JudikaturVfGH

E120/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2024

Spruch

I.1. Die Beschwerdeführerin ist durch den Beschluss I., mit dem die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Dieser Beschluss wird aufgehoben.

2. Im Übrigen, also soweit die Beschwerde Beschluss II. betrifft, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Das Land Steiermark ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Bescheid vom 13. Juni 2023 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 12. April 2023 auf Bewilligung einer auf näher bezeichneten Grundstücken zu errichtenden Veranstaltungsstätte gemäß §15 Steiermärkisches Veranstaltungsgesetz 2012 für die Dauer von 1. Mai 2023 bis 15. Oktober 2023 von der Bürgermeisterin der Stadt Graz als unzulässig zurückgewiesen.

2. Die fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erklärte das Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Beschluss I. vom 29. November 2023 als gegenstandslos und stellte das Verfahren ein. Mit Beschluss II. des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 29. November 2023 wurde außerdem der gleichzeitig mit der Beschwerde eingebrachte Abänderungsantrag auf Erteilung der Bewilligung auch für den Zeitraum vom 1. Oktober 2023 bis 15. März 2024 zurückgewiesen. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Steiermark aus, dass es über die Änderung des Antrages schon deshalb nicht absprechen dürfe, weil der Antrag wegen eines nicht behobenen formalen Mangels zurückgewiesen worden sei. Sache des Beschwerdeverfahrens sei daher nur die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, weshalb der Abänderungsantrag zurückzuweisen sei. Eine zulässige Beschwerde an das Verwaltungsgericht setze das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses voraus. Der Beschwerdeführerin fehle ein solches, weil sie die Bewilligung der Veranstaltungsstätte lediglich zeitlich befristet für 1. Mai 2023 bis 15. Oktober 2023 beantragt habe. Die Erreichung ihres Verfahrenszieles sei nicht mehr möglich, weil die Veranstaltungstermine bereits verstrichen seien, sodass der aufgeworfenen Rechtsfrage rein theoretische Bedeutung zukomme. Da das Recht der Beschwerdeführerin für den beantragten Zeitraum nicht mehr herstellbar sei, fehle es am Rechtsschutzbedürfnis und das Verfahren sei wegen Gegenstandslosigkeit einzustellen.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Landesverwaltungsgericht Steiermark seine Zuständigkeit in gesetzwidriger Weise ablehnt habe, weil die Beschwerdeführerin über ein bestehendes Rechtsschutzinteresse verfüge. Schon anhand des Abänderungsantrages sei ersichtlich, dass die Veranstaltungsstätte auch für künftige Veranstaltungen genützt werden solle. Zu diesem Zweck werde auch zeitnah ein weiterer Antrag bei der zuständigen Behörde eingebracht, für den die Entscheidung über den Antrag vom 12. April 2023 von erheblicher Bedeutung sei, weil darin zu klären sei, ob der Verbesserungsauftrag und in der Folge die Zurückweisung zu Recht ergangen sei. Davon hänge auch ab, ob neuerliche Anträge ebenso aus formalen Gründen zurückgewiesen würden. Durch die Einstellung des Verfahrens sei sohin eine massive Rechtsschutzlücke entstanden. Ferner seien Änderungen des verfahrenseinleitenden Antrages auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zulässig, solange das Wesen des Vorhabens nicht verändert werde sowie weder die sachliche noch die örtliche Zuständigkeit verändert werde.

