JudikaturVfGH

E1040/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Juni 2022

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak, gegen die Erlassung eines auf die Dauer von zwei Jahren befristeten Einreiseverbotes und gegen die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stammt aus der Stadt Mossul. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte er am 25. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 30. Mai 2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung fest.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020 ab.

4. In weiterer Folge stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §55 Abs1 AsylG 2005 und einen Antrag auf Heilung gemäß §4 AsylG-DV 2005, da es ihm nicht möglich sei, ein irakisches Reisedokument vorzulegen. Das BFA wies mit Bescheid vom 10. Jänner 2022 den Antrag auf Mängelheilung ab, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §55 Abs1 AsylG 2005 zurück, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, erließ ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot und erkannte die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung ab.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hob den Spruchpunkt zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung mit Teilerkenntnis vom 22. Februar 2022 ersatzlos auf. Mit Erkenntnis vom 9. März 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Abschiebung zulässig ist, führt das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht in Rechten nach Art2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werde. Die Sicherheitslage in der Herkunftsregion (und in Mossul) sei grundsätzlich stabil. Der Beschwerdeführer sei ein erwerbsfähiger Mann mit umfassender Schul- und Universitätsausbildung sowie Berufserfahrung. Außerdem sei der Beschwerdeführer, abgesehen von einem im September 2019 erlittenen Hinterwandinfarkt, der operativ versorgt wurde, und einer im Juni 2020 diagnostizierten Polycythämia vera rubra, gesund. Die erforderlichen Medikamente seien in Mossul verfügbar. Auch das vorgelegte COVID-19-Risiko-Attest ändere nichts an dieser Beurteilung.

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Dabei weist der Beschwerdeführer auch auf die bedrohliche Situation im Herkunftsstaat hin.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie das BFA von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak, der Erlassung eines Einreiseverbotes und der Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich des Ausspruches über die Zulässigkeit der Abschiebung unterlaufen:

2.1. Gemäß §52 Abs9 FPG 2005 ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß §46 FPG 2005 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist jedoch – unter anderem – gemäß §50 Abs1 FPG 2005 unzulässig, wenn dadurch Art2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung insbesondere mit Verweis auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers und die allgemeine Sicherheitslage davon aus, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in die Herkunftsregion Ninewa (bzw Mossul) keine reale Gefahr einer Verletzung seiner gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe.

Dabei lässt das Bundesverwaltungsgericht allerdings die sunnitisch-arabische Identität des Beschwerdeführers und den Umstand, dass dieser aus einem Gebiet stammt, das zuvor vom IS besetzt war, unberücksichtigt. Laut UNHCR werden "Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und zwar vornehmlich [...] Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren, [...] Berichten zufolge kollektiv verdächtigt, mit ISIS verbunden zu sein oder ISIS zu unterstützen" (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vom Mai 2019, S 69) und weisen daher ein besonderes Risikoprofil auf (siehe VfGH 7.10.2021, E2372/2021; 18.3.2022, E3751/2021; 14.6.2022, E851/2022). Diesem Umstand kommt auch für die Beurteilung der sicheren Erreichbarkeit der Region maßgebliche Bedeutung zu, in die der Beschwerdeführer zurückkehren soll (siehe insb. VfGH 7.10.2021, E2637/2021 mwN).

2.3. Indem es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen hat, sich unter Berücksichtigung der Länderinformationen und des besonderen Risikoprofiles des Beschwerdeführers mit der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion auseinanderzusetzen, hat es sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak, die Erlassung eines Einreiseverbotes und die Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht – mit Willkür belastet und ist insoweit aufzuheben.

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak, gegen die Erlassung eines auf die Dauer von zwei Jahren befristeten Einreiseverbotes und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B VG zur Entscheidung abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

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