Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya betreffend eine Volksbefragung über die Errichtung einer Windkraftanlagen mangels Klarheit der Fragestellung im Hinblick auf die "erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich" der Gemeinde
Spruch
Die als Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya zu qualifizierenden Teile der Kundmachung vom 23. Jänner 2024 mit dem Wortlaut
"Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya hat in seiner Sitzung am 15.01.2024 aufgrund §63 Abs1 NÖ Gemeindeordnung 1973 an- geordnet:"
sowie
"VOLKSBEFRAGUNG
'Errichtung und Betrieb von Windkraftanlagen
im Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya'"
sowie
"Die Frage der Volksbefragung lautet:
Soll der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungs- bereich beschließen, damit 3 bis maximal 5 Windräder auf dem Gemeinde- gebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya (Gebiet Predigtstuhl) errichtet und betrieben werden können?
O JA O NEIN",
verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 23. Jänner 2024 bis zum 11. März 2024, waren gesetzwidrig.
I. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Niederösterreich verpflichtet.
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl WIII1/2024 eine auf Art141 Abs1 lith B VG gestützte Anfechtung des Ergebnisses einer Volksbefragung anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1.1. Mit Beschluss vom 15. Jänner 2024 ordnete der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya gemäß §63 Abs1 Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 (im Folgenden: NÖ GO 1973) die Durchführung einer Volksbefragung zum Thema "Errichtung und Betrieb von Windkraftanlagen im Gebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya" an. Mit Kundmachung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya vom 23. Jänner 2024 wurde die Volksbefragung gemäß §64 Abs1 NÖ GO 1973 ausgeschrieben.
1.2. Sodann wurde am Sonntag, dem 10. März 2024 die Volksbefragung durchgeführt. Dabei entfielen von den 2.884 gültig abgegebenen Stimmen 1.493 Stimmen auf JA und 1.391 Stimmen auf NEIN. Dieses Ergebnis wurde im Sinne des §66 Abs1 NÖ GO 1973 am 10. März 2024 durch Anschlag an der Amtstafel der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya verlautbart.
1.3. Mit ihrer am 8. April 2024 eingebrachten, auf Art141 Abs1 lith B VG gestützten Anfechtung "des Verfahrens und Ergebnisses" der Volksbefragung beantragen dreizehn stimmberechtigte Gemeindebürger, die Volksbefragung im vollen Umfang für nichtig zu erklären und den Anfechtungswerbern Prozesskostenersatz im gesetzlichen Ausmaß zuzusprechen.
2. Bei der Behandlung der Anfechtung sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der als Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya zu qualifizierenden Teile der Kundmachung vom 23. Jänner 2024 mit dem Wortlaut
"Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya hat in seiner Sitzung am 15.01.2024 aufgrund §63 Abs1 NÖ Gemeindeordnung 1973 an- geordnet:"
sowie
"VOLKSBEFRAGUNG
'Errichtung und Betrieb von Windkraftanlagen
im Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya'"
sowie
"Die Frage der Volksbefragung lautet:
Soll der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungs- bereich beschließen, damit 3 bis maximal 5 Windräder auf dem Gemeinde- gebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya (Gebiet Predigtstuhl) errichtet und betrieben werden können?
O JA O NEIN",
verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 23. Jänner 2024 bis zum 11. März 2024, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 18. September 2024 beschlossen, diese als Verordnung zu qualifizierenden Teile der Kundmachung vom 23. Jänner 2024 von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof ging vorläufig davon aus, dass die Anfechtung zulässig und rechtzeitig sei und er bei seiner Entscheidung darüber die in Prüfung gezogene Verordnung anzuwenden hätte.
2.2. In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof folgende Bedenken:
"[Der] Verfassungsgerichtshof [hegt] das Bedenken, dass die Fragestellung in dem als Verordnung des Gemeinderates zu qualifizierenden Teil der Kundmachung der Bestimmung des §63 Abs1 NÖ GO 1973 widerspricht, der zufolge der Gemeinderat nur über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, ausgenommen über individuelle Verwaltungsakte und überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheiten, eine Volksbefragung anordnen kann:
2.1. Die Fragestellung der Volksbefragung hat folgenden Wortlaut:
'Soll der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich beschließen, damit 3 bis maximal 5 Windräder auf dem Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya (Gebiet Predigtstuhl) errichtet und betrieben werden können?