4. Die Bürgermeisterin der Stadt Graz und das Landesverwaltungsgericht Steiermark haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Rechtslage

Das Gesetz vom 3. Juli 2012, mit dem das Veranstaltungswesen im Land Steiermark geregelt wird (Steiermärkisches Veranstaltungsgesetz 2012 – StVAG), LGBl 88/2012, idF LGBl 63/2018 lautet auszugsweise (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"§2

Begriffsbestimmungen

Im Sinn dieses Gesetzes bedeuten:

1. Veranstaltungen: Unternehmungen, Ereignisse oder Zusammenkünfte, die der Unterhaltung, Belustigung oder Ertüchtigung der Teilnehmerinnen/Teilnehmer dienen;

2.-9. […]

10. Veranstaltungsstätten: für die Durchführung von Veranstaltungen bestimmte ortsgebundene Einrichtungen wie bauliche Anlagen, Gebäude, Gebäudeteile, Räume, Flächen, Plätze, sonstige Örtlichkeiten, Fahrtrouten und dergleichen samt den dazugehörigen Veranstaltungseinrichtungen, Veranstaltungsbetriebseinrichtungen, Anlagen und Ausstattungen;

11.-23. […]

[…]

§15

Bewilligung von Veranstaltungsstätten

(1) Einer Bewilligung bedürfen

1. Veranstaltungsstätten, die regelmäßig oder dauernd für Veranstaltungszwecke bestimmt sind. Veranstaltungsstätten sind regelmäßig für Veranstaltungszwecke bestimmt, wenn an mehr als zehn Veranstaltungstagen im Kalenderjahr Veranstaltungen durchgeführt werden; dies gilt nicht für Veranstaltungen, die aufgrund von Vereinbarungen mit internationalen Organisationen durchgeführt werden, wie z. B. Welt- oder Europameisterschaften, und nicht für Veranstaltungen, die auf öffentlichem Gut stattfinden;

2. Veranstaltungsstätten für ortsfeste Veranstaltungsbetriebe.

(2) Für sonstige Veranstaltungsstätten kann eine Bewilligung beantragt werden.

(3) Der Antrag ist schriftlich einzubringen und hat insbesondere folgende Angaben zu enthalten:

1. Name, Geburtsdatum, Anschrift und Telefonnummer der Antragstellerin/des Antragstellers;

2. eine genaue Bezeichnung und Beschreibung der Veranstaltungsstätte;

3. das Gesamtfassungsvermögen der Veranstaltungsstätte;

4. eine genaue Bezeichnung und Beschreibung der vorgesehenen Veranstaltungseinrichtungen und -mittel;

5. eine genaue Bezeichnung und Beschreibung der vorgesehenen Veranstaltungsbetriebseinrichtungen;

6. eine genaue Bezeichnung und Beschreibung der Veranstaltungsarten oder der Veranstaltungsbetriebsarten, die in der Veranstaltungsstätte durchgeführt werden sollen;

7. eine genaue Beschreibung des geplanten Ablaufs der Veranstaltungen;

8. eine genaue Angabe der Veranstaltungstage, Veranstaltungszeiten oder Veranstaltungsbetriebszeiten;

9. Angaben über Vorkehrungen, die Gefahren, Belästigungen und Beeinträchtigungen nach Abs7 ausschließen.

(4) Dem Antrag sind jedenfalls folgende Unterlagen beizulegen:

1. ein Grundbuchsauszug, der dem Grundbuchsstand zur Zeit der Einbringung des Antrags entsprechen muss;

2. eine schriftliche Zustimmungserklärung der Eigentümerinnen/Eigentümer oder der darüber Verfügungsberechtigten, sofern diese nicht Antragsteller sind;

3. ein maßstabgetreuer Plan der Veranstaltungsstätte einschließlich eines maßstabgetreuen Lageplans;

4. eine maßstabgetreue planliche Darstellung, aus der die genaue Lage und der Aufbau der zu verwendenden Veranstaltungseinrichtungen, Veranstaltungsbetriebseinrichtungen, Anlagen und Ausstattungen ersichtlich ist;

5. eine Beschreibung der Verkehrssituation einschließlich der Parkplätze.

(5) Die Landesregierung kann Inhalt und Form des Antrags sowie weitere beizulegende Unterlagen mit Verordnung festsetzen.

(6)-(10) […]"

III. Erwägungen

Die Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sie sich gegen den Beschluss I. richtet, mit dem die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt wird, ist sie auch begründet.

