß § 360 Abs. 4 GewO 1994).
13 Zur verfahrensleitenden Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes, sich zur Frage einer allfälligen Gegenstandlosigkeit zu äußern, wurde seitens des Revisionswerbers zum einen vorgebracht, dass ein Interesse an der Klärung der dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Rechtsfrage in Hinblick auf zukünftige Verfahren bestehe. Auf ein anhängiges Verwaltungsstrafverfahren wurde nicht hingewiesen.
14 Dem Vorbringen des Revisionswerbers, es bestehe ein Interesse an einer Klärung der Rechtsfrage für zukünftige Verfahren, ist entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Klärung von bloß theoretischen Rechtsfragen nicht berufen ist. Dies gilt auch dann, wenn die einem Revisionsfall zugrundeliegende Rechtsfrage für künftige Verwaltungsverfahren oder verwaltungsgerichtliche Verfahren von Interesse ist (vgl. VwGH 26.2.2024, Ra 2023/06/0138, Rn. 12, mwN).
15 Sofern der Revisionswerber zum anderen ins Treffen führt, es sei ein Forderungsschreiben gemäß dem Amtshaftungsgesetz eingebracht worden, weil die Anlage einige Monate gesperrt gewesen sei, ist dem entgegenzuhalten, dass mögliche Amtshaftungsansprüche die Einstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wegen Gegenstandslosigkeit nicht hindern. Das Unterbleiben einer Sachentscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hindert das Amtshaftungsgericht nicht, einen Antrag im Sinne des § 11 AHG zu stellen (vgl. erneut VwGH Ra 2020/14/0484, Rn. 11, mwN). Ein rechtliches Interesse an einer inhaltlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Revision wird nicht durch die mögliche Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen begründet (vgl. VwGH 29.1.2020, Ra 2019/11/0166, Rn. 11, mwN).
16 Dem Vorbringen des Revisionswerbers in seiner Stellungnahme, wonach im Falle der Gegenstandslosigkeit die Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts als richtig anzusehen sei, ist abgesehen davon, dass mit einer Einstellung wegen Gegenstandslosigkeit für sich allein noch keine Aussage über das Zutreffen der Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichtes verbunden ist entgegenzuhalten, dass auch damit kein aktuelles rechtliches Interesse an einer inhaltlichen Entscheidung über die Revision begründet wird.
17 Infolge des Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses war die Revision somit als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen (vgl. erneut VwGH Ra 2022/04/0058, Rn. 8, mwN).
18 Im Hinblick darauf, dass die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses nicht ohne nähere Prüfung zu lösen ist und daher die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, hat der Verwaltungsgerichtshof nach freier Überzeugung entschieden, dass kein Aufwandersatz zugesprochen wird (§ 58 Abs. 2 zweiter Halbsatz VwGG; vgl. wiederum VwGH Ra 2022/04/0058, Rn. 9, mwN).
Wien, am 2. Mai 2024