Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer, die Hofräte Dr. Faber, Dr. Himberger und Dr. Chvosta als Richter sowie die Hofrätin Dr. in Sabetzer als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. H L, Rechtsanwalt in W, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 4. April 2022, Zl. VGW 101/050/10179/2021-26, betreffend eine Angelegenheit nach der Rechtsanwaltsordnung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien; mitbeteiligte Partei: R D in W; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 240 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 1.1. Nach dem Revisionsvorbringen wurde dem Revisionswerber (einem Rechtsanwalt) vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ein mit 1. März 2021 datiertes Dokument übermittelt, das mit „Bescheid“ überschrieben und in dem als bescheiderlassende Behörde der „Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien, Abt. III“ angeführt ist. Nach dem Inhalt dieser Erledigung hat der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien den Revisionswerber gemäß § 45 Rechtsanwaltsordnung (RAO) zum Vertreter des Mitbeteiligten im Rahmen der diesem gewährten Verfahrenshilfe in einer näher bezeichneten Rechtssache (einem Zivilprozess vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien) bestellt.
2 Dagegen erhob der Revisionswerber gemäß § 26 Abs. 5 RAO Vorstellung an den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien.
3 Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom 6. April 2021 wurde der Vorstellung des Revisionswerbers nicht stattgegeben und ausgesprochen, dass die Bestellung des Revisionswerbers als Verfahrenshelfer für den Mitbeteiligten aufrecht bleibe.
4 Über die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers erließ der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien am 22. Juni 2021 eine Beschwerdevorentscheidung, mit der die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde.
5 Daraufhin stellte der Revisionswerber einen Vorlageantrag.
6 1.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid vom 6. April 2021 als unbegründet ab. Es sprach weiters aus, dass eine ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis nicht zulässig sei.
7 In seinen Entscheidungsgründen stellte es zunächst umfangreich den Gang des Verfahrens und das wechselseitige Parteienvorbringen dar. Sodann stellte es folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt fest:
Der Beschwerdeführer sei eingetragener Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Wien. Mit näher bezeichnetem Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 2. Februar 2021 sei dem Mitbeteiligten Verfahrenshilfe bewilligt worden, wobei diese Verfahrenshilfe auch die vorläufige unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes umfasse. Es sei daraufhin mit „Bescheid vom 1. März 2021“ die Bestellung des Revisionswerbers zum Verfahrenshelfer für den Mitbeteiligten durch die Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien erfolgt, wobei die Fertigung gelautet habe: „Dr. M R“ „Für die Richtigkeit der Ausfertigung: das Kammeramt“. Der Bescheid vom 1. März 2021 sei automationsunterstützt erstellt worden und weise keine Amtssignatur oder sonstige Unterfertigung seitens des Vorsitzenden der Abteilung des Ausschusses auf.
Aufgrund der rechtzeitigen Vorstellung des Revisionswerbers sei nach interner Beschlussfassung im Rahmen des Plenums des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien am 6. April 2021 der Bescheid ergangen, mit dem über die Vorstellung und den gleichzeitig eingebrachten Antrag auf Enthebung des Revisionswerbers als Verfahrenshelfer nicht stattgebend dahin abgesprochen worden sei, dass die Bestellung des Revisionswerbers als Verfahrenshelfer des Mitbeteiligten aufrecht bleibe. Dieser Bescheid sei durch den Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Wien gezeichnet gewesen. Er sei dem Revisionswerber mit Rückschein (RSb) durch Hinterlegung am 11. Mai 2021 zugestellt worden.
Bereits im Rahmen der Darstellung des Verfahrensgangs hatte das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass es sich anhand der Beilagen zu einer Stellungnahme der belangten Behörde davon überzeugen habe können, dass jeweils die Urschriften von Bescheid (vom 6. April 2021) und Beschwerdevorentscheidung (vom 22. Juni 2021) vom Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Wien unterschrieben worden seien, sowie dass im Rahmen der Sitzungen vom 6. April 2021 sowie vom 22. Juni 2021 die getroffenen Entscheidungen seitens des zuständigen Gremiums beschlossen worden seien.
8 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass es sich bei der Erledigung vom 1. März 2021 entgegen dem Beschwerdevorbringen jedenfalls nicht um einen Mandatsbescheid im Sinne des § 57 AVG handle, sondern vielmehr um einen Bescheid der Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer gemäß § 28 Abs. 1 lit. i iVm § 26 RAO, sodass die Vorschriften des § 57 AVG für den Mandatsbescheid darauf nicht anzuwenden seien. Daher sei der Bestellungsbescheid auch nicht, wie vom Revisionswerber behauptet, im Sinne des § 57 Abs. 3 AVG außer Kraft getreten, weil nicht innerhalb von zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung Ermittlungsschritte seitens des Ausschusses eingeleitet worden seien.
