E2953/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Dem Österreichischen Kynologenverband (im Folgenden: Beschwerdeführer), ein Veranstalter von internationalen Hundeausstellungen in Österreich, wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wels vom 15. November 2022 die tierschutzrechtliche Bewilligung unter näher bezeichneten Auflagen im Zusammenhang mit Qualzuchtmerkmalen für die Abhaltung der Internationalen Rassehundeausstellung vom 2. bis 4. Dezember 2022 erteilt.
2. Die gegen näher bezeichnete Auflagenpunkte dieses Bescheides fristgerecht erhobene Beschwerde vom 14. Dezember 2022 wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Beschluss vom 27. Juli 2023 mangels Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers zurück. Begründend führt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Wesentlichen aus, dass im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung dem Beschwerdeführer kein maßgebliches Rechtsschutzinteresse mehr zugekommen sei, weil das Recht zur Durchführung der Rasseausstellung bereits erloschen (bzw vom Beschwerdeführer schon konsumiert) gewesen sei.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B VG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes (TSchG), BGBl I 118/2004, in der Fassung BGBl I 61/2017 bzw BGBl I 130/2022 (§38 TSchG) lauten auszugsweise wie folgt:
"Bewilligungen
§23. (1) Für Bewilligungen gelten, soweit nicht anderes bestimmt ist, die folgenden Bestimmungen:
1. Die Behörde hat Bewilligungen nur auf Antrag zu erteilen. Örtlich zuständig für die Bewilligung ist die Behörde, in deren Sprengel die bewilligungspflichtige Haltung, Mitwirkung oder Verwendung von Tieren stattfindet oder stattfinden soll.
2. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn die beantragte Tierhaltung den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der auf dessen Grundlage erlassenen Verordnungen sowie dem anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht und kein Tierhaltungsverbot entgegensteht.
3. Bewilligungen können erforderlichenfalls befristet oder unter Auflagen oder unter Bedingungen erteilt werden.
4. Eine befristete Bewilligung ist auf Antrag des Bewilligungsinhabers zu verlängern, wenn der Antrag vor Ablauf der Frist eingebracht wird und die Voraussetzungen für die Erteilung der Bewilligung weiterhin gegeben sind. Erforderlichenfalls sind die Bedingungen oder Auflagen (Z3) abzuändern.
(2) Stellt die Behörde fest, dass die Tierhaltung nicht mehr den Bewilligungsvoraussetzungen entspricht oder die vorgeschriebenen Auflagen oder Bedingungen nicht eingehalten werden, hat sie mit Bescheid die zur Erreichung des rechtmäßigen Zustandes notwendigen Maßnahmen vorzuschreiben und dem Bewilligungsinhaber den Entzug der Bewilligung anzudrohen. Kommt der Bewilligungsinhaber innerhalb der im Bescheid festgesetzten Frist den Vorschreibungen nicht nach, hat die Behörde die Bewilligung zu entziehen. Bei bewilligungspflichtigen Tierhaltungen ohne Genehmigung kann die Behörde mittels Bescheid die Einstellung der Haltung und die zur Sicherung der Einstellung erforderlichen Maßnahmen verfügen oder eine Frist zur Erlangung der Genehmigung festlegen, bei deren Nichteinhaltung die Einstellung der Tierhaltung zu erfolgen hat. Die betroffenen Tiere sind abzunehmen und solchen Vereinigungen, Institutionen oder Personen zu übergeben, die Gewähr für eine diesem Bundesgesetz entsprechende Haltung bieten.
(3) Sind innerhalb von sechs Monaten nach Abnahme von Tieren gemäß Abs2 die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Haltung geschaffen oder die erforderliche Genehmigung erwirkt, so sind sie zurückzustellen. Ist dies nicht der Fall oder ist bereits vor Ablauf dieser Frist – frühestens aber zwei Monate nach der Abnahme – erkennbar, dass die Voraussetzungen bis dahin nicht vorliegen werden, so sind die Tiere als verfallen anzusehen.
Verwendung von Tieren bei sonstigen Veranstaltungen
§28. (1) Die Verwendung von Tieren bei sonstigen Veranstaltungen sowie die Mitwirkung von Tieren bei Film- und Fernsehaufnahmen bedarf einer behördlichen Bewilligung nach §23, […]
[…]
(2) Der Antrag auf Erteilung der Bewilligung muss mindestens sechs Wochen vor dem Tag der geplanten Veranstaltung bei der Behörde einlangen und hat eine Auflistung aller mitgeführten Tiere (Arten und Anzahl) zu enthalten und die Haltung der Tiere sowie die Art ihrer Verwendung darzulegen.
