G53/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. §173 Abs6 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl Nr 631/1975, idF BGBl I Nr 19/2004 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
III. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit vorliegendem, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag, begehrt der Antragsteller §173 Abs6 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 19/2004 zur Gänze, in eventu §173 Abs6 StPO, BGBl 631/1975, idF BGBl I 19/2004 zur Gänze sowie "die Verweise auf §173 Abs6 StPO in §429 Abs4 Satz 1 StPO und §438 Satz 1 StPO" als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 243/2021 lauten (die mit dem Hauptantrag angefochtene Bestimmung gilt in der Fassung BGBl I 19/2004 und ist hervorgehoben):
"2. Abschnitt
Festnahme
Zulässigkeit
§170. (1) Die Festnahme einer Person, die der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtig ist, ist zulässig,
1. wenn sie auf frischer Tat betreten oder unmittelbar danach entweder glaubwürdig der Tatbegehung beschuldigt oder mit Gegenständen betreten wird, die auf ihre Beteiligung an der Tat hinweisen,
2. wenn sie flüchtig ist oder sich verborgen hält oder, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, sie werde flüchten oder sich verborgen halten,
3. wenn sie Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte zu beeinflussen, Spuren der Tat zu beseitigen oder sonst die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren versucht hat oder auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, sie werde dies versuchen,
4. wenn die Person einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Tat verdächtig und auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie werde eine eben solche, gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete Tat begehen, oder die ihr angelastete versuchte oder angedrohte Tat (§74 Abs1 Z5 StGB) ausführen.
(2) Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, bei dem nach dem Gesetz auf mindestens zehnjährige Freiheitsstrafe zu erkennen ist, muss die Festnahme angeordnet werden, es sei denn, dass auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, das Vorliegen aller im Abs1 Z2 bis 4 angeführten Haftgründe sei auszuschließen.
(3) Festnahme und Anhaltung sind nicht zulässig, soweit sie zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stehen (§5).
Anordnung
§171. (1) Die Festnahme ist durch die Staatsanwaltschaft auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen.
(2) Die Kriminalpolizei ist berechtigt, den Beschuldigten von sich aus festzunehmen
1. in den Fällen des §170 Abs1 Z1 und
2. in den Fällen des §170 Abs1 Z2 bis 4, wenn wegen Gefahr im Verzug eine Anordnung der Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig eingeholt werden kann.
(3) Im Fall des Abs1 ist dem Beschuldigten sogleich oder innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach seiner Festnahme die Anordnung der Staatsanwaltschaft und deren gerichtliche Bewilligung zuzustellen; im Falle des Abs2 eine schriftliche Begründung der Kriminalpolizei über Tatverdacht und Haftgrund.
(4) Dem Beschuldigten ist sogleich oder unmittelbar nach seiner Festnahme schriftlich in einer für ihn verständlichen Art und Weise sowie in einer Sprache, die er versteht, Rechtsbelehrung (§50) zu erteilen, die ihn darüber hinaus zu informieren hat, dass er
1. soweit er nicht freizulassen ist (§172 Abs2), ohne unnötigen Aufschub in die Justizanstalt eingeliefert und dem Gericht zur Entscheidung über die Haft vorgeführt werden wird (§§172 Abs1 und 3 und 174 Abs1), sowie
2. berechtigt ist,
a. einen Angehörigen oder eine andere Vertrauensperson und einen Verteidiger unverzüglich von seiner Festnahme zu verständigen oder verständigen zu lassen (Art4 Abs7 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit), wobei ihm auf Verlangen die Kontaktaufnahme mit einem 'Verteidiger in Bereitschaft' (§59 Abs4) zu ermöglichen ist, dessen Kosten er unter den Voraussetzungen des §59 Abs5 nicht zu tragen hat,
b. Beschwerde gegen die gerichtliche Bewilligung der Festnahme zu erheben und im Übrigen jederzeit seine Freilassung zu beantragen,
c. seine konsularische Vertretung unverzüglich verständigen zu lassen (Art36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen, BGBl Nr 318/1969),
d. Zugang zu ärztlicher Betreuung zu erhalten (§§66 bis 74 StVG).
Ist die schriftliche Belehrung in einer Sprache, die der Beschuldigten versteht, nicht verfügbar, so ist sie zunächst mündlich zu erteilen (§56 Abs2) und sodann ohne unnötigen Aufschub nachzureichen. Der Umstand der erteilten Belehrung ist in jedem Fall schriftlich festzuhalten (§§95 und 96).
Durchführung
§172. (1) Vom Vollzug einer Anordnung auf Festnahme hat die Kriminalpolizei die Staatsanwaltschaft und diese das Gericht unverzüglich zu verständigen. Der Beschuldigte ist ohne unnötigen Aufschub, längstens aber binnen 48 Stunden ab Festnahme in die Justizanstalt des zuständigen Gerichts einzuliefern. Wenn dies, insbesondere wegen der Entfernung des Ortes der Festnahme nur mit unverhältnismäßigen Aufwand möglich oder wegen Erkrankung oder Verletzung des Beschuldigten nicht tunlich wäre, ist es zulässig, ihn der Justizanstalt eines unzuständigen Gerichts einzuliefern oder einer Krankenanstalt zu überstellen. In diesen Fällen kann das Gericht den Beschuldigten unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung vernehmen und ihm den Beschluss über die Untersuchungshaft auf gleiche Weise verkünden (§174).
(2) Hat die Kriminalpolizei den Beschuldigten von sich aus festgenommen, so hat sie ihn unverzüglich zur Sache, zum Tatverdacht und zum Haftgrund zu vernehmen. Sie hat ihn freizulassen, sobald sich ergibt, dass kein Grund zur weiteren Anhaltung vorhanden ist. Kann der Zweck der weiteren Anhaltung durch gelindere Mittel nach §173 Abs5 Z1 bis 7 erreicht werden, so hat die Kriminalpolizei dem Beschuldigten auf Anordnung der Staatsanwaltschaft unverzüglich die erforderlichen Weisungen zu erteilen, die Gelöbnisse von ihm entgegenzunehmen oder ihm die in §173 Abs5 Z3 und 6 erwähnten Schlüssel und Dokumente abzunehmen oder die aufgetragene Sicherheitsleistung nach §172a einzuheben und ihn freizulassen. Die Ergebnisse der Ermittlungen samt den Protokollen über die erteilten Weisungen und die geleisteten Gelöbnisse sowie den abgenommenen Schlüsseln und Dokumenten sind der Staatsanwaltschaft binnen 48 Stunden nach der Festnahme zu übermitteln. Über die Aufrechterhaltung dieser gelinderen Mittel entscheidet das Gericht.
(3) Ist der Beschuldigte nicht nach Abs2 freizulassen, so hat ihn die Kriminalpolizei ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber binnen 48 Stunden nach der Festnahme, in die Justizanstalt des zuständigen Gerichts einzuliefern oder – im Fall seiner Erkrankung (Abs1) – einer Krankenanstalt zu überstellen. Sie hat jedoch vor der Einlieferung rechtzeitig die Staatsanwaltschaft zu verständigen. Erklärt diese, keinen Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft zu stellen, so hat die Kriminalpolizei den Beschuldigten sogleich freizulassen.
