Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der Landespolizeidirektion Oberösterreich gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 4. April 2022, LVwG 604213/5/SE, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: H in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 26. Jänner 2021 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, am 9. Dezember 2020 zu einer näher bezeichneten Tatzeit an einem näher genannten Tatort ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Kraftfahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 99 Abs. 1b in Verbindung mit § 5 Abs. 1 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 1b StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 800, (Ersatzfreiheitsstrafe 7 Tage) verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben wurde.
2 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) mit dem gegenständlich angefochtenen Erkenntnis statt, hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.
3 Das Verwaltungsgericht stellte zunächst fest, dass der Mitbeteiligte seit mindestens 14. August 2020 bis mindestens 9. Dezember 2020 eine Reihe von ärztlich verordneten Medikamenten, darunter Tramal Tropfen einnehme. Das polizeiamtsärztliche Gutachten vom 9. Dezember 2020 habe ergeben, dass der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt des Lenkens des gegenständlichen Fahrzeuges aufgrund einer Beeinträchtigung durch Übermüdung und Suchtgift nicht fahrfähig gewesen sei. Der toxikologische Befund eines forensisch toxikologischen Labors vom 23. Dezember 2021 sei durch die Aufnahme der Wirkstoffe Cocain, Tramadol und Gabapentin erklärbar. Das Verwaltungsgericht gab den Inhalt des entsprechenden Gutachtens dieses Labors wieder, dem zu entnehmen ist, dass es sich bei Tramadol um einen zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzten Wirkstoff aus der Reihe der Opioide handle, der im Präparat Tramal enthalten sei. Die nachgewiesene Konzentration dieses Wirkstoffs im Blut des Mitbeteiligten sei aus toxikologischer Sicht mit einer Aufnahme in therapeutischer Dosierung vereinbar und bei entsprechender Gewöhnung auch ohne wesentliche Ausfallserscheinungen tolerabel. Die Konzentration der Stoffwechselprodukte von Cocain habe sich in einem für die länger zurückliegende Cocain Aufnahme typischen Bereich befunden. Ebenso gab das Verwaltungsgericht den Inhalt des von ihm eingeholten amtsärztlichen Gutachtens vom 14. März 2022 wieder. Darin wird festgehalten, dass der Mitbeteiligte opioidhaltige Medikamente einnehme, welche die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen könnten. Mittels Blutanalyse sei der Konsum von Cocain nachgewiesen worden, wobei die Abbauprodukte von Cocain nicht von den Medikamenten stammen würden, die der Mitbeteiligte einnehmen müsse. Es bestehe der Verdacht auf einen chronischen Konsum von Cocain. Beim Mitbeteiligten liege somit ein Mischkonsum von opioidhaltigen Medikamenten und Cocain vor. Entsprechend der polizeiärztlichen Untersuchung sei der Führerscheinentzug aufgrund des Verdachts einer Substanzmittelbeeinträchtigung während des Lenkens eines Kraftfahrzeuges gerechtfertigt gewesen. Aus medizinischer Sicht könne jedoch rückwirkend nicht abschließend geklärt werden, ob es sich hierbei um eine singuläre Beeinflussung durch die opioidhaltigen Medikamente bzw. Cocain gehandelt habe oder ob diese Beeinträchtigung durch beide Substanzen hervorgerufen worden sei.
4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, es stehe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass sich der Mitbeteiligte zum Tatzeitpunkt in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befunden habe. Daher gelte es nicht als erwiesen, dass der objektive Tatbestand des § 5 Abs. 1 StVO erfüllt sei.
5 Mit der vorliegenden außerordentlichen Amtsrevision wird die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit begehrt; in eventu wird die Entscheidung in der Sache selbst und die vollinhaltliche Bestätigung des Straferkenntnisses beantragt. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Amtsrevisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision unter anderem vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob im Anhang IV.2. der Suchtgiftverordnung genannte Wirkstoffe wie das im Revisionsfall im Blut des Mitbeteiligten nachgewiesene Tramadol aus der Suchtgiftdefinition herausfallen würden, wenn sie in Medikamenten enthalten seien.
7 Die Revision erweist sich in Hinblick darauf als zulässig, sie ist auch berechtigt.
8 Nach § 5 Abs. 1 erster Satz StVO darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen, wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet.