Dem Beschwerdevorbringen, wonach der Erledigung der Abteilung vom 1. März 2022 keine Bescheidqualität zukomme, weil es sich um eine sonstige Ausfertigung im Sinne des § 18 dritter Satz AVG handle, die zu unterschreiben oder mit einer Amtssignatur zu versehen gewesen wäre, was jedoch nicht erfolgt sei, hielt das Verwaltungsgericht entgegen, dass es seiner Ansicht nach zwar tatsächlich an einer Unterschrift bzw. Amtssignatur mangle. Dies sei jedoch für das vorliegende Verfahren nicht von Belang, da Gegenstand des Beschwerdeverfahrens der Bescheid des Plenums vom 6. April 2021 sei, der aufgrund der besonderen Vorschrift des § 26 RAO an die Stelle des Bescheides der Abteilung vom 1. März 2021 getreten sei. Der Bescheid des Plenums des Ausschusses vom 6. April 2021 stelle eine neue eigenständige Grundlage für die Bestellung des Revisionswerbers zum Verfahrenshelfer dar.
Am rechtmäßigen Zustandekommen des Vorstellungsbescheides vom 6. April 2021 sei wiederum keinerlei Zweifel zu hegen, trage er doch die Originalunterschrift des Präsidenten des Plenums des Ausschusses und sei auf einen Beschluss des Plenums des Ausschusses zurückzuführen. Das Verwaltungsgericht gehe somit von einem zumindest formal rechtmäßigen Zustandekommen der Bestellung des Revisionswerbers zum Verfahrenshelfer für den Mitbeteiligten im genannten Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien aus.
Soweit der Revisionswerber sich in seiner Vorstellung darauf gestützt habe, dass er im Sinne des § 45 Abs. 4 RAO nicht bestellt werden hätte dürfen, liege nach der näher begründeten Ansicht des Verwaltungsgerichtes keiner der taxativen Gründe des § 45 Abs. 4 RAO für eine Enthebung oder Umbestellung vor.
Die Bedenken des Revisionswerbers in Richtung einer mangelnden Determiniertheit des § 46 RAO teile das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf näher zitierte Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht. Auch betreffend § 45 RAO bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Das Vorbringen des Revisionswerbers, die gegenständliche Verfahrenshilfe stelle für ihn eine unverhältnismäßige Belastung dar, könne nicht Gegenstand des Bestellungsverfahrens sein, sondern müsste vielmehr im Rahmen des Verfahrens über die Vergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO releviert werden.
Soweit sich der Revisionswerber gegen das grundsätzliche System der Verfahrenshilfe wende, sei er darauf zu verweisen, dass im Beschwerdeverfahren nach Art. 132 Abs. 1 Z 1 B VG lediglich eine Verletzung der beschwerdeführenden Partei in subjektiv-öffentlichen Rechten behandelt werden könne. Das System der Verfahrenshilfe durch Rechtsanwälte, das in Österreich durch die RAO geregelt werde, könne demnach in seiner Gänze nicht Gegenstand des vom Verwaltungsgericht abzuführenden Verfahrens sein.
Zum vorgebrachten „Verstoß gegen Dienstleistungsrichtlinie“ (konkret Art. 15 Abs. 2 lit. h der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt) führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber als Verfahrenshelfer keine anderen Dienstleistungen erbringe als jene, zu welchen er als Rechtsanwalt verpflichtet sei. Eine Spezialisierung auf einzelne Rechtsgebiete sei im Rechtsanwaltsberuf nicht vorgesehen.
Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers sei weiters das Bundesvergabegesetz auf das System der Verfahrenshilfe aus näher dargestellten Gründen nicht anzuwenden, sodass es nicht zutreffe, dass eine Verfahrenshilfe ohne Vergabeverfahren rechtswidrig sei.
Schließlich gingen auch die Bedenken des Revisionswerbers zu formalen Aspekten ins Leere, da der angefochtene Bescheid vom 6. April 2021 hinsichtlich seiner Begründung allen Kriterien, die für Inhalt und Form der Bescheide sowie deren Begründung im AVG normiert seien, entspreche.
Im Ergebnis sei daher davon auszugehen, dass die Bestellung des Revisionswerbers durch den angefochtenen Bescheid vom 6. April 2021 zu Recht erfolgt sei.
9 1.3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zu ihrer Zulässigkeit stützt sie sich zunächst darauf, dass näher dargestellte unionsrechtliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Dienstleistungsrichtlinie, vorlägen, auf welche das Verwaltungsgericht überhaupt nicht eingegangen sei. Weiters sei das Verwaltungsgericht von jeweils näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen eines Mandatsbescheides nach § 57 AVG, zu den Anforderungen an eine wirksame Bescheiderlassung (dokumentierte Willensbildung und ordnungsgemäße Ausfertigung) sowie zur Zuständigkeit bei remonstrativen Rechtsmitteln abgewichen.
10 1.4. Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstatteten der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht sowie die Bundesministerin für Justiz jeweils eine Revisionsbeantwortung. Der Revisionswerber brachte dazu eine Stellungnahme ein.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 2. Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zuständigkeit der Vorstellungsbehörde abgewichen ist. Sie ist daher im Ergebnis auch begründet.
12 3. Die Rechtsanwaltsordnung (RAO) lautet auszugsweise:
„ § 23. (1) Der Wirkungsbereich der Rechtsanwaltskammer erstreckt sich auf das Bundesland, für das sie errichtet wurde, sowie auf alle Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, die in die Listen dieser Rechtsanwaltskammer eingetragen sind. Die Rechtsanwaltskammer besorgt ihre Geschäfte teils unmittelbar in Plenarversammlungen teils mittelbar durch ihren Ausschuss.
...
(9) Sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, sind die aufgrund dieses Gesetzes ergehenden Bescheide mittels Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Landes anfechtbar.