O JA O NEIN'
2.2. Zu dieser Fragestellung bringen die Anfechtungswerber vor, sie sei in zweifacher Hinsicht unklar und unbestimmt. Zum einen sei der Fragestellung nicht zu entnehmen, in welcher Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches die Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya tätig werden solle. Zum anderen sei auf Grund des Zusammenhanges der Volksbefragungen in den Gemeinden Waidhofen an der Thaya und Groß-Siegharts unbestimmt gewesen, in welchem Umfang im Falle der Ablehnung durch eine Gemeinde das Projekt in der anderen Gemeinde realisiert werden würde.
2.3. Gemäß Art117 Abs8 B VG kann die Landesgesetzgebung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorsehen. §63 Abs1 NÖ GO 1973 sieht vor, dass der Gemeinderat über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, ausgenommen über individuelle Verwaltungsakte und überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheiten, eine Befragung der wahlberechtigten Gemeindemitglieder (Volksbefragung) anordnen kann. Gemäß Abs2 leg. cit. ist die Frage so eindeutig zu stellen, dass sie entweder mit 'Ja' oder 'Nein' beantwortet werden kann.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erfordern es gerade Einrichtungen der direkten Demokratie, dass das Substrat dessen, was den Wahlberechtigten zur Entscheidung vorgelegt wird, klar und eindeutig ist, damit Manipulationen hintangehalten und Missverständnisse soweit wie möglich ausgeschlossen werden können (VfSlg 15.816/2000, 19.648/2012; VfGH 1.3.2023, E3130/2022). Darüber hinaus ist eine hinreichend klare Fragestellung auch Voraussetzung, um überprüfen zu können, ob alle Anforderungen an den Gegen-stand der Volksbefragung gemäß §63 NÖ GO 1973 erfüllt sind, also insbesondere auch, ob eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches vorliegt.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 19.648/2012 im Zu-sammenhang mit einer Volksbefragung über eine Windkraftanlage in einer nieder-österreichischen Gemeinde vor diesem Hintergrund ausgesprochen, dass aus dem Wortlaut der Fragestellung einer Volksbefragung gemäß §63 Abs1 NÖ GO 1973 für die Befragung stimmberechtigter Gemeindebürger – und in weiterer Folge für den Verfassungsgerichtshof, der die Fragestellung in einem Verfahren gemäß Art141 Abs1 lith BVG zu überprüfen hat – eindeutig hervorgehen muss, ob der Gegenstand der Volksbefragung in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt und um welche Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches es sich handelt (vgl auch VfGH 13.9.2013, V50/2013; 1.3.2023, E3130/2022).
2.4. Der vom Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya für die Volksbefragung am 10. März 2024 festgelegte Wortlaut der Fragestellung 'Soll der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich beschließen, damit 3 bis maximal 5 Windräder auf dem Gemeindegebiet der Stadt-gemeinde Waidhofen an der Thaya (Gebiet Predigtstuhl) errichtet und betrieben werden können?' dürfte die gebotene Klarheit und Eindeutigkeit nicht aufweisen, weil er nicht erkennen lassen dürfte, um welche Angelegenheit des eigenen Wir-kungsbereiches es sich handelt.
2.4.1. Die Gemeindewahlbehörde bringt zur Fragestellung vor, dass sich diese ausdrücklich auf den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde sowie auf Maßnahmen des Gemeinderates, wie sie in §24 Abs9 NÖ ROG 2014 für die Erlassung von Ver-ordnungen über das örtliche Raumordnungsprogramm vorgesehen sind, beziehe. Mangels vorhandener Flächenwidmungen für die Anlagenstandorte am Predigt-stuhl sei – jedenfalls für den Durchschnittswähler – offenkundig gewesen, dass mit den 'erforderlichen Maßnahmen des Gemeinderates' ausschließlich ein Umwid-mungsverfahren angesprochen war bzw sein konnte. Überdies sei in den Stadt-nachrichten der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya umfangreich über mögliche Vorhaben informiert und das Thema der Umwidmung ausdrücklich angesprochen worden.
2.4.2. Entgegen dieser Ansicht dürfte sich aus der Fragestellung nicht ableiten lassen, dass und ob ausschließlich die Frage der Flächenwidmung Gegenstand der Volksbefragung sein soll. Überdies dürfte der Wortlaut der Fragestellung etwa auch dahingehend verstanden werden können, dass die Gemeinde im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung selbst (im eigenen Wirkungsbereich) Windkraftanlagen errichten oder die Errichtung von Windkraftanlagen durch einen privaten Betreiber – beispielsweise durch finanzielle Förderungen – ermöglichen möchte (vgl VfSlg 19.648/2012). Schließlich dürfte die Fragestellung nahelegen, dass nicht bloß eine, sondern mehrere Maßnahmen zur Realisierung des Projektes erforderlich sind.
