JudikaturVfGH

G32/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
24. September 2024

Spruch

Das Gesetzesprüfungsverfahren wird eingestellt.

Begründung

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E3409/2023 eine auf Art144 B VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger. Nach einer Unterbrechung seines ordentlichen Zivildienstes erließ die Zivildienstserviceagentur am 5. Dezember 2022 eine als Bescheid bezeichnete Erledigung, in deren Spruch der Beschwerdeführer einer näher bezeichneten Einrichtung zur Leistung der Restdienstzeit des ordentlichen Zivildienstes zugewiesen wurde. Die Erledigung enthält weiters eine Begründung sowie eine Rechtsmittelbelehrung, wurde ihrem Erscheinungsbild nach elektronisch erstellt und weist die folgende Fertigung auf:

"Der Leiter der Zivildienstserviceagentur

[Vor- und Nachname des Genehmigenden]"

Weder auf dem der Beschwerde beigelegten noch auf dem im Akt liegenden Duplikat der Erledigung ist eine Amtssignatur vorhanden. Nach den Angaben der Zivildienstserviceagentur sei auch die Urschrift der Erledigung nicht elektronisch genehmigt worden, sondern mittels Unterschrift einer näher bezeichneten, für den Leiter der Zivildienstserviceagentur genehmigungsberechtigten Person; allerdings sei beim Druck eine falsche Fertigungsklausel als Vorlage verwendet worden.

1.2. Die gegen diese Erledigung erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 20. September 2023 als unbegründet ab. Die angefochtene Erledigung erfülle die Voraussetzungen des §18 Abs3 AVG. Hinsichtlich der Zustellung einer Ausfertigung an zumindest eine der Parteien gelte die besondere Verfahrensbestimmung des §74 Zivildienstgesetz 1986 (ZDG), nach der schriftliche Ausfertigungen von Erledigungen iSd §18 AVG, die unter Verwendung elektronischer Datenverarbeitungsanlagen hergestellt würden, weder der Unterschrift noch der Beglaubigung bedürften. Die Lesbarkeit der Unterschrift auf dem "Bescheid" sei daher unerheblich. Die Erledigung weise alle konstitutiven Bescheidmerkmale auf.

Darüber hinaus sei das Beschwerdevorbringen, aus dem Unterbrechungsbescheid ergebe sich, dass der Beschwerdeführer zu den zugewiesenen Tätigkeiten nicht in der Lage sei, nicht nachvollziehbar. Die bei der Zuweisung anfallenden Tätigkeiten seien nicht gleichartig zu jenen, die bei der damals unterbrochenen Zuweisung zu leisten gewesen wären. Zusammengefasst habe der Beschwerdeführer das gemäß §7 Abs1 ZDG erforderliche Alter und sei zur Leistung des Zivildienstes bescheidmäßig verpflichtet worden; zudem lägen keine rechtlichen Hinderungsgründe vor. Auch sei der Beschwerdeführer im Stande, die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Die Beschwerde sei daher abzuweisen gewesen. Eine mündliche Verhandlung habe gemäß §24 Abs4 VwGVG entfallen können.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §74 ZDG, BGBl 679/1986 (WV), idF BGBl 675/1991 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 28. Februar 2024 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens wie folgt entgegentritt (Hervorhebungen im Original):

"[…] Gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen von Amts wegen, 'wenn er das Gesetz in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte'.

Die Bundesregierung verweist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach bei einem von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren (nur) jene gesetzlichen Bestimmungen präjudiziell sind, die von der Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, bei der Erlassung dieses Bescheides in denkmöglicher Weise angewendet wurden (vgl zB VfSlg 5373/1966, 8318/1978, 8999/1980, 12.677/1991 und 14.257/1995) oder die diese Behörde anzuwenden verpflichtet war (siehe zB VfSlg 10.617/1985, 11.752/1988, 14.257/1995, 18.110/2007 und 19.683/2012) und die darum auch der Verfassungsgerichtshof bei der Entscheidung über die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde anzuwenden hätte (vgl zB VfSlg 6947/1972 und 14.257/1995). Wie schon angedeutet, begründet nicht nur die Verpflichtung zur Anwendung einer Rechtsnorm deren Präjudizialität, sondern auch ihre faktische Anwendung; allerdings muss dabei der Sachverhalt der angewendeten Gesetzesnorm zumindest denkmöglich subsumierbar sein (vgl VfSlg 4625/1963, 5373/1966, 11.644/1988, 11.945/1989, 18.710/2009 und 19.650/2012).

