JudikaturVfGH

G29/2024 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Arbeitsrecht
25. Juni 2024
Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot von Bestimmungen des ABGB betreffend abweichende Kündigungsfristen in kollektivvertraglichen Regelungen für Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen; Heranziehung der Branche anstelle einzelner Betriebe liegt auf Grund einer Durchschnittsbetrachtung im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch die Anknüpfung an "Mehrheitsverhältnisse" bzw das "Überwiegen" von Saisonbetrieben innerhalb einer Branche zur Schaffung einheitlicher Kündigungs- und Entlassungsregelungen

Spruch

Die Anträge werden abgewiesen.

Entscheidungsgründe

I. Anträge

1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B VG gestützten, beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G29/2024 protokollierten Antrag begehrt der Oberste Gerichtshof, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB idF BGBI I 2017/153,

hilfsweise:

2. §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153,

hilfsweise:

3. §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153",

als verfassungswidrig aufheben.

2. Das Oberlandesgericht Linz (zZlen G34/2024 und G64/2024), das Landesgericht St. Pölten (zZ G57/2024), das Oberlandesgericht Graz (zZlen G61/2024, G62/2024 und G74/2024) und das Landesgericht Wels (zZ G67/2024) stellen auf Art140 Abs1 Z1 lita B VG gestützte Anträge mit denselben Hauptbegehren und denselben Eventualbegehren.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS 946/1811, idF BGBl 153/2017 lauten (die mit den Hauptanträgen angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Kündigung

§1159. (1) Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, so kann es durch Kündigung nach folgenden Bestimmungen gelöst werden.

(2) Mangels einer für den Dienstnehmer günstigeren Vereinbarung kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr auf zwei Monate, nach dem vollendeten fünften Dienstjahr auf drei, nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr auf vier und nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Dienstjahr auf fünf Monate. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des §53 Abs6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl Nr 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.

(3) Die Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung nicht unter die im Absatz 2 bestimmte Dauer herabgesetzt werden; jedoch kann vereinbart werden, dass die Kündigungsfrist am Fünfzehnten oder am Letzten des Kalendermonats endigt.

(4) Mangels einer für ihn günstigeren Vereinbarung kann der Dienstnehmer das Dienstverhältnis mit dem letzten Tage eines Kalendermonats unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist lösen. Diese Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung bis zu einem halben Jahr ausgedehnt werden; doch darf die vom Dienstgeber einzuhaltende Frist nicht kürzer sein als die mit dem Dienstnehmer vereinbarte Kündigungsfrist. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des §53 Abs6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl Nr 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.

(5) Ist das Dienstverhältnis nur für die Zeit eines vorübergehenden Bedarfes vereinbart, so kann es während des ersten Monats von beiden Teilen jederzeit unter Einhaltung einer einwöchigen Kündigungsfrist gelöst werden."

2. §53 Abs6 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1973 betreffend die Arbeitsverfassung (Arbeitsverfassungsgesetz – ArbVG), BGBl 22/1974, idF BGBl I 101/2010 lautet:

"Passives Wahlrecht

§53.

[…]

(6) Als Saisonbetriebe gelten Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten."

3. Der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe vom 1. Mai 2019, abgeschlossen zwischen dem Fachverband Gastronomie und dem Fachverband Hotellerie einerseits und der Gewerkschaft vida andererseits, Registerzahl KV 332/2019, kundgemacht im Amtsblatt der Wiener Zeitung am 4. Juni 2019, lautet auszugsweise wie folgt:

"21. Lösung des Arbeitsverhältnisses

a. Das unbefristete Arbeitsverhältnis kann in den ersten 14 Tagen, die als Probezeit gelten, ohne vorherige Kündigung gelöst werden. Nach Ablauf dieser Zeit kann das unbefristete Arbeitsverhältnis nur nach vorheriger 14 tägiger Kündigung gelöst werden.

[…]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G29/2024 protokollierten Antrag des Obersten Gerichtshofes liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 20. Mai 2021 bis zum 21. Oktober 2021 als Kellner beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

1.2. Der Kläger stützte den im gerichtlichen Anlassverfahren unter anderem zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB idF BGBI I 153/2017. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am 5. Oktober 2021 zum 21. Oktober 2021 durch Arbeitgeberkündigung beendet. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Beklagte betreibe keinen "Saisonbetrieb", weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB zur Anwendung gelange.

Nach Auffassung der Beklagten war Punkt 21 lita des Kollektivvertrages für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anwendbar. Die Beklagte berief sich damit auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBI I 153/2017.

2. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G34/2024 protokollierten Antrag des Oberlandesgerichtes Linz liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1. Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. April 2014 bis zum 19. Oktober 2022 zunächst als Rezeptionistin und sodann als Kindermädchen beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

Die Klägerin stützte den im gerichtlichen Anlassverfahren unter anderem zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB idF BGBl I 153/2017. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am 4. Oktober 2022 zum 19. Oktober 2022 durch Arbeitgeberkündigung beendet. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Beklagte betreibe keinen "Saisonbetrieb", weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB zur Anwendung gelange.

2.2. Nach Auffassung der Beklagten war Punkt 21 lita des Kollektivvertrages für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anwendbar. Die Beklagte berief sich damit auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBl I 153/2017.

3. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G57/2024 protokollierten Antrag des Landesgerichtes St. Pölten liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

3.1. Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 14. November 2019 bis zum 14. Oktober 2021 als Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

3.2. Die Klägerin stützte den im gerichtlichen Anlassverfahren unter anderem zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf §1159 Abs2 ABGB idF BGBl I 153/2017. Das Arbeitsverhältnis sei durch Arbeitgeberkündigung fristwidrig beendet worden.

Die Beklagte wandte ein, dass es sich um eine Branche handle, in der "Saisonbetriebe" im Sinne des §53 Abs6 ArbVG überwögen, sodass durch Kollektivvertrag eine von §1159 Abs2 Satz 1 und 2 ABGB abweichende Regelung festgelegt werden könne.

3.3. Mit Urteil vom 19. Jänner 2022 gab das Landesgericht St. Pölten der Klage mit der Begründung statt, dass es sich beim Betrieb der Beklagten um keinen "Saisonbetrieb" handle.

3.4. Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten mit Urteil vom 28. März 2023 nicht Folge.

3.5. Der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision der Beklagten gab der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 14. Februar 2024 in dem zur Zahl 9 ObA 39/23k protokollierten Verfahren Folge. Der Oberste Gerichtshof hob die Entscheidungen des Landesgerichtes St. Pölten und des Oberlandesgerichtes Wien mit dem bezeichneten Beschluss auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Der Oberste Gerichtshof äußerte Zweifel über die Anwendbarkeit des §1159 ABGB idF BGBl I 153/2017. Begründend führte der Oberste Gerichtshof aus, dass §1159 ABGB idF BGBI I 153/2017 mit 1. Oktober 2021 in Kraft getreten sei und auf Beendigungen anzuwenden sei, die nach dem 30. September 2021 ausgesprochen worden seien.

3.6. Den Feststellungen des Landesgerichtes St. Pölten zufolge sei die Kündigung nach dem 1. Oktober 2021 ausgesprochen worden, womit §1159 ABGB idF BGBl I 153/2017 anwendbar sei.

4. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G61/2024 protokollierten Antrag des Oberlandesgerichtes Graz liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4.1. Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. Jänner 2012 bis zum 7. Juli 2023 als Arbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

4.2. Die Klägerin stützte den im gerichtlichen Anlassverfahren unter anderem zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB idF BGBI I 153/2017. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am 22. Juni 2023 zum 7. Juli 2023 durch Arbeitgeberkündigung beendet. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Beklagte betreibe keinen "Saisonbetrieb", weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB zur Anwendung gelange.

Nach Auffassung der Beklagten war Punkt 21 lita des Kollektivvertrages für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anwendbar. Die Beklagte berief sich damit auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBI I 153/2017.

4.3. Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 19. Oktober 2023, der Klägerin € 8.871,45 samt 12,58 % Zinsen seit dem 8. Juli 2023 zu zahlen. Es könne nicht festgestellt werden, dass in der Branche der Hotellerie und Gastronomie Saisonbetriebe überwögen. Da sich die Beklagte für die Begründung ihres Rechtsstandpunktes auf die Ausnahmeregelung gestützt habe, obliege ihr auch die Beweispflicht für die Erfüllung der Voraussetzungen. Da der Beklagten dieser Beweis nicht gelungen sei, gehe die Negativfeststellung zu ihren Lasten. Die Kündigung zum 7. Juli 2023 sei daher fristwidrig erfolgt.

Die Beklagte brachte gegen das Urteil des Erstgerichtes vom 19. Oktober 2023 Berufung beim Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht ein.

5. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G62/2024 protokollierten Antrag des Oberlandesgerichtes Graz liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

5.1. Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 15. September 2022 bis zum 8. Oktober 2022 als Hausmeister beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

5.2. Der Kläger stützte den im gerichtlichen Anlassverfahren unter anderem zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB idF BGBI I 153/2017. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am 8. Oktober 2022 unberechtigt durch Entlassung beendet. Die Beklagte betreibe keinen "Saisonbetrieb", weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB zur Anwendung gelange.

Nach Auffassung der Beklagten war Punkt 21 lita des Kollektivvertrages für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anwendbar. Die Beklagte berief sich damit auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBI I 153/2017.

5.3. Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 26. Juli 2023, der Klägerin € 6.050,56 samt 8,58 % seit dem 9. Oktober 2022 zu zahlen. Das Erstgericht setzte sich mit der Dauer der Kündigungsfrist nicht weiter auseinander.

Die Beklagte brachte gegen das Urteil des Erstgerichtes vom 26. Juli 2023 Berufung beim Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht ein.

6. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G64/2024 protokollierten Antrag des Oberlandesgerichtes Linz liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

6.1. Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 23. April 2018 bis zum 14. Juli 2023 als Arbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

6.2. Die Klägerin stützte den im gerichtlichen Anlassverfahren unter anderem zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB idF BGBI I 153/2017. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am 30. Juni 2023 zum 14. Juli 2023 durch Arbeitgeberkündigung beendet. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Beklagte betreibe keinen "Saisonbetrieb", weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB zur Anwendung gelange.

Nach Auffassung der Beklagten war Punkt 21 lita des Kollektivvertrages für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anwendbar. Die Beklagte berief sich dabei auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBl I 153/2017.

