JudikaturVfGH

E948/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
18. März 2022

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,─ bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein am 2. Oktober 1992 geborener afghanischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Paschtunen angehört, sich zum sunnitischen Islam bekennt und aus dem Distrikt Qarghayi in der Provinz Laghman stammt. Er stellte am 11. November 2015 nach Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er sei von den Taliban bedroht, verfolgt und verletzt worden, da er sich geweigert habe, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Zudem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer mittelgradigen depressiven Episode. Von Dezember 2018 bis März 2020 sei er in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung gewesen und er nehme regelmäßig Medikamente ein.

2. Mit Bescheid vom 23. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Zudem wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14 tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 29. Jänner 2021 als unbegründet ab.

3.1. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen dahin, dass zwar nicht verkannt werde, dass sich insbesondere die Sicherheitslage in Kabul verschlechtert habe. Ziel der Anschläge sei jedoch großteils die afghanische Regierung, ausländische Behörden und NGOs, sodass insgesamt noch von einer ausreichenden Sicherheit für Normalbürger ausgegangen werden könne. Die Städte Mazar-e Sharif und Herat würden als sicherste Städte gelten; beide seien über eigene Flughäfen sicher erreichbar. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Kabul, in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden. Ihm stehe mit Mazar-e Sharif und Herat auch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Der Beschwerdeführer sei volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Er habe in Pakistan zwölf Jahre die Schule besucht und im Herkunftsstaat in Kabul fünf Jahre als Bankangestellter gearbeitet. Mit Paschtu spreche er eine der Landessprachen auf muttersprachlichem Niveau, er sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sowie im afghanischen Familienverband aufgewachsen und sozialisiert worden. Die Lage am Arbeits- und Wohnmarkt sowie die Versorgungslage seien zwar angespannt, jedoch könne den Länderberichten kein grundlegender Mangel betreffend die Versorgung mit diesen Gütern entnommen werden. Der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, zumal er in der ersten Zeit Rückkehrhilfe und finanzielle Unterstützung durch seinen Familienangehörigen in Anspruch nehmen könne. Der Beschwerdeführer gehöre mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend Covid 19 an.

3.2. Im Hinblick auf die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers stellt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere fest:

"[…] Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer mittelgradigen depressiven Episode. Von Dezember 2018 bis März 2020 war er in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Der Beschwerdeführer nimmt regelmäßig Medikamente ein, und zwar Rivotril Tabletten 0,5 mg einmal täglich, Sertralin Filmtabletten 50 mg einmal täglich, Sertralin Filmtabletten 100 mg einmal täglich, Trittico retard Tabletten 150 mg einmal täglich sowie als Einzelfallmedikation bei Angst und Unruhe maximal dreimal täglich Quetiapin Filmtabletten 25 mg. Seine Erkrankung hindert ihn aber nicht daran, den Geschäften des täglichen Lebens nachzukommen. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers steht seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht entgegen. […]"

In seiner rechtlichen Beurteilung führt es aus:

"[…] Den o.a. Länderfeststellungen ist zwar zu entnehmen, dass die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt ist, jedoch ist die medizinische Versorgung und der Zugang zu Medikamenten – insbesondere in urbanen Städten – grundsätzlich gegeben. Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Medikamente Trittico und Sertralin, die der Beschwerdeführer einnimmt, sind in Afghanistan erhältlich.

Dass der Beschwerdeführer eine spezielle Behandlung oder Medikamente benötige, die in Afghanistan nicht verfügbar seien, hat er nicht substantiiert vorgebracht. Aufgrund der festgestellten grundsätzlichen Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen und der Verfügbarkeit der ihm verschriebenen Medikamente ist nicht davon auszugehen, dass es für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers kommen würde. Nach den Länderfeststellungen findet die medizinische und psychiatrische Versorgung in Afghanistan grundsätzlich statt und ist der Zugang zu Medikamenten grundsätzlich gegeben. Der Beschwerdeführer kann jedoch auf finanzielle Unterstützung durch seine Angehörigen zurückgreifen und bei Bedarf eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen. Dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan der Zugang zu effektiver ärztlicher Versorgung verwehrt wäre, ist auszuschließen. Selbst wenn eine grundsätzlich verfügbare Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, so führt ein solcher Umstand im Falle seines Vorliegens vor dem Hintergrund der oben angeführten Judikatur zu keinem anderen Ergebnis für den Beschwerdeführer. Bei den dargestellten Erkrankungen liegt außerdem aus Sicht des erkennenden Gerichts kein akut lebensbedrohlicher Krankheitszustand vor bzw wäre im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten. […]"

