Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak, die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der Datenschutzbehörde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2021, Zl. W253 2246873 1/6E, betreffend eine datenschutzrechtliche Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: Mag. (FH) H R in W; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) über das Ersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 2023, EU 2023/0004 (Ra 2023/04/0002), ausgesetzt.
1 1. Der Mitbeteiligte richtete am 16. Juli 2021 ein Schreiben an die Datenschutzbehörde (im Folgenden: Revisionswerberin).
2 Mit Bescheid vom 17. August 2021 lehnte die Revisionswerberin die Behandlung der Beschwerde gemäß Art. 57 Abs. 4 DSGVO ab. Begründend führte sie zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte habe bereits zahlreiche Beschwerden bei der belangten Behörde eingebracht, die jeweils denselben Themenkreis beträfen. Es sei zweifelhaft, dass die Beschwerden, die jeweils im Zusammenhang mit der Frage der Obsorge betreffend die minderjährige Tochter des Mitbeteiligten stünden, überhaupt datenschutzrechtliche Schutzinteressen verfolgten.
3 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, hob den Bescheid der belangten Behörde auf und trug dieser die Fortsetzung des Verfahrens auf. Im Übrigen erklärte das Verwaltungsgericht die Revision für zulässig.
4 Das Verwaltungsgericht begründete sein Erkenntnis zusammengefasst dahin, dass der Bescheid der belangten Behörde eine offenkundige Unbegründetheit oder eine Exzessivität der Antragstellung durch den Mitbeteiligten nicht dartue, auch wenn der Revisionswerberin zuzugestehen sei, dass der Zweitmitbeteiligte eine nicht unerhebliche Anzahl von Anbringen an sie gerichtet habe.
5 4. Dagegen richtet sich die Revision der Datenschutzbehörde mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben.
6 5. Mit Beschluss vom 27. Juni 2023, Ra 2023/04/0002, richtete der Verwaltungsgerichtshof folgende Fragen an den EuGH zur Vorabentscheidung:
„1. Ist der Begriff ‚Anfragen‘ oder ‚Anfrage‘ in Art. 57 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz -Grundverordnung DSGVO) dahin auszulegen, dass darunter auch ‚Beschwerden‘ nach Art. 77 Abs. 1 DSGVO zu verstehen sind?
Falls die Frage 1 bejaht wird:
2. Ist Art. 57 Abs. 4 DSGVO so auszulegen, dass es für das Vorliegen von ‚ exzessiven Anfragen‘ bereits ausreicht, dass eine betroffene Person bloß innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine bestimmte Zahl von Anfragen (Beschwerden nach Art. 77 Abs. 1 DSGVO) an eine Aufsichtsbehörde gerichtet hat, unabhängig davon, ob es sich um unterschiedliche Sachverhalte handelt und/oder die Anfragen (Beschwerden) unterschiedliche Verantwortliche betreffen, oder bedarf es neben der häufigen Wiederholung von Anfragen (Beschwerden) auch einer Missbrauchsabsicht der betroffenen Person?
3. Ist Art. 57 Abs. 4 DSGVO so auszulegen, dass die Aufsichtsbehörde bei Vorliegen einer ‚offenkundig unbegründeten‘ oder ‚exzessiven‘ Anfrage (Beschwerde) frei wählen kann, ob sie eine angemessene Gebühr auf der Grundlage der Verwaltungskosten für deren Bearbeitung verlangt oder deren Bearbeitung von vornherein verweigert; verneinendenfalls welche Umstände und welche Kriterien die Aufsichtsbehörde zu berücksichtigen hat, insbesondere ob die Aufsichtsbehörde verpflichtet ist, vorrangig als gelinderes Mittel eine angemessene Gebühr zu verlangen, und erst im Fall der Aussichtslosigkeit einer Gebühreneinhebung zur Hintanhaltung offenkundig unbegründeter oder exzessiver Anfragen (Beschwerden) berechtigt ist, deren Behandlung zu verweigern?“
7 Nach der Rechtsprechung des EuGH (zu Art. 267 AEUV) darf ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts in eigener Verantwortung lösen, wenn die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (vgl. EuGH 6.10.1982, Srl C.I.L.F.I.T. ua., C 283/81, EU:C:1982:335, und EuGH 6.10.2021, Consorzio Italian Management , C 561/19, EU:C:2021:799, Rn. 39 ff).
8 6. Unter diesem Gesichtspunkt ist davon auszugehen, dass die Beantwortung der oben wiedergegebenen, vom Verwaltungsgerichtshof an den EuGH herangetragenen Fragen für die Behandlung der gegenständlichen ordentlichen Revision und die zu klärenden wesentlichen Rechtsfragen, ob Art. 57 Abs. 4 DSGVO in Bezug auf die vom Mitbeteiligten eingebrachte Datenschutzbeschwerde anwendbar ist, und die Frage, ob die Voraussetzungen dieser Bestimmung für die Verweigerung der Bearbeitung dieser Beschwerde vorliegen, fallbezogen präjudiziell ist, weshalb die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vorliegen (vgl. etwa VwGH 7.4.2022, Ro 2020/04/0010, Rn. 11, mwN).
9 Das vorliegende Revisionsverfahren war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat bis zur Entscheidung des EuGH über das genannte Vorabentscheidungsersuchen auszusetzen.
Wien, am 19. November 2024