(3) Die Bundesministerin/der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat für nach Abs1 bewilligungspflichtige Tierausstellungen, Tierschauen, Tiermärkte und Tierbörsen unter Bedachtnahme auf die Zielsetzungen und die sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sowie des anerkannten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch Verordnung nähere Bestimmungen hinsichtlich Meldung, Dauer, Haltung der Tiere während der Veranstaltung sowie Aufzeichnungsverpflichtungen zu erlassen.
(4) Bei Veranstaltungen nach Abs1 und der damit verbundenen Tierhaltung sind die in diesem Bundesgesetz und in den darauf gegründeten Verordnungen festgelegten Mindestanforderungen sowie die allenfalls erteilten Bedingungen und Auflagen einzuhalten. Bei Veranstaltungen, die verboten sind oder die ohne die erforderliche Genehmigung oder in einer nicht den Auflagen und Bedingungen entsprechenden Art und Weise abgehalten werden, kann die Behörde mittels Bescheid die Einstellung der Veranstaltung und die zur Sicherung der Einstellung erforderlichen Maßnahmen verfügen.
Strafbestimmungen
§38. (1) Wer gegen die Bestimmungen der in der Anlage genannten unmittelbar anwendbaren Rechtsakte der Europäischen Union oder gegen die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes verstößt, indem er
1. einem Tier entgegen §5 Schmerzen, Leiden, Schäden oder schwere Angst zufügt oder
2. ein Tier entgegen §6 tötet oder
3. an einem Tier entgegen §7 Eingriffe vornimmt oder
4. gegen §8 verstößt,
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit einer Geldstrafe bis zu 7 500 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 15 000 Euro zu bestrafen.
(2) In schweren Fällen der Tierquälerei ist eine Strafe von mindestens 2 000 Euro zu verhängen.
(3) Wer außer in den Fällen der Abs1 und 2 gegen §§5, 7, 8a, 9, 11 bis 32, 32c, 32d, 36 Abs2 oder 39 oder gegen auf diese Bestimmungen gegründete Verwaltungsakte oder gegen eine Bestimmung der in der Anlage genannten unmittelbar anwendbaren Rechtsakte der Europäischen Union verstößt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit einer Geldstrafe bis zu 3 750 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 7 500 Euro zu bestrafen.
[…]
In-Kraft-Treten und Übergangsbestimmungen
§44.
[…]
(17) Bei bestehenden Tierrassen, bei denen Qualzuchtmerkmale auftreten, liegt kein Verstoß gegen §5 Abs2 Z1 vor, wenn durch eine laufende Dokumentation nachgewiesen werden kann, dass durch züchterische Maßnahmen oder Maßnahmenprogramme die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Nachkommen reduziert und in Folge beseitigt werden. Die Dokumentation ist schriftlich zu führen und auf Verlangen der Behörde oder eines Organes, das mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes beauftragt ist, zur Kontrolle vorzulegen.
[…]"
2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Tierschutz-Veranstaltungsverordnung, BGBl II 493/2004, bzw in der Fassung BGBl II 69/2016 lauten auszugsweise wie folgt:
1. Abschnitt
Gemeinsame Bestimmungen für Tierausstellungen, Tierschauen, Tiermärkte und Tierbörsen
Allgemeine Pflichten des Veranstalters und des Verantwortlichen
§1. (1) Im Antrag auf Erteilung einer Bewilligung gemäß §23 in Verbindung mit §28 Abs1 TSchG hat der Antragsteller (Veranstalter) der Behörde gegenüber eine Person namhaft zu machen, die für die Einhaltung der Bestimmungen des Tierschutzgesetzes sowie der darauf gegründeten Verordnungen und Bescheide verantwortlich ist. Diese Person (Verantwortlicher) muss während der gesamten Dauer der Veranstaltung für die Behörde erreichbar sein.
[…]
Allgemeine Mindestanforderungen
§2. (1) Für die Haltung von Tieren im Rahmen von Tierausstellungen, Tierschauen, Tiermärkten und Tierbörsen sind die Mindestanforderungen der 1. Tierhaltungsverordnung, BGBl II Nr 485/2004, und der 2. Tierhaltungsverordnung, BGBl II Nr 486/2004, jeweils in der geltenden Fassung, einzuhalten, sofern nicht in den Anlagen dieser Verordnung abweichende Bestimmungen vorgesehen sind. Bei Tierbörsen werden Kaufbörsen, bei denen Tiere Besuchern zum Kauf angeboten werden, von Tauschbörsen, bei denen von Tierhaltern und Züchtern ihre Tiere gegen Tiere derselben Tierklasse (Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische) getauscht werden können, unterschieden.