Die Präjudizialität stellt für amtswegig eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren eine selbständige Prozessvoraussetzung dar, deren irrtümliche Annahme zur Einstellung eines bereits eingeleiteten Verfahren führt (vgl VfSlg 16.673/2002 und 19.876/2014). Dies gilt auch in jenen Fällen, in denen die in Prüfung gezogene Bestimmung außer Kraft getreten ist oder ihr materiell derogiert wurde (vgl VfSlg 11.401/1987).

[…] Mit dem Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl I Nr 5/2008, wurde §18 AVG grundlegend novelliert; insbesondere wurden Bestimmungen über elektronisch erstellte Erledigungen aufgenommen. §18 Abs4 AVG in der Fassung der genannten Novelle sieht vor, dass Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten mit einer Amtssignatur (§19 E GovG) versehen sein müssen; Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke brauchen keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen. §18 AVG in der Fassung der genannten Novelle trat mit 1. Jänner 2008 in Kraft. Ergänzend wurde in §82a AVG eine Übergangsbestimmung eingefügt, derzufolge bis zum Ablauf des 31. Dezember 2010 schriftliche Ausfertigungen von elektronisch erstellten Erledigungen sowie schriftliche Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten keiner Unterschrift, Beglaubigung oder Amtssignatur bedürfen.

[…] In seinem Prüfungsbeschluss geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass der in Prüfung gezogene §74 ZDG eine von den Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 über schriftliche Ausfertigungen abweichende Regelung im Sinn des Art11 Abs2 B VG darstelle. Begründend wird dazu unter anderem auf zwei Erkenntnisse vom 9. März 2023, G295/2022 und G38/2023, verwiesen. Die in den genannten Erkenntnissen als verfassungswidrig aufgehobenen Bestimmungen (§47 Abs1 fünfter Satz des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl Nr 609/1977, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 38/2017, bzw die Wortfolge 'Bescheide und' in §20 Abs4 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl Nr 218/1975, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 72/2013) sind allerdings in ihrer angefochtenen Fassung nach dem Inkrafttreten des §18 Abs4 AVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 5/2008 erlassen worden.

Die im vorliegenden Verfahren in Prüfung gezogene Bestimmung hingegen geht auf die Novelle BGBl Nr 344/1981 zurück und wurde auch in der wiederverlautbarten Fassung des Zivildienstgesetzes unverändert beibehalten. Mit der Zivildienstgesetz Novelle 1991, BGBl Nr 675/1991, wurde die Bestimmung insoweit angepasst, als im Ausdruck '(§18 AVG 1950)' die Jahreszahl entfiel. Die in Prüfung gezogene Bestimmung gehörte daher zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von §18 Abs4 AVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 5/2008 bereits dem Rechtsbestand an.

[…] Nach Art11 Abs2 B VG können das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung auch in den Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht, durch Bundesgesetz geregelt werden, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird. Durch die Inanspruchnahme dieser Bedarfskompetenz wird die Adhäsionskompetenz zur Regelung von Angelegenheiten des Verfahrensrechts von Bund und Ländern eingeschränkt (vgl Muzak , B VG 6 [2020] Art11 B VG Rz 11). Abweichende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen können in der Folge nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.

Im Hinblick auf die Wirkung von auf Grundlage des Art11 Abs2 B VG erlassenen Bundesgesetzen ist nach der Lehre und Rechtsprechung zu differenzieren:

[…] Bestimmungen, die mit einem gegen bestehende Bedarfsgesetze des Bundes verstoßenden Inhalt erlassen werden, sind im Fall fehlender Erforderlichkeit im Sinn des Art11 Abs2 B VG nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verfassungswidrig (vgl dazu die oben angeführten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 9. März 2023, G295/2022, und G38/2023 jeweils mwN).

