Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Tolar und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz in 1030 Wien, Esteplatz 2, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. September 2020, W238 2230669 1/8E, betreffend Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: R S in W, vertreten durch Dr. Ingo Riss, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14 Top 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 15. Jänner 2020 wies das Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz (AMS) den auf Zuerkennung von Notstandshilfe gerichteten Antrag des Mitbeteiligten vom 7. Jänner 2020 ab. Einer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 27. März 2020 nicht Folge.
2 Begründend führte das AMS aus, der Bezug der Notstandshilfe des Mitbeteiligten sei mangels Arbeitswilligkeit ab 26. Juli 2019 eingestellt worden. Dem sei vorangegangen, dass der Mitbeteiligte das Zustandekommen einer Beschäftigung vereitelt habe und bereits zuvor innerhalb desselben Jahres mit rechtskräftigen Bescheiden zwei Anspruchsverluste nach § 10 AlVG ausgesprochen worden seien. Der Mitbeteiligte habe durch sein bisheriges Verhalten seine Arbeitsunwilligkeit gezeigt. Um seine wieder vorliegende Arbeitswilligkeit nachzuweisen, reiche nunmehr seine bloße Erklärung, (jetzt) arbeitswillig zu sein, nicht aus.
3 Mit dem nach einem Vorlageantrag des Mitbeteiligten ergangenen in Revision gezogenen Beschluss hob das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdevorentscheidung des AMS gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurück. Das Bundesverwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte habe seit dem Jahr 2011 mit kurzen Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Das AMS habe rechtskräftig für die Zeiträume vom 12. Oktober 2018 bis 6. Dezember 2018 und von 17. April 2019 bis 11. Juni 2019 Verluste des Anspruches des Mitbeteiligten auf Notstandshilfe nach § 10 iVm. § 38 AlVG ausgesprochen. Mit Bescheid vom 14. August 2019 habe das AMS die Notstandshilfe des Mitbeteiligten ab 26. Juli 2019 mangels Arbeitswilligkeit eingestellt. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten sei mit Beschwerdevorentscheidung des AMS vom 4. November 2019 abgewiesen worden. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde sei nicht ausgeschlossen worden. Der Mitbeteiligte habe einen Vorlageantrag gestellt, wobei das Verfahren dazu in einer anderen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes anhängig sei.
5 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reiche, soweit ein Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung wegen Arbeitsunwilligkeit eingestellt worden sei, die bloße Erklärung eines Arbeitslosen, (wieder) arbeitswillig zu sein, für die Annahme der Wiedererlangung der Arbeitswilligkeit gemäß § 9 AlVG nicht aus. Der Arbeitslose habe in so einem Fall seine Arbeitswilligkeit vielmehr nachzuweisen, wobei dies etwa durch nachhaltige und zielgerichtete Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung erfolgen könne. Diese in der Rechtsprechung verlangte „strenge Prüfung“ der (wieder gegebenen) Arbeitswilligkeit setzte aber richtigerweise voraus, dass die Einstellung der Leistung mangels Arbeitswilligkeit rechtskräftig und durchsetzbar sei. In Hinblick darauf, dass der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen die Einstellung seines Bezuges von Notstandshilfe ex lege aufschiebende Wirkung zukomme und die aufschiebende Wirkung auch nicht ausgeschlossen worden sei, liege eine solche Entscheidung im vorliegenden Fall nicht vor. Davon ausgehend reiche aber die Erklärung des Mitbeteiligten, arbeitswillig zu sein, zum Nachweis seiner Arbeitswilligkeit aus. Daran könne auch der Verweis des AMS auf rechtskräftige Aussprüche des Anspruchsverlustes nach § 10 AlVG bzw. die erfolglose Übermittlung von Stellenangeboten an den Mitbeteiligten nichts ändern. Der Mitbeteiligte sei daher als arbeitswillig gemäß § 9 Abs. 1 AlVG anzusehen. Die Beurteilung des Anspruchs des Mitbeteiligten auf Notstandshilfe bzw. gegebenenfalls deren Höhe sei jedoch auch noch von weiteren Voraussetzungen abhängig. Dazu habe das AMS keine Ermittlungen durchgeführt. Es sei daher mit einer Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorzugehen gewesen.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision des AMS. Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.