(4) Soweit das Opfer dies beantragt hat, ist es von einer Freilassung des Beschuldigten nach dieser Bestimmung unter Angabe der hiefür maßgeblichen Gründe und der dem Beschuldigten auferlegten gelinderen Mittel sogleich zu verständigen. Opfer nach §65 Abs1 Z1 lita und besonders schutzbedürftige Opfer (§66a) sind jedoch unverzüglich von Amts wegen zu verständigen. Diese Verständigung obliegt der Staatsanwaltschaft, wenn sie nach Einlieferung in die Justizanstalt erklärt, keinen Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft zu stellen, im Übrigen jedoch der Kriminalpolizei.
Sicherheitsleistung
§172a. (1) Der Auftrag an den Beschuldigten, eine angemessene Sicherheit zur Sicherstellung der Durchführung des Strafverfahrens, der Zahlung der zu erwartenden Geldstrafe und der Kosten des Verfahrens sowie der dem Opfer zustehenden Entschädigung (§67 Abs1) zu leisten, ist zulässig, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Straftat dringend verdächtig ist sowie zur Sache, zum Tatverdacht und zu den Voraussetzungen der Sicherheitsleistung vernommen wurde und auf Grund bestimmter Tatsachen zu besorgen ist, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren entziehen oder die Durchführung des Strafverfahrens sonst offenbar unmöglich oder wesentlich erschwert sein werde.
(2) Die Sicherheitsleistung und deren Höhe sind von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen. Für den Fall, dass die aufgetragene Sicherheitsleistung nicht unverzüglich in barem Geld erfolgt, hat die Kriminalpolizei Gegenstände zwangsweise sicherzustellen, die der Beschuldigte mit sich führt, die ihm allem Anschein nach gehören und deren Wert nach Möglichkeit die Höhe des zulässigen Betrags der Sicherheit nicht übersteigt. Die Kriminalpolizei hat der Staatsanwaltschaft die Ergebnisse der Ermittlungen samt der übergebenen Sicherheit oder den sichergestellten Gegenständen unverzüglich zu übermitteln.
(3) Die Sicherheit wird frei, sobald das Strafverfahren rechtswirksam beendet ist, im Fall der Verurteilung des Angeklagten jedoch erst, sobald er die Geldstrafe und die ihm auferlegten Kosten des Verfahrens und gegebenenfalls dem Privatbeteiligten die im Strafurteil zugesprochene Entschädigung gezahlt sowie im Fall einer nicht bedingt nachgesehenen Geld- oder Freiheitsstrafe die Freiheitsstrafe angetreten hat. Als Sicherheit sichergestellte Gegenstände und Vermögenswerte werden auch frei, sobald der Beschuldigte die aufgetragene Sicherheit in Geld erlegt oder ein Dritter, dem keine Beteiligung an der Tat zur Last liegt, Rechte an den Gegenständen oder Vermögenswerten glaubhaft macht.
(4) Die Sicherheit ist vom Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen mit Beschluss für verfallen zu erklären, wenn sich der Beschuldigte dem Verfahren oder der Vollstreckung der Strafe und der Kosten des Verfahrens oder der Zahlung der Entschädigung an den Privatbeteiligten entzieht, insbesondere dadurch, dass er eine Ladung oder die Aufforderung zum Strafantritt oder Zahlung der Geldstrafe oder der Kosten des Verfahrens nicht befolgt. §180 Abs4 letzter Satz und Abs5 gelten sinngemäß.
3. Abschnitt
Untersuchungshaft
Zulässigkeit
§173. (1) Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft sind nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nur dann zulässig, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Straftat dringend verdächtig, vom Gericht zur Sache und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft vernommen worden ist und einer der im Abs2 angeführten Haftgründe vorliegt. Sie darf nicht angeordnet oder fortgesetzt werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht oder ihr Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel (Abs5) erreicht werden kann.
(2) Ein Haftgrund liegt vor, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß
1. wegen Art und Ausmaß der ihm voraussichtlich bevorstehenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchten oder sich verborgen halten,
2. Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte zu beeinflussen, Spuren der Tat zu beseitigen oder sonst die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren versuchen,
3. ungeachtet des wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Strafverfahrens
a. eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete Straftat mit schweren Folgen,
b. eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete strafbare Handlung, wenn er entweder wegen einer solchen Straftat bereits verurteilt worden ist oder wenn ihm nunmehr wiederholte oder fortgesetzte Handlungen angelastet werden,
c. eine strafbare Handlung mit einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe begehen, die ebenso wie die ihm angelastete strafbare Handlung gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die Straftaten, derentwegen er bereits zweimal verurteilt worden ist, oder
d. die ihm angelastete versuchte oder angedrohte Tat (§74 Abs1 Z5 StGB) ausführen.
(3) Fluchtgefahr ist jedenfalls nicht anzunehmen, wenn der Beschuldigte einer Straftat verdächtig ist, die nicht strenger als mit fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, er sich in geordneten Lebensverhältnissen befindet und einen festen Wohnsitz im Inland hat, es sei denn, er habe bereits Vorbereitungen zur Flucht getroffen. Bei Beurteilung von Tatbegehungsgefahr nach Abs2 Z3 fällt es besonders ins Gewicht, wenn vom Beschuldigten eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen oder die Gefahr der Begehung von Verbrechen in einer kriminellen Organisation oder terroristischen Vereinigung ausgeht. Im Übrigen ist bei Beurteilung dieses Haftgrundes zu berücksichtigen, inwieweit sich die Gefahr dadurch vermindert hat, dass sich die Verhältnisse, unter denen die dem Beschuldigten angelastete Tat begangen worden ist, geändert haben.
(4) Die Untersuchungshaft darf nicht verhängt, aufrecht erhalten oder fortgesetzt werden, wenn die Haftzwecke auch durch eine gleichzeitige Strafhaft oder Haft anderer Art erreicht werden können. Im Fall der Strafhaft hat die Staatsanwaltschaft die Abweichungen vom Vollzug anzuordnen, die für die Zwecke der Untersuchungshaft unentbehrlich sind. Wird die Untersuchungshaft dennoch verhängt, so tritt eine Unterbrechung des Strafvollzuges ein.