...
§ 26. ...
(2) Besteht der Ausschuss aus mindestens zehn Mitgliedern, so sind die in § 28 Abs. 1 lit. b, d, f, g, h, i und m aufgezählten Aufgaben, ferner die Aufsicht über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, die Beschlussfassung nach § 16 Abs. 5 sowie die Zuerkennung von Leistungen aus der Versorgungseinrichtung für den Ausschuss durch eine seiner Abteilungen zu erledigen, soweit dies ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens möglich ist. Die Abteilungen setzen sich aus zumindest drei Mitgliedern des Ausschusses zusammen; ferner sind jeweils zumindest zwei Mitglieder des Ausschusses als Ersatzmitglieder vorzusehen. Der Ausschuss hat die Abteilungen zusammenzusetzen und die Geschäfte unter die Abteilungen zu verteilen.
...
(4) Der Ausschuss und die Abteilungen entscheiden mit einfacher Mehrheit. Der Vorsitzende hat nur bei Stimmengleichheit ein Stimmrecht. Zur Beschlussfassung des Ausschusses und der Abteilungen ist jeweils die Anwesenheit von mindestens der Hälfte ihrer Mitglieder erforderlich. Für alle Entscheidungen im Zusammenhang mit den dem Ausschuss nach § 28 Abs. 1 lit. a zukommenden Aufgaben mit Ausnahme der Entscheidung über die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte oder deren Verweigerung sowie die Verweigerung der Eintragung oder die Streichung einer Gesellschaft, zur Ausstellung von Beglaubigungsurkunden für Kanzleibeamte (§ 28 Abs. 1 lit. b), zur Einbringung der Jahresbeiträge (§ 28 Abs. 1 lit. d), sowie, wenn eine sofortige Beschlussfassung erforderlich ist, zur Bestellung von Rechtsanwälten nach § 28 Abs. 1 lit. h und nach den §§ 45 oder 45a ist das vom Ausschuss oder der Abteilung dazu bestimmte Mitglied namens des Ausschusses oder der Abteilung berufen. Wird nach der Geschäftsordnung der Kammer bei der Bestellung von Rechtsanwälten nach den §§ 45 oder 45a das in alphabetischer Reihenfolge nächste Kammermitglied aus dem Kreis der Rechtsanwälte herangezogen, so kann der betreffende Beschluss ohne gesonderte Beschlussfassung vom Kammeramt im Namen des Ausschusses oder der Abteilung ausgefertigt werden.
(5) Gegen den von einer Abteilung für den Ausschuss gefassten Beschluss kann binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses Vorstellung an den Ausschuss erhoben werden.
...
§ 28. (1) Zu dem Wirkungskreise des Ausschusses gehören: ...
i) die Bestellung eines Rechtsanwalts nach den §§ 45 oder 45a und die Entscheidung über Ansprüche nach § 16 Abs. 4;
...
§ 45. (1) Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen oder schließt die Bewilligung der Verfahrenshilfe eine solche Beigebung ein, so hat die Partei Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwalts durch die Rechtsanwaltskammer.
...“
13 Die zum Zeitpunkt der Erlassung der verfahrensgegenständlichen Bescheide in Geltung gestandene Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuss 2020 (GeO 2020) lautete auszugsweise:
„ Geschäftsführung des Ausschusses
§ 18 (1) Der Ausschuss fasst seine Beschlüsse im Plenum oder in Abteilungen; er kann bestimmte Angelegenheiten einem Referenten oder einem Angestellten der Rechtsanwaltskammer zur Erledigung übertragen. ...
...
§ 21 (1) Beschlüsse des Ausschusses im Plenum und in den Abteilungen, die in Form von Bescheiden ergehen, sind mit einer Begründung und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.
(2) Parteien (§ 8 AVG), die sich durch den Bescheid einer Abteilung beschwert erachten, können binnen 14 Tagen nach Zustellung des Bescheides Vorstellung an den Ausschuss erheben.
...
§ 22 Dem Plenum bleiben alle Angelegenheiten vorbehalten, die nicht gemäß § 23 von der Abteilung zu entscheiden sind, insbesondere ...
(d) die Beschlussfassung in allen Angelegenheiten, in denen Vorstellung erhoben wurde.
...
§ 23 Folgende Aufgabenbereiche sind in Abteilungen zu entscheiden bzw. zu erledigen: ...
(e) die Bestellung eines Rechtsanwaltes nach den §§ 45 und 45 a RAO und die Entscheidung über Vergütungsansprüche gem § 16 Abs 4 RAO (§ 28 Abs 1 lit i RAO) und § 16 Abs 5 RAO (§ 26 Abs 2 RAO)
...
§ 23a Zur Bestellung von Rechtsanwälten nach den §§ 45 oder 45 a RAO ist in Fällen, in denen eine sofortige Bestellung erforderlich ist, das von der Abteilung hiezu bestimmte Mitglied derselben berufen.
...
Bestellung von Rechtsanwälten zur Verfahrenshilfe und Amtsverteidigung
§ 44 (1) Der Ausschuss hat im Falle der Bewilligung der Verfahrenshilfe, die die Beigebung eines Rechtsanwaltes in den im Gesetze vorgesehenen Fällen einschließt, sowie im Falle der Bewilligung der Amtsverteidigung in den im Gesetze vorgesehenen Fällen, einen Rechtsanwalt zu bestellen.