Der Verfassungsgerichtshof wird demnach im Verordnungsprüfungsverfahren ins-besondere (auch) zu klären haben, ob die Fragestellung im vorliegenden Fall vor dem Hintergrund der in Rz 24 dargestellten Rechtsprechung konkreter formuliert hätte werden müssen.
2.4.3. Im Hinblick auf die gebotene Klarheit und Eindeutigkeit der Fragestellung dürfte es auch nicht ausreichend sein, dass – wie die Gemeindewahlbehörde in ihrer Gegenschrift darlegt – in den 'Stadtnachrichten' umfangreich über das mögliche Vorhaben informiert und das Thema der Umwidmung ausdrücklich angesprochen worden sei. Bei Volksbefragungen dürfte nämlich die Klarheit und Eindeutigkeit der Fragestellung selbst essentiell sein, und zwar unabhängig davon, wie intensiv eine Frage vor der Volksbefragung diskutiert wurde (vgl VfSlg 15.816/2000, 19.772/2013; VfGH 1.3.2023, E3130/2022).
2.5. Aus diesen Gründen hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die in Prüfung gezogenen, als Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya zu qualifizierenden Teile der Kundmachung vom 23. Jänner 2024 den Erfordernissen des §63 Abs1 NÖ GO 1973 widersprechen."
3. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya hat die Akten betreffend das Zustandekommen der in Prüfung gezogenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
"Zunächst darf die mP [mitbeteiligte Partei] auf ihre bereits im Prüfbeschluss berücksichtigte Gegenschrift verweisen. Danach ist aus ihrer Sicht die Formulierung, wonach der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich beschließen soll, weder unklar noch unbestimmt: Die im Beschluss zitierte Entscheidung VfSlg 19.648/2012 ist in diesem Zusammenhang nicht einschlägig, da im zugrunde liegenden Anlassfall in der Fragestellung gerade nicht auf den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde Bezug genommen und damit nicht klargestellt wurde, dass die Gemeinde weder über einen individuellen Verwaltungsakt noch über eine allfällige 'Betreiberschaft' abstimmen wollte.
Letztgenannte Zweifel liegen in der gegenständlichen Konstellation aus der Sicht der mP nicht vor, im Gegenteil:
Einerseits bezieht sich die Fragestellung ausdrücklich auf den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde sowie auf Maßnahmen des Gemeinderats, wie sie in §24 Abs9 NÖ ROG 2014 für die Erlassung von Verordnungen über das örtliche Raumordnungsprogramm vorgesehen sind (für individuelle Verwaltungsakte im Hinblick auf die Genehmigung von Windenergieanlagen ist der Gemeinderat niemals zuständig und auch ein allfälliger Baubewilligungsantrag wäre in erster Instanz vom Bürgermeister mangels Baubewilligungspflicht zurückzuweisen).
Andererseits war/ist mangels vorhandener Flächenwidmungen für die Anlagenstandorte am Predigtstuhl – jedenfalls für den aus der Sicht der mP wesentlichen Durchschnittswähler – offenkundig, dass mit den 'erforderlichen Maßnahmen des Gemeinderates' ausschließlich ein Umwidmungsverfahren angesprochen war bzw sein konnte (vgl dazu etwa auch Laimgruber/Nigmatullin, Örtliche Energieraumplanung: Unions- und verfassungsrechtliche Voraussetzungen und Grenzen [Teil 1], RFG 2022/24, die die örtliche Raumplanung 'als eine der zentralen Gemeindeaufgaben' bezeichnen).
Wenn der VfGH in seinem Prüfungsbeschluss, Rn 28, davon spricht, dass 'die Gemeinde auch im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung selbst (im eigenen Wirkungsbereich) Windkraftanlagen errichten oder die Errichtung von Windkraftanlagen durch einen privaten Betreiber – beispielsweise durch finanzielle Förderungen – ermöglichen' könnte, so trifft diese Rechtsansicht zwar grundsätzlich zu.
Dessen ungeachtet ist de lege lata bzw im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens die Flächenwidmung die wesentliche Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung. Insoweit stellt gerade die notwendige Widmung als die zentrale Aufgabe der Gemeinde im Rahmen des eigenen Wirkungsbereichs den ersten Schritt für eine mögliche Umsetzung des Windpark-Vorhabens dar. Anders ausgedrückt: Ohne eine 'passende' Flächenwidmung kann weder die Gemeinde noch ein Dritter Windkraftanlagen errichten und betreiben (auf die Sonderbestimmung des §4a UVP-G 2000 wurde im gegenständlichen Verfahren nicht eingegangen, sodass diese Norm auch hier nicht weiter kommentiert wird) oder diesbezüglich finanzielle Förderungen erhalten.