(5) Als gelindere Mittel sind insbesondere anwendbar:
1. das Gelöbnis, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens weder zu fliehen noch sich verborgen zu halten noch sich ohne Genehmigung der Staatsanwaltschaft von seinem Aufenthaltsort zu entfernen,
2. das Gelöbnis, keinen Versuch zu unternehmen, die Ermittlungen zu erschweren,
3. in den Fällen des §38a Abs1 SPG das Gelöbnis, jeden Kontakt mit dem Opfer zu unterlassen, und die Weisung, eine bestimmte Wohnung sowie bestimmte sonstige Örtlichkeiten nicht zu betreten und sich dem Opfer nicht anzunähern oder ein bereits erteiltes Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt nach §38a Abs1 SPG oder eine einstweilige Verfügung nach §382b EO nicht zu übertreten, samt Abnahme aller Schlüssel zur Wohnung,
4. die Weisung, an einem bestimmten Ort, bei einer bestimmten Familie zu wohnen, eine bestimmte Wohnung, bestimmte Orte oder bestimmten Umgang zu meiden, sich alkoholischer Getränke oder anderer Suchtmittel zu enthalten oder einer geregelten Arbeit nachzugehen,
5. die Weisung, jeden Wechsel des Aufenthaltes anzuzeigen oder sich in bestimmten Zeitabständen bei der Kriminalpolizei oder einer anderen Stelle zu melden,
6. die vorübergehende Abnahme von Identitäts , Kraftfahrzeugs- oder sonstigen Berechtigungsdokumenten,
7. vorläufige Bewährungshilfe nach §179,
8. die Leistung einer Sicherheit nach den §§180 und 181,
9. mit Zustimmung des Beschuldigten die Weisung, sich einer Entwöhnungsbehandlung, sonst einer medizinischen Behandlung oder einer Psychotherapie (§51 Abs3 StGB) oder einer gesundheitsbezogenen Maßnahme (§11 Abs2 SMG) zu unterziehen.
(6) Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, bei dem nach dem Gesetz auf mindestens zehnjährige Freiheitsstrafe zu erkennen ist, muss die Untersuchungshaft verhängt werden, es sei denn, dass auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, das Vorliegen aller im Abs2 angeführten Haftgründe sei auszuschließen.
Hausarrest
§173a. (1) Auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten kann die Untersuchungshaft als Hausarrest fortgesetzt werden, der in der Unterkunft zu vollziehen ist, in welcher der Beschuldigte seinen inländischen Wohnsitz begründet hat. Die Anordnung des Hausarrests ist zulässig, wenn die Untersuchungshaft nicht gegen gelindere Mittel (§173 Abs5) aufgehoben, der Zweck der Anhaltung (§182 Abs1) aber auch durch diese Art des Vollzugs der Untersuchungshaft erreicht werden kann, weil sich der Beschuldigte in geordneten Lebensverhältnissen befindet und er zustimmt, sich durch geeignete Mittel der elektronischen Aufsicht (§156b Abs1 und 2 StVG) überwachen zu lassen. Im Übrigen gelten die Bestimmungen über die Fortsetzung, Aufhebung und Höchstdauer der Untersuchungshaft mit der Maßgabe sinngemäß, dass ab Anordnung des Hausarrests Haftverhandlungen von Amts wegen nicht mehr stattfinden und der Beschluss über die Fortsetzung oder Aufhebung der Untersuchungshaft ohne vorangegangene mündliche Verhandlung schriftlich ergehen kann.
(2) Über einen Antrag nach Abs1 ist in einer Haftverhandlung zu entscheiden (§176 Abs1). Gegebenenfalls hat das Gericht sogleich nach Antragstellung vorläufige Bewährungshilfe nach §179 anzuordnen und die Bewährungshilfe zu beauftragen, dem Gericht spätestens in der Haftverhandlung über die Lebensverhältnisse des Beschuldigten und seine sozialen Bindungen, einschließlich der Möglichkeit, einer Beschäftigung oder Ausbildung ohne Gefährdung der Haftzwecke nachzugehen, sowie über die mit dem Beschuldigten vereinbarten Bedingungen für den Vollzug des Hausarrests zu berichten, deren Einhaltung der Beschuldigte in der Haftverhandlung durch Gelöbnis zu bekräftigen hat. Das Verlassen der Unterkunft ist außer zur Erreichung des Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, zur Beschaffung des notwendigen Lebensbedarfs und zur Inanspruchnahme notwendiger medizinischer Hilfe auf der jeweils kürzesten Wegstrecke nicht zulässig.
(3) Wird dem Antrag Folge gegeben, so hat die Staatsanwaltschaft die Kriminalpolizei und die Sicherheitsbehörde des Ortes, an dem der Hausarrest vollzogen wird, zu verständigen und die Justizanstalt zu beauftragen, den Beschuldigten nach Einrichtung der zur elektronischen Aufsicht erforderlichen technischen Mittel in den Hausarrest zu überstellen.
(4) Das Gericht hat den Hausarrest zu widerrufen und den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft in der Justizanstalt anzuordnen, wenn der Beschuldigte erklärt, seine Zustimmung zu widerrufen. Gleiches gilt auf Antrag der Staatsanwaltschaft, wenn der Beschuldigte seinem Gelöbnis zuwider die Bedingungen nicht einhält oder wenn sonst hervorkommt, dass die Haftzwecke durch den Hausarrest nicht erreicht werden können. Mit der Durchführung der Überstellung ist die Kriminalpolizei zu beauftragen.
(5) Wird der Hausarrest nicht nach Abs4 widerrufen, so gilt für den Fall der Rechtskraft des Urteils §3 Abs2 StVG sinngemäß.
Verhängung der Untersuchungshaft
§174. (1) Jeder festgenommene Beschuldigte ist vom Gericht unverzüglich nach seiner Einlieferung in die Justizanstalt zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft zu vernehmen. In Fällen einer Pandemie oder wenn es zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten nach dem Epidemiegesetz 1950, BGBl Nr 186/1959, nach Maßgabe einer Verordnung der Bundesministerin für Justiz notwendig erscheint, kann gemäß §153 Abs4 vorgegangen werden. Dem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft ist die Möglichkeit zur Teilnahme an dieser Vernehmung einzuräumen. Das Gericht kann aber vor seiner Entscheidung sofortige Ermittlungen vornehmen oder durch die Kriminalpolizei vornehmen lassen, wenn deren Ergebnis maßgebenden Einfluss auf die Beurteilung von Tatverdacht oder Haftgrund erwarten lässt. In jedem Fall hat das Gericht längstens binnen 48 Stunden nach der Einlieferung zu entscheiden, ob der Beschuldigte, allenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel (§173 Abs5), freigelassen oder ob die Untersuchungshaft verhängt wird.
(2) Der Beschluss nach Abs1 ist dem Beschuldigten sofort mündlich zu verkünden. Ein Beschluss auf Freilassung ist der Staatsanwaltschaft binnen 24 Stunden zuzustellen und der Kriminalpolizei zur Kenntnis zu bringen. Wird die Untersuchungshaft verhängt, so ist die Zustellung an den Beschuldigten binnen 24 Stunden zu veranlassen und unverzüglich eine Ausfertigung der Staatsanwaltschaft, dem Verteidiger, der Justizanstalt und einem gegebenenfalls bestellten Bewährungshelfer zu übermitteln. Der Beschuldigte kann auf die Zustellung nicht wirksam verzichten.