...
§ 45 (1) Die Bestellung von Rechtsanwälten zur Verfahrenshilfe oder Amtsverteidigung im Sinne des § 44 hat innerhalb der im Kammersprengel ansässigen Rechtsanwälte in alphabetischer Reihenfolge zu erfolgen. Dabei werden drei getrennte Listen (Turnusläufe) geführt für Bestellungen für Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, für Strafsachen sowie für Zivilsachen einschließlich Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofbeschwerden.
...
§ 49 ...
(2) Rechtsanwälte, die das Pensionsantrittsalter erreicht und in das System Versorgungseinrichtung, Teil A ALT optiert haben, sowie jene, die von einer Leistung des Beitrags zur Versorgungseinrichtung Teil A aufgrund Erreichens des Rentenantrittsalters über ihren Antrag befreit sind, sowie Rechtsanwälte, die aufgrund der Verordnung 883/2004 nicht der Sozialversicherungspflicht in Österreich unterliegen, sind von der Bestellung als Vertreter in Verfahrenshilfe- oder Amtsverteidigungssachen befreit.
...
14 § 18 AVG lautet auszugsweise:
„ Erledigungen
§ 18. (1) …
(3) Schriftliche Erledigungen sind vom Genehmigungsberechtigten mit seiner Unterschrift zu genehmigen; wurde die Erledigung elektronisch erstellt, kann an die Stelle dieser Unterschrift ein Verfahren zum Nachweis der Identität (§ 2 Z 1 E-GovG) des Genehmigenden und der Authentizität (§ 2 Z 5 E-GovG) der Erledigung treten.
(4) Jede schriftliche Ausfertigung hat die Bezeichnung der Behörde, das Datum der Genehmigung und den Namen des Genehmigenden zu enthalten. Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten müssen mit einer Amtssignatur (§ 19 E-GovG) versehen sein; Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke brauchen keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen. Sonstige Ausfertigungen haben die Unterschrift des Genehmigenden zu enthalten; an die Stelle dieser Unterschrift kann die Beglaubigung der Kanzlei treten, dass die Ausfertigung mit der Erledigung übereinstimmt und die Erledigung gemäß Abs. 3 genehmigt worden ist. Das Nähere über die Beglaubigung wird durch Verordnung geregelt.
…“
15 Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: DienstleistungsRL) lautet auszugsweise:
„ Artikel 2 - Anwendungsbereich
(1) Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.
…
Artikel 4 - Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
1. ‚Dienstleistung‘ jede von Artikel 50 des Vertrags erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird;
…“
4.1. Zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie
16 4.1.1. Der Revisionswerber stützt seine Revision zunächst darauf, dass die seine Bestellung zum Verfahrenshelfer tragenden Bestimmungen wegen Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht unangewendet zu bleiben hätten. Bei diesen Bestimmungen handle es sich um Art. 15 Abs. 2 lit. h iVm Abs. 3 DienstleistungsRL, also die nicht gerechtfertigte Verpflichtung des Dienstleistungserbringers, zusammen mit seiner Dienstleistung bestimmte andere Dienstleistungen zu erbringen, sowie Art. 15 Abs. 2 lit. g iVm Abs. 3 DienstleistungsRL, also die nicht gerechtfertigte Verpflichtung der Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer. Weiters verstoße § 49 Abs. 2 GeO 2020 gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach Art. 15 und 21 GRC, wobei das „durch die Dienstleistungsrichtlinie geregelte Standesrecht“ in den Anwendungsbereich des Unionsrechtes falle. Durch die daher erforderliche Nichtanwendung des § 49 Abs. 2 GeO 2020 wäre nicht der Revisionswerber, sondern aufgrund der gebotenen Berücksichtigung der vermeintlich befreiten Rechtsanwälte in der alphabetischen Reihung eine andere Person in der gegenständlichen Sache zum Verfahrenshelfer zu bestellen gewesen.
17 4.1.2. Diesem Vorbringen steht jedoch bereits entgegen, dass die Bestellung zum Verfahrenshelfer nach § 45 RAO nicht in den Anwendungsbereich der DienstleistungsRL fällt:
18 Nach Art. 2 Abs. 1 DienstleistungsRL gilt diese Richtlinie für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden, wobei „Dienstleistung“ gemäß der Begriffsbestimmung des Art. 4 Nr. 1 DienstleistungsRL jede von Art. 50 des Vertrags (nunmehr Art. 57 AEUV) erfasste selbstständige Tätigkeit ist, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird.
