Leitsatz
Auswertung in Arbeit
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.859,12 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind iranische Staatsangehörige und miteinander verheiratet; sie stellten nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 1. März 2023 Anträge auf internationalen Schutz.
1.1. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gaben die Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen an, sie hätten ihren Glauben vom Islam zum Christentum gewechselt, was im Iran verboten sei; im Falle einer Rückkehr befürchteten sie die Todesstrafe (sie hätten Angst um ihr Leben).
1.2. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 2. August 2024 gaben die Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst an, sie hätten wegen des Christentums fliehen müssen, weil das Leben der Zweitbeschwerdeführerin im Iran bedroht gewesen sei. Ihr Arbeitgeber habe erfahren, dass sie zum Christentum konvertiert sei, weil sie mit ihrem Bruder, ihrem Vater und mit Kollegen über diese Religion gesprochen habe; deshalb habe ihr (sehr religiöser) Vorgesetzter sie darauf hingewiesen, dass er die Polizei verständigt hätte, und sie davor gewarnt, dass sie demnächst verhaftet würde. Daraufhin habe sie in Angst und Panik gelebt; beide Beschwerdeführer hätten um ihr Leben gefürchtet, weshalb sie sich zur Flucht aus dem Iran entschlossen hätten.
2. Mit Bescheiden jeweils vom 28. Jänner 2025 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat ab (jeweils Spruchpunkte I. und II.), erteilte den Beschwerdeführern keine Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz (jeweils Spruchpunkt III.), erließ Rückkehrentscheidungen (jeweils Spruchpunkt IV.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebungen in den Iran fest (jeweils Spruchpunkt V.) und gewährte für die freiwilligen Ausreisen Fristen von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen (jeweils Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer hätten eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gegebene Verfolgungssituation in ihrem Herkunftsstaat Iran nicht glaubhaft vorbringen und begründen können. Im Zuge der ersten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe der Erstbeschwerdeführer seine Fluchtgründe gesteigert und sich auf die Ausreisegründe seiner Ehefrau bezogen. Für die Verwaltungsbehörde sei nicht schlüssig und nicht logisch nachvollziehbar, dass die Ehefrau und der Erstbeschwerdeführer weder nach der Einreise in Italien noch unmittelbar nach der Einreise in das österreichische Bundesgebiet (sondern erst nach sieben Monaten) Asylanträge gestellt hätten. Die Zweitbeschwerdeführerin sei nicht im Stande gewesen, konkrete Angaben zum vermeintlichen Vorfall an ihrem Arbeitsplatz mit ihren Vorgesetzten zu machen. Ihre Schilderungen seien stets oberflächlich und äußerst marginal gewesen. Trotz mehrfacher Nachfrage habe die Zweitbeschwerdeführerin ihre Schilderungen sehr kurz und knapp gehalten. In Gesamtschau aller Schilderungen hätte sich auf Grund der sehr vagen und oberflächlichen bzw zum Teil widersprüchlichen Darstellungen kein glaubhaftes Bild der vermeintlichen Ereignisse ergeben. Die vermeintlich relevanten Geschehnisse hätten der Erstbeschwerdeführer und seine Ehefrau erst im späteren Verlauf des Verfahrens vorgebracht.
3. In der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht führten die Beschwerdeführer zusammengefasst aus, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei seiner Pflicht zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes nicht nachgekommen und habe nicht durch entsprechende Nachfragen darauf hingewirkt, nähere Details zu schildern und Aufschlüsse zur Begründung der Anträge zu geben. Es sei Aufgabe der Verwaltungsbehörde, etwaigen Unklarheiten nachzugehen und den Beschwerdeführern ausreichend Gelegenheit zu einem umfassenden Vorbringen zu geben, was diese jedoch unterlassen habe. Die in den erstinstanzlichen Bescheiden getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig; die Behörde werte die ihren Entscheidungen zugrunde gelegten Berichte zudem unvollständig aus. Bei der Zweitbeschwerdeführerin handle es sich um eine westlich orientierte Frau, die die gesellschaftlichen Zwänge im Iran entschieden ablehne. Auf Grund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht die erforderliche ganzheitliche Würdigung vorgenommen. Aus den angeführten Länderberichten und Aussagen der Beschwerdeführer gehe hervor, dass ihnen auf Grund der Konversion zum Christentum bzw auf Grund der missionarischen Tätigkeit unmenschliche bzw erniedrigende Behandlung drohe. Die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde beantragt.
