Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des Bundesministers für Inneres gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 1. März 2021, KLVwG 94/2/2021, betreffend Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Villach; mitbeteiligte Partei: W S), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 12. November 2020 wies der Bürgermeister der Stadt Villach den Antrag des Mitbeteiligten, eines chinesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ als unzulässig zurück. Die Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen dahin, dass dem Mitbeteiligten eine Daueraufenthaltskarte gemäß § 54a Niederlassungs und Aufenthaltsgesetz (NAG) ausgestellt worden sei und eine Zweckänderung von dem unmittelbar kraft Unionsrecht zukommenden Aufenthaltsrecht zu einem konstitutiven Aufenthaltstitel im NAG nicht vorgesehen sei. Ausgehend vom unmittelbar bestehenden unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht des Mitbeteiligten, dem gegenüber jedem nationalen Aufenthaltstitel Anwendungsvorrang zukomme, sei ein solcher Wechsel auch nicht zulässig.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten insofern Folge, als es den Bescheid vom 12. November 2020 „gemäß § 28 Abs. 3 VwGG“ unter Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides aufhob. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3 Das Gericht führte aus, dass die ausschließlich auf die Verlängerung oder Zweckänderung von Aufenthaltstiteln abstellenden §§ 24 bis 26 NAG nicht anzuwenden seien, wenn die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Anschluss an die Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts beantragt werde. Der Mitbeteiligte begehre auch nicht die Verlängerung seines bisherigen Aufenthaltstitels oder eine Zweckänderung, sondern spreche als Erstantrag den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ an. Sein Antrag sei so zu verstehen, dass anstelle der bisherigen Dokumentation nach § 54a NAG nunmehr ein davon nicht abgeleiteter Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ begehrt werde. Er beantrage somit die Erteilung eines Aufenthaltstitels unabhängig von der Dokumentation seines Aufenthaltsrechts, zumal sein Aufenthaltsrecht nicht untergegangen sei. Gemäß § 45 NAG könne ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ erteilt werden, wenn neben den zeitlichen Voraussetzungen auch die Voraussetzungen des 1. Teils des NAG vorlägen und die Integrationsvereinbarung erfüllt worden sei. Die Erteilungsvoraussetzungen seien bisher nicht geprüft worden. Somit seien notwendige Ermittlungen des Sachverhalts „im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGG“ unterlassen worden.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit u.a. geltend macht, das Verwaltungsgericht habe durch den angefochtenen Beschluss die Sache des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens insofern überschritten, als die Behörde den verfahrenseinleitenden Antrag des Mitbeteiligten als unzulässig zurückgewiesen habe. Allein die Frage, ob die von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen sei, sei Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht gewesen. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten habe sich nicht darauf beschränkt, zu prüfen, ob die Behörde zutreffend von einem unzulässigen Antrag nach dem NAG ausgegangen sei, sondern habe offenbar ausgehend von der grundsätzlichen Zulässigkeit des verfahrenseinleitenden Antrags im Hinblick auf das fortzusetzende inhaltliche Verfahren konkrete Ermittlungsaufträge an die Behörde erteilt.
5 Der Mitbeteiligte übermittelte eine Revisionsbeantwortung sowie weitere Schriftsätze.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Aufgrund des oben wiedergegebenen Zulässigkeitsvorbringens erweist sich die Amtsrevision als zulässig und berechtigt.
7 Wie von dieser zutreffend ausgeführt, hat das Landesverwaltungsgericht Kärnten in der vorliegenden Konstellation durch die Erlassung eines aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses, erkennbar nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, den Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verkannt.
8 Nach der genannten Bestimmung darf das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid nur dann aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn diese notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Vorliegend war Sache des Beschwerdeverfahrens jedoch nur die Frage der Rechtsmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags des Mitbeteiligten. Dass weitere sachverhaltsbezogene Ermittlungen zur Klärung der Zulässigkeit des verfahrenseinleitenden Antrags des Mitbeteiligten erforderlich wären, hat das Verwaltungsgericht nicht angenommen; dies ist auch nicht ersichtlich. Somit lagen gegenständlich die Voraussetzungen für einen aufhebenden und zurückverweisenden Beschluss nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor (vgl. VwGH 26.2.2015, Ro 2015/22/0003; 26.2.2015, Ra 2014/22/0152 und 0153). Soweit das Verwaltungsgericht infolge von rechtlichen Überlegungen von der Zulässigkeit des Antrags des Mitbeteiligten und der behördlichen Verpflichtung, über diesen Antrag nach Prüfung der in § 45 NAG normierten Erteilungsvoraussetzungen inhaltlich abzusprechen, ausgegangen ist, wäre der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG im Wege einer „negativen“ Sachentscheidung aufzuheben gewesen (vgl. etwa VwGH 14.11.2019, Ra 2018/22/0276, Rn. 16).
9 Mit der auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützten aufhebenden und zurückverweisenden Entscheidung belastete das Verwaltungsgericht den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 18. November 2021