JudikaturVwGhRa 2021/22/0223

Ra 2021/22/0223 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. März 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Zettl, über die Revision des K B, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das am 27. Juli 2021 mündlich verkündete und mit 28. Juli 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW 151/082/1221/2021 18, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Dem Revisionswerber, einem im Jahr 1985 geborenen kosovarischen Staatsangehörigen, war auf Grund seines unter Berufung auf die am 23. April 2016 mit der tschechischen Staatsangehörigen L.G. geschlossene Ehe gestellten Antrages vom 24. Mai 2016 gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) am 23. Jänner 2017 eine Aufenthaltskarte ausgefolgt worden.

2 Mit Bescheid vom 9. Dezember 2020 nahm der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) dieses rechtskräftig abgeschlossene Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf (Spruchpunkt I). Unter einem wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 24. Mai 2016 abgewiesen (Spruchpunkt II), weil er nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. Die belangte Behörde stellte fest, dass es sich bei der mittlerweile am 19. März 2019 wieder geschiedenen Ehe des Revisionswerbers mit L.G. um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe.

3 Mit dem am 27. Juli 2021 mündlich verkündeten und mit 28. Juli 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers zu Spruchpunkt I als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt II mit der Maßgabe, dass der Antrag vom 24. Mai 2016 gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurückgewiesen und festgestellt werde, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Weiters sprach es aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.

4 Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Wesentlichen fest, der Revisionswerber sei bereits einmal verheiratet gewesen. Aus dieser Ehe, die am 18. März 2015 geschieden worden sei, entstammten zwei Töchter. Am 23. April 2016 habe der Revisionswerber die im Jahr 1977 geborene L.G. geheiratet, die bereits drei Kinder in die Ehe gebracht habe.

5 Der Revisionswerber habe L.G. im Jahr 2015 kennengelernt. Im Februar 2016 sei er bei ihr eingezogen. Einen Monat nach der Eheschließung habe der Revisionswerber den Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gestellt. Allerdings hätten die Eheleute vor und nach der Eheschließung kein gemeinsames Familien- und Eheleben geführt. Der Revisionswerber und L.G. hätten ihre Freizeit nicht zusammen gestaltet. Sie pflegten keine gemeinsamen Aktivitäten und hätten keine gemeinsamen Hobbies. Die von L.G. in die Ehe mitgebrachten Kinder hätten in der Freizeitgestaltung keine Rolle gespielt. Sie hätten keine Urlaube miteinander geplant und auch nicht gemacht. Nach Erhalt der Aufenthaltskarte sei der Revisionswerber häufig in den Kosovo gefahren. Die Töchter des Revisionswerbers seien nie zu Besuch gekommen. In der Ehewohnung habe auch J.H. (ein im Jahr 1982 geborener, ebenfalls tschechischer Staatsangehöriger), der Vater der beiden jüngeren Kinder von L.G., gewohnt. Im Frühjahr 2017 sei L.G. schwanger geworden, wobei daraufhin ein Schwangerschaftsabbruch erfolgt sei. Bereits am 7. November 2017 habe L.G. die Scheidung beantragt, die am 19. März 2019 erfolgt sei. Eine sinnvolle Verständigung der Eheleute in einer gemeinsamen Sprache sei nicht möglich gewesen, sodass ein auf Dauer gerichtetes Zusammenleben mit intensivem sprachlichem Austausch nicht naheliege.

6 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht auf die Aussagen des Revisionswerbers, der L.G. und der weiteren einvernommenen Zeugen. Das Verwaltungsgericht führte aus, dass die zielstrebige Absicht des Revisionswerbers erkennbar gewesen sei, einen raschen Zuzug nach Österreich zu erreichen, ohne eine Familiengemeinschaft vor Augen zu haben. Nach Ausstellung der Aufenthaltskarte sei eine Änderung des Verhaltens des Revisionswerbers gegenüber L.G. deutlich geworden. Er sei häufig in den Kosovo gefahren und habe schon bald die Wohngemeinschaft mit L.G. und J.H. endgültig beendet. Gleichzeitig habe er versucht, den Schein redlicher Absichten für die Eheschließung sowie eine Familienzusammenführung zu wahren und die Schuld am Scheitern der Ehe, wenige Monate nach Erhalt der Aufenthaltskarte, L.G. zuzuschieben.

