JudikaturVwGhRo 2021/14/0002

Ro 2021/14/0002 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. März 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. I. Zehetner als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 2021, L516 1432015 2/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: M M, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. in Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert Sattler Gasse 10), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 22. Dezember 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er mit Grundstücksstreitigkeiten und einem Streit bei den Wahlen im Jahr 2008 begründete. Dieser wurde - im Instanzenzug - abgewiesen; unter einem wurde der Mitbeteiligte aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan ausgewiesen.

2 Am 27. August 2014 stellte der Mitbeteiligte einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 12. November 2014 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückwies.

3 Am 19. Oktober 2015 stellte der Mitbeteiligte den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen auf Drohanrufe sowie einen weiteren Vorfall nach seiner Rückkehr nach Pakistan stützte.

4 Das BFA wies diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Juli 2017 zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte dem Mitbeteiligten keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.).

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer Verhandlung hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab [Spruchpunkt A) I.] und hob die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. § 52 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 6 sowie § 55 FPG ersatzlos auf [Spruchpunkt A) II.]. Es sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei [Spruchpunkt B)].

6 Das BVwG stellte insbesondere fest, dass dem Mitbeteiligten in Italien subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Er verfüge über einen gültigen italienischen Personalausweis („Carta d’identita“), ausgestellt am 25. Februar 2020 und gültig bis 1. Dezember 2030, und über einen aktuell bis 31. März 2021 gültigen Aufenthaltstitel. Der Mitbeteiligte habe mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht und es ergebe sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

7 Beweiswürdigend führte das BVwG unter anderem aus, dass sich der Mitbeteiligte am 30. November 2020 gegenüber österreichischen Sicherheitsbehörden mit einem italienischen Personalausweis ausgewiesen habe, der in der Folge an das BFA übermittelt worden sei. Laut einer vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auskunft verfüge der Mitbeteiligte über einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel „subsidärer Schutz“.

8 Die ordentliche Revision erklärte das BVwG zulässig zu der Frage, ob die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG jedenfalls mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden sei oder der Drittstaatsangehörige, der über eine Aufenthaltsberechtigung für einen Mitgliedstaat verfüge, zuerst gemäß § 52 Abs. 6 FPG zur Ausreise in den Mitgliedstaat aufzufordern sei, da es dazu an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Amtsrevision, mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

10 Nach Durchführung des Vorverfahrens legte das Bundesverwaltungsgericht die Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vor; eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Amtsrevision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag zurückzuweisen, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhalte. Das BVwG habe daher eine vom BFA zu Unrecht erlassene Sachentscheidung durch eine Zurückweisung gemäß § 4a AsylG 2005 zu ersetzen, wenn die Voraussetzungen dafür vorlägen (Hinweis auf VwGH 24.1.2018, Ra 2016/01/0127). Von dieser Rechtsprechung sei das BVwG in Spruchpunkt A) I. abgewichen, weil es die Beschwerde nicht mit der Maßgabe, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Mitbeteiligten gemäß § 4a AsylG 2005 zurückgewiesen werde, abgewiesen habe, obwohl dem Mitbeteiligten in Italien der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei. Die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 sei gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 und § 61 Abs. 1 Z 1 FPG mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu verbinden. Von der vom BVwG relevierten Rechtsfrage hänge die Zulässigkeit der Revision daher nicht ab, die Revision sei jedoch auch gegen Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses zulässig, weil das BVwG die vom BFA erlassene Rückkehrentscheidung durch eine Anordnung zur Außerlandesbringung hätte ersetzen müssen.

