Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. I. Zehetner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2021, W231 2177972 2/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und FPG (mitbeteiligte Partei: A Q), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Februar 2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Dieser wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2019 (im Instanzenzug) rechtskräftig abgewiesen.
2 Am 10. Jänner 2020 stellte der Mitbeteiligte einen Folgeantrag, zu dem er im Wesentlichen ausführte, seine bisherigen Fluchtgründe seien weiterhin aufrecht, er habe mittlerweile aber gesundheitliche Probleme und müsse dauerhaft medizinisch behandelt werden.
3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 1. Oktober 2020 zur Gänze ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und bestimmte eine Frist für die freiwillige Ausreise.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung insbesondere die Feststellungen zugrunde, dass der Mitbeteiligte keine lebensbedrohende Erkrankung habe; er gebe an, an Depressionen zu leiden und entsprechende Medikamente zu benötigen, sei der Ladung zur psychiatrischen Untersuchung jedoch nicht nachgekommen. Medikamente und Therapien für Depressionserkrankungen seien in Afghanistan erhältlich und der Allgemeinheit zugänglich. Eine sichere Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Nangarhar sei aus derzeitiger Sicht nicht möglich, dem Mitbeteiligten stehe jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul und Mazar e Sharif zur Verfügung, wo es ausreichende medizinische Betreuungs und Behandlungsmöglichkeiten gebe. Der Mitbeteiligte weise keine gefahrenerhöhenden Umstände auf, die bei der Prüfung der subjektiven Zumutbarkeit der Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen gewesen wären. Er verfüge über Arbeitserfahrung, sei männlich, gesund und volljährig und habe Angehörige in Kabul. Er sei wirtschaftlich genügend abgesichert und könne grundsätzlich für seinen Unterhalt sorgen.
Beweiswürdigend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl soweit hier relevant wie folgt aus:
„[...] Da Sie Ihrer Mitwirkungspflicht in Ihrem Verfahren nicht nachgekommen sind, indem Sie der Ladung zu Ihrer psychiatrischen Begutachtung nicht folge geleistet haben, konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob Sie tatsächlich an Depressionen leiden und eine entsprechende Behandlung, samt Medikamenten, benötigen würden. Lediglich anhand Ihrer vorgelegten medizinischen Unterlagen [...] konnte das [Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl] ein amtsseitiges Ermittlungsverfahren führen.
Diesen wäre zu entnehmen, dass Ihnen eine medikamentöse Therapie mit Atarax und Xanor, sowie eine therapeutische Behandlung, empfohlen werden würde. Jene Medikamente sind in Afghanistan, in den Großstädten wie Kabul, Mazar e Sharif und auch Herat, in der Nähe von psychiatrischen Krankenhäusern, verfügbar. Diese sind teilweise rezeptpflichtig und zu erschwinglichen Preisen zu erhalten. Therapeutische Behandlungen können in allgemeinen, psychiatrischen Krankenhäusern oder auch privaten Einrichtungen, in den eben genannten Großstädten Afghanistans, in Anspruch genommen werden. Eine stationäre Aufnahme ist möglich, aber nicht zwingend notwendig. Für die Kosten der Behandlung und stationären Aufnahme, in den der Allgemeinheit zugänglichen Einrichtungen, kommt die allgemeine afghanische Gesundheitsversicherung auf. Die Kosten für Medikamente oder eine bessere Behandlung sind vom Patienten selbst zu finanzieren, ebenso, die Behandlung in privaten Kliniken. Für jene, möglicherweise, entstehenden Kosten, können Sie selbst aufkommen, indem Sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder um finanzielle Unterstützung, bei Ihrem Onkel mütterlicherseits oder den Ehemännern Ihrer beiden verheirateten Schwestern, anfragen. [...]