6.3. Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 7. Dezember 2023, der Klägerin € 7.532,78 samt Zinsen zu zahlen. Die Beklagte stütze sich auf eine von der gesetzlichen Grundregel des §1159 Abs2 ABGB abweichende kollektivvertragliche Ausnahmeregelung, die das Vorliegen einer Saisonbranche voraussetze. Dieser Beweis sei der dafür beweispflichtigen Beklagten nicht gelungen.

Die Beklagte brachte gegen das Urteil des Erstgerichtes vom 7. Dezember 2023 Berufung beim Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht ein.

7. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G67/2024 protokollierten Antrag des Landesgerichtes Wels liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

7.1. Die Klägerin war bei der Beklagten von 18. November 2019 bis 17. Juli 2023 als Küchenhilfe/Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

7.2. Die Klägerin stützte den im zur Zahl G67/2024 protokollierten Verfahren unter anderem zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB idF BGBl I 153/2017. Die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis am 3. Juli 2023 zum 17. Juli 2023 durch Arbeitgeberkündigung beendet. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Beklagte betreibe keinen "Saisonbetrieb", weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB zur Anwendung gelange.

Nach Auffassung der Beklagten war Punkt 21 lita des Kollektivvertrages für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anwendbar. Die Beklagte berief sich dabei auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBl I 153/2017.

8. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G74/2024 protokollierten Antrag des Oberlandesgerichtes Graz liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

8.1. Die Klägerin war bei der Beklagten vom 1. August 2018 bis zum 14. Juli 2023 als Küchenhilfe beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

8.2. Die Klägerin stützte den im zur Zahl G74/2024 protokollierten Verfahren unter anderem zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf §1159 Abs2 Satz 1 und Satz 2 ABGB idF BGBl I 153/2017. Das Arbeitsverhältnis sei durch Arbeitgeberkündigung fristwidrig beendet worden.

Die Beklagte wandte ein, dass es sich um eine Branche handle, in der "Saisonbetriebe" im Sinne des §53 Abs6 ArbVG überwögen, sodass durch Kollektivvertrag eine von §1159 Abs2 Satz 1 und 2 ABGB abweichende Regelung festgelegt werden könne.

8.3. Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 25. Jänner 2024, der Klägerin € 5.482,67 samt 12,58 % Zinsen seit dem 15. Juli 2023 zu zahlen. Es könne nicht festgestellt werden, dass in der Branche der Hotellerie und Gastronomie Saisonbetriebe überwögen. Da sich die Beklagte für die Begründung ihres Rechtsstandpunktes auf die Ausnahmeregelung gestützt habe, obliege ihr auch die Beweispflicht für die Erfüllung der Voraussetzungen. Da der Beklagten dieser Beweis nicht gelungen sei, gehe die Negativfeststellung zu ihren Lasten. Die Kündigung zum 15. Juli 2023 sei daher fristwidrig erfolgt.

8.4. Die Beklagte brachte gegen das Urteil des Erstgerichtes vom 25. Jänner 2024 Berufung beim Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht ein.

9. Der Oberste Gerichtshof legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung in dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G29/2024 protokollierten Verfahren bestimmt haben, wie folgt dar:

"1. Legalitätsprinzip:

1.1 Nach Art18 Abs1 B VG darf die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden. Mit dieser Bestimmung wird der Grundsatz der Gesetzesbindung, das Legalitätsprinzip effektuiert: Das Gesetz ist demnach sowohl Voraussetzung (Vorbehalt des Gesetzes) wie auch Schranke (Vorrang des Gesetzes) der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit ( Grabenwarter/Frank , B VG [Stand 20. 6. 2020, rdb.at] Art18 Rz 2).

1.2 Das Gesetz muss das Verhalten der Behörden – und auch der Gerichte (VfGH G70/89) – ausreichend vorherbestimmen (VfGH G178/2019) und bereits die wesentlichen Voraussetzungen und Inhalte des behördlichen Handelns so umschreiben, dass die Übereinstimmung des behördlichen Handelns mit dein [dem] Gesetz überprüft werden bzw der Rechtsunterworfene das behördliche Vorgehen vorhersehen kann (vgl Kneihs in Kneihs/Lienbacher , Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, Art18 B VG Rz 54).

1.3 Angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher und verordnungsrechtlicher Regelungen sein können, ist ganz allgemein davon auszugehen, dass Art18 B VG einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad verlangt ('differenziertes Legalitätsprinzip', VfGH G179/2019 mwN), wobei bei der Ermittlung des Inhalts des Gesetzes alle zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden auszuschöpfen sind (VfGH G146/2019 mwN). Entscheidend ist daher, ob der Anordnungsgehalt einer Regelung unter Heranziehung aller Auslegungsmethoden geklärt werden kann (VfGH G590/2023 ua).

1.4 Hervorzuheben ist weiters, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ein gesetzlich vorgesehener Anspruch durchsetzbar sein muss (VfGH KI 9/94). Besonders schwer verständliche Regelungen widerstreiten dem Rechtsstaatsprinzip (VfGH G81/90 ua; G392/96 ua; (G119/03 zu §22 FremdenG 1997). Ob eine Vorschrift die erforderliche Bestimmtheit aufweist, hängt auch von den mit ihr verbundenen Folgen ab (VfGH G20/94 ua).

1.5 Mit der Auslegung des §1159 ABGB idF BGBI I 2017/153 im Verhältnis zu Pkt 21 lita KV hatte sich der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v. die jeweils in Verfahren gemäß §54 Abs2 ASGG ergingen, auseinanderzusetzen. Ausgeführt wurde, dass die ursprünglich angestrebte Harmonisierung der Kündigungsfristen und -termine von Arbeitern und Angestellten nach dem gesetzlichen Modell nicht durchgehend verwirklicht ist, sondern mit §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB im Sinn einer Ermächtigung der Kollektivvertragspartner kollektivvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Regelmodell ermöglicht wurden, sodass für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinn des §53 Abs6 ArbVG überwiegen, auch kürzere Kündigungsfristen bestehen können. Durch diese soll eine relativ kurzfristige Anpassung des Personalstands ermöglicht werden, wenn und weil (insbesondere witterungsbedingt) branchenspezifisch keine exakt voraussehbare Personalplanung erfolgen kann und auch Befristungsvereinbarungen nicht in jedem Fall ausreichen. Weiters wurde ausgeführt, dass eine bereits vor Inkrafttreten des §1159 ABGB idF BGBI I 2017/153 geschaffene kollektivvertragliche Regelung – wie Pkt 21 lita KV – auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes weiter Bestand hat, sofern und soweit mit ihr die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden. Die gesetzliche Regelungsermächtigung gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass der Kollektivvertrag die Regelung für eine 'Branche' festgelegt hat, in der 'Saisonbetriebe' (§53 Abs6 ArbVG iVm §1159 Abs2 und Abs4 jeweils Satz 3 ABGB) überwiegen. Ist dies der Fall, werden auch Betriebe der Branche, die keine Saisonbetriebe sind, von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst. Wie weiters ausgeführt wurde, können die Kollektivvertragsparteien das Überwiegen von Saisonbetrieben zwar deklarativ festhalten, jedoch nicht normativ festlegen, weil dieser Umstand tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis ist. Letztlich gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass der für die Geltung der gesetzlichen Regelungsermächtigung erforderliche Nachweis des (quantitativen) 'Überwiegens' der Saisonbetriebe den jeweiligen Antragstellern dieser beiden Verfahren – trotz Vorlage umfangreichen Datenmaterials – nicht gelungen sei. Ein individueller Anspruch eines Arbeitnehmers wie er im vorliegenden Verfahren geltend gemacht wird, war nicht zu beurteilen.

1.6 Der Oberste Gerichtshof geht vor dem Hintergrund des nunmehrigen Verfahrens aus folgenden Gründen von einem Verstoß der angefochtenen Norm(en) gegen das Rechtsstaatsprinzip aus:

1.6.1 Der Gesetzgeber normiert in §1159 Abs2 Satz 1 und 2 ABGB Fristen und Termine für die Arbeitgeberkündigung. Die sich daraus für den Dienstnehmer ergebenden Rechte dürfen nicht – weder durch Dienstvertrag oder durch Kollektivvertrag – aufgehoben oder beschränkt werden (§1164 Abs1 ABGB). In §1159 Abs4 Satz 1 ABGB sind Fristen und Termine für die Arbeitnehmerkündigung vorgesehen. Grundsätzlich sind (jeweils) nur für den Arbeitnehmer günstigere Vereinbarungen zulässig (§1159 Abs2 Satz 1, Abs3 und Abs4 Satz 2 ABGB).

1.6.2 Mit den (Ausnahme )Bestimmungen des §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB ermächtigt der Gesetzgeber die Kollektivvertragsparteien für bestimmte Branchen abweichende Regelungen zu treffen. Die gesetzliche Ermächtigung reicht aber nur soweit, als es um Branchen geht, in denen Saisonbetriebe im Sinn des §53 Abs6 ArbVG überwiegen. Allen anderen Branchen, in denen Saisonbetriebe nicht überwiegen, wurde mit der Neuregelung die Grundlage zur kollektivvertraglichen Regelungsbefugnis abweichend vom gesetzlichen Regelungsmodell entzogen.

