JudikaturVwGH

Ra 2021/21/0128 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. August 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des C H, vertreten durch Mag. Elfriede Huttegger, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Mildenburggasse 1/Top 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2021, G314 2238244 2/7E, betreffend Erlassung einer Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein 1966 geborener deutscher Staatsangehöriger, hat nach einem Voraufenthalt im Zeitraum 2006 bis 2009 seit Anfang Februar 2020 wieder einen dauernden Wohnsitz in Österreich. Seit seiner Rückkehr nach Österreich war der Revisionswerber an nur zwei Tagen (1./2. Dezember 2020) vollversichert erwerbstätig. Von 29. September 2020 bis 30. November 2020 und ab 7. Dezember 2020 war der Revisionswerber in Österreich als „Arbeit suchend“ beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkt; im November 2020 hatte er eine Betreuungsvereinbarung mit dem AMS abgeschlossen.

2 Am 7. Mai 2020 hatte der Revisionswerber einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer gestellt, den er am 11. Dezember 2020 wiederholte.

3 Das gemäß § 55 Abs. 3 NAG von der Niederlassungsbehörde befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) informierte den Revisionswerber mit Schreiben vom 20. November 2020 von der Einleitung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Es werde eine „Ausweisung eventuell in Verbindung mit einem Aufenthaltsverbot“ gegen den Revisionswerber erlassen, sofern die „oben angeführten“ allerdings nicht gesetzeskonform wiedergegebenen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 „und“ Z 2 NAG sowie des § 51 Abs. 2 [Z 2] NAG nicht nachgewiesen werden könnten. Unter einem wurde der Revisionswerber aufgefordert, konkrete Fragen zu seinen „Privat und Familienverhältnissen“ unter Vorlage entsprechender Belege binnen zwei Wochen zu beantworten.

4 Nach Ablauf dieser ungenützt gebliebenen Frist wurde der Revisionswerber mit Bescheid des BFA vom 21. Dezember 2020 gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG unter Erteilung eines einmonatigen Durchsetzungsaufschubs gemäß § 70 Abs. 3 FPG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

5 Die dagegen vom unvertretenen Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. Februar 2021 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

7 Die Revision erweist sich wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.

8 Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR Bürger dann ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG unter anderem wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen nach § 51 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.

9 Das BVwG hat im Rahmen der Prüfung, ob dem Revisionswerber ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, zunächst die Tatbestände der Z 1 und der Z 2 des § 51 Abs. 1 NAG berücksichtigt. Nach diesen Bestimmungen sind EWR Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate insbesondere dann berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer sind (Z 1 erster Fall) oder wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen (Z 2). Gemäß § 53 Abs. 2 NAG haben EWR Bürger im Verfahren zur Ausstellung einer Anmeldebescheinigung zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach § 51 Abs. 1 Z 1 erster Fall NAG eine Bestätigung des Arbeitgebers und zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz vorzulegen. Im Übrigen sind im § 51 Abs. 2 NAG näher umschriebene Fälle genannt, in denen dem EWR Bürger die „Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer“ im Sinne des Abs. 1 Z 1 auch dann erhalten bleibt, wenn er die Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, und zwar insbesondere gestaffelt nach der Beschäftigungszeit unter weiteren Voraussetzungen auch bei Zurverfügungstellung für das AMS.

10 Das BVwG verneinte ein Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers nach § 51 Abs. 1 Z 1 NAG deshalb, weil er in Österreich während seines aktuellen Inlandsaufenthalts unstrittig nur an zwei Tagen erwerbstätig war. Diese Beschäftigung sei nach der Meinung des BVwG als „völlig untergeordnete Tätigkeit“ anzusehen, sodass der Revisionswerber kein Arbeitnehmer sei und folglich die Voraussetzungen für ein drei Monate übersteigendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nicht erfülle. Die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung der Eigenschaft als Arbeitnehmer nach § 51 Abs. 2 Z 3 NAG die es mit dem Revisionswerber aber nicht erörtert hatte sah das BVwG deshalb nicht als erfüllt an, weil der Revisionswerber nicht nachgewiesen habe, dass er unfreiwillig arbeitslos sei. Auch ein allerdings vom Revisionswerber in der Beschwerde ohnehin nicht behauptetes Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG komme dem Revisionswerber mangels nachgewiesener ausreichender Existenzmittel nicht zu. Der Revisionswerber verfüge daher aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG über kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht. Er habe auch nicht nachgewiesen, dass er konkrete, begründete Aussicht darauf habe, zeitnah eingestellt zu werden. Die vom BFA erlassene Ausweisung sei daher nicht zu beanstanden.

11 Von der Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt, zu dem das BFA ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren geführt habe, schon aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. In der Beschwerde sei kein Sachverhalt behauptet worden, der dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehe oder darüber hinausgehe.

12 Gegen die wiedergegebene Beurteilung führt der Revisionswerber allerdings zu Recht ins Treffen, das BVwG sei insofern von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, als es das dem Revisionswerber aufgrund seiner ernsthaften und nachhaltigen, objektiv nicht aussichtslosen Arbeitssuche zukommende unionsrechtliche Aufenthaltsrecht unberücksichtigt gelassen habe.

13 Das BVwG hat nämlich das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausschließlich aus dem Blickwinkel der zweitägigen Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers beurteilt, aber übersehen, dass auch ein dem Revisionswerber als Arbeitssuchender zukommendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu prüfen gewesen wäre (siehe VwGH 28.6.2021, Ra 2021/22/0054, Rn. 26, mit zahlreichen Hinweisen auch auf die Judikatur des EuGH). Es kann nämlich schon das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln (vgl. VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0049, Rn. 11). Dem wird auch in § 66 Abs. 1 FPG mit der in den ersten Satz aufgenommenen Einschränkung („es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden“) Rechnung getragen (siehe zum Ganzen auch VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 12, mwN).

14 Vor diesem Hintergrund hätte das BVwG Feststellungen zu den konkreten Bemühungen des Revisionswerbers, eine Arbeitsstelle zu finden, treffen müssen (siehe dazu EuGH 17.12.2020, G.M.A., C-710/19, Rn. 46/47). Das BVwG ist zwar offenbar in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass vom Revisionswerber keine begründete Aussicht auf zeitnahe Einstellung nachgewiesen worden sei. Dabei handelt es sich aber um eine bloße Unterstellung, die im angefochtenen Erkenntnis, insbesondere im Rahmen der Beweiswürdigung, nicht nachvollziehbar begründet wurde. Vielmehr spricht die Registrierung des Revisionswerbers beim AMS als „Arbeit suchend“ und der Abschluss einer Betreuungsvereinbarung im Sinne von § 38c AMSG gegen eine solche Annahme, die sich somit als nicht tragfähig erweist.

15 Unter diesem Gesichtspunkt wäre auch die Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung geboten gewesen, weil diesbezüglich nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgegangen hätte werden dürfen. Eine solche Verhandlung hätte im Übrigen auch Gelegenheit gegeben, dem Revisionswerber zu dem vom BFA mit der Beschwerdevorlage erstatteten Vorbringen das bisher unterlassene Parteiengehör einzuräumen.

16 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb (vorrangig) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere, unter dem Gesichtspunkt des § 52 Abs. 1 Z 2 NAG und des § 52 Abs. 2 Z 3 NAG erstattete Revisionsvorbringen noch einzugehen war.

17 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

18 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. August 2024

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