JudikaturVfGH

G151/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
01. Dezember 2023

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antragsvorbringen

1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litc B VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller die Aufhebung des Pensionskassengesetzes – PKG, BGBl 281/1990, idF BGBl I 36/2022, und des Betriebspensionsgesetzes – BPG, BGBl 282/1990, idF BGBl I 100/2018, sowie in eventu die Aufhebung des §1 Abs2 und 2a des Pensionskassengesetzes – PKG, BGBl 281/1990, idF BGBl I 36/2022, sowie des §5 Abs4 des Betriebspensionsgesetzes – BPG, BGBl 282/1990, idF BGBl I 100/2018, sowie in eventu näher bezeichnete darin enthaltene Wortfolgen.

2. Zur Begründung des Antrages wird im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

Der Antragsteller sei insgesamt 25 Jahre lang bei der Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG (im Folgenden "Arbeitgeber") beschäftigt gewesen. Während dieser Zeit habe der Arbeitgeber laufende Arbeitgeberbeiträge für eine ergänzende Pensionsvorsorge bei der *** geleistet. Zum 31. Dezember 2021 hätte das in der Pensionsvorsorge angesparte Pensionskapital des Antragstellers EUR 59.012,31 betragen. Auf Grund einer schweren sozialen Situation beziehe der Antragsteller seit mehreren Jahren Notstandshilfe. Infolge dieser misslichen Lage habe er die Auszahlung des vom Arbeitgeber in die Pensionskasse einbezahlten Kapitals bei der *** begehrt.

Die *** habe dem Antragsteller mit Schreiben vom 11. Jänner 2023 mitgeteilt, keine Auszahlung zu leisten, weil der Unverfallbarkeitsbetrag des Antragstellers (im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses) den gesetzlichen Grenzwert gem. §5 Abs4 BPG von EUR 14.400,00 übersteige. Der Antragsteller habe schließlich zumindest eine teilweise Auszahlung in Höhe des Grenzwerts begehrt, was die *** ebenso unter Verweis auf die oben angeführte Bestimmung verweigert habe.

Der Antragsteller erachte seinen Antrag für zulässig, weil er keine andere Möglichkeit habe die Gesetze zu bekämpfen. Er habe ausschließlich eine Übersicht der Entwicklung seines Pensionskapitals zur Information erhalten. Die *** sei zudem keine Körperschaft öffentlichen Rechts und somit nicht befugt Bescheide zu erlassen.

Der Antragsteller sei auch unmittelbar von den bekämpften Gesetzen betroffen, da er das angesparte Kapital bzw dessen Unverfallbarkeitsbetrag von der *** nicht ausbezahlt bekomme, wodurch er unrechtmäßig verkürzt werde. Eine sachlich angemessene Regelung würde im Zeitraum vor Eintritt des Leistungsfalles zumindest die Zulässigkeit der Auszahlung eines Teilbetrags des konkret zustehenden Unverfallbarkeitsbetrags in Höhe bis zum vorgeschriebenen Grenzwert vorsehen.

Auch wäre es dem Antragsteller nicht zumutbar, den Weg über ein Zivilverfahren gegen die *** auf Auszahlung des angesparten Kapitals zu bestreiten, und die Gesetz- und Verfassungswidrigkeit mittelbar an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass der Antragsteller der "Ergreiferprämie" – und mit dem Vorteil der Bekämpfung des rechtswidrigen Zustands – im Sinne des Art140 Abs7 B VG verlustig werde.