4. Das Bundesverwaltungsgericht wies diese Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 26. Mai 2025 als unbegründet ab.
4.1. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, im vorliegenden Fall sei festgestellt worden, dass die Beschwerdeführer nicht aus einem inneren Entschluss zum Christentum konvertiert seien; sie führten in Österreich kein Leben als Christen aus innerer Glaubensüberzeugung und seien nicht ernsthaft missionarisch tätig. Die Beschwerdeführer seien in Bezug auf den vorgebrachten (Nach-)Fluchtgrund persönlich unglaubwürdig. Mangels hinreichenden Wissens über die neue Religion und schlüssiger Darlegung der Motivation für den Glaubenswechsel könne eine ernsthafte und innere Glaubensüberzeugung nicht angenommen werden. Hinzu komme, dass die vorgebrachte Verfolgungsgefahr aktuell auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen nicht objektivierbar sei, weil die von den Beschwerdeführern in Österreich gesetzten christlichen Aktivitäten nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung im Iran auslösten. Verfolgungsgefahr setze in der Regel voraus, dass zur Apostasie weitere Umstände hinzutreten würden, zB missionarische Aktivitäten oder Organisation von Hauskirchen. Derartige exponierte Tätigkeiten hätten die Beschwerdeführer jedoch nicht verrichtet; es könne bei dem mangelnden Wissen über das Christentum auch keine missionarische Tätigkeit angenommen werden. Die Rückkehr in den Iran sei außerdem kein Problem, wenn der (konvertierte) Rückkehrer den Behörden bei seiner Ausreise noch nicht bekannt gewesen sei, wofür konkret keine Anhaltspunkte vorliegen würden, zumal die Beschwerdeführer nicht glaubhaft darlegen hätten können, dass sie von den Behörden im Iran bereits aufgesucht worden seien. Selbst eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook würde allein nicht zu einer Verfolgung führen. Außerdem könnten Konvertiten problemlos zum Islam zurückkehren. Dazu genüge es, wenn die betreffende Person glaubhaft versichere, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Selbst für den Fall, dass iranische Behörden von den christlichen Aktivitäten in Österreich Kenntnis erlangten, sei nicht davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern daraus asylrelevante Verfolgung durch staatliche Akteure drohe, weil es sich bei ihnen nicht um Personen handle, die eine gehobene Position in der christlichen Gemeinde einnehmen würden oder missionarische Aktivitäten durchführten oder planten. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr durch nicht-staatliche Akteure sei aus den Länderfeststellungen gleichfalls nicht ersichtlich.
4.2. Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass im vorliegenden Fall die Tatbestandsvoraussetzungen des §21 Abs7 erster Fall BFA-VG und die dazu von der ständigen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien vorliegen würden. Der Sachverhalt sei aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt. In einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren sei den Beschwerdeführern ausreichend Parteiengehör eingeräumt worden; auch die Beschwerde zeige nicht plausibel auf, inwieweit eine neuerliche Einvernahme zu einer weiteren Klärung der Sache führen könnte. Den erstinstanzlichen Bescheiden sei ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens würden sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine Anhaltspunkte ergeben. Vielmehr sei den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen worden. Der Sachverhalt sei daher nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt worden.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der ua eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 GRC behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht regelt §21 Abs7 BFA VG den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht – sofern zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde – jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art47 Abs2 GRC, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (vgl VfSlg 19.632/2012).
Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung, wenn diese zur Gewährleistung einer den Anforderungen des Art47 Abs2 GRC an ein faires Verfahren entsprechenden Entscheidung des erkennenden Gerichtes geboten ist, stellt aber eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 GRC dar (VfGH 13.3.2013, U1175/12 ua; 26.6.2013, U1257/2012; 22.9.2014, U2529/2013).
