Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführerin Mag.a Prendinger, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Krems gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 15. Juni 2021, Zl. LVwG S 1277/001 2021, betreffend Übertretung des Bundesstatistikgesetzes 2000 (mitbeteiligte Partei: M S in Z),
Spruch
1. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es der Beschwerde dahingehend stattgibt, dass die im verwaltungsbehördlichen Verfahren festgesetzte Geldstrafe in der Höhe von € 100, (Ersatzfreiheitsstrafe: zwölf Stunden) auf den Betrag von € 50, (Ersatzfreiheitsstrafe: acht Stunden) herabgesetzt wird und die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens mit € 10, neu festgesetzt werden, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
2. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
I.
1 1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde (Revisionswerberin) vom 29. April 2021 wurde über die mitbeteiligte Partei gemäß § 66 Abs. 1 erster Fall in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z 1 und § 9 Z 1 Bundesstatistikgesetz 2000 eine Geldstrafe in der Höhe von € 100, verhängt, weil sie als Auskunftspflichtige ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei.
2 2.1. Der von der mitbeteiligten Partei dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis insofern statt, als die behördlich festgesetzte Geldstrafe in der Höhe von € 100, (Ersatzfreiheitsstrafe: zwölf Stunden) auf den Betrag von € 50, (Ersatzfreiheitsstrafe: acht Stunden) herabgesetzt wurde. Die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens setzte das Verwaltungsgericht gemäß § 64 VStG mit € 10, neu fest.
Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
3 2.2. In der Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die mitbeteiligte Partei nach dem Zufallsprinzip für die Mikrozensuserhebung bestimmt worden sei. Sie habe trotz Aufforderung und Mahnung keine Angaben zu den Erhebungen gemacht. Damit sei sie ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und habe den objektiven Tatbestand der Verwaltungsübertretung des § 66 Abs. 1 Bundesstatistikgesetz 2000 erfüllt.
4 Zur Bemessung der Strafe hielt das Verwaltungsgericht fest, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren keine Umstände als erschwerend oder mildernd gewertet worden seien. Laut vorliegendem Akt sei jedoch die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der mitbeteiligten Partei als mildernd zu werten. Außerdem sei angesichts der von der mitbeteiligten Partei bekanntgegebenen Einkommensverhältnisse die Strafe herabzusetzen gewesen. Die Strafe in der neu festgesetzten Höhe erweise sich als tat und schuldangemessen.
5 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.
6 Die mitbeteiligte Partei erstattete im eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der vorgebracht wird, dass die familiäre und finanzielle Situation zur Herabsetzung der Strafe geführt habe. Die mitbeteiligte Partei könne den von der belangten Behörde festgelegten Betrag nicht bezahlen. Sie müsse auch monatlich einen Betrag für die Selbstversicherung ihrer Tochter bezahlen, weil diese aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten könne.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 1. Vorauszuschicken ist zunächst, dass in Bezug auf den Ausspruch von Schuld und Strafe in der Fassung des angefochtenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts trennbare Absprüche vorliegen, weshalb insoweit die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision getrennt zu prüfen ist (vgl. zuletzt etwa VwGH 6.6.2024, Ra 2024/07/0008, Rn. 8, mwN).
Zur Zurückweisung der Revision in Bezug auf den Schuldausspruch:
8 2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 2.2. Die vorliegende Revision wendet sich gegen das angefochtene Erkenntnis zwar im vollen Umfang. Das Zulässigkeitsvorbringen enthält jedoch keine auf den Schuldausspruch bezogenen Ausführungen.
12 Es werden in dieser Hinsicht somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Die Revision war daher, soweit das angefochtene Erkenntnis den Ausspruch über die Schuld bestätigte, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses in Bezug auf den Straf und Kostenausspruch:
13 3.1. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit in Bezug auf den Strafausspruch unter anderem vor, es bestehe keine gesicherte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine noch nicht getilgte schriftliche Ermahnung bei der Beurteilung des Milderungsgrundes der Unbescholtenheit einzubeziehen sei.
14 Aus dem Verwaltungsstrafakt ergebe sich, dass gegen die mitbeteiligte Partei eine nicht getilgte Verwaltungsstrafe wegen Übertretung nach § 24 Abs. 3 und § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 aus dem Jahr 2016, nämlich konkret eine Ermahnung des Verwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2016, Zl. LVwG S 1959/001 2016, vorliege.
15 3.2. Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und aus nachstehenden Gründen auch als begründet.
16 4. § 19 und § 45 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52, beide jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, lauten auszugsweise wie folgt:
„Strafbemessung
§ 19.
(1) [...]
(2) Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.“
„§ 45.
(1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;
2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;
6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.
Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.