In der Sache bringt der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass die Nichtauszahlung des angesparten Geldbetrags eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art7 Abs1 B VG iVm Art2 StGG und Art5 StGG darstelle. Die Verfassungswidrigkeit – im Blick die Anordnungen des Sachlichkeitsgebots nach Art7 B VG – zeige sich dabei am betraglich vordefinierten (und valorisierten) Grenzbetrag vom angesparten Guthaben, wie an ihrer fehlenden Gleichbehandlung mit einer Auszahlung jenes Grenzbetrages auch bei Überschreiten des Grenzbetrages. Bei der Einführung des Gesetzes sei vom Telos der Norm des Gesetzgebers vorgesehen gewesen, dass der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entscheiden könne, was mit den bisher erworbenen Anwartschaften geschehen. Dem Arbeitnehmer solle das vom Gesetz eingeräumte Verfügungsrecht uneingeschränkt zustehen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt sei der Gesetzgeber der Ansicht gewesen, dass eine Einschränkung zu unbilligen Ergebnissen führen würde. Bereits damals sei eine Grenze vorgesehen gewesen. Die Begründung für diese Grenze liege bei einem niedrigen Verwaltungsaufwand für eine Evidenzhaltung, bei der auch die Pensionskasse von sich aus eine solch geringe Anwartschaft auszahlen könne. Dies schließe nicht aus, dass Ausnahmen gewährt werden, die nicht von der Pensionskasse bestimmt wären. Es widerspreche dem Sachlichkeitsgebot, dass eine Auszahlung jedenfalls ausgeschlossen sei, sofern das angesparte Kapital (Unverfallbarkeitsbetrag) den Grenzbetrag übersteige. Sachlich wäre es jedenfalls, bei Überschreiten des Grenzbetrages zumindest den Grenzbetrag auszuzahlen. Abgesehen davon sei das angesparte Kapital einem sozialen Zweck gewidmet, nämlich der Förderung der Pension. Für soziale Zwecke solle jedoch auch vor dem Pensionsantritt eine Auszahlung zumindest eines Teilbetrags des Unverfallbarkeitsbetrags zuerkannt werden. Eine soziale Vorsorge, die zudem freiwillig vom Arbeitgeber gewährt werde, habe ihren Zweck völlig verfehlt, wenn eine Person noch vor dem Pensionsantritt ein auf Notstandshilfe angewiesenes Leben führen müsse.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Ablehnung bzw die Zurück- bzw Abweisung des Antrages beantragt. In dieser Äußerung hält sie im Wesentlichen fest, dass es sich bei den angefochtenen Gesetzesbestimmungen um im öffentlichen Interesse (etwa verwaltungsökonomische Überlegungen und Schutz anderer Anwartschafts- und Leistungsberechtigten) gelegene, sachlich gerechtfertigte und nicht unverhältnismäßige Regelungen handle, die weder unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes noch der Unverletzlichkeit des Eigentums verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Im Übrigen habe der Antragsteller die Möglichkeit, Klage auf Herausgabe des Pensionskapitals (oder zumindest eines Teilbetrags in der Höhe des Abfindungsgrenzbetrags) gegen die Pensionskasse im ordentlichen Rechtsweg zu erheben.

II. Zur Zulässigkeit

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 Z1 litc B VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 18.778/2009 festgehalten hat, handelt es sich beim Pensionskassenvertrag um einen echten Vertrag zugunsten Dritter iSd §881 ABGB, bei dem der Schuldner die Pensionskasse dem Gläubiger und Versprechensempfänger dem Arbeitgeber verspricht, dem Dritten einem Anwartschafts- oder Leistungsberechtigten seine Pension bei Leistungsanfall auszubezahlen. Neben dem Leistungsberechtigen erwirbt also auch der Anwartschaftsberechtigte gegenüber der Pensionskasse aus diesem Vertrag zugunsten Dritter einklagbare Rechte (zum Antrag bezüglich Zulässigkeit des vorzeitigen Ausscheidens von Anwartschaftsberechtigten aus einer Pensionskasse s. Punkt 3.2. in VfSlg 18.969/2009).

2.1. Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht ersichtlich, weshalb es konkret für den Antragsteller nicht zumutbar wäre, den Klagsweg zu beschreiten und im gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften vorzubringen. Wollte man wegen des bloßen Prozessrisikos und damit allfällig verbundener Kostenfolgen oder wegen der mit gerichtlichen Verfahren im Regelfall verbundenen Zeitdauer grundsätzlich davon ausgehen, dass die Beschreitung des Gerichtsweges unzumutbar sei, verlöre die in Art140 Abs1 letzter Satz B VG enthaltene Einschränkung ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich (vgl etwa VfSlg 10.785/1986, 12.046/1989 ua). Der Verfassungsgerichtshof hat diese Rechtsprechung damit begründet, dass es der Partei auch schon vor der mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen B VG-Novelle BGBl I 114/2013 möglich war, ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vom Gericht anzuwendenden Bestimmungen vorzutragen und das antragsberechtigte Gericht zur Antragstellung zu veranlassen. Jedes (ordentliche) Gericht ist verpflichtet, bei Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Bestimmungen einen Antrag auf Normenprüfung zu stellen. Außerdem erkennt der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG über die Gesetz- bzw Verfassungsmäßigkeit einer Bestimmung auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht erster Instanz entschiedenen Rechtssache in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2.2. Vor diesem Hintergrund müssen somit in den Fällen einer Gerichtszuständigkeit besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Einbringung eines Individualantrags zulässig machen könnten. Andernfalls würde eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes eintreten, welche mit dem Grundsatz der Subsidiarität von Individualanträgen im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht im Einklang stünde (vgl VfGH 7.10.2021, G88/2021 ua, V120/2021 ua).

2.3. Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund unzulässig.

III. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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