E2503/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird im beantragten Umfang stattgegeben.
II. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige, Angehörige der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Am 15. November 2022 stellte sie einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin an, dass sie Gedichte und Kolumnen veröffentlicht habe und deshalb vom syrischen Regime bedroht werde. Auf Grund der politischen Gesinnung ihrer gesamten Familie und im Speziellen auf Grund ihrer schriftstellerischen Tätigkeiten, die diese politische Gesinnung auch an die Bevölkerung herangetragen habe, werde die Beschwerdeführerin politisch verfolgt.
2. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab. Der Beschwerdeführerin wurde der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt.
3. Mit Verfahrensanordnung vom 7. Dezember 2023 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Beschwerdeführerin von Amts wegen die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU als Rechtsberaterin zur Seite. In der Verfahrensordnung informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Beschwerdeführerin über ihr Recht, sich durch die Rechtsberaterin im Beschwerdeverfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, vertreten zu lassen.
4. Die Beschwerdeführerin bevollmächtigte die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU mit ihrer Vertretung im Verfahren und erhob am 3. Jänner 2024 durch ihre bevollmächtigte Vertreterin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
5. Mit Schreiben vom 19. März 2024, zugestellt am 19. März 2024, brachte das Bundesverwaltungsgericht der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU als Rechtvertreterin der Beschwerdeführerin die Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis. Der Ladung war folgender Hinweis angeschlossen: "Als Verfahrenspartei steht es Ihnen frei, gemeinsam mit Ihrer Vertreterin oder Ihrem Vertreter zu erschienen." Eine gesonderte Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung an die Beschwerdeführerin erfolgte nicht.
6. Die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH BBU stellte mit Schriftsatz vom 9. April 2024 eine Vertagungsbitte und begründete diese damit, dass es ihr nicht möglich sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Im Falle der Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Rechtsvertreterin sei deren Nichterscheinen zu entschuldigen. Die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH BBU beantragte gleichzeitig die Gewährung einer 14 tägigen Stellungnahmefrist im Anschluss an die Durchführung der mündlichen Verhandlung.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25. April 2024 eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit der der Beschwerdeführerin von Amts wegen beigegebenen Rechtsvertreterin durch. Der erkennende Richter erkundigte sich nicht, ob die Beschwerdeführerin damit einverstanden war, ohne ihre von Amts wegen beigegebene Rechtsvertreterin zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und ob der Vertagungsbitte stattzugeben ist. Beim Bundesverwaltungsgericht langte keine Stellungnahme der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH BBU ein.
8. Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen den Bescheid vom 6. Dezember 2023 erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 24. Mai 2024 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Fluchtvorbringen als unglaubwürdig und stellt fest, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens keine Anhaltspunkte hervorgekommen seien, die auf eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin hindeuteten.
9. Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 BVG gestützte Beschwerde. Sie stützt sich im Wesentlichen darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht keine ausreichenden Schritte gesetzt habe, um der Beschwerdeführerin eine wirksame und effiziente Vertretung während der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu ermöglichen. Das angefochtene Erkenntnis sei willkürlich ergangen und verletze die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung). Außerdem werde die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art47 GRC) und auf eine wirksame Beschwerde (Art13 EMRK) verletzt. Die Beschwerdeführerin beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.
10. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
11. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm ebenfalls von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor-bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung seit VfSlg 11.196/1986 zum rechtsstaatlichen Prinzip festhält (vgl VfSlg 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998, 16.245/2001), müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Der Verfassungsgerichtshof hat vor diesem Hintergrund wiederholt die Auffassung vertreten, dass das Verfahren zur Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die ein Abweichen von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes erforderlich machen können (vgl VfSlg 13.831/1994, 13.834/1994, 13.838/1994, 15.218/1998). Im Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 hat er ua auch darauf hingewiesen, dass dem rechtsschutzsuchenden Asylwerber neben dem sprachlichen grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis der Entscheidung ermöglicht werden muss und es ihm demnach möglich sein muss, sich "der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand" zu bedienen (vgl auch VfSlg 18.809/2009).
In seinem Erkenntnis VfSlg 19.490/2011 hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung (VfSlg 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie VfGH 2.10.2010, U3078/09 ua) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren durch den damaligen Asylgerichtshof im Hinblick auf den damals in §66 AsylG 2005 (nunmehr §§48 bis 52 BFAVG) normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des (damaligen) Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. Mai 2016, Ro 2016/18/0001, judiziert, dass es auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip einerseits und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften andererseits resultierenden Verfahrensgarantien auch Sache des Verwaltungsgerichtes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof gibt in ständiger Rechtsprechung Beschwerden bei von Amts wegen beigegebenen Rechtsberatern, die zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht erscheinen, statt, wenn die mündliche Verhandlung durchgeführt wird, ohne dass der Beschwerdeführer über die Möglichkeit der Ladung der Rechtsberaterin in Kenntnis gesetzt wird oder dahin-gehend befragt wird, ob er sein Vertretungsverhältnis aufrechterhält (VfGH 24.2.2020, E2425/2019; 22.9.2021, E2594/2021).
In der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25. April 2024 wird die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, die nicht zu dieser Verhandlung erschien, als Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin ausgewiesen. Der erkennende Richter hat die Beschwerdeführerin angesichts der Abwesenheit ihrer Rechtsvertretung nicht ausdrücklich dahingehend befragt, ob die mündliche Verhandlung ohne Anwesenheit der von Amts wegen zur Verfügung gestellten Rechtsvertretung durchgeführt werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin in Kauf genommen, dass die Beschwerdeführerin während der gesamten Verhandlung nicht vertreten war, anstatt die Beschwerdeführerin (zumindest) über die Möglichkeit der Beiziehung der Rechtsberaterin in Kenntnis zu setzen. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass der erkennende Richter "nach Aufruf der Sache die Identität und Stellung der Anwesenden sowie etwaige Vertretungsbefugnisse wie oben eingetragen" prüfte, die Parteien des Verfahrens und die sonstigen Anwesenden zur Verhandlung rechtzeitig geladen wurden und dass die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH BBU von einer Teilnahme an der Verhandlung aus Kapazitätsgründen Abstand nahm. Es findet sich kein Hinweis, wonach der erkennende Richter die Beschwerdeführerin über ihr Recht informierte, gemeinsam mit ihrer Rechtsvertretung an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Ebenso wurde nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keinen Einwand gegen die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit ihrer Rechtsvertretung hatte. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes, sich dieser Tatsache durch Belehrung und Nachfrage zu vergewissern.
Da das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, liegt eine willkürliche Handhabung des Verfahrensrechts vor (vgl VfGH 8.6.2021, E3947/2020; 22.9.2021, E2594/2021; 28.2.2022, E2810/2021; 14.12.2022, E2016/2022; 3.10.2024, E2483/2024 jeweils mwN).
2.3. Es ist außerdem Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes, sich der Tatsache zu vergewissern, dass die Parteien und deren Vertreter (mit einer ausreichenden Vorbereitungszeit) an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können. Stellt die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH BBU als von Amts wegen zur Seite gestellte Rechtsberaterin – wie im Beschwerdefall getan – eine Vertagungsbitte, hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob der Vertagungsbitte stattzugeben ist (vgl VwGH 19.10.1970, 751/70; 16.12.1993, 90/06/0185; 25.10.2000, 99/06/0063). Dass das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, stellt ebenfalls eine willkürliche Handhabung des Verfahrensrechts dar.
2.4. Das angefochtene Erkenntnis ist aus den genannten Gründen aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.