1.6.3 Die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung der Regelungsbefugnis des §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB wirksam wird, sind von der Auslegung unbestimmter Begriffe abhängig ('Überwiegen von Saisonbetrieben'). Selbst bei Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten und Heranziehung aller Interpretationsmethoden kann aber der Anordnungsgehalt der Regelung nicht beurteilt werden, weil es sich bei diesem Umstand um eine tatbestandliche Voraussetzung für die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien handelt. Auch dass §1159 Abs2 Satz 3 ABGB für 'Saisonbetriebe' auf die Legaldefinition des §53 ArbVG verweist, schafft keine Klarheit, weil die dort verwendeten Begriffe in gleicher Weise an weitere (unbestimmte) tatbestandliche Voraussetzungen anknüpfen ('Als Saisonbetriebe gelten Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten', Hervorhebungen durch den Senat). Zum Nachweis der Geltung der kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell bedarf es somit vorerst der Erhebung und Auswertung des entsprechenden Datenmaterials. Dabei wird eine lediglich punktuelle Betrachtungsweise (etwa bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kollektivvertrags) nicht genügen, weil das 'Überwiegen von Saisonbetrieben' eine gewisse längere zeitliche Dimension erfordert. Diese Voraussetzungen können sich zudem jederzeit – und für die Rechtsunterworfenen in nicht vorhersehbarer Weise – ändern, wie etwa durch die Schließung oder Neueröffnung von 'Saisonbetrieben' einer 'Branche'. Hängt aber die Übertragung der Regelungsbefugnis an die Kollektivvertragsparteien vom Vorliegen bestimmter Sachverhaltselemente ab, deren Vorliegen sich ständig ändern kann und deren Voraussetzungen – wie sich aus den Ergebnissen der Verfahren 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v ergibt – auch anhand des von den zuständigen Fachverbänden vorgelegten umfangreichen Datenmaterials nicht erweislich waren, so wird den Parteien des Arbeitsvertrags die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit des Ausspruchs einer Arbeitgeberkündigung (im Anwendungsbereich des §1159 Abs4 ABGB: einer Arbeitnehmerkündigung) in Bezug auf die einzuhaltende Kündigungsfrist und den Kündigungstermin zu überprüfen und ausgehend davon allfällige Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

1.6.4 Aus diesen Gründen bleibt in – nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs – verfassungswidriger Weise für die Parteien des Arbeitsvertrags im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsvertrags zweifelhaft, ob für die Auflösung eines Arbeitsvertrags die gesetzlichen Regelungen oder jene eines Kollektivvertrags heranzuziehen sind. Die Folge der fehlenden Determiniertheit der angefochtenen Bestimmungen ist, dass allfällige im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsvertrags entstehende gesetzliche Ansprüche (wie etwa jener auf Kündigungsentschädigung) im Widerspruch zu dem sich aus Art18 B VG ergebenden Rechtsstaatsgebot als nicht durchsetzbar anzusehen sind.

2. Gleichheitsgrundsatz:

2.1 Der in Art2 StGG und Art7 Abs1 B VG verankerte Gleichheitsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen, aber andererseits bei entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen auch unterschiedliche Regelungen vorzusehen (RS0053509; zur verfassungsrechtlichen Judikatur etwa Muzak , B VG 6 [Stand 1. 10. 2020, rdb.at] Art2 StGG Rz 21 ff). Der dem Gesetzgeber grundsätzlich zustehende Gestaltungsspielraum wird durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (vgl RS0053889 [T15]).

2.2 Mit dem Wortlaut der angefochtenen Bestimmung(en) ist darauf abzustellen, dass die gesetzliche Regelungsermächtigung nur gilt, wenn in der Branche 'Saisonbetriebe' überwiegen, in diesem Fall also auch jene Betriebe der Branche von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst sind, die keine Saisonbetriebe sind. Können aber Betriebe die Ausnahmeregelung für sich in Anspruch nehmen, bei denen das Belastungsargument mangels Saisonabhängigkeit gar nicht greift, so ist für diese generalisierende Betrachtung keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen. Einerseits fehlt es Betrieben, die keine 'Saisonbetriebe' sind an jener 'typischen' saisonal unterschiedlichen Auslastung, die eine raschere Auflösung von Arbeitsverhältnissen als im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien gelegen erscheinen lassen. Andererseits ist nicht zu erkennen, aus welchen Gründen Betriebe, die keine 'Saisonbetriebe' sind, nur deshalb, weil sie einer 'Branche' angehören, in der 'Saisonbetriebe im Sinn des §53 Abs6 ArbVG' 'überwiegen', einem anderen Regime der Kündigungsfristen und termine unterliegen, als solche Betriebe, die keiner vergleichbaren 'Branche' angehören.

2.3 Der Oberste Gerichtshof verkennt nicht, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Regelungen, die als Resultat von Verhandlungen zwischen Interessenvertretungen, die einander widerstreitende Interessen zu vertreten haben zustande kommen, Ausdruck eines erzielten Interessenausgleichs sind und damit die Vermutung der Sachlichkeit für sich haben (VfGH B334/06 mwH). Der Gleichheitsgrundsatz setzt dem Gesetzgeber jedoch wie ausgeführt insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (VfGH G207/2018 mwH). Zudem lässt sich nicht (bzw wenn überhaupt nur nach Erhebung des entsprechenden Datenmaterials und jeweils nur bezogen auf einen bestimmten Zeitraum) bestimmen, ob die Voraussetzungen für die Ausnahmeregelung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB (und ebenso §1159 Abs4 Satz 3) erfüllt sind, sodass auch dieser Umstand ihre Sachlichkeit gemäß Art7 B VG in Frage stellt.

IV. Präjudizialität und Anfechtungsumfang:

1. Ein Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzes steile untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfGH G146/2019). Im Gesetzesprüfungsverfahren darf deshalb der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrags nicht zu eng gewählt werden (vgl VfGH G311/2016 mwN). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für seine Entscheidung präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofs, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichts teilen – beseitigt werden kann. Der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle darf nicht als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar werden (VfGH G146/2019; G179/2019 mwN). Unzulässig ist der Antrag darüber hinaus auch dann, wenn durch die Aufhebung bloßer Teile eines Gesetzes oder einer Verordnung diesem bzw dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber bzw Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (vgl VfGH G168/2023 Pkt 2.1.1 mwH).

2. Die auf Art18 und Art7 B VG gegründeten Bedenken des Obersten Gerichtshofs richten sich gegen die Verfassungskonformität des §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB, sodass der Hauptantrag in Richtung der Aufhebung dieser Bestimmungen zu stellen ist:

Für ohne Zeitbestimmung eingegangene und fortgesetzte Dienstverhältnisse verfolgte der Gesetzgeber mit der Neuregelung des §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB idF BGBl I 2017/153 die Absicht, die bislang für Arbeiter geltenden Kündigungsbestimmungen des ABGB und der GewO 1859 mit den Rechten der Angestellten zu harmonisieren und an diese anzupassen. In diesem Sinn sollten auch für Arbeiter die bislang für Angestellte geltenden Kündigungsbestimmungen Anwendung finden (IA 2306/A, 25. GP 8). Dein Umstand, dass in bestimmten Branchen die Abwägung durch die beteiligten Kreise in Bezug auf die Kündigungstermine und Kündigungsfristen zu einem anderen Ergebnis führen könnte, hat der Gesetzgeber durch die (als Ausnahmeregelung anzusehende) Ermächtigung der Kollektivvertragspartner in §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB idF BGBI 1 2017/153 Rechnung getragen. In §1159 Abs3 ABGB idF BGBI 1 2017/153 wird festgelegt, dass die Kündigungsfrist durch Vereinbarung nicht unter die im Abs2 bestimmte Dauer herabgesetzt werden kann.

3.1 Die Ausnahmebestimmung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBI I 2017/153 ist im vorliegenden Fall (unmittelbar) präjudiziell, weil von der Anwendung dieser Bestimmung die Berechtigung der im Revisionsverfahren zu behandelnden Ansprüche des Klägers abhängt Mit dieser Regelung in untrennbarem Zusammenhang steht die 'parallele' Ausnahmebestimmung des §1159 Abs4 Satz 3 ABGB idF BGBI I 2017/153. Durch die Aufhebung nur dieser beiden Teile des §1159 ABGB könnte §1159 ABGB möglicherweise aber ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben werden, indem die für bestimmte Branchen geschaffene Ausnahmeregelung wegfiele. Erläuterungen in Gesetzesmaterialien bestehen dazu nicht (2306/A 25. GP 8; AA 243 25. GP und 1698/A 27. GP 2). Dies zu beurteilen muss daher der Kognitionsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs überlassen bleiben. Der Hauptantrag ist demnach auf die Anfechtung der Regelungen des §1159 Abs1, Abs2, Abs3 und Abs4 ABGB (insgesamt) gerichtet.

3.2 Hilfsweise war der erste Eventualantrag in Richtung der Aufhebung des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBl 1 2017/153 sowie der damit in einem untrennbaren Regelungszusammenhang stehenden Bestimmung des §1159 Abs4 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153 zu stellen. Beide Bestimmungen regeln den 'Ausnahmebereich' von den gesetzlichen Kündigungsregelungen des §1159 ABGB in identer Weise, sodass die behauptete Verfassungswidrigkeit nur durch Aufhebung beider Bestimmungen beseitigbar ist. Bei Wegfall dieser Ausnahmeregelungen können die verbleibenden gesetzlichen Regelungen in §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB sprachlich und nach ihrem Regelungsinhalt weiter bestehen bleiben, sofern dies dem Gesetzgeber zusinnbar sein sollte.

3.3 Allerdings könnte infolge der hier bestehenden (unmittelbaren) Präjudizialität nur des §1159 Abs2 Satz 3 ABGB auch davon ausgegangen werden, dass diese Bestimmung von §1159 Abs4 Satz 3 ABGB doch trennbar ist (siehe VfGH V19/2017), weshalb hilfsweise §1159 Abs2 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153 allein anzufechten ist."

10. Die in den Anträgen des Oberlandesgerichtes Linz (zZlen G34/2024 und G64/2024), des Landesgerichtes St. Pölten (zZ G57/2024), des Oberlandesgerichtes Graz (zZlen G61/2024, G62/2024 und G74/2024) und des Landesgerichtes Wels (zZ G67/2024) dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken entsprechen in allen wesentlichen Belangen jenen im oben wiedergegebenen Gesetzesaufhebungsantrag des Obersten Gerichtshofes zu G29/2024.