[…] Anders verhält es sich hingegen in Bezug auf zum Zeitpunkt der Erlassung von auf Art11 Abs2 B VG gestützten Bedarfsgesetzen bereits bestehende Bestimmungen. Nach herrschender Auffassung bewirkte die erstmalige Erlassung von Bestimmungen des einheitlichen Verwaltungsverfahrensrechts im Jahr 1925 wie auch die späteren Änderungen dieser Bestimmungen die Derogation von entgegenstehendem Bundes- und Landesrecht (vgl Mannlicher/Quell , Das Verwaltungsverfahren, Bd 1 8 [1975] 7; Wiederin , Bundesrecht und Landesrecht [1995] 90 101; Hengstschläger/Leeb , AVG I 2 [2014] §1 Rz 6; ebenso die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes: 'Eine in Handhabung des Art11 Abs2 B VG erlassene bundesgesetzliche verfahrensrechtliche Regelung derogiert inhaltlich einer abweichenden früheren Regelung des Landesgesetzgebers', VwGH 25.11.1994, 93/17/0060, und 27.4.1995, 93/17/0061, jeweils unter Verweis auf VfSlg 4317/1962). In der Literatur wird in diesem Zusammenhang – wenn auch im Speziellen in Hinblick auf landesgesetzliche Regelungen – darauf hingewiesen, dass andernfalls der Bundesgesetzgeber gar nicht in der Lage wäre, durch Inanspruchnahme seiner Kompetenz die für erforderlich erachtete Rechtsvereinheitlichung herbeizuführen, da sonst bis zu einer allfälligen Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof jeweils gleichermaßen geltende verfahrensrechtliche Bestimmungen einander gegenüberstehen würden (vgl Wiederin , aaO, 91).

Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes. Danach ist im Fall des Widerspruchs früherer materiengesetzlicher Regelungen zu später erlassenen oder geänderten auf Art11 Abs2 B VG gestützten Vorschriften Derogation anzunehmen (vgl etwa VfSlg 3061/1956: die Verkürzung der Verjährungsfrist durch eine Novelle des Verwaltungsstrafgesetzes derogiert einer entgegenstehenden Bestimmung des Salzburger Jagdgesetzes, und VfSlg 3845/1960: Derogation verfahrensrechtlicher Bestimmungen der Salzburger Stadtbauordnung durch das mit 1. Jänner 1926 in Kraft getretene Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz; vgl dazu auch Pauger , Bedarfsgesetzgebung und Landesrecht – am Beispiel des Abfallwirtschaftsrechts, FS Adamovich [1992] 515 [520 f]). Im Beschluss VfSlg 4317/1962 zum Widerspruch von Bestimmungen des OÖ. Fremdenverkehrsgesetzes mit einer späteren Novelle des EGVG führt der Verfassungsgerichtshof zum Verhältnis von Verfassungswidrigkeit und Derogation im Hinblick auf Art11 Abs2 B VG aus, dass '[d]ieser Widerspruch, der bei einem anderen zeitlichen Normverhältnis eine Verfassungswidrigkeit der landesgesetzlichen Vorschrift begründet hätte, […] hier das Außerkraftsetzen der älteren landesgesetzlichen Vorschrift durch inhaltliche Derogation zur Folge [hat]'.

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Neuregelung der den Strafen gewidmeten Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes durch die Novelle BGBl I Nr 516/1987 bestanden Bestimmungen in einzelnen Bundes- und Landesgesetzen, die höhere Strafobergrenzen vorsahen. Nach herrschender Auffassung wurde diesen Bestimmungen materiell derogiert mit der Wirkung, dass alle höheren Obergrenzen in Bundes- und Landesgesetze aufgehoben waren (vgl Walter , Die Verwaltungsstrafgesetznovelle 1987, ÖJZ1988, 321 [323], und Wiederin , aaO, 99).