9 Ein Grenzwert, bei dem jedenfalls eine zur Fahruntauglichkeit führende Beeinträchtigung durch Suchtgift anzunehmen ist (wie dies bei der Frage der Beeinträchtigung durch Alkohol der Fall ist), oder eine Ausnahme für Suchtgifte, bei denen keine Beeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO anzunehmen ist, wurde vom Gesetzgeber nicht festgelegt (vgl. VwGH 24.10.2022, Ra 2022/02/0164, mwN).
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann durch die klinische Untersuchung zwar die Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, festgestellt werden. Nach einer solchen Feststellung ist jedoch zwingend eine Blutabnahme vorzunehmen. Erst die Blutabnahme bringt demnach Gewissheit, ob der durch die klinische Untersuchung gewonnene Verdacht, die Beeinträchtigung sei auf eine Suchtgifteinnahme zurückzuführen, zutrifft. Die Bedeutung der klinischen Untersuchung liegt jedenfalls in der Feststellung, ob der Lenker fahrtüchtig ist (vgl. VwGH 25.1.2024, Ra 2024/02/0003, mwN).
11 Die Fahrtüchtigkeit des Mitbeteiligten wurde von der im Revisionsfall vorliegenden klinischen Untersuchung verneint.
12 Ob die Beeinträchtigung des Lenkers auf Alkohol oder Suchtgift zurückzuführen ist (spezifische Fahruntüchtigkeit gemäß § 5 Abs. 1 StVO) oder eine sonstige Fahruntüchtigkeit gemäß § 58 Abs. 1 StVO vorliegt (etwa wegen starker Übermüdung), ist abgesehen von den Fällen der Verweigerung anhand der Blutuntersuchung festzustellen (vgl. erneut VwGH 25.1.2024, Ra 2024/02/0003, mwN).
13 Im vorliegenden Revisionsfall steht fest, dass im Blut des Mitbeteiligten Stoffwechselprodukte von Cocain, Tramadol und Gabapentin nachgewiesen wurden, wobei es sich bei Tramadol um einen Wirkstoff aus der Reihe der Opioide handelt, dessen Konzentration im Blut des Mitbeteiligten auf die Einnahme eines ärztlich verordneten Medikamentes zurückzuführen ist.
14 Tramadol wird im Anhang IV der Suchtgiftverordnung als einer der Stoffe (IV.2.) aufgezählt, die gemäß § 1 Abs. 3 Suchtgiftverordnung in Verbindung mit § 2 Abs. 3 SMG Suchtgiften gleichgestellt werden.
15 Nach der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dabei für die Frage der Beeinträchtigung durch Suchtgift im Sinn des § 5 Abs. 1 StVO zum Zeitpunkt des Lenkens nicht von Relevanz, ob das Suchtgift etwa durch ärztliche Verschreibung oder ohne eine solche konsumiert wurde. Ausschlaggebend für den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 StVO ist vielmehr, ob die Fahrtüchtigkeit des Lenkers durch die Substanz beeinträchtigt war (vgl. VwGH 4.7.2022, Ra 2021/02/0247).
16 Das verkennt das Verwaltungsgericht, wenn es ausgehend von den Ausführungen im eingeholten amtsärztlichen Gutachten vom 14. März 2022, wonach rückwirkend nicht abschließend geklärt werden könne, ob die Suchtgiftbeeinträchtigung während des Lenkens auf eine singuläre Beeinflussung durch die opioidhaltigen Medikamente bzw. Cocain zurückzuführen oder durch beide Substanzen hervorgerufen worden sei, davon ausgeht, es sei zum Tatzeitpunkt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestanden, dass sich der Mitbeteiligte zum Tatzeitpunkt in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befunden habe. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes lässt sich aus dem eingeholten amtsärztlichen Gutachten vom 14. März 2022 vielmehr ableiten, dass sich der Mitbeteiligte zum Tatzeitpunkt jedenfalls in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befand und lediglich unklar ist, ob dieser Zustand zur Gänze auf den Konsum von Cocain oder Tramadol oder einen Mischkonsum zurückzuführen ist.
17 Indem das Verwaltungsgericht erkennbar annahm, dass das im Blut des Mitbeteiligten nachgewiesene Tramadol für das Vorliegen des objektiven Tatbildes des § 5 Abs. 1 StVO nicht relevant sei, weil es auf die Einnahme eines ärztlich verordneten Medikamentes zurückzuführen sei, wich es von der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Damit belastete es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 15. März 2024