Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht betreffend die Versagung der Vergütung von Energieabgaben; mangelhafte Ermittlung und Begründung der Herstellung und des Entstehungsprozesses eines am Markt gehandelten Endproduktes
Spruch
I. Die beschwerdeführende Partei ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die beschwerdeführende Partei betreibt ein Unternehmen, welches auf das Recyceln von Metall- und Kunststoffteilen spezialisiert ist. Ihre Haupttätigkeit liegt im Entlacken (Entfernen von Lackschichten, Verschleißbelegen, Gummierungen, Kunststoffanhaftungen und Kleberesten) in einem chemischen, mechanischen oder thermischen Verfahren. Als Nebentätigkeit führt sie auch Behandlungen von Metallteilen durch Sandstrahlung als Vorbereitung für eine nachfolgende Lackierung durch. Die betriebliche Tätigkeit der beschwerdeführenden Partei ist mit einem erheblichen Energiebedarf an Strom und Erdgas verbunden.
2. Die beschwerdeführende Partei beantragte am 31. Mai 2015 die Vergütung von Energieabgaben für die Zeiträume 7/2012 bis 6/2013, 7/2013 bis 6/2014 und 7/2014 bis 6/2015.
3. Mit Bescheid vom 7. Juli 2016 wies das zuständige Finanzamt die Anträge vom 31. Mai 2015 ab und führte begründend aus, dass Dienstleistungsbetriebe nach §2 Abs1 Energieabgabenvergütungsgesetz in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 111/2010, ab 1. Februar 2011 keinen Anspruch mehr auf Energieabgabenvergütung hätten.
4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom zuständigen Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom 6. März 2020 als unbegründet abgewiesen.
Im Vorlageantrag an das Bundefinanzgericht führte die beschwerdeführende Partei unter anderem aus, dass sie durch ihre betriebliche Tätigkeit aus "durch Rost beschädigt[en] […] oder durch andere Oberflächenfehler nicht mehr brauchbar[en]" Metallteilen wieder brauchbare Produkte herstelle. Insofern handle es sich bei ihrer Tätigkeit um "einen Teil eines Produktionsprozesses".
5. Mit Erkenntnis vom 17. Mai 2023 wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab und führte begründend aus, dass es sich beim Betrieb der beschwerdeführenden Partei um keinen Produktionsbetrieb handle und somit auch kein Anspruch auf Vergütung der Energieabgaben bestehe.
6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 BVG), auf Freiheit der Erwerbsbetätigung (Art6 StGG) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Begründend führt die beschwerdeführende Partei aus, dass sie aus dem angelieferten Rohmaterial (lackierte Metallteile) durch Verarbeitung und Bearbeitung ein neues Material (unlackierte bzw entlackte Metallteile) erzeuge. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien auch Unternehmen, die an sich Dienstleistungen vornehmen würden, zur Energieabgabenvergütung berechtigt, wenn diese Tätigkeiten Teil eines Entstehungsprozesses der für den Handel aufbereiteten Endprodukte seien. Der Prozess der Wiederaufbereitung unbrauchbar gewordener Metallteile sei als Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern zu qualifizieren. Weder das Finanzamt noch das Bundesfinanzgericht hätten Ermittlungen dazu geführt, ob durch die Bearbeitung der Metallteile tatsächlich Produkte einer anderen Marktgängigkeit entstünden.
7. Das Bundesfinanzgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch ab. Das Finanzamt Österreich erstattete eine Äußerung.
II. Rechtslage
§2 Abs1 und §4 Abs7 des Bundesgesetzes über die Vergütung von Energieabgaben (Energieabgabenvergütungsgesetz), BGBl 201/1996, idF BGBl I 111/2010 lauten wie folgt:
"§2. (1) Ein Anspruch auf Vergütung besteht nur für Betriebe, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht und soweit sie nicht die in §1 Abs3 genannten Energieträger oder Wärme (Dampf oder Warmwasser), die aus den in §1 Abs3 genannten Energieträgern erzeugt wurde, liefern.
[…]"
"§4. (1) bis (6) […]
(7) Die §§2 und 3, jeweils in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I Nr 111/2010, sind vorbehaltlich der Genehmigung durch die Europäische Kommission auf Vergütungsanträge anzuwenden, die sich auf einen Zeitraum nach dem 31. Dezember 2010 beziehen."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998, 16.488/2002 und 20.299/2018) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002 und 19.518/2011).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesfinanzgericht unterlaufen.
3.1. Im Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht hat die beschwerdeführende Partei geltend gemacht, dass sie aus unbrauchbar gewordenen Metallteilen wieder brauchbare Produkte herstelle und es sich sohin bei ihrer Tätigkeit um "einen Teil eines Produktionsprozesses" handle.
3.2. Das Bundesfinanzgericht geht in der angefochtenen Entscheidung – ohne sich mit dem Beschwerdevorbringen auseinanderzusetzen – davon aus, dass durch die die Bearbeitung der Metallteile kein Produkt anderer Marktgängigkeit geschaffen werde. Zugleich stellt es fest, dass die bearbeiteten Metallteile "nicht mehr brauchbar" gewesen seien. Damit hat das Bundesfinanzgericht aber vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Willkür geübt:
In VfSlg 19.678/2012 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass für die sachliche Rechtfertigung der in §2 Abs1 Energieabgabenvergütungsgesetz getroffenen Differenzierung zwischen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben entscheidend ist, dass im Hinblick auf die grundsätzliche Wettbewerbssituation im Regelfall tatsächliche Unterschiede zwischen diesen Betrieben bestehen. Gestützt auf dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes geht der Verwaltungs-gerichtshof verfassungsrechtlich begründet davon aus, dass Herstellung iSd §2 Abs1 Energieabgabenvergütungsgesetz auch dann vorliegt, wenn eine Leistung als produktionsbezogener Verarbeitungsschritt gesehen werden kann, der noch Teil des Entstehungsprozesses eines später am Markt gehandelten Endproduktes ist (vgl VwGH 10.12.2019, Ra 2016/15/0054; 29.6.2022, Ro 2020/15/0020, mwN).
3.3. Vor diesem Hintergrund hat es das Bundesfinanzgericht unterlassen zu ermitteln und zu begründen, welche Gründe für die Annahme sprechen, dass durch die Bearbeitung der – nach der Feststellung des Bundesfinanzgerichtes "nicht mehr brauchbaren" – Metallteile kein Produkt anderer Marktgängigkeit geschaffen worden sowie die Bearbeitung nicht Teil des Entstehungsprozesses eines später am Markt gehandelten Endproduktes sei.
IV. Ergebnis
1. Die beschwerdeführende Partei ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.