(2) [...].“
17 5. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Unbescholtenheit des Beschuldigten einen im Rahmen des § 19 VStG zu berücksichtigenden Milderungsgrund dar (vgl. bereits VwSlg. 9755 A/1979 sowie die weiteren Judikaturnachweise bei Wessely in: Raschauer/Wessely [Hrsg.], VStG 3 [2023] § 19 Rz. 15). Zwar ist die Behörde nicht verpflichtet, Ermittlungen über das Vorliegen jedes nur möglichen Milderungsgrundes anzustellen, insbesondere bezüglich solcher, die weder vom Beschuldigten geltend gemacht noch durch die Sachlage angedeutet werden. Insofern wird hier von einer gewissen Mitwirkungspflicht des Beschuldigten ausgegangen. Die Unbescholtenheit des Beschuldigten ist jedoch von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. Lewisch/Fister/Weilguni , Verwaltungsstrafgesetz 1991 2 [2017] § 19 Rz. 14 mit Hinweis auf VwGH 3.12.1992, 91/19/0169).
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei aber auch klargestellt, dass nur die absolute Unbescholtenheit des Beschuldigten einen Milderungsgrund bildet. Schon die relative Unbescholtenheit, also die Tatsache, dass der Beschuldigte nicht einschlägig vorbestraft ist, führt dazu, dass kein Milderungsgrund nach § 34 Abs. 1 Z 2 StGB in Verbindung mit § 19 Abs. 2 VStG vorliegt. Der Umstand, dass der Täter nicht einschlägig vorbestraft ist, stellt somit keinen Milderungsgrund dar (vgl. VwGH 20.9.2019, Ra 2019/02/0097).
19 Vor dem Hintergrund dieses strengen Maßstabs ist davon auszugehen, dass auch im Fall einer gegenüber dem Beschuldigten gemäß § 45 Abs. 1 zweiter Satz VStG ausgesprochenen Ermahnung der Milderungsgrund der absoluten Unbescholtenheit nicht mehr vorliegt.
20 Für dieses Ergebnis spricht vor allem, dass der Ausspruch einer Ermahnung die Strafbarkeit des Verhaltens des Täters voraussetzt, die Ermahnung daher nur für jene Fälle vorgesehen ist, in denen die Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe gegeben sind. Dementsprechend hat der Bescheid (bzw. das Erkenntnis) neben dem Ausspruch der Ermahnung auch einen Schuldspruch zu enthalten (vgl. VwGH 15.3.2022, Ra 2020/11/0062, Rn. 11 mwN).
Die Ermahnung kann von der Behörde in den Fällen und unter der Voraussetzung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG ausgesprochen werden (vgl. Kneihs in: Raschauer/Wessely [Hrsg.], VStG 3 [2023] § 45 Rz. 8 mwN). Wenn also die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind (vgl. § 45 Abs. 1 Z 4 VStG), kann trotz des Vorliegens eines strafbaren Verhaltens von der Verhängung einer Strafe abgesehen und (bloß) eine Ermahnung ausgesprochen werden.
Die Entscheidung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG liegt im Ermessen der Behörde und hängt von einer auf den Einzelfall abzustellenden spezialpräventiven Prognose ab (vgl. VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0167). Die Ermahnung kann als Verhaltensrüge (im Gegensatz zur Einstellung) abschreckende Wirkung entfalten und damit als Instrument der Spezialprävention eingesetzt werden, ohne dabei eine Sanktion vorzusehen (vgl. Hugeneck , Die Ermahnung im Verwaltungsstrafrecht eine Judikaturanalyse, ZVG 2016, 407 [407]).
21 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und bei der Strafbemessung trotz einer gegenüber der mitbeteiligten Partei ausgesprochenen Ermahnung den Milderungsgrund der Unbescholtenheit in Anschlag brachte, hat es seine Entscheidung insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
22 6. Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich seines Straf und Kostenausspruches gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
23 7. Im fortgesetzten Verfahren wird das Verwaltungsgericht darüber hinaus Folgendes zu beachten haben:
24 Der mitbeteiligten Partei wurde die Verwaltungsübertretung erstmals mit Straferkenntnis vom 29. April 2021 vorgeworfen. Nach der Rechtsprechung des EGMR und des Verfassungsgerichtshofes ist auch das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in die zu beurteilende Verfahrensdauer einzurechnen (vgl. VwGH 27.9.2018, Ra 2017/17/0391, Rn. 28, mwN).
Die zu beurteilende Gesamtverfahrensdauer beträgt im vorliegenden Fall daher mehr als dreieinhalb Jahre. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verfahrensverzögerung der Sphäre der mitbeteiligten Partei zuzurechnen oder einer ungewöhnlichen Komplexität und Schwierigkeit dieser Rechtssache geschuldet wäre. Die Dauer des vorliegenden Verfahrens ist daher nicht mehr als angemessen im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu beurteilen.
25 Dieser Umstand wird in Anwendung des § 19 VStG in Verbindung mit § 34 Abs. 2 StGB als strafmildernd zu bewerten sein (vgl. VwGH 14.10.2022, Ra 2019/04/0021, Rn. 21, mwN).
26 Außerdem wird das Verwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren konkrete Feststellungen zu den Vermögensverhältnissen der mitbeteiligten Partei zu treffen haben, zumal es im angefochtenen Erkenntnis auch deren Einkommen begründend für die Herabsetzung der Strafe herangezogen hat.
Wien, am 10. Dezember 2024