JudikaturVwGH

Ra 2021/12/0070 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Juli 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und Hofrätin Mag.a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau in Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur in 1011 Wien, Singerstr. 17 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2021, W178 2242388 1/2E, betreffend Versorgungsgenuss gemäß § 19 Abs. 1 PG 1965 (mitbeteiligte Partei: E N in F, vertreten durch MMag. Dr. Florian Striessnig, RA in 1010 Wien, Annagasse 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag auf Aufwandersatz der revisionswerbenden Partei wird abgewiesen.

1 Mit Bescheid der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter BVA (nunmehr: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau BVAEB) vom 15. Jänner 2019 wurde über Antrag der Mitbeteiligten festgestellt, dass ihr als früherer Ehegattin nach ihrem am 30. April 2018 verstorbenen früheren Ehemann gemäß § 19 Abs. 1 Pensionsgesetz 1965 (PG 1965) kein Versorgungsgenuss gebühre. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der frühere Ehemann der Mitbeteiligten an seinem Sterbetag nach dem Wortlaut des Scheidungsvergleiches keinen Unterhalt zu leisten gehabt habe. Dieser Bescheid wurde von der Mitbeteiligten nicht bekämpft.

2 Mit Bescheid vom 4. März 2021 wies die BVAEB den Antrag der Mitbeteiligten vom 28. Dezember 2020 auf Zuerkennung der Hinterbliebenenversorgung nach ihrem früheren Ehemann wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 19 PG 1965 zurück.

3 Begründend wurde ausgeführt, die Mitbeteiligte habe vorgebracht, dass sie mittlerweile ihren Arbeitsplatz verloren habe. Nach dem Scheidungsvergleich sei ihr früherer Ehemann verpflichtet gewesen, ihr Unterhalt zu leisten, wenn ihr Einkommen unter einen bestimmten, wertangepassten Betrag falle. Dieser Fall sei ihrer Ansicht nach nun eingetreten.

4 Die revisionswerbende Amtspartei führte dazu aus, ein Anspruch gemäß § 19 Abs. 1 PG 1965 würde nur bestehen, wenn der Beamte zur Zeit seines Todes auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe schriftlich eingegangenen Verpflichtung für ihren Lebensunterhalt aufzukommen oder dazu beizutragen gehabt habe. Ein derartiger Anspruch auf Versorgungsgenuss würde nur dann bestehen, wenn am Sterbetag (30. April 2018) ein Unterhaltsanspruch der Mitbeteiligten bestanden hätte. Für eine Überprüfung der Gebührlichkeit des Versorgungsgenusses der früheren Ehefrau zu einem anderen Zeitpunkt als dem in § 19 Abs. 1 PG 1965 genannten Sterbetag fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Umstände, die nach dem Zeitpunkt des Todes zu einem etwaigen Unterhaltsanspruch gegenüber dem verstorbenen Beamten geführt hätten, könnten dementsprechend nicht mehr berücksichtigt werden und einen Anspruch auf Versorgungsgenuss der früheren Ehefrau nicht begründen. Über das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für einen Versorgungsgenuss der früheren Ehefrau zur Zeit des Todes des Beamten sei bereits mit Bescheid der BVA vom 15. Jänner 2019 rechtskräftig (abschlägig) entschieden worden.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde Folge und behob den angefochtenen Bescheid in der Fassung der mittlerweile ergangenen Beschwerdevorentscheidung. Es sprach aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig.

6 Das Bundesverwaltungsgericht vertrat dabei zusammengefasst die Rechtsansicht, die Mitbeteiligte habe am Sterbetag ihres früheren Ehemannes dem Grunde nach einen Unterhaltsanspruch gegenüber diesem gehabt. Dass ihr ein derartiger Unterhaltsanspruch der Höhe nach nicht zugekommen sei, vermöge nicht zu schaden. Auch der Verwaltungsgerichtshof habe bereits ausgesprochen, dass es nicht darauf ankomme, ob zum Zeitpunkt des Todes des früheren Ehemannes tatsächlich Unterhalt geflossen sei. Eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache komme nur in Frage, wenn Identität der Sache gegeben sei. Diese liege nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hätten und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren decke. Die Identität der Rechtslage liege unstrittig vor.

