Ro 2021/09/0004 4 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen (grundsätzlich) VwG über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß Art. 94 Abs. 2 B-VG kann durch Bundes- oder Landesgesetz in einzelnen Angelegenheiten anstelle der Erhebung einer Beschwerde beim VwG ein Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte vorgesehen werden. In den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, dürfen solche Bundesgesetze nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden. Bei dem unter den Kompetenztatbestand des Gesundheitswesens nach Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG fallenden Epidemierecht handelt es sich um eine solche Angelegenheit. Die Novelle BGBl. I Nr. 63/2016 wurde ohne Einholung der Zustimmung der Länder in einem Verfahren nach Art. 42a B-VG beschlossen und kundgemacht. Wiewohl nun zwar auch Gründe für die Ansicht sprechen mögen, dass § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpidemieG 1950 als Rechtsmittelzug zu den ordentlichen Gerichten verstanden werden könnte, ist ein Gesetz im Zweifel so auszulegen, dass sein Inhalt verfassungskonform bleibt (VwGH 26.5.1998, 96/07/0233; vgl. VwGH 18.6.2020, Ro 2020/01/0006; 26.4.2006, 2005/12/0251). Im vorliegenden Fall unterblieb bei Schaffung der in Rede stehenden Bestimmung im Gesetzwerdungsprozess die Einholung der Zustimmung der Länder, obwohl bereits im Begutachtungsverfahren nicht nur darauf hingewiesen worden war, dass bei Einrichtung eines echten Instanzenzugs von Verwaltungsbehörden zu den ordentlichen Gerichten nach Art. 94 Abs. 2 B-VG im vorliegenden Fall die Zustimmung der Länder erforderlich wäre, sondern auch die in diesem Fall allenfalls problematische Konkurrenz der nach § 57 AVG vorgesehenen Vorstellung gegen einen Mandatsbescheid mit einem Rechtsmittelverfahren vor den ordentlichen Gerichten thematisiert worden war. Dies spricht gegen die Ansicht, dass mit § 7 Abs. 1a legcit. ein Rechtsmittelzug zu den ordentlichen Gerichten geschaffen werden sollte. Durch den Gesetzgeber wurde in diesem Zusammenhang weder die Erhebung einer Vorstellung gegen einen Mandatsbescheid noch die Erhebung einer Beschwerde an die VwG ausdrücklich ausgeschlossen. § 7 Abs. 1a zweiter Satz legcit. räumte lediglich ein Antragsrecht auf Überprüfung ein; weder Rechtsmittelart noch -frist wurden normiert. Auch im zweiten Abschnitt des Tuberkulosegesetzes, auf den in dieser Bestimmung verwiesen wird, wird kein an die ordentlichen Gerichte zu erhebendes Rechtsmittel gegen Verwaltungsbescheide normiert. Die Bundesregierung ging in ihrer im Verfahren vor dem VfGH G 380/2020, ua, erstatteten Äußerung davon aus, dass mit dieser Bestimmung gerade kein Instanzenzug zu den Bezirksgerichten eingerichtet werden sollte (vgl. VfGH 10.3.2021, G 380/2020, ua). Der VfGH ließ in diesem Erkenntnis offen, ob sich die Prüfung des Bezirksgerichts auf einen allfälligen Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde oder lediglich auf eine nachfolgende Anhaltung zu beziehen hätte und schloss auch die Möglichkeit einer allenfalls verbleibenden Prüfungsbefugnis der VwG nicht aus (VfGH 10.3.2021, G 380/2020, ua). Der VwGH schließt sich im vorliegenden Fall aus den dargelegten Erwägungen sowie im Hinblick darauf, dass im Zweifel die zum Zeitpunkt der Novellierung bereits bestehende Möglichkeit des Rechtsschutzes im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren - entgegen den auch anders lesbaren Ausführungen in den Materialien (vgl. ErläutRV 1187 25. GP 16) - nicht gänzlich ausgeschlossen werden sollte, der in der Revision vertretenen Ansicht an. Demnach wurde der Abgesonderten durch die ihr durch § 7 Abs. 1a zweiter Satz legcit. eröffnete Möglichkeit, einen Antrag an das Bezirksgericht auf Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung zu stellen, das verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren gegen den die Absonderung anordnenden Bescheid nicht ausgeschlossen. In diesem Fall bedurfte es vor einer Anrufung des VwG der Erhebung einer Vorstellung gegen den Mandatsbescheid.