19 Dieser Dienstleistungsbegriff bezieht sich nur auf wirtschaftliche Sachverhalte, also Tätigkeiten, die Teil des Wirtschaftslebens sind. Dazu hat der EuGH ausgesprochen, dass etwa der Unterricht an einer Fachschule, der innerhalb des nationalen Bildungswesens zum Sekundarunterricht gehört, nicht als Dienstleistung im Sinne des (damaligen) Art. 60 EWG-Vertrag zu qualifizieren ist. Darunter fallen nämlich nur „Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden“. Das Wesensmerkmal des Entgelts, nämlich dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellt, fehlt bei einem im Rahmen des nationalen Bildungssystems erteilten Unterricht, denn zum einen will der Staat durch die Errichtung und Erhaltung eines solchen Systems keine gewinnbringende Tätigkeit aufnehmen, sondern erfüllt dadurch auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet seine Aufgabe gegenüber seinen Bürgern, und zum andern wird dieses System in der Regel aus dem Staatshaushalt und nicht von den Schülern oder ihren Eltern finanziert (EuGH 27.9.1988, 263/86, Humbel und Edel , Slg. 1988, 5365). Diese Erwägungen gelten auch für den Unterricht an einer Hochschule, die im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Demgegenüber ist Unterricht an Bildungseinrichtungen, die im Wesentlichen aus privaten Mitteln, insbesondere durch die Studenten oder deren Eltern, finanziert werden, als Dienstleistung in diesem Sinne einzustufen, da das von diesen Einrichtungen verfolgte Ziel darin besteht, eine Leistung gegen Entgelt anzubieten (EuGH 7.12.1993, C-109/92, Wirth , Slg. 1993, I-6447, EuGH 20.5.2010, C 56/09, Zanotti , Slg. 2010, I-04517).
20 In Übertragung dieser Erwägungen ist auch das Institut der Verfahrenshilfe keine Dienstleistung im Sinne des Art. 57 AEUV: Sie wird nämlich im Wesentlichen aus staatlichen Mitteln finanziert (für die Beigebung der Rechtsanwälte vgl. § 47 RAO) und in Erfüllung grundrechtlicher und internationaler Verpflichtungen des Staates (etwa Art 6, insb. Abs. 3 lit. c EMRK, Art. 47 Abs. 3 GRC) als Element des wirksamen Rechtsschutzes und nicht zur Gewinnerzielung gewährt (vgl. zum Zweck der Regelungen über die Beigebung und Bestellung von Verfahrenshelfern VwGH 20.12.2016, Ro 2015/03/0037, Rn 9, mwN). Auch der einzelne Rechtsanwalt, der nach § 45 RAO zum Verfahrenshelfer bestellt wird, nimmt durch die auf eine gesetzliche Verpflichtung und diesen hoheitlichen Akt gegründete Heranziehung zur Leistung der Verfahrenshilfe nicht am Wirtschaftsleben teil. Vielmehr wird er aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Pflichtenverhältnisses im Rahmen der Mitwirkung der Rechtsanwaltschaft an der Rechtspflege tätig (vgl. dazu etwa VwGH 4.11.2002, 2000/10/0050, weiters VwGH 17.12.2009, 2009/06/0144, 0156, 0157, und 19.12.2022, Ro 2022/03/0059, je mwN).
21 Entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers ergibt sich auch nicht aus dem Wortlaut der DienstleistungsRL (konkret deren Art. 12) und der Rechtsprechung des EuGH (nämlich EuGH 20.4.2023, C-348/22, Comune di Ginosa ), dass eine derartige „öffentlichrechtliche Bestellung von Dienstleistungsanbietern“ gerade Regelungsinhalt der DienstleistungsRL wäre. Diese Bestimmung und die darauf bezogene Judikatur behandeln vielmehr die Auswahl zwischen mehreren Bewerbern bei einer Begrenzung der Zahl der für eine bestimmte Dienstleistungstätigkeit verfügbaren Genehmigungen aufgrund der Knappheit der natürlichen Ressourcen oder der verfügbaren technischen Kapazitäten, also die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen.
22 4.1.3. Damit liegt die Heranziehung von Rechtsanwälten zur Verfahrenshilfe nach § 45 RAO nicht im Anwendungsbereich der DienstleistungsRL. Auf die unionsrechtlichen Ausführungen des Revisionswerbers ist daher nicht weiter einzugehen. Mangels Durchführung von Unionsrecht ist auch der Anwendungsbereich der GRC nicht eröffnet (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRC). Die vom Revisionswerber angeregte Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH ist im Hinblick auf die zitierte einschlägige Judikatur dieses Gerichtshofes nicht erforderlich.
4.2. Zur Wirksamkeit des Bescheides der Abteilung als Voraussetzung für die Zuständigkeit des Plenums des Ausschusses
23 4.2.1. Jedoch zeigt der Revisionswerber zutreffend auf, dass das Verwaltungsgericht mit seiner Ansicht, auf die Frage der wirksamen Erlassung des Bescheides der Abteilung des Ausschusses vom 1. März 2021 komme es nicht an, weil Gegenstand des Beschwerdeverfahrens allein der Bescheid des Plenums des Ausschusses vom 6. April 2021 sei, im Ergebnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (auch zu vergleichbaren Bestimmungen des Studienförderungsgesetzes 1992 StudFG) abgewichen ist.
24 4.2.2. Die Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Verfahrenshelfer nach § 45 RAO gehört nach § 28 Abs. 1 lit. i RAO zum Wirkungskreis des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer. Nach § 26 Abs. 2 RAO ist u.a. diese Aufgabe im Falle eines Ausschusses, der aus mindestens zehn Mitgliedern besteht, für den Ausschuss durch eine seiner Abteilungen zu erledigen, soweit dies ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens möglich ist. Gegen den von einer Abteilung für den Ausschuss gefassten Beschluss kann nach § 26 Abs. 5 RAO binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses Vorstellung an den Ausschuss (also das Plenum des Ausschusses) erhoben werden. Gegen dessen Bescheide ist wiederum nach § 23 Abs. 9 RAO eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Landes möglich.