4. Gegen dieses Erkenntnis brachte der Beschwerdeführer eine auf Art144 B VG gestützte Beschwerde ein, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht willkürlich entschieden habe, weil es seiner Ermittlungspflicht zur medizinischen Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere im Hinblick auf die Erhältlichkeit der benötigten Medikamente zur Behandlung seiner psychischen Erkrankung, und dem Zugang zu medizinischer Versorgung und psychotherapeutischer Behandlung nicht ausreichend nachgekommen sei. Zudem ergebe sich aus dem Erwachsenenvertretungsakt ein klares Selbstfürsorgedefizit, sodass nicht von einer "Arbeitsfähigkeit" des Beschwerdeführers ausgegangen werden könne. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach er ein "single abled bodied adult man" im Sinne der Country Guidance Afghanistan des European Asylum Support Office (in der Folge: EASO) aus Juni 2019 sei, stünde in unauflösbarem Widerspruch zu den weiteren, offensichtlich auf seine psychische Erkrankung bezogenen Ausführungen bezüglich der Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen und der Verfügbarkeit von Psychopharmaka.

5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt und ebenfalls auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.

II. Erwägungen

A. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht in ausreichendem Ausmaß mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan auseinandergesetzt und die für diese Auseinandersetzung maßgeblichen Ermittlungsschritte unterlassen. Insbesondere fehlt neben einer Würdigung der in einem fachärztlichen Befund vom 15. Jänner 2021 attestierten Gefahr schwerer selbstschädigender bzw suizidaler Handlungen auch eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Zugang des Beschwerdeführers zu den von ihm benötigten Medikamenten im Herkunftsstaat (vgl VfGH 11.6.2018, E3796/2018).

Hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten und dem Zugang des Beschwerdeführers zur benötigten Medikation in Bezug auf seine posttraumatische Belastungsstörung sowie seine mittelgradige depressive Episode verweist das Bundesverwaltungsgericht auf veraltete Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 8. Juni 2017 sowie vom 25. April 2019. Zudem hat es nur Erhebungen betreffend zwei der fünf vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente getätigt, die nach den erwähnten Anfragebeantwortungen in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat erhältlich seien. Zwei neueren – zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits vorhandenen – Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom jeweils 21. August 2020 ist dagegen zu entnehmen, dass mindestens eines der vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente weder in Herat noch in Mazar-e Sharif verfügbar sei.

2.2. Da es das Bundesverwaltungsgericht somit unterlassen hat, sich mit der aktuellen medizinischen Versorgungslage im Hinblick auf die Verfügbarkeit der maßgeblichen Medikamente in Afghanistan auseinanderzusetzen und dies mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Verbindung zu bringen, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet (vgl VfGH 12.6.2019, E1371/2019; 5.3.2020, E3084/2019; 9.3.2021, E3791/2020).

2.3. Weiters verweist das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Feststellungen allgemein auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16. Dezember 2020, die EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2019 und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018.

2.4. Die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, führen auf Seite 124 f. zur innerstaatlichen Fluchtalternative ua aus, dass eine solche nur dann zumutbar sein könne, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben, das auch willens und in der Lage ist, diese Personen tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung sind alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter, soweit keine spezifischen Vulnerabilitäten vorliegen.