2. Eine solche Verletzung von Art47 Abs2 GRC ist dem Bundesverwaltungsgericht hier anzulasten:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Vorbringen der Beschwerdeführer zur Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat auf Grund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum aus innerer Überzeugung als nicht glaubhaft: Der Erstbeschwerdeführer sei nicht einmal ansatzweise in der Lage gewesen, konkretere Angaben zum Themenkomplex Christentum vorzubringen, weil er viele Fragen in den niederschriftlichen Einvernahmen nicht nachvollziehen oder verstehen habe können. Es ergebe sich bereits offenkundig aus seinen Einvernahmen, dass er sich mit religiösen Lehren und Prinzipien nur extrem oberflächlich auseinandersetzt habe, weil er einfache Fragen – insbesondere im Hinblick auf die Fastenzeit oder die heiligen Sakramente – nur unzureichend beantworten habe können. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme habe die Zweitbeschwerdeführerin keinen emotionalen Bezug zur christlichen Religion oder ein tiefgehendes Wissen im Hinblick auf christliche Prinzipien darlegen können. Die Erzählweise sei knapp gewesen und in der Ausdrucksweise wenig substantiiert bzw lebendig. Es habe keine individuelle Motivation und Bezugsebene zum Christentum festgestellt werden können. Sie habe sich in keiner Weise mit den unterschiedlichen christlichen Glaubenslehren auseinandergesetzt. Die Zweitbeschwerdeführerin habe auch einfache Fragen zum Christentum nicht oder nur sehr vage beantworten können. Divergenzen zwischen dem Islam und dem Christentum habe sie nur äußerst rudimentär aufzeigen können. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe im erstinstanzlichen Bescheid richtigerweise festgehalten, dass die Zweitbeschwerdeführerin kein genaues Motiv für ihren Glaubenswechsel nennen habe können, weshalb auch kein fundiertes Interesse am Christentum erkannt worden sei.
Insgesamt ergebe sich, dass sich die Beschwerdeführer noch nicht ernsthaft dem Christentum zugewandt hätten. Hätten sie ein gesteigertes Interesse am christlichen Glauben im Sinne einer inneren Überzeugung, hätten sie in Österreich die Grundsätze des Auslebens des christlichen Glaubens vertieft. Mit all ihren Angaben hätten es die Beschwerdeführer nicht vermocht, ihre tatsächliche Glaubenspraxis darzulegen oder auch einen persönlichen Bezug zum Glauben bzw einen Konnex zwischen ihren Handlungen und ihrer inneren, christlichen Überzeugung zu vermitteln.
2.2. Für die Beurteilung, ob es sich bei der Konversion der Beschwerdeführer um eine Scheinkonversion handelt, kommt der Frage der inneren (Glaubens)Überzeugung der Beschwerdeführer maßgebliche Bedeutung zu (vgl VfGH 27.11.2019, E2522/2018, mwN). Für diese Beurteilung ist insbesondere der persönliche Eindruck der Beschwerdeführer wesentlich. Einen solchen Eindruck vermag vor dem Hintergrund des hier vorliegenden Falles aber nur eine Einvernahme in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vermitteln.
Im vorliegenden Fall, in dem die Entscheidung über das Vorliegen eines Asylgrundes wesentlich von der Glaubwürdigkeit der Asylwerber in Bezug auf ihre innere Einstellung, nämlich hier ihrer religiösen Überzeugung, abhängt, für deren Beurteilung der persönliche Eindruck maßgeblich ist, verlangt Art47 Abs2 GRC, dass sich das erkennende Gericht selbst unmittelbar in einer mündlichen Verhandlung diesen Eindruck verschafft (vgl in diesem Zusammenhang EGMR 29.10.1991, 11.826/85, Helmers, Z37, zum Gebot der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren; weiters VfSlg 19.632/2012 mwN). Indem das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung unterlassen hat, unterstellt es §21 Abs7 BFA-VG einen mit Art47 Abs2 GRC nicht zu vereinbarenden Inhalt und verletzt damit die Beschwerdeführer in ihrem durch diese Bestimmung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 363,19 sowie zwei Eingabengebühren gemäß §17a VfGG in Höhe von jeweils € 340,– enthalten.