25 Bei der in § 26 Abs. 5 RAO normierten Vorstellung handelt es sich um kein aufsteigendes Rechtsmittel. Sie dient vielmehr vergleichbar der Vorstellung gegen Mandatsbescheide nach § 57 AVG dazu, auf der Grundlage des unter Wahrung des Parteiengehörs ermittelten Sachverhalts bescheidmäßig neu zu entscheiden. Dabei ist im Vorstellungsbescheid grundsätzlich auszusprechen, ob die Entscheidung der Abteilung des Ausschusses aufrecht bleibt oder ob sie behoben (beseitigt) oder abgeändert wird. Prozessgegenstand des Verfahrens über die Vorstellung ist somit der Bescheid der Abteilung des Ausschusses; dieser ist in jeder Richtung auf seine Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen (VwGH 27.1.2016, Ro 2015/03/0044, 10.10.2018, Ra 2017/03/0061 bis 0062, 2.9.2019, Ra 2019/03/0102, und 13.12.2021, Ra 2021/03/0119; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit VfGH 10.3.2020, G 151/2019, VfSlg. 20377).
26 Die nach früherer Rechtslage als aufsteigendes Rechtsmittel (von der Abteilung an den Ausschuss) begriffene Vorstellung nach § 26 Abs. 5 RAO wurde im Zuge der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz Justiz, BGBl. I Nr. 190/2013, zu einem remonstrativen Rechtsmittel umgestaltet, indem die Abteilung ihre Entscheidung nunmehr ausdrücklich „für den Ausschuss“ trifft und weiters eine derart vorgeschaltete Entscheidung der Abteilung nur mehr für jene Fälle vorgesehen ist, die ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erfolgen können (vgl. dazu erneut eingehend VfGH 10.3.2020, G 151/2019, VfSlg. 20377).
27 Weil damit sowohl die Entscheidung der Abteilung als auch jene des Plenums für das selbe Organ des Selbstverwaltungskörpers den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer getroffen werden, handelt es sich bei der Vorstellung nach § 26 Abs. 5 RAO um ein modifiziertes remonstratives Rechtsmittel, über das zwar formell dieselbe Behörde, jedoch nach verschiedenen Regeln über die Willensbildung (konkret: die Zusammensetzung des Kollegialorgans in Form entweder einer Abteilung oder des Plenums) zu entscheiden hat. Damit gleicht sie in den wesentlichen Gesichtspunkten der Vorstellung nach § 42 StudFG, mit der innerhalb der Studienbeihilfenbehörde der Bescheid einer Stipendienstelle bei einem Senat der Studienbeihilfenbehörde bekämpft werden kann (vgl. dazu VwGH 14.9.1994, 94/12/0081, und 25.6.2019, Ro 2018/10/0028).
28 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Kollegialorgan auch dann als unzuständige Behörde anzusehen, wenn es nicht in der nach dem Gesetz vorgeschriebenen Besetzung entscheidet; das trifft dann zu, wenn entweder bei der Entscheidung nicht die vorgeschriebene Zahl von Mitgliedern mitgewirkt hat oder Personen daran beteiligt waren, die als Mitglieder (etwa wegen Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes) von der Mitwirkung ausgeschlossen waren oder bei denen es sich nicht um Mitglieder handelte (vgl. etwa VwGH 25.2.2004, 2002/03/0186, und 14.10.2011, 2011/09/0100, je mwN).
29 Insofern ist die Frage, ob in einer bestimmten Angelegenheit das Plenum des Ausschusses oder eine Abteilung für den Ausschuss zu entscheiden hat, weiterhin eine Frage der Zuständigkeit der Behörde. Damit ist auch die frühere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Abteilung und Ausschuss weiter maßgeblich.
30 4.2.3. Ausgehend davon, dass Prozessgegenstand des Verfahrens über die Vorstellung der Bescheid der Abteilung des Ausschusses ist, ist Voraussetzung für eine inhaltliche Entscheidung über eine Vorstellung das Vorliegen eines solchen Abteilungsbescheides (vgl. zur Unzulässigkeit einer Vorstellung, wenn die Abteilung nicht mit Bescheid entschieden hat, VwGH 15.10.1999, 96/19/0758). Ein Bescheid des Ausschusses, der inhaltlich über eine Vorstellung und damit die Sache abspricht, obwohl kein (wirksam erlassener) Bescheid einer Abteilung vorliegt, ist damit rechtswidrig (vgl. zur Rechtswidrigkeit einer meritorischen Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen einen nicht wirksam erlassenen Bescheid etwa VwGH 18.4.2023, Ra 2021/08/0043, mwN).
31 4.2.4. Entgegen der von der Bundesministerin für Justiz in ihrer Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht kann das Vorliegen eines wirksam erlassenen Abteilungsbescheides auch nicht deshalb dahinstehen, weil das Plenum des Ausschusses eine Sache auch (implizit) an sich ziehen könnte.
