Ra 2023/02/0226 3 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Zur Beurteilung der Frage, ob - im Hinblick auf die über die Gefährdung von Menschen nach § 3 Abs. 2 Z 1 OÖ HundehalteG 2002 hinausgehende, eingetretene Körperverletzung - dieselbe strafbare Handlung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 7. ZPMRK vorliegt, ist nach der in der Rechtsprechung des VwGH übernommenen Judikatur des EGMR darauf abzustellen, ob dieselben Fakten das zentrale Element der Anschuldigungen und der beiden angewendeten Strafbestimmungen gebildet haben und ob die strafrechtliche Anklage die Fakten der Verwaltungsstraftat in ihrer Gesamtheit umfasste sowie umgekehrt die Verwaltungsstraftat keine Elemente enthielt, die nicht bereits in der gerichtlich strafbaren Handlung gegeben waren, wegen welcher der Beschwerdeführer verurteilt worden war (EGMR 14.1.2010, Tsonyo Tsonev gg. Bulgarien [Nr. 2], 2376/03). In der Rechtssache Maresti erblickte der EGMR eine Doppelbestrafung auch dann, wenn der Tatbestand eines der beiden in Rede stehenden Delikte im Unterschied zum anderen keine körperliche Verletzung des Beschuldigten erforderte, in concreto aber in beiden Fällen eine solche ein Element der Prüfung gewesen sei, die zu einem Schuldspruch geführt habe (EGMR 25.6.2009, Maresti gg. Kroatien, Nr. 55759/07; VwGH 21.8.2023, Ra 2023/03/0017; 12.10.2023, Ra 2023/09/0073). Selbst wenn also vorliegend davon auszugehen wäre, dass die Einstellung der Staatsanwaltschaft gemäß § 190 StPO 1975 rechtskräftig geworden ist, ist nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall dieselben Fakten ("idem") angeklagt gewesen wären: Die Staatsanwaltschaft hat die Frage der fahrlässigen Körperverletzung geprüft, mithin insbesondere das Faktum der Verletzung ins Zentrum ihrer Überlegungen gestellt (so auch das VwG, das die Körperverletzung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen bei der Prüfung der Doppelverfolgung gestellt hat). Demgegenüber war dieses Faktum nicht Gegenstand der verwaltungsstrafbehördlichen Verfolgung, ging es dort vielmehr darum, dass der Revisionswerber den Hund nicht in einer Art und Weise beaufsichtigt habe, dass Menschen und Tiere nicht gefährdet werden; der Hund des Revisionswerbers habe eine Kellnerin "angegriffen". Das Faktum der Verletzung war somit nicht Gegenstand dieses Verfahrens.