(3) Ein Beschluss, mit dem die Untersuchungshaft verhängt wird, hat zu enthalten:
1. den Namen des Beschuldigten sowie weitere Angaben zur Person,
2. die strafbare Handlung, deren Begehung der Beschuldigte dringend verdächtig ist, Zeit, Ort und Umstände ihrer Begehung sowie ihre gesetzliche Bezeichnung,
3. den Haftgrund,
4. die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergeben, und aus welchen Gründen der Haftzweck durch Anwendung gelinderer Mittel nicht erreicht werden kann,
5. die Mitteilung, bis zu welchem Tag der Beschluss längstens wirksam sei sowie dass vor einer allfälligen Fortsetzung der Haft eine Haftverhandlung stattfinden werde, sofern nicht einer der im Abs4 oder im §175 Abs3, 4 oder 5 erwähnten Fälle eintritt,
6. die Mitteilung, dass der Beschuldigte, soweit dies nicht bereits geschehen ist, einen Verteidiger, einen Angehörigen oder eine andere Vertrauensperson verständigen oder verständigen lassen könne,
7. die Mitteilung, dass der Beschuldigte durch einen Verteidiger vertreten sein müsse, solange er sich in Untersuchungshaft befinde,
8. die Mitteilung, dass dem Beschuldigten Beschwerde zustehe und dass er im Übrigen jederzeit seine Enthaftung oder die Anordnung des Hausarrests (§173a) beantragen könne.
(4) Eine Beschwerde des Beschuldigten gegen die Verhängung der Untersuchungshaft löst die Haftfrist nach §175 Abs2 Z2 aus. Ein darauf ergehender Beschluss des Oberlandesgerichts auf Fortsetzung der Untersuchungshaft löst die nächste Haftfrist aus; Abs3 Z1 bis 5 gilt sinngemäß.
Haftfristen
§175. (1) Ein Beschluss, mit dem die Untersuchungshaft verhängt oder fortgesetzt wird, ist längstens für einen bestimmten Zeitraum wirksam (Haftfrist); der Ablauftag ist im Beschluss anzuführen. Vor Ablauf der Haftfrist ist eine Haftverhandlung durchzuführen oder der Beschuldigte zu enthaften.
(2) Die Haftfrist beträgt
1. 14 Tage ab Verhängung der Untersuchungshaft,
2. einen Monat ab erstmaliger Fortsetzung der Untersuchungshaft,
3. zwei Monate ab weiterer Fortsetzung der Untersuchungshaft.
(3) Ist die Durchführung der Haftverhandlung vor Ablauf der Haftfrist wegen eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses unmöglich, so kann die Haftverhandlung auf einen der drei dem Fristablauf folgenden Arbeitstage verlegt werden; in diesem Fall verlängert sich die Haftfrist entsprechend.
(4) Der Beschuldigte kann durch seinen Verteidiger auf die Durchführung einer bevorstehenden Haftverhandlung verzichten. In diesem Fall kann der Beschluss über die Aufhebung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft (§176 Abs4) ohne vorangegangene mündliche Verhandlung schriftlich ergehen.
(5) Nach Einbringen der Anklage ist die Wirksamkeit eines Beschlusses auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft durch die Haftfrist nicht mehr begrenzt; Haftverhandlungen finden nach diesem Zeitpunkt nur statt, wenn der Angeklagte seine Enthaftung beantragt und darüber nicht ohne Verzug in einer Hauptverhandlung entschieden werden kann. Die §§233 bis 237 gelten in diesem Fall sinngemäß.
Haftverhandlung
§176. (1) Eine Haftverhandlung hat das Gericht von Amts wegen anzuberaumen:
1. vor Ablauf der Haftfrist,
2. ohne Verzug, wenn der Beschuldigte seine Freilassung beantragt und sich die Staatsanwaltschaft dagegen ausspricht oder die Anordnung des Hausarrests (§173a) beantragt wird,
3. sofern das Gericht Bedenken gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft hegt.
(2) Die Haftverhandlung leitet das Gericht; sie ist nicht öffentlich. Die Staatsanwaltschaft, der Beschuldigte, sein gesetzlicher Vertreter, sein Verteidiger, die Kriminalpolizei, soweit sie darum ersucht hat, und der Bewährungshelfer sind vom Termin zu verständigen.
(3) Der Beschuldigte ist zur Verhandlung vorzuführen, es sei denn, dass dies wegen Krankheit nicht möglich ist. Er muss durch einen Verteidiger vertreten sein. Anstelle der Vorführung kann in den in §174 Abs1 geregelten Fällen sowie bei Beschuldigten, die in einer Außenstelle der Justizanstalt des zuständigen Gerichts oder in einer anderen als der Justizanstalt des zuständigen Gerichts (§183) angehalten werden, gemäß §153 Abs4 vorgegangen werden.
(4) Zunächst trägt die Staatsanwaltschaft ihren Antrag auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vor und begründet ihn. Der Beschuldigte, sein gesetzlicher Vertreter und sein Verteidiger haben das Recht zu erwidern. Der Bewährungshelfer kann sich zur Haftfrage äußern. Staatsanwaltschaft und Beschuldigter können ergänzende Feststellungen aus dem Akt begehren. Das Gericht kann von Amts wegen oder auf Anregung Zeugen vernehmen oder andere Beweise aufnehmen, soweit dies für die Beurteilung der Haftfrage erforderlich ist. Dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger gebührt das Recht der letzten Äußerung. Sodann entscheidet das Gericht über die Aufhebung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft. §174 Abs3 Z1 bis 5 und 8 gilt sinngemäß.
(5) Eine Beschwerde gegen einen Beschluss nach Abs4 ist binnen drei Tagen nach Verkündung des Beschlusses einzubringen; §174 Abs4 zweiter Satz ist anzuwenden.
Aufhebung der Untersuchungshaft
§177. (1) Sämtliche am Strafverfahren beteiligten Behörden sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Haft so kurz wie möglich dauere. Die Ermittlungen sind von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei mit Nachdruck und unter besonderer Beschleunigung zu führen.
(2) Der Beschuldigte ist sogleich freizulassen und gelindere Mittel sind aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Anhaltung, der Untersuchungshaft oder der Anwendung gelinderer Mittel nicht mehr vorliegen oder ihre Dauer unverhältnismäßig wäre.
(3) Ist die Staatsanwaltschaft der Ansicht, dass die Untersuchungshaft aufzuheben sei, so beantragt sie dies beim Gericht, das den Beschuldigten sogleich freizulassen hat.
(4) Ist die Staatsanwaltschaft der Ansicht, dass die Aufhebung gelinderer Mittel zu verfügen sei, so beantragt sie dies beim Gericht, das daraufhin entsprechend zu verfügen hat. Beantragt die Staatsanwaltschaft eine Änderung oder der Beschuldigte eine Aufhebung oder Änderung gelinderer Mittel und spricht sich die Staatsanwaltschaft dagegen aus, so hat das Gericht zu entscheiden. Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss ist binnen drei Tagen ab seiner Bekanntmachung einzubringen.
(5) Wird der Beschuldigte freigelassen, so hat das Gericht nach §172 Abs4 erster und zweiter Satz vorzugehen und auch die Kriminalpolizei von diesen Verständigungen zu informieren.
Höchstdauer der Untersuchungshaft
§178. (1) Bis zum Beginn der Hauptverhandlung darf die Untersuchungshaft folgende Fristen nicht übersteigen:
1. zwei Monate, wenn der Beschuldigte nur aus dem Grunde der Verdunkelungsgefahr (§173 Abs2 Z2), im Übrigen
2. sechs Monate, wenn er wegen des Verdachts eines Vergehens, ein Jahr, wenn er wegen des Verdachts eines Verbrechens und zwei Jahre, wenn er wegen des Verdachts eines Verbrechens, das mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, angehalten wird.