[…] Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

Zum Zeitpunkt der Erlassung des §74 ZDG mit BGBl Nr 344/1981 enthielt das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz keinerlei Regelungen über Ausfertigung von Erledigungen, die unter Verwendung elektronischer Datenverarbeitungsanlagen hergestellt werden; genau dies war der maßgebliche Grund des Gesetzgebers für die Einfügung der Bestimmung (vgl dazu AB 782 BlgNR XV. GP, 1). Mit §18 Abs4 AVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 5/2008 wurde eine Regelung über elektronisch erstellte Erledigungen in das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz aufgenommen und unter anderem festgelegt, dass Ausfertigungen von Erledigungen in Form von elektronischen Dokumenten mit einer Amtssignatur versehen sein müssen […]. Unter Zugrundelegung der [oben] dargelegten bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes wie auch der ganz herrschenden Lehre ist daher davon auszugehen, dass dem in Prüfung gezogenen §74 ZDG durch §18 AVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 5/2008 materiell derogiert wurde.

Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, dass der dem Anlassverfahren zu Grunde liegende Sachverhalt nicht denkmöglich dem §74 ZDG subsumiert werden kann und dass §74 ZDG daher nicht präjudiziell ist […]. Überdies wird darauf hingewiesen, dass eine Derogation wie im vorliegenden Fall nicht zeitlich an eine Invalidation anschließt; bei Derogation und Invalidation handelt es sich vielmehr um einander ausschließende Rechtsfolgen. Wird einer gesetzlichen Bestimmung durch die Erlassung einer auf die Bedarfskompetenz gemäß Art11 Abs2 B VG gestützten bundesgesetzlichen Regelung derogiert, kann es somit keinen Zeitpunkt geben, in dem die gesetzliche Bestimmung wegen Widerspruchs zu Art11 Abs2 B VG verfassungswidrig war. In einer solchen Konstellation ist daher nicht nur die Aufhebung der bereits derogierten gesetzlichen Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof nicht möglich; auch ein Ausspruch, dass die gesetzliche Bestimmung verfassungswidrig war (Art140 Abs4 B VG), ist von vornherein ausgeschlossen."

4. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei, das Bundesverwaltungsgericht und die Zivildienstserviceagentur haben keine Äußerung erstattet.

II. Rechtslage

1. §18 Abs3 und 4 AVG, BGBl 51/1991 (WV), idF BGBl I 5/2008 lautet:

"Erledigungen

§18. […]

(3) Schriftliche Erledigungen sind vom Genehmigungsberechtigten mit seiner Unterschrift zu genehmigen; wurde die Erledigung elektronisch erstellt, kann an die Stelle dieser Unterschrift ein Verfahren zum Nachweis der Identität (§2 Z1 E GovG) des Genehmigenden und der Authentizität (§2 Z5 E GovG) der Erledigung treten.

(4) Jede schriftliche Ausfertigung hat die Bezeichnung der Behörde, das Datum der Genehmigung und den Namen des Genehmigenden zu enthalten. Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten müssen mit einer Amtssignatur (§19 E GovG) versehen sein; Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke brauchen keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen. Sonstige Ausfertigungen haben die Unterschrift des Genehmigenden zu enthalten; an die Stelle dieser Unterschrift kann die Beglaubigung der Kanzlei treten, dass die Ausfertigung mit der Erledigung übereinstimmt und die Erledigung gemäß Abs3 genehmigt worden ist. Das Nähere über die Beglaubigung wird durch Verordnung geregelt."

2. §74 ZDG, BGBl 679/1986 (WV), idF BGBl 675/1991 lautet:

"§74. Schriftliche Ausfertigungen von durch dieses Bundesgesetz veranlaßten Erledigungen (§18 AVG), die unter Verwendung elektronischer Datenverarbeitungsanlagen hergestellt werden, bedürfen weder der Unterschrift noch der Beglaubigung."

