JudikaturVwGH

Ra 2016/21/0251 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. November 2016

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision der J I, zuletzt in W, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Juli 2016, W117 2130543-1/5E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Revisionswerberin ist nigerianische Staatsangehörige. Nach ihrer Einreise nach Österreich stellte sie hier im Februar 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Februar 2008 vollinhaltlich abgewiesen wurde. Außerdem wurde die Revisionswerberin nach Nigeria ausgewiesen. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 12. Mai 2010, Zl. 2008/20/0258, ab.

2 Die Revisionswerberin verblieb im Bundesgebiet. Einer Ladung der (damaligen) Bundespolizeidirektion Wien für den 1. Juli 2010 kam sie nicht nach, in der Folge verfügte sie über keine Meldeadresse und war für die Behörden nicht greifbar.

3 Ab März 2015 war die Revisionswerberin wieder mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet. Einer daraufhin für den 21. Mai 2015 ergangenen Ladung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) leistete sie Folge und gab bei ihrer Einvernahme u.a. an, insbesondere wegen ihres Gesundheitszustandes (eine vorgelegte Ambulanzkarte vom April 2015 wies als Diagnose auf: "Uterus myomatosus permag., Hypermenorrhoea und Dysmenorrhoea") nicht freiwillig nach Nigeria zurückzukehren.

4 Am 23. Juni 2015 stellte die Revisionswerberin sodann einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. In der Folge konnte sie an der in diesem Antrag angegebenen Anschrift nicht erreicht werden.

5 Im September 2015 wurde dem BFA eine neue Meldeanschrift der Revisionswerberin bekannt. Diese kam dann einer Ladung für den 17. Juni 2016 (darin bezeichneter Gegenstand der Amtshandlung: "Notwendige Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes") nach, und es wurde daraufhin von der nigerianischen Vertretungsbehörde in Wien am 20. Juni 2016 ein bis 19. August 2016 gültiges Heimreisezertifikat ausgestellt.

6 Auf Basis dieses Heimreisezertifikates bereitete das BFA, bei dem mit 1. Juli 2016 eine Säumnisbeschwerde der Revisionswerberin in Bezug auf ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 eingegangen war, die Abschiebung der Revisionswerberin vor. Diese sollte am 20. Juli 2016 stattfinden. Die am 19. Juli 2016 an ihrer Meldeadresse festgenommene Revisionswerberin widersetzte sich jedoch, was sie in ihrer anschließenden Einvernahme wie folgt rechtfertigte: "Wegen der ganzen Schmerzen und dem Blut".

7 Am 21. Juli 2016 verhängte das BFA über die Revisionswerberin hierauf gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung. Die dagegen sowie gegen die Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 29. Juli 2016 gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 sowie Abs. 3 Z 1 und 3 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Zugleich stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 sowie Abs. 3 Z 1 und 3 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Entscheidungszeitpunkt weiterhin vorlägen (Spruchpunkt II), verpflichtete die Revisionswerberin zum Kostenersatz an den Bund (Spruchpunkt III.) und wies ihren Antrag auf Kostenersatz ab (Spruchpunkt IV.). Schließlich sprach es aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 In dieser Hinsicht macht die Revisionswerberin geltend, das BVwG habe es in Verkennung der Rechtslage unterlassen, sich mit ihrem in der Schubhaftbeschwerde erstatteten Vorbringen auseinanderzusetzen, wonach ihre - mit Schubhaft zu sichernde - Abschiebung mangels Titels unzulässig sei, weil die insoweit allein in Betracht kommende Ausweisungsentscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates vom Februar 2008 wegen des seither verstrichenen Zeitraums und der seither gesetzten Schritte zur beruflichen und sozialen Integration in Österreich nicht mehr wirksam sei; in Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe das BVwG außer Acht gelassen, dass eine Ausweisung ihre Wirksamkeit verlieren könne.

11 Es trifft zu, dass eine Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) ihre Wirksamkeit verliert, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK (nunmehr iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG) maßgeblich zu Gunsten des Fremden geändert haben; gegebenenfalls erwiese sich eine Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung wegen des Fehlens eines durchsetzbaren Titels für die Außerlandesbringung als rechtswidrig (siehe zum Ganzen aus letzter Zeit das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2015/21/0091 und Ro 2015/21/0031, Rz 11). In der vorliegenden Konstellation lag eine maßgebliche Änderung der Beurteilungsgrundlagen - anders als im Fall des eben genannten Erkenntnisses - aber nicht derart auf der Hand, dass sie schon im Rahmen eines Schubhaftbeschwerdeverfahrens einer näheren Untersuchung hätte unterzogen werden müssen. Zwar lag die der Schubhaftverhängung zu Grunde liegende aufenthaltsbeendende Maßnahme bereits mehr als acht Jahre zurück und vermochte die Revisionswerberin bereits auf einen insgesamt knapp zehneinhalb Jahre dauernden Inlandsaufenthalt zu verweisen. Ins Gewicht fallende Integrationsschritte vermochte sie aber nicht vorzubringen und von Mitte 2010 bis März 2015 war sie für die Behörden nicht greifbar. Von daher kann sie sich im gegebenen Zusammenhang auch nicht auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes berufen, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei (siehe zu dieser Judikaturlinie grundsätzlich das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2016/21/0299, Rz 13, mwH; vgl. aber konkret das - ein Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 9 NAG zum Gegenstand habende - hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2016, Ro 2016/22/0005). Ein Abweichen von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt somit auch unter diesem Aspekt nicht vor.

12 Das gilt schließlich ebenso für die weiter erhobene Rüge, das BVwG hätte zur "Würdigung des Verhaltens der (Revisionswerberin)" die in der Schubhaftbeschwerde ausdrücklich beantragte Beschwerdeverhandlung durchführen müssen.

13 Fallbezogen ist das Unterbleiben der beantragten Beschwerdeverhandlung unter Berufung auf § 21 Abs. 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt in Bezug auf die zu beurteilende Fluchtgefahr geklärt sei, entgegen dieser Ansicht noch nicht unvertretbar (die Revisionswerberin war unstrittig für die Behörden wiederholt nicht greifbar und sie hat sich der für den 20. Juli 2016 vorgesehenen Flugabschiebung - wenngleich unter Hinweis auf ihren Gesundheitszustand; Fluguntauglichkeit oder Haftunfähigkeit waren aber nie vorgebracht worden - widersetzt). Auch unter diesem Aspekt wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme (vgl. dazu zuletzt den hg. Beschluss vom 4. August 2016, Ra 2016/21/0232). Die gegenständliche Revision war daher in Anwendung des § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 17. November 2016

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