(2) Über sechs Monate hinaus darf die Untersuchungshaft jedoch nur dann aufrecht erhalten werden, wenn dies wegen besonderer Schwierigkeiten oder besonderen Umfangs der Ermittlungen im Hinblick auf das Gewicht des Haftgrundes unvermeidbar ist.
(3) Muss ein wegen Fristablaufs freigelassener Angeklagter zum Zweck der Durchführung der Hauptverhandlung neuerlich in Haft genommen werden, so darf dies jeweils höchstens für die Dauer von sechs weiteren Wochen geschehen.
Vorläufige Bewährungshilfe
§179. (1) Vorläufige Bewährungshilfe ist anzuordnen, wenn der Beschuldigte dem zustimmt und es geboten scheint, dadurch seine Bemühungen um eine Lebensführung und Einstellung, die ihn in Zukunft von der Begehung strafbarer Handlungen abhalten werde, zu fördern.
(2) Hat der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so ist diesem die Anordnung der vorläufigen Bewährungshilfe mitzuteilen.
(3) Die vorläufige Bewährungshilfe endet spätestens mit rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens. Im Übrigen gelten die Bestimmungen über die Bewährungshilfe dem Sinne nach.
Kaution
§180. (1) Gegen Kaution oder Bürgschaft sowie gegen Ablegung der im §173 Abs5 Z1 und 2 erwähnten Gelöbnisse kann der Beschuldigte freigelassen werden, sofern ausschließlich der Haftgrund der Fluchtgefahr (§173 Abs2 Z1) vorliegt; dies hat zu erfolgen, wenn die Straftat nicht strenger als mit fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.
(2) Die Höhe der Sicherheitsleistung ist vom Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft unter Bedachtnahme auf das Gewicht der dem Beschuldigten angelasteten Straftat, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie das Vermögen der Person zu bestimmen, welche die Sicherheit leistet.
(3) Die Sicherheit ist entweder in barem Geld oder in mündelsicheren Wertpapieren, nach dem Börsekurs des Erlagstages berechnet, gerichtlich zu hinterlegen oder durch Belastung oder Verpfändung von Liegenschaften oder Rechten, die in einem öffentlichen Buch eingetragen sind, oder durch taugliche Bürgen (§1374 ABGB), die sich zugleich als Zahler verpflichten, zu leisten. Wenn besondere Umstände den Verdacht nahe legen, dass die angebotene Sicherheit aus einer Straftat des Beschuldigten herrührt, hat das Gericht vor der Annahme der Sicherheitsleistung Ermittlungen über die Redlichkeit der Herkunft zu veranlassen.
(4) Die Sicherheit ist vom Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen mit Beschluss für verfallen zu erklären, wenn sich der Beschuldigte dem Verfahren oder, im Fall der Verurteilung zu einer nicht bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, dem Antritt dieser Strafe entzieht, insbesondere dadurch, dass er sich ohne Erlaubnis von seinem Wohnort entfernt oder eine Ladung nicht befolgt. Diese Ladung und der Beschluss über den Verfall sind dem Beschuldigten im Falle seiner Nichtauffindung nach §8 Abs2 des Zustellgesetzes zuzustellen.
(5) Mit Rechtskraft des Beschlusses nach Abs4 ist die verfallene Sicherheit für den Bund einzuziehen, doch hat das Opfer das Recht zu verlangen, dass seine Entschädigungsansprüche aus der Sicherheit oder ihrem Verwertungserlös vorrangig befriedigt werden.
§181. (1) Wenn der Beschuldigte nach seiner Freilassung gegen Sicherheit seine Flucht vorbereitet oder wenn neue Umstände hervorkommen, die seine Verhaftung erfordern, so ist er ungeachtet der Sicherheit festzunehmen, doch wird in diesen Fällen die Sicherheitsleistung frei.
(2) Dasselbe ist der Fall, sobald das Strafverfahren rechtswirksam beendet ist, bei Verurteilung zu einer nicht bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe aber erst, sobald der Verurteilte die Strafe angetreten hat.
(3) Über die Freigabe der Sicherheit entscheidet das Gericht.
Flucht
§181a. Soweit das Opfer dies beantragt hat, ist es von einer Flucht des in Untersuchungshaft angehaltenen Beschuldigten sowie von seiner Wiederergreifung sogleich zu verständigen. §172 Abs4 zweiter Satz gilt sinngemäß. Die Justizanstalt hat die Staatsanwaltschaft unverzüglich von der Flucht und Wiedereinbringung zu verständigen; die Staatsanwaltschaft hat sodann das Opfer zu verständigen.
4. Abschnitt
Vollzug der Untersuchungshaft
Allgemeines
§182. (1) Zweck der Anhaltung eines Beschuldigten in Untersuchungshaft ist, dem Haftgrund (§173 Abs2) entgegenzuwirken.
(2) Das Leben in Untersuchungshaft soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich angeglichen werden. Beschränkungen dürfen verhafteten Beschuldigten nur insoweit auferlegt werden, als dies gesetzlich zulässig und zur Erreichung des Haftzwecks (Abs1) oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizanstalt notwendig ist.
(3) Beim Vollzug der Untersuchungshaft ist insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, dass
1. für Beschuldigte die Vermutung der Unschuld gilt,
2. Beschuldigte ausreichend Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung haben und
3. schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges auf geeignete Weise entgegengewirkt wird.
(3a) Ein Waffengebrauch im Sinne des §105 Abs6 Z3 StVG ist nur zulässig, wenn der Beschuldigte wegen des Verdachts eines Verbrechens in Untersuchungshaft angehalten wird und auf Grund der Art oder Ausführung der vorgeworfenen Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder seines Vorlebens anzunehmen ist, dass er für die Sicherheit des Staates, von Leib und Leben, die sexuelle Integrität oder das Vermögen anderer Personen eine besondere Gefahr darstellt.
(4) Im Übrigen sind, soweit dieses Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt, auf den Vollzug der Untersuchungshaft die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes über den Vollzug von Freiheitsstrafen, deren Strafzeit 18 Monate nicht übersteigt, dem Sinn nach anzuwenden.
(5) Soweit im Einzelnen nichts anderes bestimmt wird, gelten die Bestimmungen über den Vollzug der Untersuchungshaft für alle Anhaltungen nach diesem Gesetz, die in einer Justizanstalt vollzogen werden.
Haftort
§183. (1) Beschuldigte sind in der Justizanstalt des für die Entscheidung über die Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft zuständigen Gerichts anzuhalten. Soweit dies – insbesondere im Interesse einer wirtschaftlichen Führung der Justizanstalten – notwendig ist, können weibliche Beschuldigte in der Justizanstalt eines benachbarten Gerichts angehalten werden.
(2) Wenn dies zur Erreichung des Haftzwecks oder zur Wahrung der in §182 enthaltenen Grundsätze notwendig ist, hat das Bundesministerium für Justiz die Zuständigkeit einer anderen Justizanstalt anzuordnen. Eine solche Anordnung kann mit Zustimmung des Beschuldigten auch zur Vermeidung eines Überbelags getroffen werden.