Da Sie dieser Ladung [zur psychiatrischen Untersuchung] offenkundig nicht nachgekommen sind, liegt die Vermutung nahe, dass Sie befürchten keine solche Diagnose, von einem amtsseitig bestellten und vertrauenswürdigen Psychiater, in Österreich, zu erhalten, da diese in Realität nicht besteht. Da es sich hierbei jedoch lediglich um eine Vermutung handelt, musste das Bundesamt in Ihrem individuellen Fall eine amtsseitige Ermittlung, zur Verfügbarkeit Ihrer verordneten Medikamente und zur Verfügbarkeit von Therapiemöglichkeiten bei Depressionen, in Afghanistan, führen.
Zusammengefasst, bestehen, sowohl Therapiemöglichkeiten, als auch der Zugang zu entsprechenden Medikamenten, bei depressiven Erkrankungen, in Afghanistan und stellen für Ihre individuelle Person kein Rückkehrhindernis in Ihren Herkunftsstaat dar, sollten Sie an einer solchen Erkrankung tatsächlich leiden. Aus diesem Grund ist Ihrem Asylfolgeantrag nicht stattzugeben [...].“
4 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 17. Februar 2021 behob das Bundesverwaltungsgericht diesen Bescheid in Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Erhebung einer Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass sich der angefochtene Bescheid in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft erweise, da keine aussagekräftigen, aktuellen Beweismittel zu einer allfälligen psychischen Erkrankung des Mitbeteiligten vorlägen, die eine aktuelle Diagnose, auch zu Ausmaß und Therapiebedürftigkeit einer allfälligen Erkrankung, erlauben würden. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne nicht, dass der Mitbeteiligte vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer psychiatrischen Untersuchung geladen worden, dort aber nicht erschienen sei, weil er damals mit der Ladung „überfordert“ gewesen sei. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht gemäß § 15 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sei zwar im Verfahren und bei der Entscheidungsfindung zu würdigen. Aus dem angefochtenen Bescheid ergebe sich jedoch nicht, dass die belangte Behörde dem Vorliegen irgendeiner Form einer psychischen Erkrankung beim Mitbeteiligten grundsätzlich die Glaubwürdigkeit versage; welche psychische Erkrankung vorliege, und in welchem Ausmaß, bzw. ob auch eine Therapiebedürftigkeit vorliege, sei jedoch nicht erhoben worden. Insgesamt sei die belangte Behörde nicht davon entbunden, den psychischen Gesundheitszustand des Mitbeteiligten zu ermitteln. Mangels eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde, insbesondere zum psychischen Gesundheitszustand, fehle dem Bundesverwaltungsgericht eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für die Lösung der Frage, „ob der [Mitbeteiligte] im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat der Gefahr einer Verfolgung oder Bedrohung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. der EMRK ausgesetzt“ sei.
Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht stelle sich als Mehrparteienverfahren dar, sodass aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ-manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Ladung mehrerer Parteien keine Kostenersparnis zu erzielen wäre. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht würde eine „Delegierung“ der Aufgaben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an das Bundesverwaltungsgericht bedeuten und den Instanzenzug zur bloßen Formsache degradieren.
5 Dagegen erhob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, dass kein eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigender Ermittlungsmangel vorgelegen sei, sodass das Bundesverwaltungsgericht von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei.
6 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurück-, in eventu abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.
8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Rahmen zu beschränken ist.
Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. zum Ganzen VwGH 29.11.2021, Ra 2021/14/0185, mwN).
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass weder das Erfordernis der Durchführung einer mündlichen Verhandlung noch eine erforderliche Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung (weiterer) Gutachten im Allgemeinen eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. VwGH 2.2.2023, Ra 2021/10/0145, mwN).
10 Dies gilt auch für die vom Verwaltungsgericht angeführte Begründung, wonach das Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren mit einem erhöhten Aufwand verbunden sei (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).
11 Nach dem Gesagten lagen die Voraussetzungen für eine Aufhebung des vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor.
12 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am 21. Juni 2023