11. Die Bundesregierung wurde in den Verfahren zur Zahl G29/2024 und G34/2024 zur Erstattung einer Äußerung aufgefordert. Die dazu jeweils erstattete Äußerung der Bundesregierung lautet wie folgt:

"Das Gesetz stellt betreffend die abweichenden kollektivvertraglichen Regelungen auf 'Branchen' ab. Unter dem Begriff der Branche ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Wirtschaftszweig zu verstehen. In der Literatur wird – weitgehend einhellig – die Auffassung vertreten, dass der Begriff der Branche, wie er §1159 ABGB zu Grunde liegt, grundsätzlich mit dem fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrages gleichzusetzen ist (vgl Felten , aaO, Rz. 38; Marhold , aaO, 133; Schrittwieser, 'Angleichungspaket' Zur Arbeiterausnahme für Saisonbetriebe im künftigen Kündigungsrecht, RdW 2018, 171 [174]; Gleißner/Köck , Die Neuregelung der Kündigungsfristen und termine, ZAS 2017, 330 [336]; Wiesinger , Der kündigungsrechtliche Saisonbranchenbegriff, ASoK 2017, 446 [448]). Von diesem Begriffsverständnis geht auch die Bundesregierung aus. Es wäre nämlich (das dem Kollektivvertragsrecht zu Grunde liegende Ziel der Vereinheitlichung und Typisierung von Arbeitsbedingungen berücksichtigend) nicht naheliegend, wenn vom Gesetzesrecht abweichende Kündigungsbestimmungen zwar 'durch Kollektivvertrag' zulässig sein sollen, innerhalb des Geltungsbereiches dieses Kollektivvertrages die Anwendbarkeit dieser Regelungen aber nach anderen Gesichtspunkten zu bestimmen wären (vgl wiederum Wiesinger , aaO, 449). Zu diesem Auslegungsergebnis, sofern dies im jeweiligen Einzelfall nicht zu einem sachwidrigen Branchenverständnis (wie etwa bei Firmen- oder Generalkollektivverträgen) führt, gelangte im Übrigen auch der Oberste Gerichthof in seinen Beschlüssen vom 24. März 2022, 9 ObA 116/21f, und vom 27. April 2022, 9 ObA 137/21v.

Wenn §1159 Abs2 und Abs4 ABGB auf ein 'Überwiegen' von Saisonbetrieben abstellt, so ist damit schon nach dem Sprachgebrauch bzw der allgemeinen Bedeutung des Ausdrucks 'Überwiegen' ein quantitatives Überwiegen der Saisonbetriebe gegenüber den Nichtsaisonbetrieben innerhalb einer Branche gemeint. Zur Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzung muss sohin die Mehrheit (über 50 %) der Betriebe einer Branche ein Saisonbetrieb sein. Hätte die Gesetzgebung gewollt, dass auch andere Faktoren, wie etwa Marktanteile, Umsatz oder Zahl der Saisonarbeiter zu berücksichtigen sind, hätte sie dies im Gesetzestext (oder allenfalls in den Gesetzesmaterialien) zum Ausdruck gebracht ( Felten , aaO, Rz. 38; Marhold , aaO, 135; Wachter , Das neue Kündigungsrecht, Jahrbuch Arbeitsrecht und Sozialrecht 2018, 133 [147]). Von diesem Verständnis ging auch der Oberste Gerichtshof in den bereits oben genannten Beschlüssen aus, der darüber hinaus erwog, dass es dabei nicht genügt, wenn Saisonbetriebe lediglich punktuell im Zeitpunkt des Abschlusses des Kollektivvertrages überwiegen (vgl OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f, Pkt. 6.2.4). Es ist vielmehr mit Blick auf die Normwirkung des Kollektivvertrages (vgl dazu Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG §2, Rz. 8 [Stand 1.10.2002, rdb.at]) und unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit darauf abzustellen, dass das 'Überwiegen der Saisonbetriebe' branchencharakteristisch ist. Davon ist aber – mit dem Obersten Gerichtshof – nicht bereits auszugehen, wenn die Zahl an 'Saisonbetrieben' (aufgrund von Öffnungen oder Schließungen von Betrieben) bloß kurzzeitig überwiegt, ohne dass sich eine konstante Entwicklung des Überwiegens abzeichnete. Der Oberste Gerichtshof spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Mehrheit von Saisonbetrieben zumindest einige Zeit bestehen muss, weil nur dadurch dem Zweck der Norm, dass repräsentierend für die gesamte Branche Regelungen getroffen werden können, Genüge getan wird. Demgegenüber schadet es für das (Fort )Bestehen der Regelungsermächtigung auch nicht, wenn die Quote an Saisonbetrieben innerhalb einer Branche kurzzeitig absinkt.

Hinsichtlich des Begriffes des 'Saisonbetriebes' verweist §1159 Abs2 und Abs4 ABGB auf §53 Abs6 ArbVG. Danach gelten als Saisonbetriebe jene Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten. §53 Abs6 ArbVG enthält sohin zwei Tatbestände. Bereits die Erfüllung einer der normierten Tatbestände qualifiziert einen Betrieb als Saisonbetrieb (arg.: '… oder …').

Der erste Tatbestand stellt darauf ab, dass aufgrund der Eigenart eines Betriebs während einer bestimmten Jahreszeit die Beschäftigung der Arbeitnehmer nicht ermöglicht und daher die Beendigung des Dienstverhältnisses einem dringenden Bedürfnis der betrieblichen Organisation entspricht. Der zweite Tatbestand fordert keine Betriebsschließung außerhalb der 'Saison', sondern, dass der Betrieb 'regelmäßig zu gewissen Zeiten erheblich verstärkt' arbeitet. Darunter ist zu verstehen, dass der Betrieb periodisch wiederkehrend – und zwar ungefähr in denselben Zeiträumen des Jahres – einem gesteigerten Arbeitsaufkommen in Relation zur Arbeit zu Zeiten mit einem normalen Arbeitsaufkommen unterliegt. Dabei sind nicht Umsatzsteigerungen, Überstundenleistungen oder Ähnliches, sondern ein für gewisse Zeit erforderlicher erhöhter Personalstand maßgeblich. Auf Grund der Rechtssicherheit, die die kollektivvertraglichen Bestimmungen gewährleisten sollen, und aus Gründen der Praktikabilität ist dabei nicht starr auf bestimmte Prozentsätze zu den Beschäftigungsschwankungen abzustellen (vgl Kessler , ArbeitgeberInnenkündigungen ab 1.1.2021 – Fristen in saison-'verdächtigen' Branchen, DRdA-infas 2020, 368 [371]; sowie wiederum OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f, Pkt. 6.3.). Neben Tourismusbetrieben und Betrieben des Baugewerbes handelt es sich bei Saisonbetrieben damit etwa um Kurhotels, Kuranstalten und Fremdenverkehrsbetriebe; demgegenüber wurde ein Theaterbetrieb mit bloß zehnmonatiger Spielzeit pro Jahr von der Rechtsprechung nicht als Saisonbetrieb qualifiziert (siehe Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 26 §53 ArbVG, Rz. 26 [Stand 1.1.2020, rdb.at]).

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1. Anlass für den gegenständlichen Antrag auf Normenkontrolle ist eine beim Obersten Gerichtshof anhängige Revision, deren Gegenstand ua Ansprüche auf Kündigungsentschädigung bilden.

Das Ausgangsverfahren der Revision betrifft Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis, auf das der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (in der Folge: Kollektivvertrag) zur Anwendung gelangt. Der Kläger des Ausgangsverfahrens war bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens ab 20. Mai 2021 vollzeitbeschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 5. Oktober 2021 zum 21. Oktober 2021 auf. Der Kläger begehrte daraufhin im Ausgangsverfahren neben weiteren – für das gegenständliche Normenprüfungsverfahren nicht relevanten Ansprüchen – die Zahlung eines näher bestimmten Betrages als Kündigungsentschädigung und brachte dazu vor, die durch den Beklagten als Arbeitgeber unter Einhaltung einer 14 tägigen Kündigungsfrist vorgenommene Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Da die Beklagte keinen 'Saisonbetrieb' im Sinne des §1159 Abs2 dritter Satz ABGB betreibe, gelange die gesetzliche Kündigungsfrist des §1159 Abs2 zweiter Satz ABGB zur Anwendung. Die Beklagte vertrat im Ausgangsverfahren den Standpunkt, dass die Kündigung unter Einhaltung der im Kollektivvertrag vorgesehenen Frist von 14 Tagen und daher nicht fristwidrig erfolgt sei.

Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht waren – jeweils mit näherer Begründung – der Auffassung, dass eine Kündigung des Klägers durch die Beklagte mangels Geltung einer abweichenden kollektivvertraglichen Regelung gemäß §1159 Abs2 dritter Satz ABGB nach §1159 Abs2 zweiter Satz ABGB nur zum 31. Dezember 2021 wirksam geworden sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhob die Beklagte außerordentliche Revision, in der sie an ihrer Rechtsmeinung festhielt, dass Pkt. 21 lita des Kollektivvertrages auf das gegenständlich aufgekündigte Arbeitsverhältnis anwendbar sei, der eine 14 tägige und damit eine kürzere Kündigungsfrist als jene des §1159 Abs2 zweiter Satz ABGB vorsieht.

Aus Anlass dieses Revisionsverfahrens hat der Oberste Gerichtshof den vorliegenden Antrag auf Gesetzesprüfung gestellt.

2. Der Bundesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Antrages und die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen sprächen.

III. In der Sache:

1. Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

2. Der Oberste Gerichtshof macht einen Verstoß der angefochtenen Bestimmungen gegen das Legalitätsprinzip gemäß Art18 B VG sowie das Rechtsstaatsprinzip und gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art2 StGG und Art7 Abs1 B VG geltend.

3.1 Zu den Bedenken im Hinblick auf das Legalitätsprinzip gemäß Art18 Abs1 B VG bzw das Rechtsstaatsprinzip

Der Oberste Gerichtshof bringt zusammengefasst vor, §1159 Abs2 dritter Satz und Abs4 dritter Satz ABGB sei nicht hinreichend bestimmt. Die Voraussetzungen, unter denen die Befugnis der Kollektivvertragsparteien, abweichende Bestimmungen zu treffen, wirksam werde, sei von der Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe ('Überwiegen von Saisonbetrieben') abhängig. Auch bei Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten und Interpretationsmethoden könne der Anordnungsgehalt der Regelung nicht beurteilt werden. Selbst der Umstand, dass §1159 Abs2 dritter Satz ABGB für 'Saisonbetriebe' auf §53 ArbVG verweise, schaffe keine Klarheit, weil auch die dort verwendeten Begriffe an weitere (unbestimmte) tatbestandliche Voraussetzungen anknüpften. Zur Beantwortung der Frage, ob eine von den gesetzlichen Bestimmungen abweichende kollektivvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist gelte, bedürfe es zunächst der Erhebung und Auswertung entsprechenden Datenmaterials. Hinzu komme, dass sich die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von abweichenden kollektivvertraglichen Vereinbarungen jederzeit und für Rechtsunterworfene in nicht vorhersehbarer Weise ändern könnten (wie etwa durch die Schließung oder Neueröffnung von 'Saisonbetrieben' einer Branche). Hänge aber die Übertragung der Regelungsbefugnis von Sachverhaltselementen ab, die sich ständig änderten und deren Voraussetzungen auch in zwei näher bezeichneten Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht erweislich gewesen seien, so werde den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit des Ausspruchs einer Kündigung in Bezug auf die einzuhaltende Frist und den Termin zu überprüfen.