7 Auf Grund der Einkommensverhältnisse der Mitbeteiligten sei ihr bei der ersten Antragstellung am 16. Oktober 2018 kein auszahlbarer Unterhalt zugekommen und damit auch keine Versorgungsleistung als Witwe. Mit der Antragstellung vom 28. Dezember 2020 und der Darlegung ihres geänderten, reduzierten Einkommens auf Grund von Arbeitslosigkeit habe sich eine wesentliche Änderung in der Sachlage ereignet. Da es sich um eine Reduzierung unter den im Scheidungsvergleich vom 10. Februar 2005 angegebenen Betrag, ab dessen Höhe die Mitbeteiligte keinen Unterhaltsanspruch habe, handle, sei dieser als wesentlich zu bezeichnen. Da somit eine wesentliche Änderung des Sachverhalts vorliege, stehe die Rechtskraft des Bescheides vom 15. Jänner 2019 einer neuerlichen Entscheidung über den Hinterbliebenenversorgungsgenuss der Mitbeteiligten nicht entgegen. Die belangte Behörde habe auf Grund der Änderung der maßgeblichen Umstände eine inhaltliche Neubeurteilung der Sache vorzunehmen.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, dieser Folge zu geben und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts dahin abzuändern, dass die Beschwerde der Mitbeteiligten als unberechtigt abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid der Revisionswerberin wiederhergestellt werde. Weiters wurde ein Antrag auf Ersatz des Schriftsatzaufwandes gestellt.

9 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragte, die Revision als unzulässig zurück , in eventu als unbegründet abzuweisen.

10 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird unter Zitierung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, aus § 19 Abs. 1 PG 1965 ergebe sich unmissverständlich, dass ein Versorgungsbezug voraussetze, dass der verstorbene Beamte im Zeitpunkt seines Todes für den Lebensunterhalt des früheren Ehegatten aufzukommen oder beizutragen gehabt habe. Für den einzig maßgeblichen Zeitpunkt (= Todeszeitpunkt) stehe auf Grund des Bescheides der revisionswerbenden Partei vom 15. Jänner 2019 bereits rechtskräftig fest, dass auf Grund des Scheidungsvergleiches unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse am Sterbetag der Beamte nicht zum Unterhalt der Mitbeteiligten aufzukommen gehabt habe. Es liege daher res iudicata vor.

11 Die Revision ist aus diesen Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13 § 19 Pensionsgesetz 1965 (PG 1965), BGBl. Nr. 340, in der Fassung BGBl. I Nr. 210/2013, lautet auszugsweise:

Versorgungsbezug des früheren Ehegatten

§ 19. (1) Die Bestimmungen über den Versorgungsanspruch des überlebenden Ehegatten und über das Ausmaß der Versorgung des überlebenden Ehegatten ausgenommen die Bestimmungen der §§ 21 Abs. 3 bis 6 und 24 gelten, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist, sinngemäß für den früheren Ehegatten des verstorbenen Beamten, wenn dieser zur Zeit seines Todes auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe schriftlich eingegangenen Verpflichtung für den Lebensunterhalt seines früheren Ehegatten aufzukommen oder beizutragen hatte.

...“

14 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 1 PG 1965 und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Anspruch auf Versorgungsgenuss gemäß § 19 Abs. 1 PG 1965 danach zu beurteilen, ob am Sterbetag des früheren Ehemannes ein Unterhaltsanspruch der früheren Ehefrau auf Grund des Scheidungsvergleiches bestand oder nicht (vgl. etwa VwGH 20.4.2023, Ra 2021/12/0065; 14.12.2022, Ra 2021/12/0031, mwN). Schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 1 PG 1965 ist Voraussetzung für den Versorgungsgenuss des früheren Ehegatten, dass der verstorbene Beamte auf Grund bestimmter genannter Titel „für den Lebensunterhalt seines früheren Ehegatten aufzukommen oder dazu beizutragen hatte“. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn der Unterhaltsanspruch dem Grunde und der Höhe nach bestand. Soweit das Bundesverwaltungsgericht sich auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beruft, wonach es nicht darauf ankommt, ob der Beamte zur Zeit seines Todes seiner früheren Ehefrau tatsächlich Unterhalt leistete (vgl. etwa VwGH 21.11.2001, 2000/12/0280) wird damit nur gesagt, dass es nicht entscheidungswesentlich ist, ob der Beamte den seiner früheren Ehefrau zustehenden Unterhalt auch tatsächlich leistete, vielmehr kommt es darauf an, ob am Sterbetag des Beamten ein Unterhaltsanspruch der früheren Ehefrau bestand.

15 Da somit entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts Identität der Sache und somit res iudicata vorlag, weil eine Änderung der Einkommensverhältnisse der Mitbeteiligten nach dem Sterbetag des Beamten nicht entscheidungswesentlich ist, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

17 Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei im Falle einer Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz.

Wien, am 18. Juli 2023

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