[…]
(3) Es dürfen nur offensichtlich gesunde, unverletzte, gut genährte und in ihrem Verhalten nicht gestörte Tiere in die Veranstaltungsörtlichkeit eingebracht, zur Prämierung zugelassen, zur Schau gestellt oder zum Tausch oder Verkauf angeboten werden.
(4) Es dürfen nur solche Tiere in die Veranstaltungsörtlichkeit eingebracht werden, die keiner veterinärbehördlichen Verkehrsbeschränkung unterliegen. Vor Einbringung der Tiere in die Veranstaltungsörtlichkeit hat der Aussteller dem Veranstalter gegenüber schriftlich zu bestätigen, dass die eingebrachten Tiere aus Beständen stammen, die nicht wegen einer anzeigepflichtigen Tierseuche gesperrt sind.
(5) Hochträchtige Säugetiere, die voraussichtlich während oder kurz nach der Veranstaltung gebären werden oder die in einem Zeitraum von sieben Tagen vor der Veranstaltung geboren haben, dürfen nicht an Veranstaltungen teilnehmen. Jungtiere, die noch gesäugt werden, dürfen nur mit ihrem Muttertier ausgestellt werden. Ohne ihr Muttertier dürfen Jungtiere erst dann ausgestellt werden, wenn sie schon zur selbstständigen Futter- und Wasseraufnahme fähig sind.
(6) In Tierausstellungen, Tierschauen, Tiermärkten und Tierbörsen dürfen nur Tiere eingebracht werden, die nicht innerhalb der letzen vier Tage auf einer derartigen Veranstaltung präsentiert wurden."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
2. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich unterlaufen:
2.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich begründet die angefochtene Entscheidung, mit der die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen wurde, allein damit, dass der Zeitraum der unter näher bezeichneten Auflagen bewilligten Veranstaltung bereits zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung verstrichen sei und dem Beschwerdeführer folglich kein Rechtsschutzbedürfnis mehr zukomme.
2.2. Damit hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich jedoch den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
2.3. Wenn das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Beschwerde als unzulässig zurückwies, weil durch Zeitablauf kein Rechtsschutzinteresse seitens des Beschwerdeführers mehr vorliege, verkennt es, dass in Konstellationen wie der vorliegenden bei diesem Verständnis dem Rechtsschutzwerber generell der Rechtsschutz entzogen wäre. So würde angesichts des im Regelfall gegebenen zeitlichen Rahmens solcher Verfahren eine Rechtsmittelentscheidung kaum jemals vor Ablauf des beantragten Bewilligungszeitraumes ergehen (VfGH 24.9.2019, E1588/2019; VfSlg 20.461/2021).
2.4. Im Hinblick auf die Rechtsverletzungsmöglichkeit des Beschwerdeführers ist ferner zu bedenken, dass er als Österreichischer Kynologenverband zudem – wie in der Beschwerde ausgeführt – auch in Zukunft Veranstaltungen abhalten möchte, womit die Bedeutung der Entscheidung für gleich- oder ähnlich gelagerte Sachverhalte für ihn weiterhin gegeben ist (vgl sinngemäß VfSlg 20.190/2017, 20.312/2019, 20.461/2021; VfGH 24.9.2019, E1588/2019 mwN).
2.5. Schließlich kann und soll dem Beschwerdeführer (in Zukunft) nicht zugemutet werden, die Veranstaltung ohne Berücksichtigung näher bezeichneter Auflagen abzuhalten und so eine Verwaltungsübertretung zu begehen (vgl §38 TSchG), um schließlich in einem Verwaltungsstrafverfahren Rechtsschutz zu erlangen (vgl VfGH 24.9.2019, E1588/2019; VfSlg 20.461/2021).
3. Da die bescheidmäßige Bewilligung der Veranstaltung nur unter Vorschreibung näher bezeichneter Auflagen sohin auch nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes rechtliche Wirkung zu entfalten vermag, hätte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im vorliegenden Fall durch eine Sachentscheidung – und zwar selbst nach Ablauf des für die Veranstaltung vorgesehenen Zeitraumes – Rechtsschutz gewähren müssen. Durch die Zurückweisung der Beschwerde hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert und damit das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewähreisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Beschluss ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 240,– enthalten.