Das dem Art18 Abs1 B VG zu Grunde liegende Bestimmtheitsgebot gebietet, dass Gesetze einen Inhalt haben müssen, durch den das Verhalten der Vollziehung vorherbestimmt ist. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Verwendung sogenannter unbestimmter Gesetzesbegriffe, die durch eine unscharfe Abgrenzung gekennzeichnet sind, dann mit Art18 B VG vereinbar ist, wenn die Begriffe einen so bestimmbaren Inhalt haben, dass der Rechtsunterworfene sein Verhalten danach richten kann und die Anwendung der Begriffe durch die Behörde auf ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz überprüft werden kann (VfSlg 6477/1971, 11.776/1988). Art18 B VG verlangt dabei – angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelungen sein können – einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad (vgl VfSlg 13.785/1994).

Die Beurteilung, ob eine Norm dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, richtet sich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, dem Gegenstand und dem Zweck der Regelung (vgl VfSlg 8209/1977, 9883/1983, 12.947/1991, 20.537/2022). Bei der Ermittlung des Inhaltes einer gesetzlichen Regelung sind daher alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen lässt, was im konkreten Fall rechtens ist, verletzt die Norm die in Art18 B VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (VfSlg 11.859/1988, 18.738/2009, 20.410/2020).

Dem Obersten Gerichtshof ist zunächst zuzustimmen, wenn er ausführt, dass §1159 Abs2 dritter Satz und Abs4 dritter Satz ABGB unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet. Entgegen den Ausführungen im Gerichtsantrag trifft es jedoch nicht zu, dass der Anordnungsgehalt dieser Regelung einer Auslegung nicht zugänglich ist.

§1159 Abs2 dritter Satz und Abs4 dritter Satz ABGB enthält eine Ermächtigung der Kollektivvertragsparteien, von den sonstigen in §1159 enthaltenen Kündigungsbestimmungen abweichende Regelungen festzulegen. Voraussetzung ist, dass im Geltungsbereich des Kollektivvertrages zahlenmäßig jene Betriebe überwiegen, die entweder ihrer Art nach in Abhängigkeit von den Jahreszeiten nicht ganzjährig arbeiten und daher geschlossen sind, oder die gemessen an der Zahl der Arbeitnehmer periodisch wiederkehrend ein gesteigertes Arbeitsaufkommen in Relation zu den übrigen Zeiten des Jahres aufweisen, wie dies unter Pkt. I.3. ausgeführt wurde.

Die Bundesregierung ist daher zusammengefasst der Auffassung, dass §1159 Abs2 dritter Satz und Abs4 dritter Satz ABGB vor dem Hintergrund seines Kontextes und seiner Funktion einen dem Regelungsgegenstand angemessenen Grad der Bestimmtheit aufweist. Dass sich die Bestimmungen auch auslegungsbedürftiger und in diesem Sinne 'unbestimmter' Rechtsbegriffe bedienen, ist angesichts der Auslegungsfähigkeit dieser Begriffe im Hinblick auf Art18 Abs1 B VG nicht schädlich.

Dass die angefochtenen Bestimmungen einer Auslegung zugänglich sind, zeigt auch der mehrfach zitierte Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 24. März 2022, 9 ObA 116/21f. In diesem hat der Oberste Gerichtshof sich mit der in §1159 Abs2 dritter Satz ABGB enthaltenen Wortfolge 'für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des §53 Abs6 des Arbeitsverfassungsgesetzes BGBl Nr 22/1974, überwiegen' auseinandergesetzt und sie detailliert und gemessen am Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang sowie mit Blick auf die Genese und teleologische Gesichtspunkte ausgelegt. Dabei hat der Oberste Gerichtshof die Vereinbarkeit der angefochtenen Bestimmungen mit dem Determinierungsgebot weder problematisiert noch sonst in Frage gestellt. Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Beschluss auch auf die – teilweise divergierenden – Literaturmeinungen zum Verständnis der Bestimmungen verwiesen. Der bloße Umstand aber, dass es über die Auslegung gesetzlicher Bestimmungen Meinungsverschiedenheiten gibt, macht das Gesetz jedoch nicht unbestimmt im Sinne des Art18 B VG (VfSlg 18.420/2008).

Der Oberste Gerichtshof gründet seine das Legalitätsprinzip betreffenden Bedenken weiters darauf, dass das Gesetz an tatbestandliche Voraussetzungen anknüpfe, weshalb es bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen zur Erlassung abweichender kollektivvertraglicher Regelungen zunächst der Erhebung und Auswertung entsprechenden Datenmaterials bedürfe. Das Vorliegen der Voraussetzungen sei in zwei Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof (9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v) trotz des von den Fachverbänden vorgelegten umfangreichen Datenmaterials nicht erweislich gewesen.

Mit diesem Vorbringen macht der Oberste Gerichtshof nach Ansicht der Bundesregierung jedoch nicht die fehlende Bestimmtheit der angefochtenen Bestimmung geltend. Er kritisiert damit vielmehr faktische Umstände, nämlich, dass die Normadressaten in der Praxis Schwierigkeiten haben bzw in den genannten Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof hatten, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Regelungsbefugnis zu beweisen. Diese Behauptung steht jedoch nach Ansicht der Bundesregierung in keinem Zusammenhang mit dem Bestimmtheitsgebot des Art18 Abs1 B VG, weil es sich nicht auf die inhaltliche Bestimmtheit der Norm (sondern auf eine allfällige Beweisproblematik hinsichtlich des Vorliegens der in der Bestimmung geregelten Voraussetzungen) bezieht.

Sollte das Bedenken dennoch als eines betreffend Art18 Abs1 B VG anzusehen sein, so weist die Bundesregierung auf Folgendes hin:

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass bei der Beurteilung, ob eine Vorschrift ausreichend bestimmt ist, auch der Adressatenkreis einer Norm eine Rolle spielt. Es ist insofern zu berücksichtigen, wenn die Adressaten einer Materie besonders nahe stehen und dadurch besonderes Sachwissen aufweisen (vgl etwa VfSlg 20.011/2015; VfGH 25.2.2020, G146/2019 Pkt. IV.2.6.).

Adressaten des §1159 Abs2 dritter Satz und Abs4 dritter Satz ABGB sind in erster Linie die Kollektivvertragsparteien. Diese haben – sofern sie von den sonstigen Bestimmungen abweichende Regelungen treffen wollen – zunächst zu eruieren, ob sie dazu befugt sind.

Von den Kollektivvertragsparteien kann ein entsprechendes Sachwissen bezüglich der in ihrer Branche wirtschaftenden Unternehmen und allfälliger saisonaler Schwankungen der Arbeitnehmerzahlen erwartet werden. Es ist daher davon auszugehen, dass diese aufgrund ihrer besonderen Stellung (etwa als gesetzliche Interessensvertretungen) über das entsprechende Datenmaterial (bspw. Statistiken betreffend saisonale Beschäftigungsschwankungen oder Betriebsschließungen in ihrer Branche) verfügen, um die tatbestandlichen Voraussetzungen zu erheben und in der Folge zu überprüfen, ob die Ermächtigung zur abweichenden Regelung gegeben ist. In diesem Sinne geht das Gesetz auch an anderen Stellen davon aus, dass Informationen über die einem Kollektivvertrag unterfallenden Betriebe bzw Arbeitnehmer in der Praxis über die Sozialpartner gut feststellbar sind (vgl etwa betreffend §9 Abs4 ArbVG OGH 29.6.2020, 8 ObA 14/20x). Der bloße Umstand, dass in zwei im Gerichtsantrag genannten Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof die Voraussetzungen für das (Nicht )Vorliegen der Regelungsermächtigung nicht erweislich waren (vgl 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v), ändert daran nichts. Nur weil in einem konkreten Fall anhand des vorgelegten Datenmaterials die Beweisführung für das Bestehen der Voraussetzung nicht gelang, lässt dies nicht den Schluss zu, dass die Beweisführung für das Bestehen der Voraussetzungen generell nicht möglich wäre.

Auch den Parteien des Arbeitsvertrages ist es – entgegen den Ausführungen im Gerichtsantrag – möglich, die Rechtmäßigkeit des Ausspruchs einer Kündigung hinsichtlich der Frist und des Termins zu überprüfen: Für kollektivvertragliche Regelungen besteht kein besonderes Normenkontrollverfahren. Vielmehr ist eine mit zwingendem Recht in Widerspruch stehende Kollektivertragsbestimmung nicht rechtsgültig und daher wirkungslos. Diese Nichtigkeit einer kollektivvertraglichen Bestimmung ist im konkreten Rechtsstreit geltend zu machen und von den Gerichten wahrzunehmen (vgl RIS Justiz: RS0050828). Zwar weisen kollektivvertragliche Regelungen eine Richtigkeitsvermutung auf, die in der Sache eine Vermutung für die Angemessenheit, Sachlichkeit und Rechtsrichtigkeit des Kollektivvertrages darstellt. Es steht den Parteien des Arbeitsvertrages aber nach dem Gesagten offen, das Nichtvorliegen einer Saisonbranche im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen (vgl Kietaibl , Die Beweislastverteilung in Bezug auf das (Nicht )Vorliegen einer Saisonbranche im Anwendungsbereich eines Kollektivvertrages mit abweichenden Kündigungsbestimmungen, ASoK 2023, 234 [235]; Noga , Die gerichtliche Inhaltskontrolle abweichender kollektivvertraglicher Kündigungsfristen und termine, ASoK 2022, 281 [283]).

Wenn der Oberste Gerichtshof in Zusammenhang mit dem Legalitätsprinzip schließlich auch moniert, dass die Voraussetzungen für das Bestehen der Ermächtigung der Kollektivertragsparteien zur abweichenden Regelung sich jederzeit – etwa durch die Schließung oder Neueröffnung von Saisonbetrieben – ändern könne, macht er damit nach Ansicht der Bundesregierung wiederum nicht die mangende Determiniertheit der Bestimmungen geltend, sondern beanstandet eine allfällige aus sich ändernden Umständen im Tatsächlichen resultierende Rechtsunsicherheit hinsichtlich der (Fort )Geltung von kollektivvertraglichen Vereinbarungen.