7 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz , dass der Revisionswerber keine Absicht zum Führen eines Ehe- und Familienlebens mit L.G. gehabt hätte; dies unabhängig von den allenfalls anders gelagerten Hoffnungen und Vorstellungen von L.G., die aber für die Annahme einer Aufenthaltsehe gemäß § 30 NAG rechtlich nicht maßgeblich seien. Der Revisionswerber habe zu seinem Ehe- und Familienleben vor den ermittelnden fremdenpolizeilichen Beamten und der belangten Behörde unrichtige Angaben mit Irreführungsabsicht gemacht. Er habe sich bei seiner Antragstellung nicht auf die Ehe mit L.G., die er lediglich zum Zweck der Erlangung der Dokumentation eines Aufenthaltsrechts eingegangen sei, berufen dürfen. Es sei von Anfang an eine Aufenthaltsehe vorgelegen. Damit habe der Revisionswerber die ihm ausgestellte Aufenthaltskarte erschlichen, was die Wiederaufnahme des diesbezüglichen Verfahrens von Amts wegen ermöglicht habe. Ausgehend davon sei der Antrag gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurückzuweisen und dies mit der Feststellung zu verbinden gewesen, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 In Bezug auf die in der Zulässigkeitsbegründung der Revision bekämpfte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof schon generell klargestellt, dass diesbezüglich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Nach dieser Judikatur ist der Verwaltungsgerichtshof nämlich zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen, allerdings hat er insbesondere doch zu prüfen, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist, ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, und ob das Verwaltungsgericht dabei alle in Betracht kommenden (relevanten) Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. etwa VwGH 25.5.2023, Ra 2022/22/0035, Rn. 9, mwN).

12 Soweit der Revisionswerber aufwirft, dass die Ehe vor Ausstellung der Aufenthaltskarte am 23. Jänner 2017 durch Nachschau und Befragung von Wohnungsnachbarn an der Adresse der ehelichen Wohnung überprüft worden sei und daraufhin seitens der ermittelnden Polizeibeamten die Einschätzung einer aufrechten Ehe und Lebensgemeinschaft abgegeben worden sei, ist auszuführen, dass der klare Wortlaut des § 37 Abs. 4 NAG bei jedem begründeten Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe die zwingende Verständigung der Landespolizeidirektion durch die Niederlassungsbehörde vorsieht und diese Verpflichtung auch in einem Verfahren betreffend die Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG besteht (vgl. VwGH 22.9.2022, Ra 2022/22/0136, Rn. 9, mwN). Allerdings besteht keine Bindung des Verwaltungsgerichtes an eine nicht der Rechtskraft fähige Mitteilung der Landespolizeidirektion gemäß § 37 Abs. 4 NAG (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2018/22/0299, Rn. 8) und es steht der Umstand bereits zuvor vorhandener, aber trotz Ermittlungen vorläufig nicht bestätigter Verdachtsmomente einer späteren Wiederaufnahme wegen „Erschleichen“, gestützt auf neu hervorgekommene Tatsachen nicht entgegen (vgl. VwGH 14.10.2022, Ra 2018/22/0227, Pkt. 7.3., mwN).

13 Wenn der Revisionswerber weiter ins Treffen führt, dass L.G. von sich aus eine Abtreibung vorgenommen habe, ohne davon vorab den Revisionswerber in Kenntnis zu setzen, und dem Revisionswerber gegenüber vor und während der Ehe ein sehr eifersüchtiges Verhalten an den Tag gelegt habe, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht seine Beweiswürdigung auf eine Vielzahl von Aspekten gestützt und unter Bedachtnahme auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und der Ehefrau sowie auf Aussagen von weiteren Zeugen vorgenommen hat. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, inwiefern die geltend gemachten Umstände geeignet seien, die Annahme des Verwaltungsgerichtes, dass der Revisionswerber kein Ehe- und Familienleben mit L.G. geplant hätte, in Zweifel zu ziehen (vgl. dazu, dass es für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe nicht auf die Beweggründe des Ehepartners, sondern allein auf die Absicht des Fremden ankommt, VwGH 23.1.2020, Ra 2019/21/0384, Rn. 13).

14 Die Revision vermag es somit nicht, eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes aufzuzeigen.

15 Mit dem bloßen Vorbringen schließlich, der entscheidende Richter habe in der mündlichen Verhandlung „im ganz überwiegenden Ausmaß Fragen an den Revisionswerber und insbesondere an die seinerzeitige Ehegattin gestellt [...], welche für die Beurteilung des Sachverhaltes ohne jegliche Relevanz“ gewesen seien, und die Entscheidung samt vierseitiger Begründung bereits zwanzig Minuten nach Ende der mündlichen Verhandlung verkündet, legt die Revision nicht dar, dass der Richter an einer unvoreingenommenen Beurteilung des gegenständlichen Falles nach § 7 Abs. 1 Z 3 AVG iVm den §§ 6 und 17 VwGVG gehindert gewesen wäre. Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit in diesem Sinn vorliegt, ist nämlich maßgebend, ob eine am Verfahren beteiligte Person bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. VwGH 7.3.2023, Ra 2022/18/0284, Rn. 14, mwN); solche Zweifel an einer unvoreingenommenen Beurteilung sind nicht ersichtlich (vgl. etwa VwGH 6.3.2019, Ra 2018/08/0253, Rn. 8, zur Vorbereitung schriftlicher Entwürfe für eine rasche Entscheidungsfindung).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

17 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 4. März 2024

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