JudikaturVwGH

Ra 2022/01/0236 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. Mai 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des M S in I, vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc, Mag. Sara Grilc, LL.M., und Mag. Matej Zenz, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 15. Dezember 2021, Zl. LVwG 2021/23/2526 6, betreffend Übertretung nach dem Versammlungsgesetz 1953 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 30. Juli 2021 wurde der Revisionswerber wegen des Vorwurfs, er habe es als Veranstalter einer näher genannten Versammlung am 1. Juli 2021 in Innsbruck unterlassen, diese Versammlung spätestens 48 Stunden vor der beabsichtigten Anhaltung der zuständigen Behörde schriftlich anzuzeigen, der Übertretung des § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) für schuldig erkannt; es wurde über ihn gemäß § 19 VersG eine Geldstrafe in der Höhe von € 70, (Ersatzfreiheitsstrafe: vier Tage und eine Stunde) verhängt.

2 Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht). Dieses beraumte mit Ladung vom 1. Oktober 2021 eine mündliche Verhandlung für den 21. Oktober 2021 sowie mit Ladung vom 18. November 2021 eine mündliche Verhandlung für den 14. Dezember 2021 an. Dem Revisionswerber wurde die Ladung für die erste Verhandlung am 18. Oktober 2021, die Ladung für die zweite Verhandlung am 6. Dezember 2021 zugestellt. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlungen am 21. Oktober 2021 bzw. 14. Dezember 2021 (jeweils in Abwesenheit des Revisionswerbers) wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde als unbegründet ab und setzte den vom Revisionswerber zu leistenden Beitrag zu den Verfahrenskosten mit € 14, fest. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

3 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 14. Juni 2022, E 263/2022 5, die Behandlung der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

4 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde keine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen:

5 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision führt der Revisionswerber u.a. ein Abweichen von der näher zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ins Treffen, wonach gemäß § 44 Abs. 6 VwGVG eine zweiwöchige Zeit zur Vorbereitung auf eine mündliche Verhandlung zu gewähren ist.

6 Damit erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

7 § 44 Abs. 6 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), lautet:

Verhandlung

§ 44. ...

(6) Die Parteien sind so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen.“

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur zu § 44 Abs. 6 VwGVG wiederholt ausgesprochen, dass dann, wenn die vorgesehene Mindestfrist von zwei Wochen zwischen Zustellung der Ladung und der Verhandlung nicht gewahrt wurde, das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit belastet, weil nicht gesagt werden kann, dass das Verwaltungsgericht bei Wahrung dieser Mindestfrist nicht zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gelangt wäre, weshalb sich dieser Verfahrensmangel als wesentlich erweist. Die zweiwöchige Vorbereitungszeit gilt jedenfalls für die erste Verhandlung (vgl. etwa VwGH 11.5.2018, Ra 2017/02/0169; 9.11.2022, Ra 2022/12/0107, jeweils mwN).

9 Aus der gesetzlichen Regelung (des § 44 Abs. 5 VwGVG), dass die Parteien auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung überhaupt verzichten können, ist der Schluss zu ziehen, dass eine Partei, der gegenüber die Frist des § 44 Abs. 6 VwGVG für den Zeitraum zwischen Ladung und mündlicher Verhandlung nicht eingehalten worden ist, ausdrücklich auf die Ausschöpfung dieser in § 44 Abs. 6 VwGVG vorgesehenen Vorbereitungszeit von zwei Wochen verzichten kann (vgl. VwGH 10.5.2021, Ra 2020/15/0071 bis 0072, mwN).

10 Im Revisionsfall ist unstrittig, dass bereits für die erste Verhandlung am 21. Oktober 2021 die vorgeschriebene Frist von zwei Wochen für die Ladung zur Verhandlung nicht eingehalten wurde. Demnach war auch für die zweite Verhandlung am 14. Dezember 2021 eine kürzere Vorbereitungszeit nicht zulässig, zumal der Revisionswerber auf die Ausschöpfung der zweiwöchigen Vorbereitungszeit auch nicht verzichtet hat (vgl. neuerlich VwGH Ra 2017/02/0169, ebenfalls betreffend zwei Verhandlungen, zu denen der Beschwerdeführer jeweils nicht erschienen ist).

11 Die Durchführung der gegenständlichen Verhandlungen am 21. Oktober 2021 bzw. am 14. Dezember 2021 erweist sich sohin wegen Nichteinhaltung der zweiwöchigen Frist des § 44 Abs. 6 VwGVG als rechtswidrig. Dies ist dem Unterbleiben einer Verhandlung gleichzuhalten. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK oder Art. 47 GRC erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. erneut VwGH Ra 2022/12/0107, mwN).

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren („Erhöhungsbeitrag [ERV]“ im Ausmaß von € 4,10 samt USt) findet im Gesetz keine Deckung und war daher abzuweisen (vgl. VwGH 26.1.2023, Ra 2022/01/0012).

Wien, am 4. Mai 2023

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