Auch in der Sache gehen diese Bedenken des antragstellenden Gerichts ins Leere: Der Oberste Gerichtshof scheint davon auszugehen, dass sich die Voraussetzungen für das Bestehen der Regelungsermächtigung häufig und sprunghaft (durch Eröffnung oder Schließung einzelner Betriebe) ändern würden. Dieses Verständnis kann den angefochtenen Bestimmungen – wie unter Pkt. I.3. bereits ausgeführt – nicht beigemessen werden; ein bloß punktuelles kurzfristiges Überwiegen der Zahl der Saisonbetriebe gegenüber den Nichtsaisonbetrieben führt nicht dazu, dass (kurzfristig) von der Ermächtigung zur kollektivvertraglichen Regelung Gebrauch gemacht werden kann. Umgekehrt führt auch ein kurzzeitiges Absinken des Anteils an Saisonbetrieben nicht dazu, dass ein auf §1159 Abs2 dritter Satz oder Abs4 dritter Satz ABGB gestützter Kollektivvertrag sofort seine Geltung verlieren würde. Vielmehr muss das Überwiegen der Saisonbetriebe – wie der Oberste Gerichtshof in seinem Beschluss vom 24. März 2022, 9 ObA 116/21f, selbst erkennbar mit Blick auf den Zweck der Norm festgestellt hat – eine gewisse Zeit bestehen, damit es als charakteristisch für die Branche qualifiziert werden kann.

3.2. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz nach Art2 StGG und Art7 Abs1 B VG

Der Oberste Gerichtshof hegt weiters Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen im Hinblick auf den in Art2 StGG und Art7 Abs1 B VG verankerten Gleichheitsgrundsatz und bringt dazu vor, dass die gesetzliche Regelungsermächtigung für die gesamte Branche gelte, wenn in der Branche 'Saisonbetriebe' überwögen. Es seien damit auch jene Betriebe der Branche von den kollektivvertraglichen Regelungen umfasst, die keine Saisonbetriebe seien. Für diese generalisierende Betrachtung sei keine Rechtfertigung zu erkennen. Einerseits fehle es Betrieben, die keine 'Saisonbetriebe' seien, an einer typischen saisonal unterschiedlichen Auslastung, die eine raschere Auflösung von Arbeitsverhältnissen als im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien gelegen erscheinen ließe. Andererseits sei nicht zu erkennen, aus welchen Gründen Betriebe, die keine 'Saisonbetriebe' seien, nur deshalb, weil sie einer bestimmten 'Branche' zugehörten, einem anderen Regime der Kündigungsfristen und termine unterlägen, als Betriebe, die keiner vergleichbaren 'Branche' angehörten.

Vorauszuschicken ist, dass es in unterschiedlichen Branchen auch unterschiedliche Bedürfnisse hinsichtlich der Ausgestaltung von Kündigungsbestimmungen, insbesondere der Länge der Kündigungsfristen gibt. In diesem Sinne hat etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht die Ansicht vertreten, dass ein Bedürfnis nach erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität grundsätzlich geeignet ist, unterschiedliche Kündigungsfristen für unterschiedliche Gruppen zu rechtfertigen (BVerfG 30.5.1990, 1 BvL 2/83).

Das Gesetz ermächtigt zur kollektivvertraglichen Regelung von Kündigungsbestimmungen nur dann, wenn in einer bestimmten Branche Saisonbetriebe überwiegen; weitere Folge ist, dass alle Betriebe der Branche (mögen sie Saisonbetriebe sein oder nicht) in den Geltungsbereich des Kollektivvertrags fallen. Dies ist nach Ansicht der Bundesregierung sachlich gerechtfertigt:

Dem kollektiven Arbeitsrecht ist es immanent, innerhalb einer Branche die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen und dadurch – ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung der Arbeitsverhältnisse in den jeweiligen Branchen – gleiche Bedingungen zu schaffen. Ziel des Kollektivvertrages ist es, die Entgelt- und Arbeitsbedingungen in seinem Anwendungsbereich harmonisierend zu regeln (vgl Marhold , aaO, 135, der im Besonderen auf die Kartellwirkung des Kollektivvertrages hinweist). Vor diesem Hintergrund ist das Anknüpfen an Mehrheitsverhältnisse im kollektiven Arbeitsrecht daher keine Seltenheit. So setzt etwa §18 Abs3 Z2 ArbVG hinsichtlich der Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung voraus, dass der zu satzende Kollektivvertrag oder der Teil eines solchen 'überwiegende Bedeutung' erlangt hat. Bei der Prüfung der überwiegenden Bedeutung eines Kollektivvertrages wird die Zahl der von ihm erfassten Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Beziehung gesetzt zu der Zahl jener Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die durch die Satzung erfasst sein sollen. Durch die Satzungserklärung wird die Geltung des Kollektivvertrages auf Arbeitsverhältnisse außerhalb seines räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereiches erstreckt. Der Verfassungsgerichtshof hat festgehalten, dass gegen die gesetzlichen Grundlagen der Satzungserklärung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (VfSlg 13.880/1994). Auch §9 Abs4 ArbVG stellt hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit eines Kollektivvertrages im Falle einer Kollektivvertragskollision (wenn auch subsidiär) darauf ab, welcher der kollidierenden Kollektivverträge hinsichtlich des Geltungsbereiches unbeschadet der Verhältnisse im Betrieb die 'größere Anzahl' von Arbeitnehmern erfasst.

Geht man also davon aus, dass durch kollektive Arbeitsrechtsakte unter Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse in einer Branche Regelungen für diese Branche getroffen werden können, hat dies zwangsläufig zur Folge, dass diese Regelungen auch für die Minderheiten in der Branche gelten.

Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass kollektivvertragliche Regelungen auf Grund des Überwiegens von Saisonbetrieben in einer Branche auch auf Betriebe dieser Branche anzuwenden sind, die keine Saisonbetriebe sind.

4. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtenen Bestimmungen nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig sind."

12. In dem zur Zahl G29/2024 protokollierten Verfahren brachte eine beteiligte Partei eine Äußerung ein, in der sie der von der Bundesregierung in ihrer Äußerung vertretenen Rechtsauffassung mit näherer Begründung entgegentritt.

In dem zur Zahl G29/2024 protokollierten Verfahren langte beim Verfassungsgerichtshof eine Äußerung einer weiteren beteiligten Partei ein, in der sie darauf hinweist, dass eine Aufhebung des gesamten §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB idF BGBl I 153/2017 zur Beseitigung der potentiellen Verfassungswidrigkeit nicht notwendig sei. Teile der Verfassungsgerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Obersten Gerichtshofes, seien (bloß) §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB idF BGBl I 153/2017 aufzuheben.

13. In dem zur Zahl G34/2024 protokollierten Verfahren langte beim Verfassungsgerichtshof eine Äußerung einer beteiligten Partei ein, in welcher sie die Bedenken der antragstellenden Gerichte teilt. Trotz umfassenden Datenmaterials könnten weder die betreffenden Fachverbände der Wirtschaftskammer noch der Österreichische Gewerkschaftsbund beweisen, dass in der österreichischen Gastronomie und Hotellerie Saisonbetriebe (nicht) überwögen. Bei realistischer Betrachtung seien aber nur diese in der Lage, diesen Beweis zu führen. Der einzelne rechtsunterworfene Arbeitgeber oder Arbeitnehmer wüsste anhand der geltenden Rechtslage noch viel weniger, wie er sein Verhalten rechtskonform einrichten könne. Dieser untragbare Zustand werde durch die Verwendung dreier unbestimmter Gesetzesbegriffe ("Branche", "Saisonbetriebe", "überwiegen") verstärkt. Aus diesem Grund erwiesen sich die angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Der Verfassungsgerichtshof hat keine Zweifel, dass die antragstellenden Gerichte die angefochtenen Bestimmungen in den von ihnen geführten (Anlass )Verfahren anzuwenden haben.

1.2. Die antragstellenden Gerichte fechten in ihrem (Haupt )Antrag §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB idF BGBl I 153/2017 an. Obwohl sich die in den Anträgen dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken im Wesentlichen gegen §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB richten, ist der Anfechtungsumfang nicht – in unzulässiger Art und Weise – zu weit gewählt. Sämtliche angefochtene Bestimmungen, dh §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB, stehen nämlich in einem Regelungszusammenhang und sind nicht offensichtlich trennbar (vgl dazu allgemein VfSlg 20.111/2016).

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die jeweiligen (Haupt )Anträge als zulässig. Im Hinblick darauf ist auf die jeweiligen Eventualanträge nicht einzugehen.

2. In der Sache

Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

Die Anträge sind nicht begründet.

2.1. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 Abs1 B VG:

2.1.1. Mit dem am 1. Jänner 2021 in Kraft getretenen BGBl I 153/2017 wurde §1159 ABGB ("Kündigung") neu gefasst. Durch die Neuregelung sollte eine (weitgehende) Vereinheitlichung der Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte bewirkt werden.

Nach Abs1 in §1159 ABGB kann das ohne Zeitbestimmung eingegangene oder fortgesetzte Dienstverhältnis durch Kündigung nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen in §1159 ABGB gelöst werden.

Mangels einer für den Dienstnehmer günstigeren Vereinbarung kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr auf zwei Monate, nach dem vollendeten fünften Dienstjahr auf drei, nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr auf vier und nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Dienstjahr auf fünf Monate. Durch Kollektivvertrag können für "Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des §53 Abs6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl Nr 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden" (§1159 Abs2 ABGB).

Gemäß §1159 Abs3 ABGB kann die Kündigungsfrist durch Vereinbarung nicht unter die in §1159 Abs2 ABGB bestimmte Dauer herabgesetzt werden; jedoch kann vereinbart werden, dass die Kündigungsfrist am Fünfzehnten oder am Letzten des Kalendermonats endigt.

Mangels einer für ihn günstigeren Vereinbarung kann der Dienstnehmer das Dienstverhältnis mit dem letzten Tage eines Kalendermonats unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist lösen. Diese Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung bis zu einem halben Jahr ausgedehnt werden; doch darf die vom Dienstgeber einzuhaltende Frist nicht kürzer sein als die mit dem Dienstnehmer vereinbarte Kündigungsfrist. Durch Kollektivvertrag können für "Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des §53 Abs6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl Nr 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden" (§1159 Abs4 ABGB).