32 Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall das Plenum des Ausschusses ausdrücklich und unmissverständlich über die Vorstellung des Revisionswerbers entschieden und gerade keine originäre Entscheidung über die Bestellung zum Verfahrenshelfer getroffen hat, wäre ein An-Sich-Ziehen einer Abteilungssache durch das Plenum des Ausschusses nicht zulässig: Bei der Aufgabenverteilung zwischen Abteilung und Plenum des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer nach § 26 Abs. 2 RAO handelt es sich vielmehr um eine gesetzliche Zuständigkeitsvorschrift, die mangels dazu ermächtigender Bestimmungen nicht der Disposition der Behörde unterliegt.
33 4.2.5. Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Bestellung eines Rechtsanwaltes nach § 45 RAO durch den Ausschuss einer Rechtsanwaltskammer (anstelle der gebotenen Bestellung durch dessen Abteilung) aufgrund der Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Behörde rechtswidrig ist (vgl. VwGH 16.12.1987, 87/01/0087, und 14.10.1992, 92/01/0589; in diesem Sinne auch VfGH 24.6.1994, B 2066/92, VfSlg. 13812, außerdem entsprechend zur funktionellen Unzuständigkeit eines Senates der Studienbeihilfenbehörde zur Entscheidung „in erster Instanz“ VwGH 16.12.1998, 98/12/0240, und 25.6.2019, Ro 2018/10/0028).
34 4.2.6. Zusammengefasst ist ungeachtet des vom Verwaltungsgericht hervorgehobenen Umstandes, dass der Vorstellungsbescheid des Plenums des Ausschusses an die Stelle eines Abteilungsbescheides tritt und daher den alleinigen Prüfungsgegenstand im Beschwerdeverfahren bildet, das Vorliegen eines wirksam ergangenen Abteilungsbescheides nicht unerheblich. Wäre nämlich in der Sache zuvor kein wirksam erlassener Bescheid der Abteilung für den Ausschuss ergangen, so wäre die dennoch erfolgte meritorische Entscheidung des Ausschusses über die Vorstellung rechtswidrig und vom Verwaltungsgericht dahingehend abzuändern, dass die Vorstellung als unzulässig zurückgewiesen wird.
35 Mit seiner Ansicht, auf die wirksame Erlassung des Bescheides der Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 1. März 2021 komme es nicht an, hat das Verwaltungsgericht daher sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodass es schon aus diesem Grund aufzuheben ist.
36 4.2.7. Für das weitere Verfahren wird zu beachten sein, dass § 18 Abs. 3 und 4 AVG zwischen der Erledigung der Behörde, somit der Beurkundung ihres Willensaktes einerseits, und der Ausfertigung, d.h. der förmlichen Kundmachung dieses Willensaktes gegenüber den Parteien andererseits, unterscheiden. Von der Frage der Genehmigung einer Erledigung (der Willensbildung, verkörpert in der Urschrift) ist die Frage der Bekanntgabe der Erledigung durch die Übermittlung (Zustellung) der schriftlichen Ausfertigung der Erledigung zu unterscheiden. Die behördeninterne Genehmigung der Entscheidung wird in Abs. 3, die Ausfertigung dieser Entscheidung an die Partei in Abs. 4 des § 18 AVG geregelt (vgl. VwGH 30.6.2022, Ra 2019/07/0116, Rn. 30, mwN; vgl. weiters VwGH 23.2.2011, 2008/11/0054, zu § 230 Abs. 7 ÄrzteG 1998).
37 Zum Abteilungsbescheid vom 1. März 2021 hat das Verwaltungsgericht aufgrund seiner unzutreffenden Rechtsansicht keine ausreichenden Feststellungen getroffen: Der bloße Umstand, dass der Bescheid „automationsunterstützt erstellt“ worden sei, ist insofern mehrdeutig. In den vorgelegten Akten erliegt lediglich ein Ausdruck des Bescheidtextes. Die Feststellung, dass „der Bescheid“ keine Amtssignatur oder sonstige Unterfertigung seitens des Vorsitzenden der Abteilung des Ausschusses aufweise, bezieht sich offenbar darauf. Insgesamt fehlt es diesen Feststellungen an einer klaren Zuordnung zur internen Willensbildung einerseits und der schriftlichen Ausfertigung anderseits.
38 Betreffend die Willensbildung wird zu klären sein, ob eine Beschlussfassung durch die Mitglieder der Abteilung (§ 26 Abs. 4 erster bis dritter Satz RAO), eine Entscheidung durch ein von der Abteilung dazu bestimmtes Mitglied der Abteilung in deren Namen (§ 26 Abs. 4 vierter Satz RAO, § 23a GeO 2020) oder eine Ausfertigung des Beschlusses durch das Kammeramt im Namen der Abteilung ohne gesonderte Beschlussfassung (§ 26 Abs. 4 letzter Satz RAO) erfolgte und ob die dafür jeweils vorgesehenen Voraussetzungen vorgelegen sind.
39 Die davon zu unterscheidende Frage, ob die Ausfertigungen des Bescheides den Anforderungen des § 18 Abs. 4 AVG entsprechen, ist anhand geeigneter Feststellungen zu jenen Ausfertigungen zu beurteilen, die den Parteien (allenfalls durch das Zivilgericht, etwa nach § 73 Abs. 2 letzter Satz ZPO, § 85 Abs. 2 ZPO oder vergleichbaren Bestimmungen) zugestellt wurden.
