JudikaturVwGH

Ra 2021/18/0391 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
01. Juni 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache der revisionswerbenden Partei R G, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juli 2021, W279 2189462 1/11E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 21. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid vom 27. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen fest.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

3 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass der Revisionswerber keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können und ihm keine Verfolgung durch die Taliban auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit drohe. Der Revisionswerber befinde sich seit Mai 2019 auf Grund seiner Drogenabhängigkeit in Substitutionstherapie, seit Mai 2021 sei eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert, deren Behandlung nicht festgestellt werden könne.

4 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2021, E 3089/2021, hob der Verfassungsgerichtshof die angefochtene Entscheidung in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte wegen Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf. Im Übrigen, das heißt hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, lehnte er die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich nur mehr gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten. Sie macht zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend, dass in Bezug auf die geänderten politischen Verhältnisse in Afghanistan seit der Machtübernahme durch die Taliban eine klarstellende und gesicherte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Risikoprofil eines Asylwerbers fehle, der schiitischer Hazara sei und dessen Eltern und Bruder im Kampf mit den Taliban getötet worden seien, der in Afghanistan weder über Familienangehörige noch ein sonstiges soziales Netzwerk verfüge und überdies an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung leide.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen. Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, entziehen sich demnach einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN).

11 Wenn die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Risikoprofil schiitischer Hazara seit der Machtübernahme durch die Taliban fehlt, die im August 2021 stattgefunden hat, so bezieht sie sich auf Geschehnisse, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses durch Zustellung an den Revisionswerber am 5. Juli 2021 noch nicht vorlagen.

Wenn sie argumentiert, schon am 5. Juli 2021 sei die Machtübernahme der Taliban zumindest absehbar gewesen, ist ihr zu erwidern, dass sie kein nachvollziehbares Vorbringen dazu erstattet, welche konkreten Anhaltspunkte dem BVwG zu diesem Zeitpunkt dafür vorlagen, dass die Taliban nach einer Machtübernahme im gesamten Land Personen mit dem Risikoprofil des Revisionswerbers (schiitischer Hazara, dessen Familienangehörige im Kampf gegen die Taliban getötet worden seien und der an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgen würden.

12 Soweit die Revision auf die unzureichende gesundheitliche Versorgung psychisch Kranker in Afghanistan abstellt, ist anzumerken, dass der Verfassungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis betreffend die Abweisung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgehoben hat (s. oben), womit den existenzbedrohenden Unsicherheiten der Lage in Afghanistan und dem zum Zeitpunkt der Entscheidung konkret abschätzbaren Entwicklungen hinreichend Rechnung getragen wurde (vgl. VwGH 2.5.2022, Ra 2022/18/0005).

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 1. Juni 2022

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