JudikaturVwGH

Ra 2021/20/0469 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. Mai 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des A H in I, vertreten durch Mag. Emelie Durnes, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 6, gegen das am 20. Oktober 2021 mündlich verkündete und mit 5. November 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W246 2188102 1/86E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Hazara zugehörig, stellte am 14. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 26. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.).

3 Nach Beschwerdeerhebung wurde der Revisionswerber für von ihm begangene Straftaten mehrfach rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt.

4 Mit am 20. Oktober 2021 mündlich verkündetem und über Antrag des Revisionswerbers schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III., IV. und VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab. Hinsichtlich Spruchpunkt V. des Bescheides gab es der Beschwerde statt und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu treffen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Zur Zulässigkeit der Revision bringt der Revisionswerber vor, das Bundesverwaltungsgericht sei bei seiner Einschätzung, wonach das vom Revisionswerber begangene Verbrechen eine schwere Straftat im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie darstelle und somit der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 iVm § 8 Abs. 3a AsylG 2005 nicht zuzuerkennen sei, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) abgewichen. Es sei nicht ausschließlich auf das Strafmaß abzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte bei der Beurteilung der Schwere der fraglichen Straftat im Rahmen der Würdigung sämtliche Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Tatbegehung als junger Erwachsener sowie die Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Tat, berücksichtigen müssen.

9 Nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 hat ungeachtet dessen, dass die Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde, die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu unterbleiben, wenn ein Grund für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0222, mwN).

10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht allein darauf gestützt werden, dass der Revisionswerber wegen eines Verbrechens im Sinne des § 17 StGB (hier: schwere Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 und 4 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 6. November 2018, Ra 2018/18/0295, vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH vom 13. September 2018, Ahmed, C 369/17, näher dargelegt, dass bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 jedenfalls auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen ist, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Bei dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung zu berücksichtigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch betont, dass der Zweck dieses Ausschlussgrundes darin besteht, jene Personen, die als des subsidiären Schutzes unwürdig anzusehen sind, von diesem Status auszuschließen (vgl. VwGH 20.9.2022, Ra 2022/01/0129, mwN).

11 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner als nicht unvertretbar anzusehenden Begründung auf das Alter des Revisionswerbers bei der Tatbegehung Bedacht genommen. Der Revisionswerber zeigt mit seinem Vorbringen kein Abweichen von den Leitlinien der dargestellten Rechtsprechung auf. Soweit der Revisionswerber im Zusammenhang mit der Beurteilung seiner Straftaten auf das herabgesetzte Strafmaß (§ 5 Z 4 JGG) verweist, ist dem zu entgegnen, dass für die Einordnung von Jugendstraftaten als „Verbrechen“ oder „Vergehen“ nach § 5 Z 7 JGG nicht die geänderten, sondern die allgemeinen gesetzlichen Strafdrohungen maßgebend sind (vgl. dazu auch Höpfel in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 17 Rz 24).

12 Wenn der Revisionswerber weiters ins Treffen führt, die Einstufung des § 84 Abs. 2 StGB als Verbrechen ergebe sich ausschließlich aufgrund der Beamteneigenschaft des Opfers (Verletzung einer Polizeibeamtin), ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Beurteilung vorgenommen hat, bei der es die nach der Rechtsprechung maßgeblichen Umstände einbezogen hat und die wie erwähnt nicht als unvertretbar einzustufen ist.

13 Der Revisionswerber macht ferner in Bezug auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung allein geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe bei der dabei durchzuführenden Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK die Verfahrensdauer und die fehlende Bindung zum Herkunftsstaat außer Acht gelassen.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 7.11.2022, Ra 2021/20/0164, mwN).

15 Entgegen dem Revisionsvorbringen berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht die Verfahrensdauer. Dass dieser Umstand unvertretbar zu gering gewichtet worden wäre, vermag der Revisionswerber aber nicht darzulegen. Im Übrigen handelt es sich dabei nur um einen von mehreren Aspekten, der bei der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen ist (vgl. VwGH 31.1.2022, Ra 2021/20/0486, mwN). Ähnliches gilt für die Behauptung der fehlenden Bindungen zum Herkunftsstaat. Selbst bei Zugrundelegung dieses Vorbringens ist für den Revisionswerber damit aufgrund seiner mehrfachen Straffälligkeit nichts zu gewinnen.

16 Der Revisionswerber bringt ferner vor, das Bundesverwaltungsgericht hätte bei richtiger Würdigung der Beweise zu dem Schluss kommen müssen, dass dem Revisionswerber aufgrund zu befürchtender ungerechtfertigter Eingriffe von erheblicher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre der Status des Asylberechtigten zuerkannt hätte werden müssen.

17 Mit diesem kursorischen Vorbringen legt der Revisionswerber weder dar, welche Eingriffe ihm im Falle der Rückkehr konkret drohen würden, noch aufgrund welchen in der GFK genannten Konventionsgrundes er diese zu befürchten habe. Auch mit der bloßen Zitierung von Auszügen aus den Feststellungen und der Beweiswürdigung ohne sich in der Folge damit näher auseinanderzusetzen gelingt es dem Revisionswerber nicht, die Unvertretbarkeit der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes, der Revisionswerber habe weder wegen der Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit noch aufgrund seines Aufenthalts im Iran und Europa mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung zu befürchten, aufzuzeigen (vgl. VwGH 26.9.2022, Ra 2022/20/0120). Auch wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang eine Prognose hinsichtlich einer etwaigen Verfolgungsgefahr verlangt, bleibt er Erläuterungen dazu, aus welchen Gründen das Bundesverwaltungsgericht den zukünftigen Eintritt einer Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe im Zeitpunkt seiner Entscheidung als maßgeblich wahrscheinlich hätte ansehen müssen, schuldig (vgl. VwGH 13.10.2022, Ra 2022/20/0287, siehe dazu, dass die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen muss, jedoch die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht genügt, etwa VwGH 9.11.2022, Ra 2022/01/0152, mwN).

18 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Ermittlungspflicht von Amts wegen weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 7.3.2022, Ra 2022/14/0036, mwN). Eine derart grob fehlerhafte Beurteilung legt der Revisionswerber mit seiner pauschalen Behauptung eines Verstoßes des Bundesverwaltungsgerichts gegen den Grundsatz der Amtswegigkeit nicht dar.

19 Zu dem Einwand, das Bundesverwaltungsgericht hätte den Revisionswerber anleiten müssen, „weiteres“ Vorbringen zu erstatten, ist festzuhalten, dass sich die nach § 17 VwGVG auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geltende Manuduktionspflicht nach § 13a AVG auf Verfahrenshandlungen und deren Rechtsfolgen bezieht (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2019/20/0564, mwN). Die Manuduktionspflicht nach § 13a AVG verlangt keine Beratung der Verfahrensparteien in materiell rechtlicher Hinsicht durch das Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 2.9.2022, Ra 2021/14/0373, mwN). Der Revisionswerber zeigt sohin auch nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht gegen die ihm obliegende Manuduktionspflicht verstoßen hätte.

20 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 4. Mai 2023

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