Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des E P, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Juni 2021, L504 2242856 1/10E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines unbefristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der 1979 geborene Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, lebt seit 1999 in Österreich. Die in jenem Jahr geschlossene Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin wurde 2001 geschieden. Ihm wurden Aufenthaltstitel, zuletzt der unbefristete Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“, erteilt.
2 Der von 2003 an rund zehn Jahre dauernden Beziehung zu einer damals in Österreich aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen entstammt eine 2007 geborene Tochter, die sich derzeit mit ihrer Mutter in der Türkei befindet. In Österreich leben ein Bruder und eine Schwester des Revisionswerbers, weitere Verwandte sowie seine Freundin, eine österreichische Staatsbürgerin, mit der er sich seit 2015 in einer Beziehung befindet. In der Türkei wohnen die voneinander getrennt lebenden Eltern des Revisionswerbers, wobei dieser zu seiner Mutter gelegentlich telefonischen Kontakt hat.
3 Im Zuge seines Aufenthaltes im Bundesgebiet wurde der Revisionswerber zunächst mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. Dezember 2004 wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt. In weiterer Folge verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Februar 2007 wegen des teils versuchten Vergehens des gewerbsmäßigen Überlassens von Suchtgift nach § 27 Abs. 1 sechster Fall und Abs. 2 Z 2 erster Fall SMG und § 15 StGB eine bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten und mit rechtskräftigem Urteil vom 4. April 2012 wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB eine ebenfalls bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten.
4 Schließlich wurde der Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 21. September 2017 wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall StGB und des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Jahren verurteilt. Dem Schuldspruch lag unter anderem zugrunde, der Revisionswerber habe am 20. November 2016 gemeinsam mit zwei Mittätern einer anderen Person mit Gewalt eine Umhängetasche mit Bargeld in der Höhe von 1.470,-- € und ein Mobiltelefon mit Bereicherungsvorsatz weggenommen, wobei dem Opfer mit einem Messer jeweils im linken und rechten Oberschenkel eine Stichwunde zugefügt wurde. Darüber hinaus hätten sie diverse Dokumente des Opfers unterdrückt und es unmittelbar nach der Tat mit Gewalt und durch gefährliche Drohung zur Unterlassung der polizeilichen Anzeigeerstattung zu nötigen versucht. Mit Beschluss vom 26. April 2022 sprach das Landesgericht Korneuburg die bedingte Entlassung des Revisionswerbers aus der Haft mit 28. Juni 2022 aus.
5 Wegen dieser Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 22. April 2021 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot. Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei, räumte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die Ausreise ein und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG ab.
6 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber unter anderem nicht näher konkretisierte „schwerwiegende Probleme“ im Falle einer Rückkehr in die Türkei vor und stellte in diesem Zusammenhang einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung. Deshalb wies das BVwG mit Verfügung vom 28. Mai 2021 darauf hin, dass bei Vorliegen einer Rückkehrgefährdung nur in einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden könne. Nachdem das BVwG auch um Mitteilung, ob ein solcher Antrag gestellt werde, ersucht hatte, teilte der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 mit, von einer derartigen Antragstellung Abstand zu nehmen, weil die Schwierigkeiten, denen er im Falle einer Rückkehr ausgesetzt sein könnte, nicht von einer Intensität wären, die einen solchen Antrag rechtfertigen könnten.
7 Schließlich wies das BVwG die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. Juni 2021 als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11 In dieser Hinsicht tritt die Revision, die sich nicht gegen das Absehen von der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung wendet, nur der Interessenabwägung des BVwG entgegen.
