JudikaturVwGH

Ra 2021/08/0064 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des M K in W, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14 Top 7, gegen das am 8. April 2021 mündlich verkündete und am 21. April 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W238 2232742 1/11E, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Austria Campus), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Bestätigung einer entsprechenden Beschwerdevorentscheidung des Arbeitsmarktservice Wien Austria Campus (AMS) aus, der Revisionswerber habe seinen Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum von 7. Februar 2020 bis 2. April 2020 gemäß § 10 in Verbindung mit § 38 AlVG verloren. Nachsicht werde nicht erteilt. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

2 Das Bundesverwaltungsgericht stellte zum Sachverhalt insbesondere fest, das AMS habe dem im Bezug von Notstandshilfe stehenden, in W wohnenden Revisionswerber am 31. Jänner „2019“ (erkennbar gemeint: 2020) einen Vermittlungsvorschlag betreffend eine Saisonstelle als Rezeptionist in einem Hotel in H (K) übermittelt, für die sich der Revisionswerber noch am selben Tag per E Mail beworben habe. Der potentielle Dienstgeber habe dem Revisionswerber daraufhin mit E Mail vom 4. Februar 2020 geantwortet: „Bitte melden Sie sich für Vorstellungstermin, um diese Wintersaisonstelle zu bekommen.“ Am 5. Februar 2020 habe der Revisionswerber den potentiellen Dienstgeber telefonisch kontaktiert. Im Rahmen des Telefongesprächs habe der potentielle Dienstgeber den Revisionswerber zu einem persönlichen Bewerbungsgespräch nach H eingeladen. Der Revisionswerber habe erwidert, dass er kein Auto und kein Geld für die Zugfahrt habe. Daher sei es nicht zur Vereinbarung eines Termins für ein persönliches Vorstellungsgespräch gekommen. Die Beschäftigung sei zumindest auch aufgrund der unterbliebenen persönlichen Vorstellung des Revisionswerbers nicht zustande gekommen, was der Revisionswerber auch billigend in Kauf genommen habe.

3 Der Revisionswerber, der über Berufserfahrung als Rezeptionist verfüge, habe keine Einwendungen gegen die Zumutbarkeit der zugewiesenen Stelle erhoben; eine Unzumutbarkeit sei auch nicht evident. Den Revisionswerber träfen keine Betreuungspflichten und er werde vom AMS laut Betreuungsplan vom 29. Jänner 2020 österreichweit (überregional) vermittelt. Vom potentiellen Dienstgeber seien kostenlose Unterkunft und Verpflegung angeboten worden.

4 Zur Frage der Zumutbarkeit der Wahrnehmung eines persönlichen Vorstellungsgesprächs stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe im Zeitpunkt der Zuweisung über ein monatliches Nettohaushaltseinkommen von ca. € 1.000, (€ 883,20 Notstandshilfe, € 120, Wohnbeihilfe) verfügt und Mietaufwendungen von ca. € 700, bis € 800, zu tragen gehabt. Trotz der im Betreuungsplan vereinbarten überregionalen Vermittlung habe der Revisionswerber beim AMS keine Informationen darüber eingeholt, welche Möglichkeiten der Kostenerstattung bei (österreichweiten) Bewerbungen bestehen. Arbeitslose in finanzieller Notlage könnten im Fall der Wahrnehmung von Vorstellungsterminen außerhalb ihrer Region Vorstellungsbeihilfe beantragen; vom AMS würden belegbare Fahrtkosten teilweise ersetzt. Dem Revisionswerber wäre vor diesem Hintergrund die (vorläufige) Kostenübernahme für die Zugfahrt von W nach H (€ 29,90 für eine einfache Fahrt) zwecks Wahrnehmung eines persönlichen Vorstellungsgesprächs zumutbar gewesen; dass er sich im Vorfeld seiner Bewerbung darüber nicht erkundigt habe, sei seiner Sphäre zuzurechnen.

5 Rechtlich würdigte das Bundesverwaltungsgericht das Verhalten des Revisionswerbers als Vereitelung der Annahme einer vom AMS zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung iSd § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa VwGH 5.9.2023, Ra 2023/08/0090, mwN).

10 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, der Revisionswerber habe eine Woche vor dem Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an dieses den Antrag gestellt, ihm den Akt des AMS auf elektronischem Weg zu übermitteln. Am selben Tag habe ihm das Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt, dass diesem Ersuchen nicht entsprochen werde, und ihn auf die Möglichkeit der Einsichtnahme vor Ort verwiesen. Eine Begründung der Nichtübermittlung des Aktes sei unterblieben. Das angefochtene Erkenntnis stehe daher „im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes“.

11 Es wäre aber schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, darzutun. Dies setzt voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 17.2.2023, Ra 2023/08/0026, Rn. 7, mwN). Diesen Anforderungen wird die dargestellte Zulässigkeitsbegründung nicht einmal ansatzweise gerecht.

12 Soweit die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit darüber hinaus vorbringt, das angefochtene Erkenntnis stimme im Hinblick auf die Annahme, der Revisionswerber habe eine Vereitelungshandlung iSd § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG gesetzt, aus diversen Gründen (vgl. zu diesen Gründen noch unten Rz 13 ff) „mit der ständigen Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes nicht überein“, legt sie nicht dar, von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das angefochtene Erkenntnis abweichen soll.

13 Mit dem Vorbringen, die „Offenlegung der eigenen prekären finanziellen Situation (Armutsbetroffenheit)“ könne dem Revisionswerber nicht als Vereitelungshandlung angelastet werden, da „Armut [...] kein Tatbestand im Sinne des § 10 AlVG“ sei, übersieht der Revisionswerber, dass ihm nicht die Offenlegung seiner finanziellen Situation vorgeworfen wurde, sondern das mangelnde Bemühen, die finanziellen Hindernisse für die Anreise zum Vorstellungsgespräch mit Hilfe des AMS zu beseitigen. Für eine diesbezügliche Anfrage beim AMS bedurfte es entgegen der Revision auch keines „bürokratischen Wissens“ oder einer speziellen Manuduktion.

14 Das Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht die Kausalität des Unterbleibens der persönlichen Vorsprache des Revisionswerbers für das Nichtzustandekommen der Beschäftigung angenommen (etwa indem es angesichts der Aussage des potentiellen Dienstgebers, er habe die Personalsuche europaweit betrieben, den Umstand vernachlässigt habe, dass eine europaweite Personalsuche in branchenüblicher Weise ohne vorgelagerte persönliche Vorsprache vonstattengehe) übersieht, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 2.11.2022, Ra 2021/08/0133) die geforderte Kausalität bereits dann vorliegt, wenn die Chancen für das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses auf Grund der Vereitelungshandlung jedenfalls verringert wurden, was das Bundesverwaltungsgericht hier in zweifellos vertretbarer Weise angenommen hat (vgl. VwGH 25.10.2006, 2005/08/0164, wonach es da es üblich sei, dass ein Beschäftigungsverhältnis nur nach einem persönlichen Vorstellungsgespräch zu Stande komme dem Arbeitslosen bewusst sein müsse, dass eine von vornherein ausgesprochene Verweigerung, sich persönlich vorzustellen, geeignet sei, zum Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu führen).

15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Oktober 2023

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