Auch vor diesem Hintergrund war die Fragestellung hinreichend konkret und bestimmt, weil sie letztlich darauf gerichtet war, ob vom Gemeinderat im Rahmen des eigenen Wirkungsbereichs die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen geschaffen werden sollen oder nicht. Diesbezüglich gab und gibt es keine Missverständnisse (und wurden solche auch nicht von den Anfechtungswerbern vorgebracht).
Ob es in weiterer Folge (auch) privatwirtschaftliche Verträge oder Förderungen (im eigenen Wirkungsbereich) geben soll, die nur dann in Frage kommen, wenn überhaupt eine Flächenwidmung vorliegt, die die Umsetzung des Vorhabens ermöglicht, war nicht Gegenstand der Volksbefragung. Aus der Sicht der mP hatten die Wahlberechtigten bzw hatte der durchschnittliche Wahlberechtigte, der in der Regel kein einschlägiges rechtswissenschaftliches Studium abgeschlossen hat, solche – durchaus diffizilen – Überlegungen auch nicht vor Augen und erscheint es daher überschießend, auf solche abzustellen.
Vor diesem Hintergrund geht die mP weiterhin davon aus, dass die Fragestellung in Ordnung war."
4. Die Gemeindewahlbehörde der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya hat keine Äußerung erstattet.
5. Die Niederösterreichische Landesregierung teilte mit, dass von der Erstattung einer Äußerung abgesehen werde.
6. Der Verfassungsgerichtshof hat die Landesregierungen der anderen Bundesländer sowie den Österreichischen Städtebund und den Österreichischen Gemeindebund zur Abgabe einer Äußerung eingeladen. Eine solche wurde jedoch jeweils nicht erstattet.
II. Rechtslage
1. Die Kundmachung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya vom 23. Jänner 2024, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 23. Jänner 2024 bis zum 11. März 2024, lautet:
"KUNDMACHUNG
Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya hat in seiner Sitzung am 15.01.2024 aufgrund §63 Abs1 NÖ Gemeindeordnung 1973 angeordnet:
Ausschreibung der Volksbefragung zum Thema
'Errichtung und Betrieb von Windkraftanlagen
im Gebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya'
Für die Volksbefragung zum Thema 'Errichtung und Betrieb von Windkraftanlagen im Gebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya'
wird als Abstimmungstag
Sonntag, der 10. März 2024
bestimmt.
Als Stichtag gilt der Tag, welcher eine Woche nach der Anordnung der Volksbefragung folgt, das ist der 22.01.2024 (lt. §64 Abs1 NÖ Gemeindeordnung).
VOLKSBEFRAGUNG
'Errichtung und Betrieb von Windkraftanlagen
im Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya'
In den beiden Stadtgemeinden – Waidhofen an der Thaya und Groß-Siegharts – gibt es Anfragen zur Errichtung von Windrädern.
Stimmen beide Stadtgemeinden einer Umsetzung eines Projektes im Gebiet des Predigtstuhls zu, sind 3 Windräder im Gemeindegebiet Groß-Siegharts und 3 Windräder im Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya geplant.
Stimmt nur eine der beiden Stadtgemeinden für ein Windparkprojekt, wird die Anzahl der geplanten Windräder in dieser Gemeinde höher:
In der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya sollen dann 5 Windräder oder in der Stadtgemeinde Groß-Siegharts 6 Windräder geplant werden.
Die Frage der Volksbefragung lautet:
Soll der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich beschließen, damit 3 bis maximal 5 Windräder auf dem Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya (Gebiet Predigtstuhl) errichtet und betrieben werden können?
O JA O NEIN
Der Bürgermeister
[…]"
2. §§63 bis 66 NÖ Gemeindeordnung 1973 (NÖ GO 1973), LGBl 1000-0 idF LGBl 3/2025, lauten:
"5. Abschnitt
Volksbefragung
§63
Anordnung einer Volksbefragung
(1) Der Gemeinderat kann über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, ausgenommen über individuelle Verwaltungsakte und überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheiten, eine Befragung der wahlberechtigten Gemeindemitglieder (Volksbefragung) anordnen.