(3) Ab Beginn des Hauptverfahrens (§210 Abs2) kann das Bundesministerium für Justiz die Zuständigkeit einer anderen als der nach Abs1 bestimmten Justizanstalt innerhalb des Sprengels des zuständigen Oberlandesgerichts anordnen, wenn dies der besseren Auslastung der Vollzugseinrichtungen dient und durch die Überstellung weder eine Beeinträchtigung der Interessen des Angeklagten noch Nachteile für das Strafverfahren zu befürchten sind.
(4) Vor einer Änderung des Haftortes sind der Beschuldigte, Staatsanwaltschaft und Gericht zu hören; nach der Überstellung sind Staatsanwaltschaft, Gericht und der Verteidiger durch die nunmehr zuständige Justizanstalt unverzüglich zu verständigen.
(5) Nach Rechtswirksamkeit der Anklage ist der Angeklagte, soweit die Zuständigkeit eines anderen Landesgerichts begründet wird, unverzüglich in die Justizanstalt des nunmehr zuständigen Landesgerichts zu überstellen.
Ausführungen
§184. Für Vernehmungen, Ausführungen und Überstellungen von Beschuldigten gelten die Bestimmungen der §§97 und 98 StVG sinngemäß mit der Maßgabe, dass
1. Vernehmungen auch dann in der Anstalt durchzuführen sind, wenn sie nicht vom Gericht oder von der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden,
2. Ausführungen auf Ersuchen der Kriminalpolizei oder anderer Behörden (§98 Abs1 StVG) nur auf Anordnung oder mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und nur zum Zweck der Teilnahme an Verhandlungen, Tatrekonstruktionen und anderen kontradiktorischen Einvernahmen, an Gegenüberstellungen, Augenscheinen sowie sonstigen Befundaufnahmen zulässig sind.
Getrennte Anhaltung
§185. (1) Beschuldigte sollen nicht in Gemeinschaft mit Strafgefangenen untergebracht werden. Beschuldigte, die sich das erste Mal in Haft befinden oder die nach §183 Abs3 in einer anderen Justizanstalt angehalten werden, sind jedenfalls getrennt von Strafgefangenen anzuhalten. Bei der Bewegung im Freien, bei der Arbeit, beim Gottesdienst und bei Veranstaltungen sowie bei der Krankenbetreuung kann jedoch von einer Trennung abgesehen werden, soweit eine solche nach den zur Verfügung stehenden Einrichtungen nicht möglich ist.
(2) Soweit das zur Erreichung der Haftzwecke erforderlich ist, sind der Beteiligung an derselben Straftat verdächtige Beschuldigte so anzuhalten, dass sie nicht miteinander verkehren können. Solange die Staatsanwaltschaft hierüber keine Entscheidung getroffen hat, sind solche Beschuldigte jedenfalls getrennt anzuhalten.
(3) Weibliche Beschuldigte sind in jedem Fall von männlichen Beschuldigten und männlichen Strafgefangenen getrennt unterzubringen.
Kleidung und Bedarfsgegenstände
§186. (1) Angehaltene Beschuldigte sind unter Achtung ihrer Persönlichkeit und ihres Ehrgefühls sowie mit möglichster Schonung ihrer Person zu behandeln. Sie sind berechtigt, eigene Kleidung zu tragen, soweit die regelmäßige Reinigung in der Anstalt möglich ist oder außerhalb der Anstalt durch deren Vermittlung besorgt werden kann. Verfügt ein angehaltener Beschuldigter über keine geeignete Kleidung, so ist ihm eine solche für Verhandlungen vor Gericht, für Ausführungen und für Überstellungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Verfügung zu stellen.
(2) Angehaltene Beschuldigte sind berechtigt, sich auf eigene Kosten Bedarfsgegenstände, Dienstleistungen und andere Annehmlichkeiten zu verschaffen, soweit dies mit dem Haftzweck vereinbar ist und weder die Sicherheit gefährdet noch die Ordnung in der Anstalt erheblich beeinträchtigt oder Mithäftlinge belästigt.
Arbeit und Arbeitsvergütung
§187. (1) Angehaltene Beschuldigte sind zur Arbeit nicht verpflichtet. Ein arbeitsfähiger Beschuldigter kann jedoch unter den für Strafgefangene geltenden Bedingungen (§§44 bis 55 StVG) arbeiten, wenn er sich dazu bereit erklärt und Nachteile für das Verfahren nicht zu befürchten sind.
(2) Die Arbeitsvergütung ist dem Beschuldigten nach Abzug des Vollzugskostenbeitrages (§32 Abs2 und 3 StVG) zur Gänze als Hausgeld gutzuschreiben. Im Fall eines Freispruchs, des Rücktritts von Verfolgung oder einer Einstellung des Strafverfahrens ist ihm der einbehaltene Vollzugskostenbeitrag auszuzahlen.
(3) (Anm: aufgehoben durch BGBl I Nr 111/2010)
(4) Angehaltene Beschuldigte dürfen sich auf ihre Kosten selbst beschäftigen, soweit dies mit dem Haftzweck vereinbar ist und die Ordnung in der Anstalt nicht stört. Aus dieser Beschäftigung erzielte Einkünfte sind dem Hausgeld gutzuschreiben.
Verkehr mit der Außenwelt
§188. (1) Angehaltene Beschuldigte dürfen Besuche innerhalb der festgesetzten Besuchszeiten so oft und in dem zeitlichen Ausmaß empfangen, als die Abwicklung ohne unvertretbaren Aufwand gewährleistet werden kann. Im Übrigen gelten für den Empfang von Besuchen die §§85 bis 87 und 93 bis 96 StVG sinngemäß mit folgenden Maßgaben:
1. Beschuldigten darf nicht verwehrt werden, wenigstens zweimal in jeder Woche einen Besuch in der Dauer von mindestens einer halben Stunde zu empfangen,
2. auf den Inhalt des zwischen einem Beschuldigten und einem Besucher geführten Gesprächs hat sich die Überwachung nur zu erstrecken, wenn dies die Staatsanwaltschaft zur Sicherung des Haftzwecks oder der Anstaltsleiter zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in der Anstalt anordnet,
3. der Besuch bestimmter Personen, von denen eine Gefährdung des Zweckes der Untersuchungshaft oder der Sicherheit der Anstalt zu befürchten ist, kann untersagt oder abgebrochen werden.
(2) Angehaltene Beschuldigte sind berechtigt, auf eigene Kosten mit anderen Personen und Stellen schriftlich zu verkehren und zu telefonieren, es sei denn, dass durch den außerordentlichen Umfang des Brief- oder Telefonverkehrs die Überwachung beeinträchtigt wird. In diesem Fall sind diejenigen Beschränkungen anzuordnen, die für eine einwandfreie Überwachung notwendig sind. Schreiben, von denen eine Beeinträchtigung des Haftzweckes zu befürchten ist, sind zurückzuhalten, soweit sich nicht aus den Bestimmungen der §§90a bis 90b und 96a des Strafvollzugsgesetzes über den schriftlichen Verkehr mit Behörden und Rechtsbeiständen etwas anderes ergibt. Schreiben angehaltener Beschuldigter an einen inländischen allgemeinen Vertretungskörper, ein inländisches Gericht, eine andere inländische Behörde oder an Organe der Europäischen Union sowie an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dürfen in keinem Fall zurückgehalten werden. Für die Überwachung des Inhalts von Telefongesprächen gilt Abs1 Z2.