12 Entgegen dem Revisionsvorbringen setzte sich das BVwG im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG durchaus mit der im Zuge des langjährigen Aufenthaltes erlangten Integration des Revisionswerbers auseinander, die es aber insofern vertretbar als relativiert erachtete, als der Revisionswerber nur mit Unterbrechungen erwerbstätig war und in den letzten Jahren vor seiner Inhaftnahme überwiegend Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezog. Das BVwG nahm überdies auf die persönlichen und familiären Bindungen des Revisionswerbers im Bundesgebiet ausreichend Bezug, wobei es auch auf den Umstand hinwies, dass der Revisionswerber mit seiner österreichischen Freundin vor seiner Inhaftnahme nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Angesichts der gravierenden Straffälligkeit des überdies einschlägig vorbestraften Revisionswerbers ist die Annahme des BVwG, dass sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nicht überwiege, insbesondere mit Rücksicht auf die erhebliche Aggression, Brutalität und die im Strafurteil hervorgehobene führende Beteiligung des Revisionswerbers bei der letzten Straftat jedenfalls vertretbar. Soweit der Revisionswerber geltend machte, dass nach seiner Entlassung aus der Haft seine derzeit in der Türkei lebende Tochter nach Österreich zurückkehren würde, um mit ihm zusammen im Bundesgebiet zu wohnen, so ist die Verunmöglichung ihres gemeinsamen Familienlebens in Österreich als Konsequenz der gegen ihn erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen der in Rede stehenden Art hinzunehmen. Dies gilt ebenso hinsichtlich einer Trennung des Revisionswerbers von seinen in Österreich lebenden Geschwistern, zu denen kein Abhängigkeitsverhältnis besteht, und von seiner österreichischen Freundin.
13 Dass die anhand sämtlicher für die Entscheidung maßgeblichen Umstände erfolgte Beurteilung der wechselseitigen Interessen durch das BVwG unvertretbar wäre, zeigt die Revision somit nicht auf (siehe dazu, dass insoweit für die Zulässigkeit einer Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG das Vertretbarkeitskalkül maßgeblich ist, etwa VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0192, Rn. 17 am Ende, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen schon wiederholt ausgesprochen, dass bei besonders schweren Verbrechen selbst eine vollkommene soziale Integration im Inland einem Einreiseverbot nicht entgegenstehe (vgl. etwa VwGH 5.4.2022, Ra 2022/14/0001, Rn. 23, mwN; siehe zu einem langjährigen Aufenthalt in Österreich und Straftaten im Zusammenhang mit Suchtmitteln VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, Rn. 13, mwN).
14 Soweit in der Revision ferner behauptet wird, dass der Revisionswerber (nicht näher angeführte) Beeinträchtigungen und Bedrohungen im Falle einer Abschiebung iSd § 50 FPG „vollkommen nachvollziehbar“ sowie „ausreichend vorgebracht und belegt“ habe, genügt der Hinweis, dass der Revisionswerber nach entsprechender Belehrung durch das BVwG (zur diesbezüglichen Verpflichtung vgl. etwa VwGH 11.5.2021, Ra 2020/21/0500, Rn. 13, mwN) im Beschwerdeverfahren ausdrücklich auf die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz mit der Begründung verzichtet hatte, die Intensität der befürchteten Schwierigkeiten im Falle einer Rückkehr würden einen solchen Antrag nicht rechtfertigen (vgl. Rn. 6). Von daher steht das Revisionsvorbringen im Widerspruch zum Vorbringen im bisherigen Verfahren, weshalb es insoweit nicht zielführend sein kann. Das BVwG ist aber zu Recht davon ausgegangen, dass weniger gravierende Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen sind (vgl. nochmals VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0192, Rn. 17).
15 Im Übrigen ist das Revisionsvorbringen, wonach die „Regelvermutung des § 5 AsylG“ entgegen den Ausführungen des BVwG nicht anwendbar sei, und die Behauptung, dass „der Antrag nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 berechtigt und begründet“ sei, mit dem vorliegenden Fall, in dem es um die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme geht, nicht in Bezug zu bringen.
16 Der Revision, in der die unbefristete Dauer des Einreiseverbotes nicht thematisiert wird, gelingt es somit nicht, im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 5. Juli 2022
Rückverweise