7 Der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
8 Das AMS macht zur Zulässigkeit der Revision zusammengefasst geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei von (in der Revision näher dargestellter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen. Ausgehend von der Annahme, der Mitbeteiligte wäre als arbeitswillig anzusehen, hätte das Bundesverwaltungsgericht dem Mitbeteiligten die Notstandshilfe in der bisherigen Höhe für den in § 35 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Zeitraum zuerkennen können, ohne dass weitere Ermittlungsschritte notwendig gewesen wären. Die Arbeitswilligkeit des Mitbeteiligten könne aber auch nicht bloß darauf gestützt werden, dass er behaupte, arbeitswillig zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht wäre verpflichtet gewesen, die Arbeitswilligkeit vor dem Hintergrund der erfolgten Einstellung des Bezuges und der vorhergehenden wiederholten Aussprüche von Anspruchsverlusten nach § 10 AlVG zu überprüfen.
9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
10 Anspruch auf Arbeitslosengeld hat gemäß § 7 Abs. 1 AlVG, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (Z 1), die Anwartschaft erfüllt (Z 2) und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat (Z 3). Nach § 7 Abs. 2 AlVG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf, arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist. Arbeitswillig ist gemäß § 9 Abs. 1 AlVG, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.
11 Nach § 24 Abs. 1 erster Halbsatz AlVG ist das Arbeitslosengeld einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch wegfällt.
12 Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert eine arbeitslose Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen bzw. unter näher umschriebenen Voraussetzungen acht Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
13 Gemäß § 38 AlVG sind diese Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
14 Arbeitslosen, die den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld erschöpft haben, kann nach § 33 Abs. 1 AlVG auf Antrag Notstandshilfe gewährt werden. Nach § 33 Abs. 2 AlVG ist Notstandshilfe nur zu gewähren, wenn der (die) Arbeitslose der Vermittlung zur Verfügung steht (§ 7 Abs. 2 und 3 AlVG) und sich in Notlage befindet. Die Notstandshilfe wird gemäß § 35 AlVG jeweils für einen bestimmten, jedoch 52 Wochen nicht übersteigenden Zeitraum gewährt.
15 Gemäß § 37 AlVG kann dem Arbeitslosen, wenn er den Bezug der Notstandshilfe unterbricht, innerhalb von fünf Jahren, gerechnet vom Tag des letzten Bezuges der Notstandshilfe, der Fortbezug der Notstandshilfe gewährt werden, sofern er die sonstigen Bedingungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt.
16 Mit dem im vorliegenden Verfahren gegenständlichen Antrag hat der Mitbeteiligte, nachdem vom AMS zuvor eine Einstellung der Notstandshilfe ab 26. Juli 2019 ausgesprochen worden war, am 7. Jänner 2020 (neuerlich) die Gewährung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beantragt. Hinsichtlich des Verständnisses dieses Antrages ist zunächst festzuhalten, dass der Mitbeteiligte unstrittig nach dem Bezug der Notstandshilfe keiner arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist und von ihm keine neue Anwartschaft im Sinn des § 14 AlVG erworben wurde, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld nach § 7 Abs. 1 Z 2 iVm. § 14 AlVG nicht vorlagen. Damit kam aber nur ein Fortbezug der zuvor zuerkannten Leistung von Notstandshilfe, nicht aber eine neuerliche Geltendmachung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Betracht (vgl. VwGH 6.7.2016, Ra 2016/08/0041). Der im vorliegenden Verfahren gegenständliche Antrag des Mitbeteiligten vom 7. Jänner 2020 konnte daher nur als Antrag auf Fortbezug der Notstandshilfe nach § 37 AlVG verstanden werden (vgl. idS VwGH 17.10.2001, 99/08/0023).
17 § 7 Abs. 1 Z 1, § 9 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 5.6.2019, Ra 2019/08/0036; 5.9.1995, 94/08/0235; jeweils mwN).