III. Einstellung

1. Der Verfassungsgerichtshof ist in dem dem Gesetzesprüfungsverfahren zugrunde liegenden Einleitungsbeschluss vom 28. Februar 2024 vorläufig davon ausgegangen, dass §74 ZDG im Anlassverfahren präjudiziell ist. Diese vorläufige Annahme ist im Verfahren nicht bestätigt worden. Die Bundesregierung führt zutreffend in ihrer Äußerung aus, dass dem in Prüfung gezogenen §74 ZDG durch §18 Abs4 AVG idF BGBl I 5/2008 materiell derogiert worden ist:

2. Nach Art11 Abs2 B VG kann der Bundesgesetzgeber das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung regeln, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird. Abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.

Diese Bedarfskompetenz des Bundes ist von einem Vereinheitlichungsgedanken getragen und ermächtigt zur Erlassung gesetzlicher Bestimmungen, die bestehenden – entgegenstehenden – materiengesetzlichen Regelungen in den von Art11 Abs2 B VG erfassten Angelegenheiten zu derogieren vermögen (vgl VfSlg 3061/1956, 3845/1960, 4317/1962; vgl auch Wiederin , Bundesrecht und Landesrecht, 1995, 90 ff. mwN; Lukan , Art11 Abs2 B VG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill Schäffer Kommentar Bundesverfassungsrecht, 19. Lfg., 2017, Rz 31 mwN).

Der Bundesgesetzgeber, der die Bedarfskompetenz des Art11 Abs2 B VG in Anspruch genommen hat, hat in der Vergangenheit vereinzelt das Außerkrafttreten bestehender entgegenstehender Rechtsvorschriften ausdrücklich angeordnet (vgl Art10 EGVG.-Novelle 1959, BGBl 92; §82 Abs7 AVG idF BGBl I 158/1998). Bei Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung hat der Verfassungsgerichtshof aber auch unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien geschlossen, dass in Kraft stehende materiengesetzliche Sonderregelungen unberührt bleiben sollten (vgl vereinzelt VfSlg 9214/1981, 9215/1981).

3. Das AVG beruht auf der kompetenzrechtlichen Grundlage des Art11 Abs2 B VG; die Bestimmungen des AVG stellen "einheitliche Vorschriften" iSd Art11 Abs2 B VG dar (VfGH 9.3.2023, G295/2022 ua; 9.3.2023, G38/2023 ua).

Die Bestimmung des §18 Abs4 AVG wurde zuletzt mit dem Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl I 5/2008, novelliert und normiert seitdem unter anderem, dass "Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten […] mit einer Amtssignatur (§19 E-GovG) versehen sein" müssen und dass "Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke […] keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen" brauchen; demgegenüber haben "[s]onstige Ausfertigungen […] die Unterschrift des Genehmigenden zu enthalten", wobei "an die Stelle dieser Unterschrift […] die Beglaubigung der Kanzlei treten" kann. Zudem wurde mit §82a AVG idF BGBl I 5/2008 eine Übergangsbestimmung für "schriftliche Ausfertigungen von elektronisch erstellten Erledigungen" sowie für "schriftliche Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten" geschaffen; sie bedurften "[b]is zum Ablauf des 31. Dezember 2010 […] keiner Unterschrift, Beglaubigung oder Amtssignatur". Diese Bestimmung entfiel schließlich mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl I 33, weil sie "durch Zeitablauf gegenstandslos geworden" war (Erläut zur RV 2009 BlgNR 24. GP, 17).

Bereits mit dem Bundesgesetz BGBl I 10/2004, mit dem das E-Government-Gesetz (E-GovG) erlassen, aber auch das AVG und das Zustellgesetz (ZustG) geändert wurden, sollten die Möglichkeiten des Einsatzes moderner Kommunikationstechnologien im Verwaltungsverfahren und bei der Zustellung erweitert und ihre Qualität erhöht werden. Im AVG wurde für die elektronische Beurkundung von Niederschriften, Aktenvermerken und internen Erledigungen sowie für die Ausfertigung externer Erledigungen die Verwendung elektronischer Signaturen vorgeschrieben. Nach dem ZustG durfte die elektronische Zustellung in der Verwaltung – im Wesentlichen – nur noch über elektronische Zustelldienste erfolgen. Für die erforderlichen Umstellungen wurde eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2007 gesetzt, innerhalb der einfachere, aber weniger sichere Verfahren der elektronischen Beurkundung (§82 Abs14 AVG idF BGBl I 10/2004) und der elektronischen Zustellung ohne Zustellnachweis, zB mit E-Mail, Telefax oder über FinanzOnline, (§40 Abs5 ZustG, BGBl 200/1982, idF BGBl I 10/2004) noch zulässig sein sollten (vgl Erläut zur RV 294 BlgNR 23. GP, 2).

