JudikaturVwGH

Ra 2020/21/0497 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. November 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision der M O, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Oktober 2020, W282 2236118 1/19E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Revisionswerberin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 2007 einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Beschwerdeweg mit im Dezember 2008 rechtskräftig gewordenem Erkenntnis des Asylgerichtshofes verbunden mit einer Ausweisung nach Nigeria vollinhaltlich abgewiesen wurde.

2 Im Sommer 2009 unternommene behördliche Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für die Revisionswerberin blieben erfolglos. In diesem Zusammenhang ergangene Ladungen konnten der Revisionswerberin nicht zugestellt werden, weil sie sich an ihrer Meldeadresse nicht mehr aufhielt, sodass mehrmals ihre amtliche Abmeldung verfügt wurde.

3 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. August 2011 wurde die Revisionswerberin wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG als Beitragstäterin (§ 12 dritter Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten (davon sechs Monate bedingt) verurteilt. Aus der im Anschluss an die Strafhaft verhängten Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung wurde die Revisionswerberin wegen Haftunfähigkeit entlassen, nachdem sie in einen Hungerstreik getreten war. Danach verblieb die Revisionswerberin unangemeldet im Bundesgebiet.

4 Schließlich stellte die Revisionswerberin im April 2018 gemäß § 55 AsylG 2005 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK. Zu mehreren Terminen für die Identitätsfeststellung vor einer Delegation der nigerianischen Botschaft erschien die Revisionswerberin in der Folge nicht, wobei sie entweder ein ärztliches Attest als Entschuldigung für das Fernbleiben vorlegte oder gänzlich unentschuldigt fernblieb. Daraufhin wurden im Februar, März und April 2019 Festnahmeaufträge erlassen, die nicht vollzogen werden konnten, weil sich die Revisionswerberin an der jeweiligen Meldeadresse nicht mehr aufhielt.

5 In weiterer Folge wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit dem unbekämpft gebliebenen Bescheid vom 26. August 2020 den Antrag der Revisionswerberin gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Unter einem erließ das BFA gegen die Revisionswerberin gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht bestehe, und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab. Darüber hinaus verhängte das BFA über die Revisionswerberin gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.

6 Aus Anlass einer polizeilichen Durchsuchung der Wohnung einer anderen Person wegen Suchtmitteldelikten wurde die Revisionswerberin festgenommen und nach ihrer Einvernahme über sie mit Mandatsbescheid des BFA vom 24. September 2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft insbesondere auch zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Der Bescheid wurde sogleich in Vollzug gesetzt.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Oktober 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet ab. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA VG stellte es fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Außerdem traf es eine diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidung. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

8 In seiner Begründung stützte sich das BVwG für die Annahme einer Fluchtgefahr wie bereits das BFA in seinem Bescheid auf die Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG. Die Revisionswerberin habe die im Asylverfahren ergangene Ausweisung beharrlich ignoriert, sich an ihren Meldeadressen nicht mehr aufgehalten und sei jahrelang untergetaucht. Aus der im Jahr 2011 verhängten Schubhaft habe sie sich durch Hungerstreik freigepresst. Wiederholt habe die Revisionswerberin wahrheitswidrig angegeben, über keine „offiziellen Dokumente“ zum Nachweis ihrer Herkunft zu verfügen, obwohl sie im Besitz einer Geburtsurkunde gewesen sei, die sie anlässlich ihres Antrages nach § 55 AsylG 2005 vorgelegt habe. Da die Revisionswerberin Terminen zur Identitätsfeststellung vor der nigerianischen Botschaftsdelegation ferngeblieben sei, Festnahmeaufträge zu ihrer Vorführung wegen ihres erneuten Untertauchens nicht hätten vollzogen werden können und ihr Aufgriff durch die Polizei im September 2020 nur dem Zufall zu verdanken gewesen sei, bestehe kein Zweifel, dass sie im Sinne der Z 1 des § 76 Aba. 3 FPG ihre Abschiebung nach Nigeria umgehe bzw. behindere und dies auch künftig versuchen werde. Die Revisionswerberin verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte, gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und besitze keine maßgeblichen Vermögenswerte. Der bloße Nachweis einer vorübergehenden Wohnmöglichkeit bei einer anderen bestimmten Person begründe noch keinen gesicherten Wohnsitz, der ihre Verfügbarkeit für das BFA sicherstelle. Es sei daher auch der Fluchtgefahrstatbestand der Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt und weiters jener der Z 3 verwirklicht, weil gegen die Revisionswerberin eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestehe. Ihr Verhalten in der Vergangenheit schließe auch die Anordnung gelinderer Mittel aus.