(2) Die Frage, die durch die Volksbefragung zu entscheiden ist, ist so eindeutig zu stellen, daß sie entweder mit 'Ja' oder 'Nein' beantwortet oder im Falle, daß über zwei oder mehrere Varianten entschieden werden soll, die gewählte Variante bestimmt bezeichnet werden kann. Der Gemeinderat kann überdies beschließen, daß das Ergebnis der Volksbefragung einem Gemeinderatsbeschluß gleichzuhalten ist, wenn gleichzeitig für die Bedeckung allfälliger Ausgaben vorgesorgt wird.
§64
Ausschreibung der Volksbefragung
(1) Der Bürgermeister hat die Volksbefragung binnen vier Wochen nach ihrer Anordnung (§63), frühestens jedoch am Tag nach dem Stichtag, auszuschreiben. Als Stichtag gilt der Tag, welcher eine Woche nach der Anordnung der Volksbefragung folgt.
(2) Die Volksbefragung ist spätestens am siebenten dem Tage der Ausschreibung nachfolgenden Sonntag durchzuführen.
(3) Die Ausschreibung, der Stichtag und der Tag der Volksbefragung sowie der Wortlaut der Frage oder, wenn über zwei oder mehrere Varianten entschieden werden soll, der Wortlaut der Fragen sind öffentlich kundzumachen und ortsüblich zu verlautbaren.
(4) Für die Dauer außergewöhnlicher Verhältnisse (§44 Abs4) oder der Dauer der Geltung von Maßnahmen betreffend die COVID-19-Pandemie verlängert sich die Frist nach Abs1 um 12 Wochen. Dauern die Maßnahmen betreffend die COVID-19-Pandemie über diesen Zeitraum hinaus an, kann die Landesregierung durch Verordnung abweichende Fristen festlegen.
§65
Abstimmungsbehörden und Verfahren
(1) Die Durchführung der Volksbefragung obliegt der anläßlich der jeweils zuletzt durchgeführten Wahl des Gemeinderates gebildeten Gemeindewahlbehörde. Für das Verfahren bei Durchführung der Volksbefragung gilt die NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994, LGBl 0350, sinngemäß, soweit im folgenden nicht anderes bestimmt ist.
(2) Das Verzeichnis der Abstimmungsberechtigten ist aufgrund der NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994, LGBl 0350, anzulegen und beginnend mit der Ausschreibung der Volksbefragung für die Dauer von drei Tagen zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. Das Landesverwaltungsgericht hat über eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Gemeindewahlbehörde über einen allfälligen Berichtigungsantrag binnen 7 Tagen nach deren Einlangen zu entscheiden.
(3) Die Stimmzettel dürfen nur auf 'Ja' oder 'Nein' lauten. Im Falle, daß über zwei oder mehrere Varianten entschieden werden soll, müssen die Varianten so bezeichnet werden, daß der Wille des Stimmberechtigten eindeutig erkennbar ist.
(4) Die Bestimmungen des 18. Abschnittes des Strafgesetzbuches, BGBl Nr 60/1974 i.d.F. BGBl I Nr 153/1998, gelten sinngemäß auch für die Volksbefragung.
§66
Abstimmungsergebnis und Durchführung
(1) Das Abstimmungsergebnis ist spätestens am dritten Tag nach dem Abstimmungstag kundzumachen und unterliegt keinem Rechtsmittel.
(2) Die gestellte Frage gilt als bejaht, wenn mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen auf 'Ja' lauten. Wenn über zwei oder mehrere Varianten entschieden wurde, so gilt die Variante als erwählt, auf die die meisten Stimmen entfallen.
(3) Das Ergebnis der Volksbefragung ist dem zuständigen Organ der Gemeinde zur ordnungsgemäßen Behandlung zuzuleiten."
3. §16 Volksbefragungsgesetz 1989, BGBl 356/1989 idF BGBl 339/1993, lautet:
"§16. (1) Innerhalb von vier Wochen vom Tag dieser Verlautbarung an kann die Feststellung der Bundeswahlbehörde wegen Rechtswidrigkeit des Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Eine solche Anfechtung muß in den Landeswahlkreisen Burgenland und Vorarlberg von je 100, in den Landeswahlkreisen Kärnten, Salzburg und Tirol von je 200, in den Landeswahlkreisen Oberösterreich und Steiermark von je 400 und in den Landeswahlkreisen Niederösterreich und Wien von je 500 Personen, die in der Stimmliste einer Gemeinde des Landeswahlkreises eingetragen waren, unterstützt sein. Der Anfechtung, in der auch ein bevollmächtigter Vertreter namhaft zu machen ist, sind eigenhändig unterfertigte Unterstützungserklärungen anzuschließen, für die die im §42 Abs2 bis 4 NRWO enthaltenen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden sind.