Ist das Dienstverhältnis nur für die Zeit eines vorübergehenden Bedarfes vereinbart, sieht §1159 Abs5 ABGB vor, dass es während des ersten Monats von beiden Teilen jederzeit unter Einhaltung einer einwöchigen Kündigungsfrist gelöst werden kann.

Nach §53 Abs6 ArbVG gelten als "Saisonbetriebe […] Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten".

2.1.2. Das in Art18 Abs1 B VG verankerte Bestimmtheitsgebot gebietet im Allgemeinen, dass Gesetze einen Inhalt haben, durch den das Verhalten der Behörde oder des Gerichtes vorherbestimmt ist. Es kann allerdings im Hinblick auf den jeweiligen Regelungsgegenstand erforderlich sein, dass der Gesetzgeber bei der Beschreibung und Formulierung der gesetzlichen Kriterien unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet und durch die damit zwangsläufig verbundenen Unschärfen von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt (vgl VfSlg 20.279/2018, 13.785/1994 mwN).

Ob eine Regelung dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, richtet sich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, dem Gegenstand und dem Zweck der Regelung (vgl zB VfSlg 8209/1977, 9883/1983 und 12.947/1991). Bei der Ermittlung des Inhaltes einer gesetzlichen Regelung sind daher alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Erst wenn nach Heranziehung sämtlicher Interpretationsmetho-den noch nicht beurteilt werden kann, wozu das Gesetz ermächtigt, verletzt die Regelung die in Art18 B VG enthaltenen rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl zB VfSlg 5993/1969, 7163/1973, 7521/1975, 8209/1977, 8395/1978, 11.499/1987, 14.466/1996, 14.631/1996, 15.493/1999, 16.137/2001 und 16.635/2002).

2.1.3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung teilt der Verfassungsgerichtshof die seitens des Obersten Gerichtshofes (zu G29/2024) und des Oberlandesgerichtes Linz (zu G34/2024) vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen, insbesondere gegen §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB nicht:

2.1.3.1. Der Verfassungsgerichtshof weist eingangs darauf hin, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit von Kollektivverträgen bestehen. Den rechtsstaatlichen Erfordernissen ist durch die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit einer kollektivvertraglichen Ermächtigung Genüge getan (vgl dazu grundlegend VfSlg 13.880/1994). Es bestehen auch grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber den Kollektivvertragsparteien die Möglichkeit eröffnet, durch Kollektivvertrag vom Gesetz abweichende Regelungen zu erlassen (vgl VfSlg 18.897/2009).

2.1.3.2. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes hat der Gesetzgeber mit der Bestimmung in §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB in einer dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B VG entsprechenden Weise festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die Kollektivvertragsparteien von §1159 Abs2 Satz 1 und 2 sowie Abs4 Satz 1 und Satz 2 ABGB abweichende Kündigungsregelungen festlegen dürfen. Dies kann für "Branchen" erfolgen, "in denen Saisonbetriebe im Sinne des §53 Abs6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl Nr 22/1974 überwiegen".

2.1.3.3. Der Oberste Gerichtshof setzte sich bereits – wie er selbst in seinem Gesetzesaufhebungsantrag an den Verfassungsgerichtshof ausführt – in zwei Entscheidungen mit der Auslegung des §1159 ABGB in der Fassung BGBl I 153/2017 auseinander. Dazu führt der Oberste Gerichtshof in seinem zu G29/2024 gestellten Antrag Folgendes aus:

"1.5 Mit der Auslegung des §1159 ABGB idF BGBI I 2017/153 im Verhältnis zu Pkt 21 lita KV hatte sich der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v, die jeweils in Verfahren gemäß §54 Abs2 ASGG ergingen, auseinanderzusetzen. Ausgeführt wurde, dass die ursprünglich angestrebte Harmonisierung der Kündigungsfristen und termine von Arbeitern und Angestellten nach dem gesetzlichen Modell nicht durchgehend verwirklicht ist, sondern mit §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB im Sinn einer Ermächtigung der Kollektivvertragspartner kollektivvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Regelmodell ermöglicht wurden, sodass für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinn des §53 Abs6 ArbVG überwiegen, auch kürzere Kündigungsfristen bestehen können. Durch diese soll eine relativ kurzfristige Anpassung des Personalstands ermöglicht werden, wenn und weil (insbesondere witterungsbedingt) branchenspezifisch keine exakt voraussehbare Personalplanung erfolgen kann und auch Befristungsvereinbarungen nicht in jedem Fall ausreichen. Weiters wurde ausgeführt, dass eine bereits vor Inkrafttreten des §1159 ABGB idF BGBI I 2017/153 geschaffene kollektivvertragliche Regelung – wie Pkt 21 lita KV – auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes weiter Bestand hat, sofern und soweit mit ihr die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden. Die gesetzliche Regelungsermächtigung gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass der Kollektivvertrag die Regelung für eine 'Branche' festgelegt hat, in der 'Saisonbetriebe' (§53 Abs6 ArbVG iVm §1159 Abs2 und Abs4 jeweils Satz 3 ABGB) überwiegen. Ist dies der Fall, werden auch Betriebe der Branche, die keine Saisonbetriebe sind, von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst. Wie weiters ausgeführt wurde, können die Kollektivvertragsparteien das Überwiegen von Saisonbetrieben zwar deklarativ festhalten, jedoch nicht normativ festlegen, weil dieser Umstand tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis ist. Letztlich gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass der für die Geltung der gesetzlichen Regelungsermächtigung erforderliche Nachweis des (quantitativen) 'Überwiegens' der Saisonbetriebe den jeweiligen Antragstellern dieser beiden Verfahren – trotz Vorlage umfangreichen Datenmaterials – nicht gelungen sei. Ein individueller Anspruch eines Arbeitnehmers wie er im vorliegenden Verfahren geltend gemacht wird, war nicht zu beurteilen."

2.1.3.4. Von dieser Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ausgehend erachten der Oberste Gerichtshof und – mit diesem übereinstimmend – das Oberlandesgericht Linz die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung der Regelungsbefugnis gemäß §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB wirksam wird, als nicht ausreichend bestimmt im Sinne des Art18 B VG. Selbst bei Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten und Heranziehung aller Interpretationsmethoden könne der Anordnungsgehalt der angefochtenen Bestimmungen nicht beurteilt werden, weil es sich bei der gesetzlichen Voraussetzung ("Überwiegen von Saisonbetrieben") um eine tatbestandliche Voraussetzung für die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien handle. Auch der Verweis in §1159 Abs2 Satz 3 (und Abs4 Satz 3) ABGB auf die Legaldefinition "Saisonbetriebe" in §53 Abs6 ArbVG schaffe keine Klarheit, weil die dort verwendeten Begriffe in gleicher Weise an weitere (unbestimmte) tatbestandliche Voraussetzungen knüpften. Zum Nachweis der Geltung der kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell bedürfe es somit – so der Oberste Gerichtshof und das Oberlandesgericht Linz in ihren Anträgen weiter – vorerst der Erhebung und Auswertung des entsprechenden Datenmaterials. Dabei werde eine lediglich punktuelle Betrachtungsweise (etwa bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kollektivvertrages) nicht genügen, weil das "Überwiegen von Saisonbetrieben" eine längere zeitliche Dimension erfordere. Diese Voraussetzungen könnten sich zudem jederzeit – und für die Rechtsunterworfenen in nicht vorhersehbarer Weise – ändern, wie etwa durch die Schließung oder Neueröffnung von "Saisonbetrieben" einer "Branche". Hänge aber die Übertragung der Regelungsbefugnis an die Kollektivvertragsparteien vom Vorliegen bestimmter Sachverhaltselemente ab, deren Vorliegen sich ständig ändern könne und deren Voraussetzungen – wie sich aus den Ergebnissen der Verfahren OGH 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v ergebe – auch anhand des von den zuständigen Fachverbänden vorgelegten umfangreichen Datenmaterials nicht erweislich gewesen seien, werde den Parteien des Arbeitsvertrages die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit des Ausspruches einer Arbeitgeberkündigung (im Anwendungsbereich des §1159 Abs4 ABGB: einer Arbeitnehmerkündigung) in Bezug auf die einzuhaltende Kündigungsfrist und den Kündigungstermin zu überprüfen und ausgehend davon allfällige Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

Die Folge der fehlenden Determiniertheit der angefochtenen Bestimmungen ist nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes und des Oberlandesgerichtes Linz, dass allfällige im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsvertrages entstehende gesetzliche Ansprüche (wie etwa jener auf Kündigungsentschädigung) im Widerspruch zu dem sich aus Art18 B VG ergebenden Rechtsstaatsgebot als nicht durchsetzbar anzusehen seien.

2.1.3.5. Die Bundesregierung entgegnet, dass §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB einen angemessenen Grad der Bestimmtheit im Sinne des Art18 B VG aufweise. Dass die angefochtenen Bestimmungen einer Auslegung zugänglich seien, zeige der Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 24. März 2022, 9 ObA 116/21f. In diesem habe sich der Oberste Gerichtshof mit der in §1159 Abs2 Satz 3 ABGB enthaltenen Wortfolge "für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des §53 Abs6 des Arbeitsverfassungsgesetzes BGBl Nr 22/1974, überwiegen" auseinandergesetzt und sie detailliert und gemessen am Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang sowie mit Blick auf die Genese und teleologische Gesichtspunkte ausgelegt. Die antragstellenden Gerichte machten nach Ansicht der Bundesregierung nicht die fehlende Bestimmtheit der angefochtenen Bestimmungen geltend, sondern kritisierten faktische Umstände, dass nämlich die Normadressaten in der Praxis Schwierigkeiten hätten, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Regelungsbefugnis nachzuweisen. Darüber hinaus könne von den Kollektivvertragsparteien ein entsprechendes Sachwissen bezüglich der Feststellung der in ihrer Branche wirtschaftenden Unternehmen und allfälliger saisonaler Schwankungen der Arbeitnehmerzahlen erwartet werden. Es sei davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien über das entsprechende Datenmaterial verfügten. Die antragstellenden Gerichte schienen zudem davon auszugehen, dass sich die Voraussetzungen für das Bestehen der Regelungsermächtigung häufig und sprunghaft änderten. Ein kurzfristiges Absinken der Anzahl von "Saisonbetrieben" führe jedoch noch nicht dazu, dass die Regelungsbefugnis nach §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB nicht greife.