18 Wenn ein im Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe stehender Arbeitsloser eine zumutbare Beschäftigung im Sinne des § 9 AlVG nicht annimmt bzw. die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, so führt dies gemäß § 10 AlVG (in Hinblick auf die Notstandshilfe iVm. § 38 AlVG) zum temporären Verlust des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe. Eine generelle Ablehnung der Annahme einer zumutbaren, die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung führt dagegen zur Einstellung des Bezuges mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 24 Abs. 1 AlVG (vgl. etwa VwGH 8.10.2013, 2012/08/0197, mwN).
19 Hinsichtlich der Frage, wann davon auszugehen ist, dass ein Arbeitsloser generell die Annahme einer zumutbaren, die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung ablehnt und daher mangels Arbeitswilligkeit die Voraussetzungen der Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe nicht vorliegen, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass eine generelle Arbeitsunwilligkeit in diesem Sinn etwa unmittelbar aus Äußerungen des Arbeitslosen folgen kann, aus denen sich ergibt, dass er nicht bereit ist, seinen Verpflichtungen nach § 9 Abs. 1 AlVG nachzukommen; somit insbesondere eine ihm durch das AMS vermittelte Beschäftigung anzunehmen (vgl. VwGH 27.8.2019, Ra 2018/08/0008, mwN). Weiters entspricht es der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass aus wiederholten Vereitelungshandlungen, die zu temporären Verlusten der Notstandshilfe bzw. des Arbeitslosengeldes nach § 10 AlVG geführt haben, als Richtschnur können drei festgestellte Vereitelungshandlungen gelten geschlossen werden kann, dass bei einem Arbeitslosen eine generelle Ablehnung der Annahme zumutbarer Beschäftigungen vorliegt und es ihm damit auf Dauer an der Arbeitswilligkeit mangelt (vgl. etwa VwGH 16.3.2016, Ra 2015/08/0100, mwN). Hat der Arbeitslose in diesem Sinn erkennen lassen, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg keine neue Arbeit anzunehmen gewillt ist, dann steht er der Arbeitsvermittlung in Wahrheit nicht zur Verfügung. In der Folge kann die wieder gegebene, nachhaltige Bereitschaft, eine Arbeit anzunehmen, zum Beispiel dadurch dokumentiert werden, dass tatsächlich ein Beschäftigungsverhältnis angetreten wird (vgl. VwGH 13.5.2009, 2009/08/0038).
20 Das Vorliegen von Arbeitswilligkeit als Voraussetzung des Anspruches auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe nach § 7 Abs. 1 Z 1 und § 9 AlVG ist somit immer dann zu prüfen, wenn Hinweise darauf vorliegen, dass eine generelle Arbeitsunwilligkeit im dargestellten Sinn vorliegt. Anders als das Bundesverwaltungsgericht meint, reicht die bloße Erklärung, arbeitswillig zu sein, nicht generell immer dann, wenn noch nicht dreimal rechtskräftig ein Anspruchsverlust nach § 10 AlVG ausgesprochen wurde.
21 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass das AMS zweimal rechtskräftig Verluste des Anspruches des Mitbeteiligten auf Notstandshilfe nach § 10 iVm. § 38 AlVG ausgesprochen hat. Das AMS legt dem Mitbeteiligten darüber hinaus zur Last, dass er innerhalb eines Jahres ein weiteres Mal das Zustandekommen einer Beschäftigung vereitelt habe, und hat darauf die Einstellung der Notstandshilfe des Mitbeteiligten ab 26. Juli 2019 gegründet.
22 Auch wenn diese Einstellung im Zeitpunkt Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes noch nicht rechtskräftig war, lagen insgesamt deutliche Hinweise auf das Fehlen der Arbeitswilligkeit des Mitbeteiligten vor. Die Arbeitswilligkeit wäre daher näher zu prüfen gewesen. Mit seiner Ansicht, die Arbeitswilligkeit des Mitbeteiligten folge bereits aus dessen Erklärung, arbeitswillig zu sein, hat das Bundesverwaltungsgericht somit die Rechtslage verkannt. Schon aus diesem Grund war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 25. Juni 2021