13 Die Amtsrevision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig und auch berechtigt.

14 Nach dem klaren Wortlaut des § 4a AsylG 2005 ist für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß dieser Bestimmung als unzulässig zurückzuweisen ist, darauf abzustellen, ob dem Fremden in einem EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat (vgl. VwGH 31.1.2022, Ra 2021/14/0314, mwN). Dass der Fremde dort zudem über einen aufrechten Aufenthaltstitel verfügen muss, lässt sich dem § 4a AsylG 2005 nicht entnehmen. Weiters ergibt sich aus dem Wortlaut der soeben zitierten Bestimmung, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 4a AsylG 2005 im Gegensatz zu jener nach § 4 AsylG 2005 - keine Prognoseentscheidung zu treffen ist. Während nämlich gemäß § 4 AsylG 2005 eine Prognose dahingehend zu treffen ist, ob der Fremde in dem in Frage kommenden Drittstaat Schutz vor Verfolgung finden kann (vgl. VwGH 6.10.2010, 2008/19/0483; vgl. auch ErlRV 952 BlgNR 22. GP 33), stellt § 4a AsylG 2005 unmissverständlich darauf ab, ob dem Fremden von einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten bereits zuerkannt wurde. Ob der Fremde bei Rückkehr in den nach Ansicht Österreichs zuständigen Staat eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung erlangen könne oder ihm etwa die Aberkennung seines in der Vergangenheit zuerkannten Schutzstatus drohen würde, ist daher gemäß § 4a AsylG 2005 nicht zu prüfen (vgl. VwGH 3.5.2016, Ra 2016/18/0049, mwN).

15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zieht die Zulassung des Verfahrens nicht die Rechtsfolge nach sich, dass der Asylantrag nicht mehr zurückgewiesen werden dürfte, die Zulassung also keine Bindungswirkung hinsichtlich der Frage, ob der Antrag zurückzuweisen ist, entfaltet. Die Zurückweisung eines Asylantrages nach Zulassung des Verfahrens ist daher auch dann rechtmäßig, wenn der Behörde der Zurückweisungsgrund bereits zum Zeitpunkt der Zulassung bekannt war und in der Folge nicht weggefallen ist. Diese Grundsätze sind nicht nur vom BFA, sondern auch vom BVwG zu beachten. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag zurückzuweisen hat (vgl. VwGH 24.1.2018, Ra 2016/01/0127 bis 0128, mwN).

16 Im vorliegenden Fall war dem Mitbeteiligten nach den Feststellungen des BVwG in Italien subsidiärer Schutz gewährt worden und er verfügte über einen gültigen Aufenthaltstitel bis 31. März 2021. Nach der dargelegten Rechtsprechung war nicht zu prüfen, ob der Mitbeteiligte eine Verlängerung dieses Titels erlangen würde können oder ihm etwa die Aberkennung des Schutzstatus drohen könne.

17 Liegen die Voraussetzungen des § 4a AsylG 2005 vor, begründen sie nach dessen klaren Wortlaut ein Prozesshindernis für eine inhaltliche Behandlung des Antrages (vgl. erneut VwGH 31.1.2022, Ra 2021/14/0314, mwN). Indem das BVwG dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis in Spruchpunkt A) I. und darauf aufbauend Spruchpunkt A) II. mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

18 Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 und § 61 Abs. 1 Z 1 FPG mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu verbinden ist, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen.

19 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (wie einer Anordnung zur Außerlandesbringung) unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2019/19/0114; 25.4.2023, Ra 2022/20/0371; sowie VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

20 Zur Anordnung zur Außerlandesbringung im Unterschied zur Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG ist Folgendes anzumerken: Eine Anordnung zur Außerlandesbringung kommt nur gegen - nicht begünstigte - Drittstaatsangehörige (gemäß § 2 Abs. 4 Z 10 FPG ein Fremder, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist) in Betracht. Insofern gleicht sie der Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG, von der sie sich jedoch hinsichtlich des Zielstaates unterscheidet. Während eine Rückkehrentscheidung den Drittstaatsangehörigen zur Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat verpflichtet (§ 52 Abs. 8 FPG), beinhaltet die Anordnung zur Außerlandesbringung einen Ausreisebefehl in einen anderen Staat („Mitgliedstaat“), somit in einen Mitgliedstaat des EWR-Abkommens oder die Schweiz. Dieser Staat ist in der Anordnung zur Außerlandesbringung konkret zu benennen; nur dorthin ist dann nämlich, wie sich aus § 61 Abs. 2 erster Satz FPG ergibt, die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen zulässig (vgl. VwGH 24.3.2015, Ra 2015/21/0004).

21 Auf die vom BVwG in der Zulassungsbegründung sowie auf die in der Revision in eventu aufgeworfenen Rechtsfragen kommt es somit im vorliegenden Fall nicht an.

22 Die angefochtene Entscheidung war aus den dargestellten Gründen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 4. März 2024

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