(2) Auf das Verfahren über solche Anfechtungen sind die Bestimmungen der §§68 Abs2, 69 Abs1 sowie 70 Abs1 und 4 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 sinngemäß anzuwenden. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis gegebenenfalls auch die ziffernmäßige Ermittlung der Bundeswahlbehörde richtigzustellen."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Der Verfassungsgerichtshof hält an seiner im Prüfungsbeschluss vertretenen Auffassung fest, dass die – rechtzeitige – Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung am 10. März 2024 in der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya durch dreizehn stimmberechtigte Gemeindebürger – deren Legitimation weder im Anlassverfahren noch im Verordnungsprüfungsverfahren bestritten wurde – zulässig ist.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 19.648/2012 ausgesprochen, dass die Anordnung einer Volksbefragung und die Festlegung des Wortlautes der Fragestellung gemäß §63 NÖ GO 1973 mit Verordnung des Gemeinderates erfolgen (vgl auch VfGH 13.9.2013, V50/2013). Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seiner im Prüfungsbeschluss vertretenen – im Verordnungsprüfungsverfahren unwidersprochen gebliebenen – Auffassung, dass es sich bei den in Prüfung gezogenen Teilen der Kundmachung vom 23. Jänner 2024 um eine Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya handelt.
1.3. Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Volksbefragung hat der Verfassungsgerichtshof auch die – in der Anfechtung bestrittene – Rechtmäßigkeit der Fragestellung zu überprüfen (vgl VfSlg 19.648/2012; VfGH 13.9.2013, V50/2013); er hat daher die als Verordnung des Gemeinderates zu qualifizierenden, in Prüfung gezogenen Teile der Kundmachung anzuwenden, weil die Fragestellung, deren Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen wird, durch diese Verordnung festgelegt wurde. Da die Anordnung der Volksbefragung gemäß §63 Abs1 NÖ GO 1973 mit der Festlegung des Wortlautes der Fragestellung gemäß Abs2 leg. cit. in einem untrennbaren Zusammenhang steht, sind die als Verordnung zu qualifizierenden, in Prüfung gezogenen Teile der Kundmachung vom 23. Jänner 2024 im Anlassverfahren zur Gänze präjudiziell.
1.4. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
2. In der Sache
2.1. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Verordnungsprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:
2.2. Der Verfassungsgerichtshof äußerte Bedenken im Hinblick auf die gebotene Klarheit und Eindeutigkeit der Fragestellung für die Volksbefragung am 10. März 2024. Deren Wortlaut "Soll der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich beschließen, damit 3 bis maximal 5 Windräder auf dem Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya (Gebiet Predigtstuhl) errichtet und betrieben werden können?" lasse nicht erkennen, um welche Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde es sich handelt.
2.3. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya trat dieser Auffassung in seiner Äußerung entgegen:
Die Fragestellung beziehe sich ausdrücklich auf den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde sowie auf Maßnahmen des Gemeinderates, wie sie in §24 Abs9 NÖ ROG 2014 für die Erlassung von Verordnungen über das örtliche Raumordnungsprogramm vorgesehen seien; für individuelle Verwaltungsakte im Hinblick auf die Genehmigung von Windenergieanlagen sei der Gemeinderat niemals zuständig. Für den Durchschnittswähler sei offenkundig, dass mit den "erforderlichen Maßnahmen des Gemeinderates" ausschließlich ein raumordnungsrechtliches Umwidmungsverfahren angesprochen gewesen sei. Die Flächenwidmung sei die wesentliche Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung. Insoweit stelle gerade die notwendige Widmung als die zentrale Aufgabe der Gemeinde im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches den ersten Schritt für eine mögliche Umsetzung des Windpark-Vorhabens dar. Die Fragestellung sei hinreichend konkret und bestimmt, weil sie letztlich darauf gerichtet gewesen sei, ob vom Gemeinderat im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen geschaffen werden sollen.
2.4. Gemäß Art117 Abs8 B VG kann die Landesgesetzgebung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorsehen. §63 Abs1 NÖ GO 1973 sieht auf dieser verfassungsgesetzlichen Grundlage vor, dass der Gemeinderat über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, ausgenommen über individuelle Verwaltungsakte und überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheiten, eine Befragung der wahlberechtigten Gemeindemitglieder (Volksbefragung) anordnen kann. Gemäß Abs2 leg. cit. ist die Frage so eindeutig zu stellen, dass sie entweder mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann.