9 Die Revisionswerberin sei am 8. Oktober 2020 von einer Delegation der nigerianischen Botschaft, die die Ausstellung eines Heimreisezertifikates zugesagt habe, identifiziert worden. Es liege somit eine Rückübernahmezusage im Sinne eines Heimreisezertifikates vor, weshalb die Abschiebung tatsächlich möglich sei und mit einem Frontex Charter am 22. Oktober 2020 erfolgen solle.

10 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhalts der Beschwerde geklärt sei.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

12 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

14 In dieser Hinsicht rügt die Revision, im Zeitpunkt der Zustellung des Erkenntnisses sei klar gewesen, dass die für den 22. Oktober 2020 mittels Frontex Charter geplante Abschiebung der Revisionswerberin nach Nigeria nicht stattfinden werde. Eine Rückübernahmezusage der nigerianischen Botschaft habe es offenbar nicht gegeben. Deshalb hätte das BVwG die Anhaltung in Schubhaft unter dem Gesichtspunkt der über längere Zeit hindurch fehlenden Realisierbarkeit der Abschiebung der Revisionswerberin prüfen müssen. Dazu wäre die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ebenso erforderlich gewesen wie für die Beurteilung der Frage der Anwendung eines gelinderen Mittels, weil die von der Revisionswerberin bekundete Bereitschaft, sich durch Unterbringung im Rahmen der Grundversorgung oder durch Unterkunftnahme in der Wohnung ihres Freundes der Behörde zur Verfügung zu halten, eines persönlichen Eindrucks bedurft hätte.

15 Richtig ist, dass Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stets nur dann rechtens sein kann, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Es sind daher Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der (jeweils) zulässigen Schubhafthöchstdauer zu treffen (vgl. etwa VwGH 24.8.2022, Ra 2021/21/0230, Rn. 11, mwN).

16 Von dieser Rechtsprechung ist das BVwG aber nicht abgewichen, hat es doch im Erkenntnis konkrete Feststellungen über die Identifizierung der Revisionswerberin und die Zusage der Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die nigerianische Botschaft getroffen. Sofern die Revision in Zweifel zieht, dass eine Rückübernahmezusage vorgelegen habe, entfernt sie sich von den insoweit nicht konkret bekämpften Feststellungen des BVwG. Dass die Abschiebung der Revisionswerberin nicht wie geplant am 22. Oktober 2020 erfolgte, macht die darauf noch nicht Bedacht nehmende Begründung des angefochtenen Erkenntnisses noch nicht rechtswidrig. Trotz der Nichtdurchführung der für den 22. Oktober 2020 geplanten Abschiebung der Revisionswerberin war es nämlich im Ergebnis jedenfalls vertretbar, in Anbetracht des bereits durchgeführten Botschaftstermins und der Zusage über die Ausstellung eines Heimreisezertifikates von einer letztlich erfolgreichen Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer auszugehen. Im hier maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung dauerte die Anhaltung der Revisionswerberin in Schubhaft noch nicht einmal zwei Monate und es waren zumindest damals keine Hinweise ersichtlich, dass eine Abschiebung der Revisionswerberin nach Nigeria nicht in absehbarer Zeit doch möglich sein würde. Die Frage, ob die Anhaltung der Revisionswerberin in Schubhaft auch für den Zeitraum danach gerechtfertigt war, wurde von ihr ohnehin zum Gegenstand einer weiteren Beschwerde gemacht, über die das BVwG dann mit Erkenntnis vom 19. Jänner 2021 absprach, das mit der zu Ra 2021/21/0069 protokollierten Revision bekämpft wurde.

17 Das BVwG ist überdies in vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG keiner weiteren Klärung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bedurfte. Dies gilt auch im Hinblick auf die Anwendung eines gelinderen Mittels, weil schon angesichts des jahrelangen Untertauchens und des zuletzt deshalb auch nur zufälligen Aufgriffs der bisher nicht kooperativen Revisionswerberin, woraus auf eine hohe, auch aktuell gegebene Fluchtgefahr geschlossen werden konnte, das Nichtausreichen gelinderer Mittel evident war (vgl. dazu, dass es zur Beurteilung der „Vertrauenswürdigkeit“ nicht in allen Fällen einer mündlichen Verhandlung bedarf, etwa VwGH 5.11.2020, Ra 2020/21/0287, Rn. 19, mwN). Im Übrigen war in der Schubhaftbeschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt worden.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

19 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 17. November 2022

Rückverweise