(3) Für die Überwachung des mündlichen und schriftlichen Verkehrs des angehaltenen Beschuldigten mit seinem Verteidiger gilt §59 Abs3.
Zuständigkeit für Entscheidungen
§189. (1) Die Entscheidung darüber, mit welchen Personen angehaltene Beschuldigte schriftlich und telefonisch verkehren und welche Besuche sie empfangen dürfen, die Überwachung ihres Brief- und Telefonverkehrs und ihrer Besuche sowie alle übrigen Anordnungen und Entscheidungen, die sich auf den Verkehr der angehaltenen Beschuldigten mit der Außenwelt (§§86 bis 100 des Strafvollzugsgesetzes) beziehen, stehen, mit Ausnahme der Überwachung der Paketsendungen, im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, im Hauptverfahren dem Gericht zu. Von der Überwachung des Brief- und Telefonverkehrs darf nur insoweit abgesehen werden, als davon keine Beeinträchtigung des Haftzweckes zu befürchten ist.
(2) Die Entscheidungen nach §16 Abs2 Z4 und 5 des Strafvollzugsgesetzes stehen dem für die Entscheidung über die Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft zuständigen Gericht zu.
(3) Im Übrigen stehen alle Anordnungen und Entscheidungen hinsichtlich der Anhaltung in Untersuchungshaft dem Anstaltsleiter oder dem von diesem dazu bestellten Vollzugsbediensteten zu. Vor jeder Entscheidung nach den §§185 Abs2, 186 Abs2 und 187 Abs1 ist im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft, nach Einbringung der Anklage das Gericht zu hören. Ordnungswidrigkeiten, die von angehaltenen Beschuldigten begangen wurden, sind der Staatsanwaltschaft und dem Gericht mitzuteilen. Das gleiche gilt von Vorfällen, von denen eine Beeinträchtigung der Haftzwecke zu befürchten ist.
[…]
21. Hauptstück
Verfahren bei vorbeugenden Maßnahmen und beim Verfall, beim erweiterten
Verfall, bei der Einziehung und bei der Ausschließung vom Wahlrecht
I. Vom Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme
Rechtsbrecher nach §21 Abs1 StGB
§429. (1) Liegen hinreichende Gründe für die Annahme vor, daß die Voraussetzungen des §21 Abs1 StGB gegeben seien, so hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zu stellen. Für diesen Antrag gelten die Bestimmungen über die Anklageschrift (§§210 bis 215) dem Sinne nach. Für das Verfahren auf Grund eines solchen Antrages gelten sinngemäß die Bestimmungen über das Strafverfahren, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird.
(2) Für das Ermittlungsverfahren gelten folgende Besonderheiten:
1. Der Verteidiger ist berechtigt, zugunsten des Betroffenen (§48 Abs2) auch gegen dessen Willen Anträge zu stellen.
2. Der Betroffene ist mindestens durch einen Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie zu untersuchen.
3. Zu jeder Vernehmung des Betroffenen können ein oder zwei Sachverständige beigezogen werden.
4. Ist anzunehmen, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen wird durchgeführt werden müssen (§430 Abs5), so ist die abschließende Vernehmung des Betroffenen auf die im §165 beschriebene Weise durchzuführen.
5. Von Vernehmungen des Betroffenen ist abzusehen, soweit sie wegen seines Zustandes nicht oder nur unter erheblicher Gefährdung seiner Gesundheit möglich sind.
(3) Das nach §109 Jurisdiktionsnorm zuständige Gericht ist sogleich vom Verfahren zu verständigen.
(4) Liegt einer der im §173 Abs2 und 6 angeführten Haftgründe vor, kann der Betroffene nicht ohne Gefahr für sich oder andere auf freiem Fuß bleiben oder ist seine ärztliche Beobachtung erforderlich, so ist seine vorläufige Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder seine Einweisung in eine öffentliche Krankenanstalt für Geisteskrankheiten anzuordnen. Diese Krankenanstalten sind verpflichtet, den Betroffenen aufzunehmen und für die erforderliche Sicherung seiner Person zu sorgen. §71 Abs2 des Strafvollzugsgesetzes gilt sinngemäß.
(5) Über die Zulässigkeit der vorläufigen Anhaltung ist in sinngemäßer Anwendung der §§172 bis 178 zu entscheiden. Auf die vorläufige Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sind die Bestimmungen über den Vollzug der Anhaltung in einer solchen Anstalt dem Sinne nach anzuwenden.
(6) Im Falle eines Strafurteils (§434) ist die vorläufige Anhaltung auf Freiheits- und Geldstrafen anzurechnen (§38 StGB).
[…]
§438. Liegen hinreichende Gründe für die Annahme, daß die Voraussetzungen der §§21 Abs2 oder 22 StGB gegeben seien, und Haftgründe (§173 Abs2 und 6) vor, kann der Beschuldigte aber nicht ohne Schwierigkeiten in einer Justizanstalt eines Landesgerichts angehalten werden, so ist mit Beschluß anzuordnen, daß die Untersuchungshaft durch vorläufige Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher zu vollziehen ist. Auf den Vollzug der Untersuchungshaft sind in diesem Fall die Bestimmungen über den Vollzug dieser vorbeugenden Maßnahmen dem Sinne nach anzuwenden."
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Gegen den Antragsteller wird wegen des Verdachts der Verbrechen der terroristischen Straftat des – zum Teil im Stadium des Versuches gebliebenen – Mordes (§12 dritter Fall, §15, §75 iVm §278c StGB), der terroristischen Vereinigung (§278b Abs2 StGB) und der kriminellen Organisation (§278a StGB) ermittelt. Er befindet sich seit 6. November 2020 in Untersuchungshaft.
2. Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2022, Z 331 HR 225/20y, wurde gemäß §173 Abs6 StPO die Verlängerung der Untersuchungshaft bis längstens 14. April 2022 verfügt.
3. Aus Anlass der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde stellte der Antragsteller den vorliegenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG. Darin legt er seine Bedenken wie folgt dar:
Die angefochtene Bestimmung verstoße gegen das Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art1 und 2 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit (in der Folge: PersFrSchG). Die Freiheit dürfe einem Menschen nur entzogen werden, sofern dies nach den in Art2 PersFrSchG taxativ aufgezählten Gründen zulässig sei. §173 Abs6 StPO sei mit dieser Bestimmung nicht vereinbar. Das tatsächliche Vorliegen von Haftgründen sei keine Voraussetzung für die Verhängung der Untersuchungshaft. Dass ein Freiheitsentzug auch dann vorzunehmen sei, wenn die Haftgründe bloß nicht ausgeschlossen werden, sei nicht von Art2 Abs1 Z2 litb und c PersFrSchG gedeckt. Zu prüfen sei daher, ob §173 Abs6 StPO mit Art2 Abs1 Z2 lita PersFrSchG vereinbar ist. Diese Bestimmung setze voraus, dass der Freiheitsentzug einen besonderen Zweck verfolge. Dieser Zweck liege entweder in der Beendigung des Angriffes oder in der sofortigen Feststellung des Sachverhaltes. Eine derartige Zweckverfolgung finde sich aber bei §173 Abs6 StPO nicht. Bereits aus diesem Grund sei die Bestimmung verfassungswidrig.
