JudikaturVfGH

E938/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2023

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak und gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsangehöriger, der mit seiner Familie bis zu seiner Ausreise größtenteils in Diyala lebte und sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekennt. Nach den Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist der Beschwerdeführer Angehöriger der Volksgruppe der Araber. Am 28. September 2021 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte vor, er sei von einem schiitischen Milizführer mit dem Tod bedroht worden, weil er im Irak ein Verhältnis mit dessen Ehefrau gehabt habe.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 10. Jänner 2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie in Bezug auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 14. Februar 2023 als unbegründet ab. Gleichzeitig wurde mit diesem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde teilweise stattgegeben und die Erlassung der Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise behoben.

Hinsichtlich der abweisenden Entscheidung führt es im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können. Auch dem Vorbringen, auf Grund seines sunnitisch-muslimischen Glaubens diskriminiert worden zu sein, misst das Bundesverwaltungsgericht keine asylrelevante Bedeutung bei. Zudem hält das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten für nicht gegeben. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers an – dieser sei volljährig, gesund und arbeitsfähig, er verfüge über Schulbildung, ein abgeschlossenes Studium sowie Berufserfahrung und habe Familie in Diyala – und verweist darauf, dass die allgemeine Sicherheitslage im Irak einer Rückkehr nicht entgegenstehe.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen richtet, ist sie auch begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab-gewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung insbesondere mit Verweis auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers und die allgemeine Sicherheitslage davon aus, dass ihm im Falle seiner Rückkehr nach Diyala eine reale Gefahr einer Verletzung seiner in Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte nicht drohe.

2.3. Dabei unterlässt es das Bundesverwaltungsgericht, Feststellungen hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers zu treffen. Nach den Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gehört der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Araber an. Das Bundesverwaltungsgericht trifft die Feststellung, dass sich dieser zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekennt. Zudem stammt der Beschwerdeführer aus einem Gebiet, das zuvor vom IS besetzt war. Nach UNHCR werden "Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und zwar vornehmlich […] Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren, […] Berichten zufolge kollektiv verdächtigt, mit ISIS verbunden zu sein oder ISIS zu unterstützen" (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vom Mai 2019, S 69), und weisen daher ein besonderes Risikoprofil auf (vgl VfGH 7.10.2021, E2372/2021; 18.3.2022, E3751/2021; 15.3.2023, E131/2023). Diesem Umstand kommt auch für die Beurteilung der sicheren Erreichbarkeit der Region, in die der Beschwerdeführer zurückkehren soll, sowie der Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes maßgebliche Bedeutung zu (siehe insb. VfGH 7.10.2021, E2637/2021, mwN).

2.4. Indem es das Bundesverwaltungsgericht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer aus einem Gebiet stammt, das zuvor vom IS besetzt war, unterlassen hat, Feststellungen hinsichtlich seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu treffen, wobei die dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten naheliegend auf eine sunnitische-arabische Identität des Beschwerdeführers hinweisen, hat es sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen bezieht – mit Willkür belastet und ist dieses insoweit aufzuheben.

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung in jeder Hinsicht rechtmäßig begründet hat, nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak und gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

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