2.4.1. Der Verfassungsgerichtshof leitet im Zusammenhang mit direkt-demokratischen Verfahren aus dem – auch auf Volksbefragungen übertragbaren (vgl VfSlg 13.839/1994) – Prinzip der "Reinheit", verstanden im Sinne von "Freiheit" der Wahlen (vgl VfSlg 20.615/2023 mwN) ein Gebot der Klarheit und Eindeutigkeit der Fragestellung sowie ein Verbot von Suggestivfragen ab (vgl VfSlg 15.816/2000, 19.648/2012, 19.772/2013, 20.591/2023; VfGH 13.9.2013, V50/2013). Gerade Einrichtungen der direkten Demokratie im Sinne des Art141 Abs1 lith B VG erfordern es nach dieser Rechtsprechung, dass das Substrat dessen, was den Wahlberechtigten zur Entscheidung vorgelegt wird, klar und eindeutig ist, damit Manipulationen hintangehalten und Missverständnisse soweit wie möglich ausgeschlossen werden können. Diese Anforderung trägt (auch) der (verfassungs-)gesetzlichen Bedeutung (vgl Merli , Art49b B VG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg. 2002, Rz 9; Poier , Art49b BVG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 23. Lfg. 2019, Rz 8, 30) derartiger Einrichtungen, welche die Einhaltung und Überprüfbarkeit eines bestimmten Verfahrens voraussetzt, Rechnung. Die Klarheit und Eindeutigkeit der Fragestellung ist bei Volksbefragungen demnach – unabhängig davon, wie intensiv eine Frage vor einer Volksbefragung diskutiert wurde – essentiell (vgl VfSlg 15.816/2000, 19.648/2012, 19.772/2013, 20.591/2023; VfGH 13.9.2013, V50/2013).
Darüber hinaus ist eine hinreichend klare Fragestellung eine Voraussetzung, um überprüfen zu können, ob alle Anforderungen an den Gegenstand der Volksbefragung gemäß §63 NÖ GO 1973 erfüllt sind, also insbesondere auch, ob eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches vorliegt. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 19.648/2012 im Zusammenhang mit einer Volksbefragung über eine Windkraftanlage in einer niederösterreichischen Gemeinde ausgesprochen, dass in der Fragestellung selbst zwar nicht ausdrücklich dargelegt werden muss, ob und warum es sich um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde handelt. Allerdings muss sich aus der Fragestellung der Gegenstand der Volksbefragung so eindeutig ergeben, dass daraus abgeleitet werden kann, ob es sich um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde handelt bzw um welche (vgl in diesem Sinne ferner VfGH 13.9.2013, V50/2013, sowie, zum Bgld GemVG, VfSlg 20.591/2023).
2.4.2. Ob eine Fragestellung die dargelegten Anforderungen erfüllt, hängt demnach entscheidend davon ab, ob diese ihrem Wortlaut nach geeignet ist, dem Zweck der Volksbefragung zu dienen, der bei einer Volksbefragung auf Grund der NÖ GO 1973 (jedenfalls) darin besteht, im Sinne des Art117 Abs8 B VG eine unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der stimmberechtigten Gemeindebürger in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches durch die Erforschung des Willens der Gemeindebürger zu ermöglichen (vgl VfSlg 15.816/2000).
2.4.3. Es ist dazu auch dann, wenn sich die Volksbefragung auf Handlungen der Gemeinde zur Ermöglichung oder Verhinderung eines bestimmten Vorhabens bezieht, erforderlich, dass für die bei der Befragung stimmberechtigten Gemeindebürger – und in weiterer Folge für den Verfassungsgerichtshof, der die Fragestellung zu überprüfen hat – aus der Fragestellung selbst erkennbar ist, über welche Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches sie befragt werden (vgl VfGH 13.9.2013, V50/2013).
Dafür ist mitunter die bloße Bezeichnung des Vorhabens ausreichend. Kann ein Vorhaben seiner Art nach typischerweise (ganz) unterschiedliche Maßnahmen der Gemeinde erfordern, ist hingegen eine – über die Bezeichnung des Vorhabens hinausgehende – Umschreibung des Gegenstandes der Volksbefragung geboten. Ob eine konkrete Formulierung einer Fragestellung dem hinreichend Rechnung trägt und damit geeignet ist, der Erforschung des Willens der Gemeindebürger zu dienen, ist abhängig von der konkreten Konstellation, so etwa im Hinblick auf den Stand und den Konkretisierungsgrad des Vorhabens, zu beurteilen (vgl VfSlg 15.816/2000). Es ist gleichwohl – auch zur Vermeidung zu komplexer und unverständlicher Fragestellungen – in der Regel ausreichend, die in Frage stehende(n) Angelegenheit(en) abstrakt zu umschreiben, also beispielsweise danach zu fragen, ob eine Änderung des Flächenwidmungsplanes, eine finanzielle Förderung oder die Errichtung einer Gemeindestraße für ein bestimmtes Vorhaben erfolgen soll (vgl VfGH 13.9.2013, V50/2013; VfSlg 20.591/2023).