Derartigen Länderberichten ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 12.12.2019, E3369/2019; 4.3.2020, E4399/2019, jeweils mwN; vgl auch VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 17.12.2019, Ra 2019/18/0278 ua). Das bedeutet insbesondere, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit den aus diesen Länderberichten hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen hat (vgl zB VfGH 6.10.2020, E2795/2019 sowie vom selben Tag E1728/2020 und E1887/2020).

2.5. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen davon aus, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen ledigen, volljährigen und arbeitsfähigen Mann handle, der in der Lage sei, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Er spreche die landesübliche Sprache Paschtu als Muttersprache, sei mit den kulturellen Gepflogenheiten des Herkunftsstaates vertraut und verfüge über eine Schulbildung und Berufserfahrung.

Zudem hält das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Familienangehörigen des Beschwerdeführers fest, dass nicht festgestellt werden könne, wo sich diese aufhalten würden und führt in Bezug auf die posttraumatische Belastungsstörung und die mittelgradige depressive Episode des Beschwerdeführers im Wesentlichen aus, dass in Afghanistan der Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Medikamenten grundsätzlich gegeben sei, seine Familienangehörigen ihn finanziell unterstützen könnten und ein akut lebensbedrohlicher Krankheitszustand nicht vorliege. Dabei kommt es zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar e Sharif zumutbar sei. Dies entspreche auch den aktuellen Einschätzungen von UNHCR zur Zumutbarkeit interner Schutzalternativen, wonach alleinstehende leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf eine Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung (Familie/ethnische Gruppe) darstellen würden. Die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative entspreche auch der Einschätzung von EASO zu internen Schutzalternativen für "Single able-bodied adult men".

Wenn das Bundesverwaltungsgericht auf dieser Basis den Schluss zieht, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe, nimmt es eine so qualifiziert fehlerhafte Beurteilung des dargestellten Sachverhaltes, insbesondere der UNHCR Richtlinie vom 30. August 2018 vor, dass der Fehler in die Verfassungssphäre reicht:

Nach der maßgeblichen Berichtslage ist nämlich nur leistungsfähigen Männern und verheirateten Paaren im erwerbsfähigen Alter, die jeweils keine spezifischen Vulnerabilitäten aufweisen, auch ohne Unterstützungsnetzwerk am Neuansiedelungsort eine innerstaatliche Fluchtalternative möglich und zumutbar. Solche Umstände treffen jedoch nach den Feststellungen und Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis im Hinblick auf den Beschwerdeführer gerade nicht zu: Dieser verfügt zwar über Schulbildung und Berufserfahrung, jedoch leidet er, wie das Bundesverwaltungsgericht feststellt, an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer mittelgradigen depressiven Episode. Zudem ist der Aufenthaltsort seiner Familienangehörigen nicht feststellbar. Weiters ist für den Beschwerdeführer mit Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 5. Juli 2019 eine gerichtliche Erwachsenenvertretung für die Vertretung im Asylverfahren sowie vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern angeordnet worden. Die gerichtliche Erwachsenvertretung wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 15. Juli 2020 zwar wieder beendet, jedoch einzig mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer von einer Bezugsbetreuerin und im Asylverfahren durch den Verein Menschenrechte Österreich unterstützt werde und er dadurch in der Lage sei, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen. Wie daher das Bundesverwaltungsgericht zu der Schlussfolgerung gelangt, dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig sei sowie den Geschäften des täglichen Lebens nachkommen könne, ist aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht nachvollziehbar.

2.6. Indem das Bundesverwaltungsgericht somit die maßgeblichen Anforderungen, die das Personenprofil des Beschwerdeführers nach der Länderberichtslage erfüllen muss, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ausgehen zu können, in qualifizierter Weise verkennt, belastet es auch aus diesem Grund sein Erkenntnis mit Willkür (vgl VfGH 22.9.2021, E1136/2020).

B. Im Übrigen, soweit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten angefochten wird, wird die Behandlung der Beschwerde aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in jeder Hinsicht rechtmäßig entschieden hat, insoweit nicht anzustellen.

Demgemäß ist von einer Behandlung der Beschwerde – soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – abzusehen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B VG zur Entscheidung abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

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