JudikaturVfGH

E1719/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
19. Februar 2016

Spruch

Der Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Berichtigung des in dieser Beschwerdesache ergangenen Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2015 wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Über den Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 29. April 2015 eine auf das Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I 100 idF BGBl I 68/2013, gestützte Rückkehrentscheidung, verbunden mit einem Einreiseverbot für die Dauer von 18 Monaten, verhängt. Der Beschwerdeführer erhob dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, die mit dem oben angeführten Beschluss vom 10. Juli 2015 unter Berufung auf die in §16 Abs1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 68/2013, vorgesehene zweiwöchige Beschwerdefrist als verspätet zurückgewiesen wurde.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B VG mit Erkenntnis vom 24. Juni 2015, G171/2015 ua., §16 Abs1 BFA-VG idF BGBl I 68/2013 als verfassungswidrig aufgehoben und gleichzeitig ausgesprochen, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei. Der Ausspruch wurde vom Bundeskanzler mit BGBl I 84/2015 am 29. Juli 2015 kundgemacht.

3. Mit Erkenntnis vom 18. September 2015, E1719/2015 6, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass der Beschwerdeführer durch den oben angeführten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden sei, und hob den Beschluss auf (Spruchpunkt I.). Der Bund (Bundesministerin für Inneres) wurde für schuldig erkannt, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen (Spruchpunkt II.).

4. Mit Schriftsatz vom 26. November 2015 begehrt das BFA, gestützt auf

§35 VfGG iVm §419 ZPO und §42 Abs1 der Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes (VfGHGO), die Berichtigung von Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Verfassungsgerichthofes vom 18. September 2015. Das BFA sieht im darin enthaltenen Klammerausdruck "(Bundesministerin für Inneres)" einen offenkundigen Ausfertigungsfehler, der aus der Übernahme der entsprechenden Formulierungen aus Erkenntnissen, mit denen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vor dem 1. Juli 2015 aufgehoben wurden, entstanden sein dürfte.

Mit diesem Zeitpunkt sei die vom Verfassungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 29. November 2014, G30, 31/2014, ausgesprochene Aufhebung des §83 Abs1 des Verfassungsgerichtshofgesetzes (VfGG), BGBl 85/1953 idF BGBl I 33/2013 wirksam geworden. Somit sei seither auch das Bundesverwaltungsgericht Partei des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof habe in den Entscheidungsgründen des vorgenannten Erkenntnisses festgehalten, Art144 B VG liege das Konzept zugrunde, dass die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof grundsätzlich mit jenem Organ erörtert wird, das diese Entscheidung erlassen hat.

Bei Verfassungswidrigkeit werde im Verfahren gemäß Art144 B VG ein Erkenntnis oder Beschluss eines Verwaltungsgerichtes aufgehoben und nicht ein Bescheid der Behörde. Somit sei in einem solchen Verfahren die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung mit dem Verwaltungsgericht zu erörtern, dieses habe seine Entscheidung auch zu verteidigen. Daher sei nach Ansicht des BFA seit 1. Juli 2015 das jeweilige Verwaltungsgericht im Fall einer Aufhebung die unterlegene Partei iSd §88 VfGG. Hierfür spreche auch, dass in der Systematik des Übergangs zur zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit die Verwaltungsgerichte an die Stelle der belangten Behörde in anhängigen Verfahren treten (Art151 Abs51 Z9 B VG).

Das Bundesverwaltungsgericht werde in Angelegenheiten des FPG zweifellos in Vollziehung des Bundes tätig, jedoch nicht im Vollziehungsbereich der Bundesministerin für Inneres, sondern in jenem des Bundeskanzlers. Nach Teil 2 litA Z3 der Anlage zu §2 Bundesministeriengesetz 1986 würden dem Bundeskanzleramt unter anderem Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Ausnahme der Angelegenheiten des Bundesfinanzgerichtes obliegen. Gemäß §29 BVwGG obliege dem Bundeskanzler die Vollziehung des BVwGG, soweit nichts anderes bestimmt sei. Gemäß §57 Z2 BFA VG obliege dem Bundeskanzler unter anderem die Vollziehung des §7 BFA VG, der Beschwerden an das BVwG in Verfahren des BFA regelt.

Der Verfassungsgerichtshof habe in Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen des seinerzeitigen Asylgerichtshofes sowohl vor als auch nach dem Jahreswechsel 2013/14 regelmäßig den Bundeskanzler im Prozesskostenausspruch angeführt. Das gelte auch für frühere Beschwerdeverfahren betreffend Entscheidungen des Unabhängigen Bundesasylsenates. Da somit das Bundesverwaltungsgericht unterlegene Partei im Sinne des §88 VfGG sei und dieses im Vollziehungsbereich des Bundeskanzlers tätig werde, stelle die Auferlegung der Prozesskosten an den "Bund (Bundesministerin für Inneres)" anstatt "Bund (Bundeskanzler)" wohl einen Ausfertigungsfehler dar und entspreche darüber hinaus offenkundig nicht dem Willen des Verfassungsgerichtshofs zu seinem Entscheidungszeitpunkt.

5. Gemäß §35 Abs1 VfGG sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung und des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung sinngemäß anzuwenden, soweit das VfGG keine anderen Bestimmungen enthält. §419 Abs1 ZPO zufolge kann das Gericht, welches das Urteil gefällt hat, jederzeit Schreib- und Rechnungsfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten in dem Urteil oder in dessen Ausfertigungen oder Abweichungen der Ausfertigung von der gefällten Entscheidung berichtigen und die Angaben, die entgegen der Vorschrift des §417 Abs3 ZPO übergangen wurden, einfügen.

Nach §42 Abs1 VfGHGO sind auf Antrag oder von Amts wegen den Parteien die ihnen zugestellten Ausfertigungen abzufordern und durch einen besonderen Zusatz zu berichtigen, wenn eine Ausfertigung Schreibfehler, Rechnungsfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeiten aufweist.

6. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist die Berichtigung einer von ihm gefällten Entscheidung im Sinne der zitierten Vorschriften nur zulässig, wenn das, was ausgesprochen wurde, offensichtlich nicht dem Willen des Gerichtes zur Zeit der Fällung der Entscheidung entsprochen hat (vgl. etwa VfGH 21.9.2015, E1176/2015 mwN). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, weil der Klammerausdruck im Spruchpunkt II. des Erkenntnisses vom 18. September 2015, dessen Abänderung das BFA begehrt, den jeweils gefassten Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes entspricht. Da das BFA nicht die Berichtigung von Schreib- oder Rechnungsfehlern bzw. ähnlich offenbaren Unrichtigkeiten, sondern vielmehr eine inhaltliche Abänderung der genannten, im Entscheidungszeitpunkt dem Willen des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden (Kosten-)Entscheidung begehrt, ist der Antrag zurückzuweisen.

7. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verfassungsgerichtshof bei der Angabe des haushaltsleitenden Organs des Bundes im Kostenzuspruch auf Grund der in VfSlg 16.739/2002 angestellten Überlegungen von einer funktionalen Betrachtungsweise leiten lässt.

8. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 litd VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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