2.4.4. Der Wortlaut der Fragestellung für die Volksbefragung am 10. März 2024 genügt den dargelegten Anforderungen – entgegen der Ansicht des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya – nicht. Er lässt in keiner Weise erkennen, welche Angelegenheit im Sinne des §63 Abs1 NÖ GO 1973 den Gegenstand der Befragung der Gemeindemitglieder bilden soll, zumal lediglich von den vom Gemeinderat zu beschließenden "erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich" die Rede ist. Daran ändert im vorliegenden Fall auch die Bezugnahme auf ein konkretes Vorhaben (Errichtung und Betrieb von drei bis maximal fünf Windrädern) in der Fragestellung nichts, zumal dieses seiner Art nach unterschiedliche Maßnahmen der Gemeinde erfordern kann, so beispielsweise die Schaffung der raumplanerischen Voraussetzungen für die Umsetzung des Vorhabens, die (finanzielle) Förderung des Vorhabens oder die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen durch die Gemeinde selbst. Es lässt sich aus dem in der Fragestellung zum Ausdruck gebrachten Vorhaben – anders als der Gemeinderat meint – daher weder ableiten, dass die Umwidmung von bestimmten Grundstücken der Gegenstand der Volksbefragung sein, noch, dass es ausschließlich um diese Frage gehen soll.
2.4.5. Bei all dem spielen – notwendigerweise spekulative – Erwägungen über den Kenntnisstand der stimmberechtigten Bürger bzw der "Durchschnittswähler", wie sie der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya anstellt, von vornherein keine Rolle. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 15.816/2000 ausgesprochen hat, kommt es auch nicht darauf an, ob und wie intensiv eine Frage vor einer Volksbefragung diskutiert wurde (vgl auch VfGH 13.9.2013, V50/2013; VfSlg 20.591/2023). Dem Erfordernis der Klarheit und Eindeutigkeit genügt es sohin im vorliegenden Fall auch nicht, dass in den "Stadtnachrichten" über das mögliche Vorhaben informiert und das Thema der Umwidmung ausdrücklich angesprochen wurde.
2.4.6. Die Fragestellung ist demnach, wie letztlich das Vorbringen des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya selbst erweist, nicht klar und eindeutig formuliert (vgl VfSlg 15.816/2000, 19.648/2012, 20.591/2023). Unter der vom Gemeinderat ins Treffen geführten Prämisse, wonach "mit den 'erforderlichen Maßnahmen des Gemeinderates' ausschließlich ein Umwidmungsverfahren angesprochen war bzw sein konnte", wäre es möglich und geboten gewesen, den Wortlaut der Fragestellung entsprechend konkreter zu fassen, um Missverständnisse über die in Frage stehende Angelegenheit zu vermeiden (vgl VfGH 13.9.2013, V50/2013; VfSlg 20.591/2023).
2.5. Aus den dargestellten Gründen erweist sich die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya vom 23. Jänner 2024 wegen Verstoßes gegen §63 Abs1 NÖ GO 1973 als gesetzwidrig.
IV. Ergebnis
1. Die als Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya zu qualifizierenden Teile der Kundmachung vom 23. Jänner 2024 mit dem Wortlaut
"Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya hat in seiner Sitzung am 15.01.2024 aufgrund §63 Abs1 NÖ Gemeindeordnung 1973 an- geordnet:"
sowie
"VOLKSBEFRAGUNG
'Errichtung und Betrieb von Windkraftanlagen
im Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya'"
sowie
"Die Frage der Volksbefragung lautet:
Soll der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungs- bereich beschließen, damit 3 bis maximal 5 Windräder auf dem Gemeinde- gebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya (Gebiet Predigtstuhl) errichtet und betrieben werden können?
O JA O NEIN",
verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 23. Jänner bis zum 11. März 2024, waren gesetzwidrig.
2. Die Verpflichtung zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung erfließt aus Art139 Abs5 erster und zweiter Satz BVG und §59 Abs2 (iVm §61 Z2) VfGG und §2 Abs1 Z6 NÖ Verlautbarungsgesetz 2015.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.