40 4.2.8. Zur Frage der wirksamen Erlassung des Vorstellungsbescheides des Plenums vom 6. April 2021 und der Beschwerdevorentscheidung vom 22. Juni 2021 gelingt es der Revision hingegen nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufzuzeigen: Das Verwaltungsgericht hat auf Basis einer hinreichend deutlichen Beweiswürdigung festgestellt, dass diesen Entscheidungen jeweils ein Beschluss des Plenums des Ausschusses zu Grunde liegt, dass die Urschriften jeweils die Unterschrift des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Wien tragen und dass eine schriftliche Ausfertigung des Bescheides vom 6. April 2021 dem Revisionswerber postalisch zugestellt wurde. Mit dem Vorbringen, der Sachverhalt sei hinsichtlich der Willensbildung im Plenum ergänzungsbedürftig, bekämpft der Revisionswerber somit die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, ohne im konkreten Fall deren Unvertretbarkeit darzulegen.
4.3. Zum Außerkrafttreten eines Mandatsbescheides nach § 57 Abs. 3 AVG
41 4.3.1. Der Revisionswerber bringt in der Revision unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 57 AVG weiters vor, dass es sich bei einem Bescheid der Abteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer um einen Mandatsbescheid nach dieser Bestimmung handle. Weil über seine Vorstellung nicht binnen zwei Wochen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, sei der Abteilungsbescheid vom 1. März 2021 nach § 57 Abs. 3 AVG ex lege außer Kraft getreten, sodass dem Plenum des Ausschusses keine Zuständigkeit zur (inhaltlichen) Entscheidung über die Bestellung zum Verfahrenshelfer zugekommen sei.
42 4.3.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt dem in § 26 Abs. 5 RAO institutionalisierten, als „Vorstellung“ bezeichneten allgemeinen Rechtsmittel nicht jener Charakter zu, den die Vorstellung im Mandatsverfahren nach § 57 AVG, aufweist. Insbesondere mangelt es diesem Rechtsmittel an den Rechtswirkungen des § 57 Abs. 3 AVG, wonach die Behörde binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten hat, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt (VwGH 30.3.2004, 2002/06/0160). Daran hat sich weder durch die Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit etwas geändert, noch dadurch, dass seit der Neufassung des EGVG durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 das AVG auch im Verfahren des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer anzuwenden ist (vgl. zur Ablehnung der Anwendung des § 57 Abs. 3 AVG auf Abteilungsbescheide nach der RAO etwa VwGH 7.4.2022, Ra 2021/03/0151; dazu, dass die in § 26 Abs. 5 RAO gebrauchte Bezeichnung „Vorstellung“ begrifflich dahin verstanden werden muss, dass diese erst nach Erlassung der Verwaltungsverfahrensgesetze [1925] in der RAO vorgesehene Rechtsschutzeinrichtung inhaltlich nicht im Sinne von Bestimmungen des AVG interpretiert werden kann, VwGH 24.4.1995, 94/19/1110; schließlich zur vergleichbaren „Vorstellung“ nach § 42 StudFG VwGH 14.9.1994, 94/12/0081).
43 4.3.3. § 57 Abs. 3 AVG ist somit auf den Bescheid der Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 1. März 2021 nicht anzuwenden, sodass dieser Bescheid sofern er wirksam erlassen wurde nicht schon durch Zeitablauf außer Kraft getreten ist.
4.4. Weitere Erwägungen
44 4.4.1. Hingegen weist die Revision zutreffend auf eine Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes zum Beschwerdevorbringen hin, wonach nicht der Revisionswerber zum Verfahrenshelfer in der gegenständlichen Angelegenheit zu bestellen gewesen wäre, weil einer der ihm in der alphabetischen Reihenfolge (vgl. § 45 Abs. 1 GeO 2020) vorangehenden Rechtsanwälte „übergangen“ worden sei. Dem Erkenntnis ist (im Rahmen des Verfahrensgangs) lediglich das dazu erstattete Vorbringen der belangten Behörde zu entnehmen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Verwaltungsgericht dazu soweit es von einer wirksamen Erlassung des Abteilungsbescheides vom 1. März 2021 ausgeht konkrete Feststellungen zu treffen und diese rechtlich zu würdigen zu haben.
45 4.4.2. Weiters wird darauf hingewiesen, dass § 45 Abs. 1 RAO jener Partei des gerichtlichen Verfahrens, der vom Gericht Verfahrenshilfe gewährt wurde, einen Rechtsanspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwalts durch die Rechtsanwaltskammer einräumt. Sie ist somit nach § 8 AVG ebenso Partei des gegenständlichen Bestellungsverfahrens. Das Verwaltungsgericht wird daher dem fortgesetzten Beschwerdeverfahren auch den Mitbeteiligten beizuziehen haben.
5. Ergebnis
46 Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
47 Von der Durchführung der vom Revisionswerber beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ. Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC stehen dem schon deshalb nicht entgegen, weil die vorliegende Entscheidung nicht in einen ihrer Anwendungsbereiche fällt. Im Übrigen hat bereits das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt.
48 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Da ein Ersatz für Schriftsatzaufwand dann nicht in Betracht kommt, wenn wie hier ein Rechtsanwalt in eigener Sache einschreitet und damit nicht tatsächlich durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, war das Mehrbegehren abzuweisen (vgl. VwGH 20.12.2017, Ra 2017/03/0069, mwH und VwGH 22.10.2008, 2008/06/0088).
Wien, am 13. März 2024