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001, 16.717/2002 und 20.260/2018) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001, 16.737/2002, 20.385/2020 und 20.392/2020).

2. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Steiermark unterlaufen:

2.1. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark begründet den Beschluss I., mit dem die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt wird, allein damit, dass der Zeitraum, für den die Bewilligung der Veranstaltungsstätte beantragt wurde, bereits verstrichen sei und der Beschwerdeführerin folglich kein Rechtsschutzbedürfnis mehr zukomme.

2.2. Damit hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark jedoch die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Vorauszuschicken ist, dass der mit Bescheid vom 13. Juni 2023 von der Bürgermeisterin der Stadt Graz als unzulässig zurückgewiesene Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung einer auf näher bezeichneten Grundstücken zu errichtenden Veranstaltungsstätte gemäß §15 StVAG für die Dauer von 1. Mai 2023 bis 15. Oktober 2023 bereits mit Beschwerde vom 11. Juli 2023 bekämpft wurde. Vom Landesverwaltungsgericht Steiermark wurde die Beschwerde – ohne besondere Begründung – am 29. November 2023 erledigt. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark erklärte die Beschwerde als gegenstandslos und stellte das Verfahren ein, weil durch Zeitablauf kein Rechtsschutzinteresse seitens der Beschwerdeführerin mehr vorliege; damit verkennt es jedoch, dass in Konstellationen wie der vorliegenden bei diesem Verständnis der Rechtsschutzwerberin generell der Rechtsschutz entzogen wäre. So würde angesichts des im Regelfall gegebenen zeitlichen Rahmens solcher Verfahren eine Rechtsmittelentscheidung kaum jemals vor Ablauf des beantragten Bewilligungszeitraumes ergehen (VfSlg 20.461/2021; VfGH 24.9.2019, E1588/2019; 28.11.2023, E2953/2023).

2.3. Im Hinblick auf die Rechtsverletzungsmöglichkeit der Beschwerdeführerin ist ferner zu bedenken, dass das Interesse an der in Rede stehenden Bewilligung als Veranstaltungsstätte auch über den 15. Oktober 2023 hinaus für das Landesverwaltungsgericht Steiermark durch den Abänderungsantrag erkennbar war. Die Beschwerdeführerin hat dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie die betreffenden Grundstücke auch in Zukunft als Veranstaltungsstätte nutzen will, womit die Bedeutung der Entscheidung für gleich- oder ähnlich gelagerte Sachverhalte für sie weiterhin gegeben ist (vgl sinngemäß VfSlg 20.190/2017, 20.312/2019, 20.461/2021; VfGH 24.9.2019, E1588/2019; 28.11.2023, E2953/2023).

3. Da die Zurückweisung des Antrages auf Erteilung der Bewilligung als Veranstaltungsstätte sohin auch nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes rechtliche Wirkung zu entfalten geeignet ist, hätte das Landesverwaltungsgericht Steiermark im vorliegenden Fall durch eine Sachentscheidung über die Beschwerde – und zwar selbst nach Ablauf des Zeitraumes, für den die Bewilligung (ursprünglich) beantragt wurde – Rechtsschutz gewähren müssen. Durch die Gegenstandsloserklärung der Beschwerde und Einstellung des Verfahrens hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark zu Unrecht eine Entscheidung über die Beschwerde verweigert und damit das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

B. Im Übrigen (also hinsichtlich des Beschlusses II., mit dem der Abänderungsantrag zurückgewiesen wird) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und insoweit dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 und 4 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob der Abänderungsantrag vom Landesverwaltungsgericht Steiermark rechtmäßig zurückgewiesen wurde, nicht anzustellen.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch den Beschluss I., mit dem die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Der Beschluss I., mit dem die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt wird, ist daher aufzuheben.

3. Im Übrigen, also soweit die Beschwerde Beschluss II. betrifft, wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 und 4 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs1 Z1 iVm §31 letzter Satz und §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

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