4. Die Bundesregierung hat auf eine meritorische Äußerung verzichtet.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass der Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2022 gestellt. Mit diesem Beschluss wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B VG) (vgl VfGH 2.7.2015, G203/2015).
1.3. Als Beschuldigter ist der Antragsteller Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht (§48 Abs1 Z2, §§49 ff. StPO), womit er zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG berechtigt ist.
1.4. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat der Antragsteller jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass er den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl VfSlg 20.074/2016).
Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien davon aus, dass das Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.
1.5. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).
1.6. Das Erstgericht hat §173 Abs6 StPO idF BGBl I 19/2004, dessen Verfassungswidrigkeit der Antragsteller behauptet, angewendet. Die angefochtene Bestimmung ist somit präjudiziell.
1.7. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Hauptantrag als zulässig, sodass auf den Eventualantrag nicht einzugehen ist.
2. In der Sache
2.1. Gemäß Art2 Abs1 des PersFrSchG darf einem Menschen die persönliche Freiheit nur in bestimmten Fällen (Haftgründe) entzogen werden. Art2 Abs1 Z2 PersFrSchG sieht als einen solchen Haftgrund die Untersuchungshaft vor. Das Gesetz darf dementsprechend die Untersuchungshaft vorsehen, wenn jemand einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehördlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist, wenn dies im Sinne des Art1 Abs3 PersFrSchG notwendig ist, und zwar (Art2 Abs1 Z2 lita PersFrSchG) zum Zwecke der Beendigung des Angriffes oder zur sofortigen Feststellung des Sachverhalts, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, dass der Verdächtige einen bestimmten Gegenstand innehat, (litb leg. cit.) um ihn daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen, oder (litc leg. cit.) um ihn bei einer mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung an der Begehung einer gleichartigen Handlung oder an der Ausführung zu hindern. Damit verlangt das PersFrSchG für die Verhängung der Untersuchungshaft nach unbestrittener Auffassung im Einzelfall die Feststellung, dass einer der genannten Haftgründe vorliegt ( Reindl , Untersuchungshaft und Menschenrechtskonvention, 1997, 164 f.; Venier , Ausgewählte grundrechtliche Aspekte der Untersuchungshaft, StPdG 1998, 79 [89]; derselbe , Das Recht der Untersuchungshaft, 1999, 33).
2.2. Nach dem System der Untersuchungshaft (§§173 ff. StPO) darf diese – neben weiteren Voraussetzungen – grundsätzlich nur verhängt werden, wenn einer der in §173 Abs2 StPO genannten Haftgründe vorliegt (§173 Abs1 StPO). Von diesem Grundsatz weicht die angefochtene Bestimmung des §173 Abs6 StPO insoweit ab, als für den Fall, dass es sich um ein Verbrechen (§17 StGB) handelt, bei dem nach dem Gesetz auf eine mindestens zehnjährige Freiheitsstrafe zu erkennen ist, die Untersuchungshaft verhängt werden muss, es sei denn, dass auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, das Vorliegen aller in §173 Abs2 StPO genannten Haftgründe sei auszuschließen.
Die Lehre erachtet diese, als "bedingt obligatorische Untersuchungshaft" bezeichnete Regelung seit längerem überwiegend deswegen für verfassungswidrig, weil damit dem Gebot des PersFrSchG des (positiven) Nachweises des Vorliegens aller Voraussetzungen für die Untersuchungshaft im jeweiligen Einzelfall nicht Rechnung getragen werde (vgl bereits Laurer , Der verfassungsrechtliche Schutz der persönlichen Freiheit nach dem Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1983, in: Walter [Hrsg.], Verfassungsänderungen 1988, 1989, 27 [48]; weiters etwa Venier , StPdG 1998, 92; siehe auch Kopetzki , Art2 PersFrSchG, in: Korinek/Holoubek ua [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 2002, Rz 23 bzw Kopetzki , Art4, 5 PersFrSchG, in: Korinek/Holoubek ua [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 2002, Rz 29).
2.3. Das PersFrSchG bindet den Entzug der persönlichen Freiheit als einen der gravierendsten Eingriffe in Grundrechte des Einzelnen ( Pöschl , Wieviel Prävention verträgt Art5 EMRK, FS Kopetzki, 2019, 499 [501]) an detaillierte Haftgründe und die Notwendigkeit eines auf einen spezifischen Haftgrund gestützten Freiheitsentzuges im Einzelfall. Diesen Anforderungen an die gesetzliche Regelung der Untersuchungshaft trägt die angefochtene Bestimmung des §173 Abs6 StPO nicht adäquat Rechnung. Denn sie eröffnet, ohne dass dies vom Regelungsgegenstand bedingt wäre, eine Unklarheit darüber, dass diese Einzelfallprüfung, ob ein konkreter Haftgrund vorliegt, jedenfalls zu erfolgen hat, obwohl eine die konkreten verfassungsrechtlichen Vorgaben deutlich zum Ausdruck bringende Regelung möglich ist, die auch dem Umstand Rechnung tragen kann, dass die hier in Rede stehende Konstellation des Verdachts der Begehung schwerer Straftaten in die Beurteilung der Notwendigkeit der Freiheitsentziehung miteinzubeziehen ist. Nach den Vorgaben des Art2 Abs1 Z2 PersFrSchG muss aber auch eine solche Berücksichtigung der Schwere der Straftat, deren Begehung der mit Untersuchungshaft Bedrohte verdächtigt wird, im Zuge einer Einzelfallprüfung erfolgen, ob ein die Untersuchungshaft rechtfertigender Haftgrund vorliegt und die Verhängung der Untersuchungshaft aus diesem Grund auch notwendig ist. Darüber darf die gesetzliche Vorschreibung der Verhängung der Untersuchungshaft nicht in Zweifel lassen, was der angefochtene §173 Abs6 StPO mit der Festlegung einer "bedingt obligatorischen" Untersuchungshaft aber tut.
§173 Abs6 StPO verstößt daher gegen das aus Art2 Abs1 Z2 iVm Art1 Abs3 PersFrSchG folgende Gebot, die Voraussetzungen der Verhängung einer Untersuchungshaft gesetzlich entsprechend genau vorzuschreiben (vgl VfSlg 19.675/2012 und 20.408/2020; sowie allgemein zum strengen Determinierungsgebot des PersFrSchG Berka , Verfassungsrecht 8 , 2021, Rz 1361).
V. Ergebnis
1. §173 Abs6 StPO ist wegen Verstoßes gegen Art1 Abs3 und Art2 Abs1 Z2 PersFrSchG als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B VG.
3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Ausspruchs erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.