2.1.3.6. Wie der Oberste Gerichtshof in seinem Antrag an den Verfassungsgerichtshof selbst darlegt, hatte er bereits in zwei Entscheidungen die hier angefochtenen Bestimmungen anzuwenden und dabei insbesondere die Regelungen im Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB auszulegen (vgl insbesondere OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f).

Zunächst ist festzuhalten, dass die in diesen Bestimmungen verwendeten Begriffe allgemein verständlich und – unter Heranziehung der Interpretationsmethoden –einer Auslegung zugänglich sind.

Soweit der Oberste Gerichtshof und das Oberlandesgericht Linz meinen, dass bei der Ermittlung der Voraussetzung für die Anwendbarkeit des §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB eine lediglich punktuelle Betrachtungsweise (etwa bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kollektivvertrages) nicht genüge, weil das "Überwiegen von Saisonbetrieben" eine längere zeitliche Dimension erfordere und sich diese Voraussetzungen jederzeit – und für die Rechtsunterworfenen in nicht vorhersehbarer Weise – ändern könnten, erweist dies nicht die mangelnde Bestimmtheit der angefochtenen Bestimmungen. Dass sich faktische Umstände rechtserheblicher Akte ändern können und es damit im Zeitverlauf zu einer Rechtswidrigkeit oder einer Rechtmäßigkeit derselben kommen kann, widerspricht für sich genommen nicht verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere auch nicht dem Art18 B VG. Es ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte, anhand des §1159 ABGB die Kriterien zu entwickeln, unter welchen (zeitlichen) Voraussetzungen §1159 Abs2 Satz 3 und §1159 Abs4 Satz 3 ABGB anwendbar sind. Auch in dieser Hinsicht hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 24. März 2022, 9 Ob 116/21f, bereits wesentliche Ausführungen gemacht, nämlich dass es nicht auf ein punktuelles Überwiegen von Saisonbetrieben ankommen kann, "weil das Überwiegen von Saisonbetrieben auch eine gewisse längere zeitliche Dimension erfasst, um branchenkennzeichnend zu sein".

2.1.3.7. Der Verfassungsgerichtshof stimmt den Ausführungen des Obersten Gerichtshofes und des Oberlandesgerichtes Linz in ihren Anträgen zu, dass es zum Nachweis der Geltung der kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell der Erhebung und Auswertung des entsprechenden Datenmaterials bedarf. Dass in dieser Hinsicht faktische Schwierigkeiten bestehen mögen, die Erfüllung der Voraussetzungen der Anwendbarkeit des §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB nachzuweisen, begründet freilich – entgegen der Auffassung der antragstellenden Gerichte – nicht die mangelnde Bestimmtheit der angefochtenen Regelungen.

Der Verfassungsgerichtshof kann daher nicht erkennen, dass die angefochtenen Bestimmungen, insbesondere §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB, gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 B VG verstoßen.

2.2. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 B VG:

2.2.1. Der Oberste Gerichtshof (zu G29/2024) und – mit diesem übereinstimmend – das Oberlandesgericht Linz (zu G34/2024) bringen vor, dass die gesetzliche Regelungsermächtigung für die gesamte Branche gelte, wenn in der Branche "Saisonbetriebe" überwögen. Es seien damit auch jene Betriebe der Branche von den kollektivvertraglichen Regelungen umfasst, die keine "Saisonbetriebe" seien. Für diese generalisierende Betrachtung sei keine Rechtfertigung zu erkennen. Einerseits fehle es Betrieben, die keine "Saisonbetriebe" seien, an einer typischen saisonal unterschiedlichen Auslastung, die eine raschere Auflösung von Arbeitsverhältnissen als im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien gelegen erscheinen ließe. Andererseits sei nicht zu erkennen, aus welchen Gründen Betriebe, die keine "Saisonbetriebe" seien, nur deshalb, weil sie einer bestimmten "Branche" zugehörten, einem anderen Regime der Kündigungsfristen und termine unterlägen als Betriebe, die keiner vergleichbaren "Branche" angehörten.

2.2.2. Die Bundesregierung entgegnet diesen Bedenken der antragstellenden Gerichte zusammengefasst, dass es dem kollektiven Arbeitsrecht immanent sei, innerhalb einer Branche die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen und dadurch gleiche Bedingungen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund sei das Anknüpfen an Mehrheitsverhältnisse im kollektiven Arbeitsrecht keine Seltenheit. So setze etwa §18 Abs3 Z2 ArbVG hinsichtlich der Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung voraus, dass der zu satzende Kollektivvertrag oder der Teil eines solchen "überwiegende Bedeutung" erlangt habe. Bei der Prüfung der überwiegenden Bedeutung eines Kollektivvertrages werde die Zahl der von ihm erfassten Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Beziehung gesetzt zu der Zahl jener Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die durch die Satzung erfasst sein sollten.

2.2.3. Der Verfassungsgerichtshof teilt die im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 B VG und Art2 StGG geäußerten Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen nicht:

2.2.3.1. Dem Gesetzgeber sind durch den Gleichheitsgrundsatz insofern inhaltliche Schranken gesetzt, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001) sowie sachlich nicht begründbare Differenzierungen vorzunehmen (vgl VfSlg 8169/1977, 15.590/1999, 18.269/2007). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber von Verfas-sungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).

Der Gesetzgeber kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (vgl zB VfSlg 14.841/1997, 16.124/2001, 16.771/2002 und 20.298/2018). Ebensowenig ist es dem Gesetzgeber verwehrt, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen (vgl VfSlg 11.775/1988 mwN).

2.2.3.2. Zunächst ist festzuhalten, dass dem Gesetzgeber bei der Regelung des Kündigungs- und Entlassungsschutzes von Verfassungs wegen ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zusteht. Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, je nach Schutzgesichtspunkten unterschiedliche Regelungen im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vorzusehen (vgl VfSlg 20.087/2016).

2.2.3.3. Der Gesetzgeber stellt in §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB auf eine Durchschnittsbetrachtung ("Überwiegen" von Saisonbetrieben) ab, indem er nicht den einzelnen Betrieb, sondern eine Branche in ihrer Gesamtheit heranzieht, der überwiegend Saisonbetriebe zugehören. Mit diesen Regelungen geht – wie der Oberste Gerichtshof und das Oberlandesgericht Linz zutreffend meinen – einerseits einher, dass die abweichenden Kündigungsregelungen auch für Betriebe gelten können, die keine Saisonbetriebe sind, aber zu einer Branche gehören, in der Saisonbetriebe überwiegen. Andererseits fallen Saisonbetriebe, die nicht zu einer Branche mit überwiegenden Saisonbetrieben gehören, nicht unter die (Ermächtigungs )Regelungen gemäß §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes begegnen diese gesetzlichen (Ermächtigungs )Regelungen aber – entgegen den Darlegungen des Obersten Gerichtshofes und des Oberlandesgerichtes Linz – keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken. Es ist – wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung zutreffend darlegt – dem kollektiven Arbeitsrecht immanent (und vielfach gerade die Zielsetzung von Kollektivverträgen), innerhalb einer Branche die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen und dadurch gleiche Bedingungen für alle Betriebe dieser Branche zu schaffen, mögen diese auch in Bezug auf ihre Struktur und sonstige Gesichtspunkte unterschiedlich sein. Diese Zielsetzung wird im kollektiven Arbeitsrecht durch die Beschränkung der gesetzlichen Regelungsermächtigungen auf den fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrages verwirklicht.

Der Gesetzgeber knüpft gemäß §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB in einer gleichheitsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise an "Mehrheitsverhältnisse" für die Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungsermächtigungen ("Überwiegen" von Saisonbetrieben innerhalb einer Branche), weil durch das gesetzlich grundgelegte und durch Kollektivvertrag zu konkretisierende Regelungskonstrukt auf Grund der Beschränkung der gesetzlichen Regelungsermächtigungen auf den fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrages einheitliche Kündigungsregelungen für im Wesentlichen gleichartige Arbeitsverhältnisse geschaffen werden. Das Anknüpfen an "Mehrheitsverhältnisse" im kollektiven Arbeitsrecht bringt mit sich, dass sämtliche vom Geltungsbereich eines Kollektivvertrages erfasste Betriebe die Vorteile oder Nachteile einer auf eine Durchschnittsbetrachtung abstellenden Regelung des kollektiven Arbeitsrechts für bzw gegen sich gelten lassen können bzw müssen. Da nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes die Zielsetzungen des Gesetzgebers im kollektiven Arbeitsrecht, nämlich für die zu einer Branche gehörenden Betriebe (dh innerhalb des Geltungsbereiches eines Kollektivvertrages) einheitliche Mindestbedingungen zu erreichen, grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, sind auch die damit regelmäßig verbundenen unterschiedlichen Betroffenheiten für die Betriebe dieser Branche gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Verfassungsgerichtshof kann dementsprechend angesichts der allgemeinen Zielsetzungen des kollektiven Arbeitsrechts nicht finden, dass §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB dem Gleichheitsgrundsatz widerspräche. Ziel dieser (Ausnahme- bzw Zulassungs )Bestimmungen ist, den besonderen wirtschaftlichen Gegebenheiten, die überwiegend branchenkennzeichnend sind, in den bezeichneten Branchen durch die Ermöglichung abweichender Kündigungsregelungen Rechnung zu tragen.

2.2.4. Aus den genannten Gründen verstoßen die angefochtenen Bestimmungen nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 B VG.

2.3. Entscheidung über die Anträge der beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G57/2024, G61/2024, G62/2024, G64/2024, G67/2024 und G74/2024 protokollierten Verfahren:

Da diese Anträge den beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G29/2024 und G34/2024 protokollierten Anträgen in allen wesentlichen Belangen gleichen, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG davon abgesehen, ein weiteres Verfahren in diesen Rechtssachen durchzuführen. Dies erfolgt im Hinblick darauf, dass durch die Entscheidung über die zu G29/2024 und G34/2024 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Anträge die Rechtsfragen in den zu den Zahlen G57/2024, G61/2024, G62/2024, G64/2024, G67/2024 und G74/2024 protokollierten Anträgen bereits genügend klargestellt sind.

V. Ergebnis

1. Die Anträge auf Aufhebung des §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB sind abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Rückverweise