In der Folge zeigten Rückmeldungen aus der Praxis allerdings, dass die erforderlichen Umstellungen auf Behördenebene nicht rechtzeitig – innerhalb der vorgesehenen Übergangsfrist – vollständig abgeschlossen werden konnten; die Dauer der Umstellungsfrist wurde allgemein als nicht ausreichend angesehen. Um zu verhindern, dass jenen Behörden, in denen die Umstellung noch nicht erfolgt war, ab 1. Jänner 2008 kein (zulässiges) Verfahren der elektronischen Beurkundung mehr zur Verfügung stand, erschien es dem Gesetzgeber unerlässlich, mit §82a AVG idF BGBl I 5/2008 die Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2010 zu verlängern (vgl Erläut zur RV 294 BlgNR 23. GP, 14). Einfachere Formen der elektronischen Zustellung ohne Zustellnachweis (etwa die Fax-Zustellung oder die E-Mail-Zustellung), die bislang nur auf Grund der Übergangsvorschrift zulässig waren, sollten dagegen auf Dauer zulässig sein (vgl Erläut zur RV 294 BlgNR 23. GP, 2).

Im Zusammenhang mit den Ausführungen zur erwähnten Übergangsbestimmung des §82a AVG idF BGBl I 5/2008 wurde nochmals darauf hingewiesen, dass schon mit der durch die Novelle BGBl I 10/2004 geschaffenen Rechtslage der gesetzliche Anspruch eines umfassenden Einsatzes der Amtssignatur verbunden war (vgl Erläut zur RV 294 BlgNR 23. GP, 14).

Für den Verfassungsgerichtshof bestehen – im Besonderen angesichts der Entstehungsgeschichte – keine Zweifel, dass bereits die Novelle BGBl I 10/2004 von dem Gedanken getragen war, einheitliche Regelungen für schriftliche Ausfertigungen elektronischer bzw elektronisch erstellter Erledigungen zu schaffen, die auf Behördenebene umfassend zur Anwendung gelangen sollten.

4. Die im vorliegenden Verfahren in Prüfung gezogene Bestimmung des §74 ZDG geht auf die Novelle BGBl 344/1981 zurück und wurde auch in der wiederverlautbarten Fassung des Zivildienstgesetzes, BGBl 679/1986 (WV), unverändert beibehalten. Mit der Zivildienstgesetz-Novelle 1991, BGBl 675, wurde in der Folge die Bestimmung lediglich insoweit angepasst, als im Ausdruck "(§18 AVG 1950)" die Jahreszahl entfiel. §74 ZDG gehörte daher vor der Novellierung des §18 Abs4 AVG mit dem Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl I 5/2008, bereits dem Rechtsbestand an.

5. Mangels jeglicher Anhaltspunkte, dass der Verfahrensgesetzgeber entgegenstehende Rechtsvorschriften über den in der Übergangsbestimmung des §82a AVG idF BGBl I 5/2008 genannten Zeitpunkt – den 31. Dezember 2010 – hinaus unberührt lassen wollte, teilt der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der Bundesregierung, dass dem §74 ZDG durch die genannte Novelle materiell derogiert wurde; anders als in den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes jeweils vom 9. März 2023, G295/2022 ua, und G38/2023 ua, verbietet sich im vorliegenden Fall daher eine Aufhebung der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung.

6. Da somit §74 ZDG nicht präjudiziell ist, ist das Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen (vgl zB VfSlg 11.401/1987, 17.933/2006).

7. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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